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Weitere Optimierung der Diabetesversorgung notwendig

v. l.: Helmut Brath, Patrizia Theurer, Angelika Widhalm, Stefan Sabutsch und Moderator Herbert Puhl
© KRISZTIAN JUHASZ

Weitere Optimierung der Diabetesversorgung notwendig

v. l.: Helmut Brath, Patrizia Theurer, Angelika Widhalm, Stefan Sabutsch und Moderator Herbert Puhl
© KRISZTIAN JUHASZ

Es braucht mehr Prävention, frühzeitige Diagnose, eine Normalisierung des Zuckerspiegels sowie eine flächendeckende multidisziplinäre Versorgung im niedergelassenen Bereich , so der Tenor einer Expertenrunde die sich im Rahmen eins PRAEVENIRE Gipfelgesprächs knapp vor der Beschlussfassung der Gesundheitsreform der Österreichischen Bundesregierung in Wien traf. Zudem müsse die Gesundheitsplattform ELGA entsprechend ausgebaut und genützt werden, damit eine Leitlinienkonforme Behandlung über alle Versorgungsstufen hinweg durchgängig möglich ist.

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Rainald Edel, MBA

Periskop-Redakteur

Laut der Österreichischen Diabetesgesellschaft ist jede zehnte Person in Österreich von Diabetes mellitus Typ-2 betroffen. Dabei könnten, wie die Medizinische Universität Wien vor kurzem auf Basis einer britischen Studie aufgezeigte, 75 Prozent der Diabetesfälle durch eine gesunde Lebensweise vermeiden werden. Durch eine gesunde, pflanzliche Ernährung wird das Erkrankungsrisiko um 24 Prozent gesenkt. Die von der österreichischen Bundesregierung initiierte Gesundheitsreform bietet nunmehr die Gelegenheit und die nötigen Rahmenbedingungen, den Umgang mit dieser Erkrankung entscheidend zu verbessern. Deshalb hat die unabhängige Gesundheitsplattform PRAEVENIRE führende Expertinnen und Experten zu einer Diskussionsrunde in Wien geladen, um zentrale Punkte für eine bestmögliche Diabetesversorgung zu ergründen, die die Zielsteuerung Diabetes maßgeblich beeinflussen. Dabei sollen vor allem die Prävention und Früherkennung eine entscheidende Rolle spielen, aber auch das Therapiemanagement sowie die Dokumentation der Behandlung in der elektronischen Gesundheitsakte ELGA verbessert werden.

In der Versorgung kommt der Allgemeinmedizin als niederschwellige Versorgung eine bedeutende Rolle zu, um die Spitalsambulanzen zu entlasten.

Erreichen des Normalzuckerspiegels als Zielwert

Je früher man an Diabetes erkrankt, umso mehr Lebensjahre verliert man. In Österreich wird Diabetes im Schnitt um sechs Jahre zu spät diagnostiziert. Ohne Behandlung entstehen irreversible Schäden, die die Lebenserwartung deutlich reduzieren und die Lebensqualität erheblich einschränken. „Wenn man mit 30 Jahren an Diabetes Typ-2 erkrankt, verliert man als Mann im Schnitt 14 Lebensjahre, als Frau im Schnitt 16 Lebensjahre. Das ist extrem dramatisch“, schildert Oberarzt Dr. Helmut Brath von der Diabetes-Ambulanz des Gesundheitszentrums Favoriten der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK). Wenn Diabetes diagnostiziert werde, sei dies kein Frühstadium, sondern schon ein Mittelstadium. Denn der manifesten Erkrankung gingen meist schon Vorläufe von fünf bis zehn Jahren voraus. Daher brauche es ein entsprechendes Screening für Menschen ab 35 Jahren. Daten aus dem schwedischen Diabetesregister haben gezeigt, wenn neben der Senkung des Blutzuckerspiegels auf ein Normalniveau auch das Management von Risikofaktoren, wie Cholesterinspiegel oder Blutdruck gut funktionieren, wird das Herzinfarktrisiko bei Diabetikern um 16 Prozent gesenkt. „Es besteht Handlungsbedarf, sobald die ersten metabolischen Symptome auftreten, die u. a. Adipositas, Fettleber und Diabetes Typ-2 nach sich ziehen können“ mahnt Angelika Widhalm, Präsidentin des Bundesverbands Selbsthilfe Österreich (BVSHOE). Ziel muss es daher sein, so die Meinung der Teilnehmenden, neben der frühzeitigen Diagnose durch adäquate Behandlung eine Normalisierung des Blutzuckerspiegels von Betroffenen, gemessen am Leitparameter HbA1c zu erreichen.

Integrierte Versorgung darf kein Schlagwort bleiben

Grundvoraussetzung für eine gute Versorgung ist, dass die von der Fachgesellschaft (Österreichischen Diabetes Gesellschaft) entwickelten Leitlinien entsprechend umgesetzt werden und die darin empfohlenen Behandlungspfade und Medikamente auch durch die Krankenversicherungen erstattet werden. Dabei sollten neben empfohlenen Medikamenten auch begleitende Gesundheitsdienstleistungen, wie etwa die diätologische Beratung, als Kassenleistung angeboten werden. Hierbei spielen die Patientenwege eine entscheidende Rolle. „In der Versorgung kommt der Allgemeinmedizin als niederschwellige Versorgung eine bedeutende Rolle zu, nicht zuletzt auch um die Spitalsambulanzen zu entlasten und Kapazitäten für Spezialfälle zu schaffen“, schildert Priv. Doz. Dr. Gersina Rega-Kaun, von der Österreichischen Diabetes Gesellschaft.

Die wohnortnahe Versorgung durch den niedergelassenen Bereich ist derzeit noch nicht überall möglich.

Versorgung in der Fläche

Allerdings sei die wohnortnahe Versorgung durch den niedergelassenen Bereich derzeit noch nicht überall möglich, schildert Univ.-Prof. Dr.Stephan Kriwanek, Medizinischer Geschäftsführer der Gesundheit Burgenland. So müsse beispielsweise das burgenländische Krankenhaus in Kittsee eine Diabetes-Ambulanz aufbauen, weil es im niedergelassenen Bereich keine auf Menschen mit Diabetes spezialisierte Versorgungseinrichtung gibt. Eine Aufgabe die eigentlich nicht in den Bereich der Spitäler gehört. „Wir brauchen mehr Anstrengung im Ausbau der Primärversorgungseinheiten, von denen wir wissen, dass mit den dortigen Programmen Menschen mit Diabetes besonders adäquat versorgt sind“, betont Univ.-Prof. Dr. Herwig Ostermann, Geschäftsführer Gesundheit Österreich GmbH. Denn durch deren multidisziplinären Ansatz und die Möglichkeit neben medizinischem Personal auch andere Gesundheitsberufe wie beispielsweise Diätologinnen und Diätologen zu integrieren, haben sie die entsprechende Voraussetzung für eine umfassende Betreuung von Diabetes-Erkrankten. Auch können hier entsprechende Schulungen angeboten werden, die eine wichtige Begleitmaßnahme sind. „Da der Ausdruck ,Schulung´ gerade für die ältere Bevölkerung nicht passend und griffig ist, wäre es besser, ihn durch die Formulierung: ,Wir bilden Sie zum Diabetesspezialisten aus´ zu ersetzen“, wirft Helmut Brath ein.

Wir brauchen mehr Anstrengung im Ausbau der Primärversorgungseinheiten, von denen wir wissen, dass mit den dortigen Programmen Menschen mit Diabetes besonders adäquat versorgt sind.

Schnittstellenmanagement

Es sei zudem notwendig, dass der Übergang zwischen den verschiedenen Versorgungsebenen klarer definiert werde, wie Oberarzt Dr. Lars Stechemesser vom Universitätsklinikum Salzburg anmerkt. Seitens der Diabetesgesellschaft überarbeite man gerade das Therapiemanagement System „Therapie aktiv“. Dieses bringe für Patienten große Vorteile und werde auch von diesen gut angenommen, schildert Dr. Erwin Rebhandl, Allgemeinmediziner und Präsident der Initiative für Allgemeinmedizin und Gesundheit AM PLUS. Allerdings lässt die Teilnahme seitens der Hausärzte, außer in den Primärversorgungseinrichtungen, noch stark zu wünschen übrig. Hier sollten seiner Meinung nach alle Ärzte der Primärversorgung verpflichtet werden, ihre Patienten daran teilnehmen zu lassen und auch Prädiabetiker einzuschließen. Allerdings müsse der Sozialversicherungsbereich auch über neue pauschale Honorierungsmodelle nachdenken, die den Zeitfaktor berücksichtigen.

Durch die Gesundheitsreform sind die Voraussetzungen festgelegt worden, dass eine integrierte Versorgung, wie sie von vielen Seiten seit langem gefordert wird, auch tatsächlich durchgeführt werden kann.

Zusammenarbeit

Im Rahmen der ab Anfang 2024 umzusetzenden Gesundheitsreform sind die Voraussetzungen festgelegt worden, dass eine integrierte Versorgung, wie sie von vielen Seiten seit langem gefordert wird, auch tatsächlich durchgeführt werden kann, schildert Mag. Patrizia Theurer, Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz. Denn es ist eine verpflichtende standardisierte Diagnosenkodierung auch im niedergelassenen Bereich, die Einbeziehung der Wahlärztinnen und -ärzte in der Elektronischen Gesundheitsakte ELGA und die Möglichkeit des Datenaustausches zwischen den einzelnen Gesundheitsberufen vorgesehen. „Wenn es uns gelingt, auch Diagnosen aus dem ambulanten Bereich in ELGA abzubilden, würden weniger Menschen mit Diabetes übersehen werden“, erklärt Mag. Dr. Stefan Sabutsch, Geschäftsführer der ELGA GmbH. Viele Diabetes-Erstdiagnosen werden nämlich nicht weiterverfolgt, da sie nicht in der elektronischen Gesundheitsakte aufscheinen. „Wir sehen aber durch die Gesundheitsreform Signale, dass ELGA zur zentralen Anwendung und Austauschplattform für alle Gesundheitsberufe ausgebaut werden soll“, so Sabutsch. Damit wäre auch eine Zusammenfassung der Daten im Sinne eines Patient Summary möglich. Allerdings brauche es dafür die nötige Finanzierung sowohl für die Weiterentwicklung von ELGA als auch für die Implementierung übersichtlicher Zusammenfassungen und Suchfunktionen durch die Hersteller von Ärztesoftware. Man können sich nicht darauf verlassen, dass die Menschen Systeme, die ihnen zur Verfügung gestellt werden, auch verwenden, argumentiert Dr. Franz Leisch, Chief Digital Officer der Gesundheitsplattform PRAEVENIRE. Daher sollte man Ärzte motivieren daran teilzunehmen und ihnen im Sinne der Verhaltensökonomie ihre Aufwände abgelten.

Kommentare PRAEVENIRE Gipfelgespräch

Für unsere Versicherten müssen wir flächendeckende Diabeteszentren aufbauen, damit dort regelmäßige Abklärungen, Therapieanpassungen und Schulungen für Erkrankte erfolgen können. Gerade bei langen chronischen Krankheiten sind ein kompetenter Umgang mit der Krankheit und etwaige Lebensstilanpassungen von großer Wichtigkeit. Effektive Screeningmöglichkeiten fokussieren sich auf Menschen mit erkennbaren Risikofaktoren wie Adipositas. Hier müssen wir besser werden, um rechtzeitig präventive Angebote anbieten zu können.

Andreas Huss

Diabetes Mellitus Typ-2 ist ein Brennglas für das österreichische Gesundheitswesen, weil man die Stärken und die Schwächen ganz besonders deutlich erkennen kann. Die Stärken sind: Gute spitzenmedizinische Versorgung, Transplantation im Highendbereich, eine gut funktionierende Dialyse & der schnelle Zugang zu Diabetes Medikamenten. Die Schwächen sieht man leider aber auch beim Thema Diabetes: vernetztes Arbeiten, integrierte Prozesse, Arbeitsteilung zwischen den Gesundheitsberufen. Die große Schwäche ist beim wesentlichen Thema Health in All Policies (Zucker, Fett, Salz) dort wo es um systemische Maßnahmen der Prävention und Förderung geht. Gesundheitskompetenz ist auch bei Diabetes ein wichtiges Thema für die Sozialversicherung (wissen um eigenen HbA1c-Wert bzw. die eigenen Blutzuckerwerte). Gerade der Dachverband investiert viel in den Bereich Gesundheitskompetenz und ist auch ein Treiber. Gesundheitskompetenz hat 2 Seiten, die individuelle und die gesellschaftliche. An der individuellen arbeiten wir heftig, da gibt es auch viel aufzuholen, aber auf der Systemisch-gesellschaftlichen ist pure Wüste. Weiter gibt es bestimmte Gruppen, die üblicherweise nicht im scope von hardcore Gesundheitspolitikern sind, aber die maßgeblichen Einfluss darauf haben können, wie zum Beispiel die Ernährungspolitik in Österreich gestaltet ist. Das ist ein ganz schwer zu beackerndes Feld in Österreich.

Jan Pazourek

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