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Diabeteserkrankungen werden häufig zu spät erkannt

Prim. Univ.-Prof. Dr. Martin Clodi und OA Dr. Michael Resl
© KRISZTIAN JUHASZ ( 2)

Diabeteserkrankungen werden häufig zu spät erkannt

Prim. Univ.-Prof. Dr. Martin Clodi und OA Dr. Michael Resl
© KRISZTIAN JUHASZ ( 2)

Diabetes hat eine Vielzahl von Auswirkungen auf die Gesundheit. Ohne angemessene Behandlung können schwere Folgeerkrankungen und Komplikationen auftreten. Im Fokus zweier Keynotes bei den 8. PRAEVENIRE Gesundheitstagen im Stift Seitenstetten standen die Auswirkungen einer frühen Diagnose und Therapie bei Diabetes auf die Sterblichkeit und den Erhalt der Lebensqualität sowie die Forderungen der österreichischen Diabetes Gesellschaft (ÖDG) an die Gesundheitspolitik.

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Carola Bachbauer, BA, MSc

Periskop-Redakteurin

Die Zahlen der an Diabetes erkrankten Menschen steigt stetig. Dennoch wird die Erkrankung häufig in der Bevölkerung unterschätzt. Zusätzlich gibt es in Österreich immer noch keine systematisierte Erfassung der Daten. Exakte Zahlen sind für eine zukunftsorientierte Versorgungsplanung jedoch essenziell. Neben einer frühen Diagnose steht hier ein multifaktorieller Therapieansatz im Fokus.

Unzureichende Datenlage

Prim. Univ.-Prof. Dr. Martin Clodi, Präsident der ÖDG, widmete sich in seinem Vortrag den Forderungen bzw. Wünschen der ÖDG an die Gesundheitspolitik. Ganz oben auf der Liste steht hier der Bedarf an korrekten Zahlen und Daten zu Diabetes- und Todesfällen aufgrund einer Diabeteserkrankung in Österreich. Denn derzeit beruhen die zitierten Daten auf einer groben Schätzung. „Auf Basis der Daten der Sozialversicherung liegt die geschätzte Prävalenz von Diabetes-Typ-2 in Österreich zwischen 730.000 und 890.000 Menschen“, erklärte Clodi. Auch die aktuellen Zahlen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und des International Diabetes Federation (IDF) Diabetes Atlas geben einen inkompletten, nicht vollständig korrekten Überblick. Die Daten orientieren sich an Zahlen der benachbarten Länder und werden somit für Österreich nur angenommen. „Nach einem E-Mail-Austausch mit der IDF habe ich nun schwarz auf weiß, dass die Zahlen der undiagnostizierten Patientinnen und Patienten im IDF-Atlas geschätzt wurden. Dies ist enorm problematisch, da die Politik Zahlen der IDF als valide annimmt und auf Basis dieser Zahlen handelt“, so der Experte. Zusätzlich brauche man eine konkrete Kodierung der Todesursache. Laut Clodi haben rund 50 Prozent der Menschen mit einem Herzinfarkt einen Diabetes oder Prädiabetes. Bei Schlaganfällen beträgt die Zahl sogar zwischen 50 und 70 Prozent. Immer noch würden viele Ärztinnen und Ärzte in diesen Fällen als Todesursache Herz-Kreislauf-Versagen angeben, die Erkrankung Diabetes jedoch nicht erwähnen. Die ÖDG möchte dem entgegentreten und fordere deshalb ein zentrales Register basierend auf ELGA, um die Planung für die Therapie und die Versorgung der Betroffenen zu verbessern.

Ausbau des Disease Management Programms (DMP) „Therapie aktiv“

Ein weiterer Wunsch der ÖDG ist der Ausbau des DMP „Therapie aktiv“. „Wir sind der Meinung, dass das Disease Management Programm ‚Therapie aktiv‘ durchaus ein Erfolg ist. Derzeit sind in Österreich 112.000 Diabetespatientinnen und -patienten im DMP eingeschrieben. Nach derzeitigem Stand nehmen 2.050 Ärztinnen und Ärzte daran teil“, sagte Clodi. Aufgrund dessen wäre eine zweite Kompetenzschiene über Diabetesberaterinnen und -berater, seiner Meinung nach, nicht der richtige Weg. „Wenn wir schon so ein gutes Tool haben, dann sollen wir dieses auch nützen. Eine Evaluierung zu ‚Therapie aktiv‘ zeigt, dass die Versorgung für die Patientinnen und Patienten von Vorteil ist, Morbidität und Mortalität sinken und die Betreuungskosten zurückgehen“, betonte der Präsident der ÖDG. Um Einschreibungen in das „Therapie aktiv“ Programm zu fördern, wäre beispielsweise eine verpflichtende Teilnahme für alle Wahlärztinnen und -ärzte sowie Kassenpraxen wünschenswert. Für Primärversorgungseinheiten (PVE) ist diese bereits obligatorisch.

Weitere Wünsche der ÖDG

„Im Sinne der Prävention und der frühen Diagnose wäre es erstrebenswert, wenn die HbA1c-Bestimmung auch in die Vorsorgeuntersuchung aufgenommen wird, denn der Wert ist wichtig, um zu erkennen, in welchem Blutzuckerbereich ein Mensch – eventuell eine unentdeckte Patientin, ein Patient – angekommen ist“, erklärte der Präsident der ÖDG. Eine weitere Forderung aus Sicht der ÖDG ist der Ausbau der Diabeteszentren. Mithilfe weiterer Diabeteszentren könne es zu einer Entlastung der Spitalsambulanzen kommen. Als letzten Wunsch äußerte Clodi: „Die Restriktionen, welche auf manchen Medikamenten in der Erstattung liegen, sollten reduziert werden.“ Auch hier versuche die ÖDG, mit den Sozialversicherungsträgern in Kontakt zu treten.

Frühe Therapie und Prävention

Welchen Einfluss eine verbesserte Diabetesprävention und eine frühzeitige Therapie auf die Sterblichkeit und den Erhalt der Lebensqualität von Patientinnen und Patienten hat, veranschaulichte OA Dr. Michael Resl, Facharzt für Innere Medizin am Konventhospital der Barmherzigen Brüder Linz und Erster Sekretär der ÖDG, in seiner Keynote. Diabetes zählt zu den am weitesten verbreiteten Krankheiten in unserer Gesellschaft. Hinzukommt, dass Diabetes immer früher diagnostiziert wird und auch bei Kindern und Jugendlichen mehr in den Fokus rückt. Die Ursache dieser Entwicklung beruht auf der negativen Gewichtsentwicklung, d. h. auf der Zunahme des durchschnittlichen Körpergewichtes der europäischen Bevölkerung. „In Österreich sind über 50 Prozent aller Menschen übergewichtig bzw. adipös“, betonte Resl. Eine wichtige Rolle bei der Behandlung von Diabetes spielt vor allem die Erstdiagnose.

„Wir diagnostizieren die Erkrankung im Durchschnitt um bis zu sechs Jahre zu spät“, erläuterte der Experte. Innerhalb des Zeitraums vom Auftreten bis zur Diagnose der Zuckerkrankheit können bereits Folgeschäden entstehen. Diese reichen von Nieren- und Netzhautkomplikationen bis hin zu Herzinfarkt und Schlaganfall. „Wird eine Diagnose mit einem Lebensjahr von 40 gestellt, verliert die Patientin, der Patient immer noch 5,7 Jahre an Lebenserwartung“, erklärte Resl. Hinzukommt ein Verlust der Lebensqualität. Aufgrund dessen sei ein ausreichendes Screening notwendig. „Ein wichtiger Schritt war hier die österreichweite Erstattung der Bestimmung des Langzeitblutzuckerwertes HbA1c für den gesamten niedergelassenen Bereich von der Österreichischen Gesundheitskasse“, bekräftigte der Facharzt. Prinzipiell wäre die Bestimmung des Wertes bei Risikofaktoren und ab einem Alter von 35 Jahren empfehlenswert. Angesichts der immer früheren Diagnose sei es laut dem Experten auch ratsam, früher den HbA1c Wert bestimmen zu lassen.

Therapieziele in der Diabetesbehandlung

Eine der effektivsten Therapien im Bereich des Prädiabetes ist die Lebensstiltherapie, welche eine gesunde Ernährung und körperliche Betätigung umfasst. Bereits eine Studie aus dem Jahre 2003 zeigte, dass Bewegung – insbesondere moderates Gehen – im Ausmaß von 150 Minuten pro Woche die gesamte Mortalität bei Menschen mit Diabetes-Typ-2 um 40 Prozent und die kardiovaskuläre Mortalität um 34 Prozent senkt. Ist die Diabeteserkrankung bereits fortgeschritten, steht die multifaktorielle Diabetestherapie, welche aus der Senkung des Blutzuckers, des Blutdrucks und der Lipide besteht, im Fokus. „Diese Therapie, die mehrere Risikofaktoren berücksichtigt, senkt das Risiko von Folgeerkrankungen deutlich und reduziert die Sterblichkeit bei Patientinnen und Patienten mit Diabetes“, so Resl.

Diabetesstudie

Wie bereits erwähnt, fehlen valide Daten zu Diabetesfällen. Ein Grund dafür ist die fehlende standardisierte Diagnosecodierung (mit Ausnahme der Primärversorgungseinheiten) im niedergelassenen Bereich. Aufgrund dessen hat die Arbeiterkammer Wien (AK Wien) und die Arbeiterkammer Niederösterreich (AK NÖ) ein Projekt gestartet, bei dem ein Vergleich mit anderen europäischen Ländern wie Schweden, Dänemark und Großbritannien gemacht wird. Hierbei steht nicht nur das nationale Diabetesregister der Länder als Basis einer evidenzbasierten Diabetesversorgung im Fokus, sondern auch die Betreuung von Patientinnen und Patienten mit Diabetes in multidisziplinären Diabeteszentren oder Primärversorgungseinheiten. Die Beteiligung nichtärztlicher Gesundheitsberufe in den oben genannten Ländern spielt eine zentrale Rolle für das erfolgreiche Patientenmanagement.

Gruppenbild
© KRISZTIAN JUHASZ

Essenzen aus der Podiumsdiskussion

Auf diese Diabetesstudie der AK Wien und AK NÖ wurde auch in der anschließenden Podiumsdiskussion eingegangen und die Themen der beiden Keynotespeaker noch einmal aufgegriffen und vertiefend diskutiert.

Laut Hon.-Prof. (FH) Dr. Bernhard Rupp, MBA, Leiter der Abteilung Gesundheitspolitik der AK NÖ und Vorsitzender des Fachbeirates Diabetesstudie der AK Wien, sei ein multiprofessioneller Ansatz auch in Österreich im Rahmen der Diabetestherapie sinnvoll. In Österreich sei die Behandlung von Diabetespatientinnen und -patienten noch immer sehr ärzte- bzw. spitalsorientiert. Nichtärztliche Gesundheitsberufe würden hier eine geringe Rolle spielen. Mithilfe der Studie möchten die AK Wien und AK NÖ die verschiedenen Varianten aufzeigen, wie in Zukunft das Thema Diabetesmanagement organisiert werden kann. Hier seien die nichtärztlichen Gesundheitsberufe jedoch von großer Bedeutung. 

Ähnliche Meinung bezüglich eines multiprofessionellen Ansatzes vertreten auch die anderen Teilnehmer, wobei Clodi ausdrücklich betonte, dass die Betreuung von Patientinnen und Patienten eine Teamarbeit seien muss, die Versorgung einer chronischen Krankheit wie Diabetes aufgrund der vielen Komplikationen und der komplizierten medizinischen und therapeutischen Implikation in ärztlicher Hand liegen soll. 

Resl sprach im Bezug auf die Diabetestherapie nicht nur die Wichtigkeit eines multiprofessionellen Teams, sondern auch, dass Wearables wie Pulsuhren, die auch den Kalorienverbrauch anzeigen, eine hilfreiche Maßnahme für die Prävention von Diabetes sein können, an. Worin sich die Podiumsdiskussionsteilnehmer einig waren, war das Thema Datenmangel. Hier bestehe massiver Aufholbedarf, der auch dringend notwendig sei.

Bezüglich Screenings sprach Univ.-Prof. Dr. Thomas C. Wascher, Präsident der Diabetes Initiative Österreich und Leiter der Diabetes Ambulanz des Hanusch-Krankenhauses, die Sinnhaftigkeit der Implementierung der HbA1c Wert Bestimmung in der Vorsorgeuntersuchung an. Dennoch sei es wichtig die Instrumente, die bereits in die Vorsorgeuntersuchung – den Nüchternblutzucker – inkludiert sind, richtig und sinnvoll einzusetzen. Optimierungspotenzial sah der Podiumsdiskutant bei der Aufstellung des Gesundheitssystems. Der Fokus müsse in Österreich mehr auf Prävention und der Begleitung chronisch kranker Menschen liegen als wie bisher auf der reparativen Medizin.

Abschließend legten die Diskutanten den Fokus noch einmal auf die wichtigsten und zentralen Methoden in der Behandlung der Zuckerkrankheit: einheitliche Datenerfassung, Früherkennung, Prävention sowie die bestmögliche Therapie, welche mehrere Risikofaktoren wie Blutzucker, Blutdruck, BMI und Cholesterin berücksichtigt. Diese Maßnahmen seien wesentlich, um die Sterblichkeit und Komplikationen bei Diabetes reduzieren zu können.

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