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Welche Faktoren machen unsere Leber krank?

Am Podium diskutierten v. l. n. r. Alice Herzog, Michael Trauner, Angeli- ka Widhalm, Barbara A. Schmid, Ludwig Kramer, Thomas Czypionka und Andreas Huss.
© KRISZTIAN JUHASZ

Welche Faktoren machen unsere Leber krank?

Am Podium diskutierten v. l. n. r. Alice Herzog, Michael Trauner, Angeli- ka Widhalm, Barbara A. Schmid, Ludwig Kramer, Thomas Czypionka und Andreas Huss.
© KRISZTIAN JUHASZ

Anlässlich der 8. PRAEVENIRE Gesundheitstage im Stift Seitenstetten stand der Auftakt der neuen PRAEVENIRE Initiative „Lebergesundheit 2030“ am Programm. Diese zielt darauf ab, die Bedeutung der Lebergesundheit ins Blickfeld gesundheitspolitischer Strategien und Planungen zu rücken. Aus diesem Grund lag der Fokus dreier Keynotes auf dem Thema Lebergesundheit.

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Carola Bachbauer, BA, MSc

Periskop-Redakteurin

In Österreich ist jede bzw. jeder Dritte von einer Metabolischen dysfunktionsassoziierten Steatotischen Lebererkrankung (MASLD) betroffen. Etwa 70 Prozent davon leiden zusätzlich an Übergewicht, Adipositas oder Diabetes – Tendenz steigend. Die Kombination aus einer Fettlebererkrankung und Übergewicht kann das Risiko für chronische Lebererkrankungen erheblich erhöhen.

Ernährung bei Lebererkrankungen aus Sicht der aktuellen Leitlinien

Zu Beginn seines Vortrags ging Prim. Univ.-Prof. Dr. Ludwig Kramer, Vorstand der 1. Medizinischen Abteilung des Krankenhauses Hietzing, auf den „westlichen“ Lebensstil ein. Laut Kramer seien die Hauptursachen für die steigenden Zahlen von Übergewicht und Adipositas eine Überernährung in Kombination mit Bewegungsmangel. Vor allem flüssige Kohlenhydrate und hochprozessierte Lebensmittel würden hier eine Rolle spielen. „Zur Verbesserung der Haltbarkeit werden viele Faserstoffe gezielt aus industriellen Lebensmitteln entfernt und oberflächenaktive Moleküle sowie Stabilisatoren zugesetzt. Dies wirkt sich negativ auf unsere Gesundheit aus“, erklärte Kramer und führte weiter aus: „Eine Kohortenstudie aus Frankreich hat gezeigt, dass eine 10-prozentige Zunahme an ultraprozessierten Lebensmitteln bei Erwachsenen ab 45 Jahren statistisch mit einem 14-prozentigen Anstieg der Mortalität einhergeht.“

Anschließend legte Kramer den Fokus auf Empfehlungen zur Abschätzung der Prognose und bei der Erstellung eines Behandlungsplans für Patientinnen und Patienten mit MASLD. Hierbei sollten neben hepatologischen auch Komorbiditätsrisiken entsprechend der aktuellen Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und der europäischen Patientenleitlinie berücksichtigt werden. Des Weiteren sollten Personen mit MASLD und Übergewicht oder Adipositas als erste Therapie eine Lebensstilintervention empfohlen bekommen. Interessant ist dabei laut Kramer, dass Studienergebnisse eine quantitative Grenze aufzeigen, ab der die Änderungen des Lebensstils erst wirksam werden. Ab einer Verringerung des Körpergewichts um fünf bis zehn Prozent kann frühestens ein positiver Effekt für die Leber erzielt werden. „Um eine Gewichtsreduktion zu erreichen, benötigt es sowohl eine personalisierte Ernährungsintervention als auch mindestens drei Stunden aerobes oder isometrisches Training pro Woche. Dies ist für Menschen mit starkem Übergewicht schwer umsetzbar. Dadurch gibt es nur eine geringe Erfolgsaussicht der Lebensstilintervention ohne spezifische medikamentöse oder diätologische Unterstützung“, so Kramer. Nicht zu empfehlen seien laut aktueller Datenlage eine Supplementierung von Antioxidantien (Vitamin C, Resveratrol, Anthozyanin etc.), Colin oder Carnitin und Omega-3-Fettsäuren zur Behandlung der MASLD.

Eine Kohortenstudie aus Frankreich hat gezeigt, dass eine 10-prozentige Zunahme an ultraprozessierten Lebensmitteln bei Erwachsenen ab 45 Jahren statistisch mit einem 14-prozentigen Anstieg der Mortalität einhergeht.

Darm-Leber-Achse

„Einer von 400 Menschen in Österreich hat eine Leberzirrhose. 70 Prozent der Patientinnen und Patienten erhalten ihre Diagnose erst, wenn sie aufgrund von Komplikationen bereits ins Krankenhaus müssen. Die Leberzirrhose ist die zehnt häufigste Todesursache in den westlichen Ländern“, mit diesen drastischen Worten eröffnete Univ.-Prof. Dr. Vanessa Stadlbauer-Köllner von der MedUni Graz ihre Keynote. Die häufigsten Ursachen für Leberzirrhosen sind Alkohol, das metabolische Syndrom und chronische Virus-Hepatitide. Diese drei Faktoren machen fast 95 Prozent der Fälle aus. „Die Erforschung der Darmbakterienzusammensetzung hat gezeigt, dass die Leberzirrhose häufig mit einer Erkrankung des Darmmikrobioms zusammenhängt“, erklärte die Expertin. Indem die Diversität des Mikrobioms abnimmt, wird es anfälliger für Schäden von außen. Keime können in den Körper gelangen und eine Barrierestörung, eine Entzündungsreaktion verursachen, die die Leberfunktion verschlechtern oder zu Komplikationen wie Infektionen führen.

„In einer Studie haben wir aufgezeigt, dass Protonenpumpenhemmer bei Leberzirrhose das Mikrobiom negativ beeinflussen. Patientinnen und Patienten, welche Protonenpumpenhemmer einnahmen, hatten eine erhöhte Rate an Komplikationen besonders bei Infektionen. Zusätzlich war die Mortalität im Vergleich mit Menschen, die keine einnahmen, erhöht“, so Stadlbauer-Köllner. Aber auch eine Antibiotikatherapie bei Leberzirrhose hat Nebenwirkungen. „Wir konnten sowohl bei der Zirrhose als auch bei der Einnahme von Protonenpumpenhemmern zeigen, dass die Zufuhr von Probiotika positive Effekte auf die Darmbarriere haben und eine bakterielle Translokation verhindern kann. Andere Forschungsgruppen haben zum Beispiel gezeigt, dass spezielle Bakterien Infektionen nach einer Lebertransplantation oder die Entstehung eines Leberkomas verhindern können“, berichtete die Ärztin.

Zum Schluss ging Stadlbauer-Köllner näher auf ihre Forderungen bzw. Wünsche bezüglich der Darm-Leber-Achse ein: „Wir brauchen dringend eine Definition der Normwerte für die Mikrobiomzusammensetzung, damit Diagnostik betrieben werden kann. Wir müssen auch eine Wissensbasis zu Medikamenten-Mikrobiom-Interaktionen aufbauen und das Mikrobiom in die Entwicklung von Therapeutika einbeziehen. Außerdem ist es notwendig, neue regulatorische Strukturen zu schaffen, um mikrobiombasierte Therapien gut anwenden zu können, denn die Regeln, die für Arzneimittel gelten, sind weder für Stuhltransplantationen noch für Pre-, Pro- und Symbiotika geeignet.“

Seltene Lebererkrankungen – gar nicht so selten

Wenn man sich die Indikationen zu Lebertransplantationen in Europa anschaut, befindet sich die Primäre sklerosierende Cholangitis an dritter Stelle auf der Warteliste für Lebertransplantationen. Bei den tatsächlich durchgeführten Lebertransplantationen beträgt die Prozentzahl für seltene Lebererkrankungen 20. Somit spielen diese bei Lebertransplantationen doch eine wesentliche Rolle.

Univ.-Prof. Dr. Michael Trauner von der MedUni Wien gab zunächst einen Faktenüberblick über Seltene Erkrankungen: „Laut EU wird eine Erkrankung als selten bezeichnet, wenn weniger als einer von 2.000 Menschen davon betroffen ist. Zurzeit sind zwischen 3,5 und 5,9 Prozent der Weltbevölkerung von Seltenen Erkrankung betroffen. Das bedeutet 30 Mio. Menschen in der EU. Insgesamt gibt es über 6.000 verschiedene Seltene Erkrankungen. 72 Prozent davon haben eine genetische Ursache. Die angeführten Zahlen zeigen, dass Seltene Erkrankungen zwar als einzelne Erkrankung selten sind, aber als Gruppe relativ häufig anzutreffen sind.“ Wirft man einen Blick auf Lebererkrankungen, zeigt sich, dass diese die fünft häufigste Todesursache in der EU sind, die zweit häufigste für den Verlust von Arbeits-Lebensjahren und Leberkrebs die dritt häufigste Ursache für einen Krebstod ist. „Neben den häufigsten Faktoren einer Lebererkrankung machen genetische und seltene Ursachen zwar nur einen kleinen Prozentsatz aus, wichtig ist jedoch zu betonen, dass sie in Verbindung mit den häufigen Auslösern gebracht werden können“, so Trauner. Als Beispiel dafür nannte er die Haaranalyse von Ludwig van Beethoven, welche zeigte, dass der Komponist eine genetische Disposition für Lebererkrankungen hatte. Dies führte wahrscheinlich im Zusammenhang mit seinem Alkoholkonsum zum fortschreitenden Leberversagen und somit zum Tod.

Daten des European Reference Network (ERN) Rare Liver zeigen, dass vor allem Autoimmunhepatitis (AIH), Primäre biliäre Cholangitis (PBC) und Primäre sklerosierende Cholangitis (PSC) bei seltenen Lebererkrankungen auftreten. Näher ging der Experte auf PSC ein. Laut Studien beträgt die durchschnittliche Überlebenszeit bei Betroffenen im Alter von 30 bis 40 Jahren nach einer PSC Diagnose etwa 14 Jahre, wenn keine Lebertransplantation vorgenommen wird. Zehn Prozent entwickeln ein Cholangiozelluläres Karzinom. „Wenn man sich die Indikationen zu Lebertransplantationen in Europa anschaut, befindet sich die PSC an dritter Stelle auf der Warteliste für Lebertransplantationen. Bei den tatsächlich durchgeführten Lebertransplantationen beträgt die Prozentzahl für seltene Lebererkrankungen 20. Somit spielen diese bei Lebertransplantationen doch eine wesentliche Rolle. Vor allem wenn man bedenkt, dass bei PSC bei 50 Prozent der Betroffenen die Erkrankung innerhalb von fünf bis zehn Jahren wieder kommt“, erklärte Trauner. Aufgrund dieser verheerenden Zahlen betonte der Experte die Wichtigkeit des Paradigmenwechsels in der Diagnose von Lebererkrankungen und dass der Fokus mehr auf Früherkennung sowie Prävention gelegt werden sollte. Dies kann einen positiven Effekt auf die Mortalität im Zusammenhang mit Lebererkrankungen haben. Dafür seien laut Trauner klinische Guidelines notwendig, die Diagnose- und Versorgungspfade klar darlegen. Da bei seltenen Lebererkrankungen die Einzelerfahrungen sehr limitiert sind, sei es sinnvoll, Expertisezentren zu bilden. Wichtig in diesem Bereich sei jedoch eine niederschwellige Anbindung an den niedergelassenen Bereich und an Patientenselbsthilfegruppen. Zum Schluss betonte der Experte noch, dass es im Bereich von seltenen Lebererkrankungen notwendig sei den Fokus auf aussagekräftige, multizentrische Studien mit Zahlen in der Größenordnung von 300 bis 400 Patientinnen und Patienten im Rahmen von Phase-3-Studien zu legen.

Die Erforschung der Darmbakterienzusammensetzung hat gezeigt, dass die Leberzirrhose häufig mit einer Erkrankung des Darmmikrobioms zusammenhängt.

Essenzen aus der Podiumsdiskussion

In der anschließenden Podiumsdiskussion wurden die Themen der drei Keynotespeaker noch einmal aufgegriffen und vertiefend diskutiert. Dr. Thomas Czypionka, stellvertretender Direktor des Instituts für Höhere Studien (IHS), Head of Health Economics and Health Policy, gab einen Einblick in die aktuelle Datenlage von Übergewicht und Adipositas in Österreich: „2,8 Mio. Menschen sind übergewichtig. 1,3 Mio. der Österreicherinnen und Österreicher sind adipös. Es gibt 245.000 übergewichtige Kinder, davon sind 113.000 Kinder adipös.“ Laut Prognosen steigt der Anteil der adipösen Kinder und Jugendlichen alle fünf Jahre um ein Prozent. Diese Berechnung ist besonders alarmierend, da ein Zusammenhang zwischen Übergewicht, Lebererkrankungen und dem metabolischen Syndrom besteht. Um Lebererkrankungen entgegenzuwirken, empfahl Czypionka bereits bei den Kindern anzusetzen. Denn Kinder und Jugendliche sind besonders anfällig für Falschinformationen zum Thema Ernährung auf Social Media. Deshalb sei es wichtig, früh beim Gesundheitswissen und beim Aufbau von Gesundheitskompetenz anzusetzen, um Kinder und Jugendliche bei eigenverantwortlichen und guten Entscheidungen für ihre Gesundheit zu unterstützen. Diese Meinung vertritt auch Angelika Widhalm, Vorsitzende Hepatitis Hilfe Österreich – Plattform Gesunde Leber: „Die Leber tut nicht weh, auch wenn bereits eine Lebererkrankung vorliegt. Dies ist jedoch noch nicht bei der österreichischen Bevölkerung angekommen. Somit besteht im Bereich Awareness-, Aufklärungs- und Informationsarbeit bezüglich Lebergesundheit großer Aufholbedarf.“

Eine Forderung mit der sich die Hepatitis Hilfe Österreich schon lange auseinandersetzt, ist die Finanzierung der diätologischen Behandlung im extramuralen Bereich. Derzeit wird so eine Intervention von der österreichischen Sozialversicherung nicht erstattet. „Es darf nicht sein, dass nur gut situierte Personen sich diese Behandlung leisten können“, so Widhalm. In die gleiche Kerbe schlug Mag. Barbara A. Schmid, freiberufliche Diätologin aus Wien, und betonte, dass die Finanzierung von diätologischen Leistungen im extramuralen Bereich eine Notwendigkeit sei. Durch gezielte Schritte in Kommunikation bzw. Finanzierung der diätologischen Behandlung im extramuralen Bereich – das heißt diätologische Behandlung auf Krankenschein könne einerseits die Ernährungstherapie leistbar und andererseits sicher gemacht werden. Bei allen internistischen Erkrankungen, wie auch bei Lebererkrankungen, erläuterte die Diätologin, sei es wichtig, aufbauend auf der medizinischen Diagnose ein diätologisches Assessment durchzuführen: Das bio-psycho-soziale Gesamtbild der Patientinnen und Patienten zu beurteilen, realistische Ziele mit den Patientinnen und Patienten zu formulieren und anhand dessen individuelle, diätologische Maßnahmen zu setzen. Untersuchungen zeigen, dass eine kontinuierliche diätologische Begleitung, vor allem bei internistischen Erkrankungen und Adipositas, langfristig durch Verhaltensänderung zur Verbesserung führt und mit einer geringeren Medikamenteneinnahme einhergeht.

Eine wichtige Maßnahme, die in die Vorsorgeuntersuchung aufgenommen werden sollte, sei laut Kramer und Trauner die Ultraschalluntersuchung mit der Leberstrukturveränderungen erkannt werden können. Andreas Huss, MBA, meinte in seiner Funktion als stellvertretender Obmann der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK), dass die ÖGK grundsätzlich offen für Vorschläge der Fachwelt sei und diese auch diskutiert werden. „Die Medizin ist nichts, was über 20 Jahre gleichbleibt. Es werden ständig neue Erkenntnisse gewonnen und an diese müssen die Vorsorgeuntersuchungskriterien angepasst werden“, so Huss. Des Weiteren seien aus seiner Sicht die Kosten kein maßgeblicher Faktor, wenn die Lebensqualität verbessert und die gesunden Lebensjahre verlängert werden. Denn fünf bis zehn gesunde Lebensjahre würden so viel Geld ersparen, dass die Screening-Programme finanzierbar wären.

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