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Lebergesundheit 2030: Eine unterschätzte Herausforderung für die Gesundheit

Gruppenfoto Lebergesundheit
© KRISZTIAN JUHASZ

Lebergesundheit 2030: Eine unterschätzte Herausforderung für die Gesundheit

Gruppenfoto Lebergesundheit
© KRISZTIAN JUHASZ

Im Rahmen der 8. PRAEVENIRE Gesundheitstage im Stift Seitenstetten stand der Auftakt der neuen PRAEVENIRE Initiative „Lebergesundheit 2030“ am Programm. Diese verfolgt das Ziel, die Lebergesundheit ins Blickfeld gesundheitspolitischer Strategien und Planungen zu rücken. Aus diesem Grund gingen im Zuge eines Gipfelgesprächs Expertinnen und Experten vertiefend auf die jüngsten Erkenntnisse aus der medizinischen Forschung ein und formulierten Forderungen, um den Herausforderungen entsprechend zu begegnen.

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Carola Bachbauer, BA, MSc

Periskop-Redakteurin

In Österreich ist jede bzw. jeder Dritte von einer nicht-alkoholischen Fettlebererkrankung (NAFLD) bzw. metabolisch assoziierten Fettlebererkrankung (MASLD) betroffen. Etwa 70 Prozent davon leiden zusätzlich an Übergewicht, Adipositas oder Diabetes – Tendenz stark steigend. Die Kombination aus einer Fettlebererkrankung und Übergewicht kann das Risiko, an einer chronischen Lebererkrankung zu erkranken, erhöhen. Solche chronischen oder seltenen Lebererkrankungen bedeuten für Betroffene ein langer Leidensweg. In schweren Fällen können sie zu lebensbedrohlichen Komplikationen wie Leberversagen oder Krankheiten wie Leberkrebs führen. Die Behandlung von Lebererkrankungen erfordert oft eine umfassende medizinische Betreuung und kann eine Vielzahl von Interventionen wie Medikamente, chirurgische Eingriffe oder sogar eine Lebertransplantation erfordern.

Übergewicht und Adipositas in Österreich

Zu Beginn des Gipfelgesprächs gab Dr. Thomas Czypionka, stellvertretender Direktor des Instituts für Höhere Studien (IHS), Head of Health Economics and Health Policy, einen Einblick in die aktuelle Datenlage von Übergewicht und Adipositas in Österreich: „2,8 Mio. Menschen in Österreich sind übergewichtig. 1,3 Mio. der Österreicherinnen und Österreicher sind adipös. Laut Prognosen wird die Zahl der Übergewichtigen in zehn bis 20 Jahren um 50 Prozent steigen.“ Diese Prognose ist besonders alarmierend, da ein Zusammen- hang zwischen Übergewicht, Lebererkrankungen und dem metabolischen Syndrom besteht. Um Lebererkrankungen und den damit verbundenen hohen Behandlungskosten entgegenzuwirken, empfahl Czypionka bereits bei den Kindern anzusetzen. Denn häufig sind ungesunde Ernährung sowie Bewegungsmangel Hauptursache für Übergewicht und somit kausal für Fettlebererkrankungen. Ein guter Ansatz sei laut dem Experten hierbei die gesundheitspolitische Strategie „Health in All Policies“, welche darauf abzielt, die Gesundheit und Lebensqualität der Bevölkerung auf einer breiten Basis wirksam und nachhaltig zu fördern. Besonders wichtig sei es in Schulen sowie im alltäglichen Leben anzusetzen.

Als Beispiel führte Czypionka an, dass Schülerinnen und Schüler bei der Zubereitung des Schulessens eingebunden werden sollten, um so das Bewusstsein für eine gesunde Ernährung zu steigern und den Konsum von hochprozessierten Nahrungsmitteln mit hohem Fruktosegehalt zu vermeiden. Zusätzlich könnten Social Media Plattformen dazu genutzt werden, um das Ernährungsverhalten von Jugendlichen durch Influencer positiv zu beeinflussen. Bezüglich Bewegungsmangel schlug der Experte vor, dass bei der Architektur der Fokus mehr auf eine bewegungs- förderliche Bauweise gelegt werden sollte, die Menschen dazu bewegt, beispielsweise anstatt des Liftes die Stiegen zu nehmen.

70 Prozent der Patientinnen und Patienten erhalten ihre Diagnose einer Leberzirrhose erst, wenn sie aufgrund von Komplikationen bereits ins Krankenhaus müssen. Dies ist nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für das Gesundheitssystem sehr belastend.

Der Zusammenhang von Ernährung und Lebererkrankungen

Nach wie vor würden laut den Gipfelgesprächsteilnehmerinnen und -teilnehmern Kinder und Jugendliche in den Kindergärten und Schulen vermehrt ungesunde Speisen serviert bekommen. Alle Bemühungen hier Änderungen vorzunehmen, wären im Sand verlaufen. Laut Hon.-Prof. (FH) Dr. Bernhard Rupp, MBA, Leiter der Abteilung Gesundheitspolitik der Arbeiterkammer Niederösterreich (AK NÖ), gäbe es jedoch nicht nur in den Kindergärten und Schulen erheblichen Aufholbedarf bezüglich gesunder Ernährung sondern auch in der Arbeitswelt. Nur wenige Unternehmen bieten die Möglichkeit eines Kantinenessens an, häufig sei der Weg zum nächstgelegenen Supermarkt notwendig. „Die AK NÖ hat mehrere Jahre ein Projekt am Laufen gehabt, das sich mit der gesunden Ernährung an Baustellen beschäftigt hat. Leider waren die Ergebnisse sehr ernüchternd. Solange Wurstsemmeln und Cola zu einem günstigen Preis angeboten werden und die Alternativen teuer sind, ist eine Umstellung nur sehr schwierig. Hier bräuchte es Maßnahmen einerseits des Arbeitgebers und andererseits der Lebensmittelindustrie.“, so Rupp. Prim. Univ.-Prof. Dr. Ludwig Kramer, Vorstand der 1. Medizinischen Abteilung des Krankenhauses Hietzing, betonte: „Man muss gezielt versuchen flüssige Kohlenhydrate in der Ernährung zu minimieren und stattdessen mehr natürliche Faserstoffe zu sich zu nehmen. Zur Verbesserung der Haltbarkeit werden jedoch viele Faserstoffe gezielt aus industriellen Lebensmitteln entfernt und oberflächenaktive Moleküle sowie Stabilisatoren zugesetzt. Dies wirkt sich negativ auf unsere Gesundheit aus.“ Deshalb sei es dem Experten zufolge wichtig, bei Themen wie Lebererkrankungen, Adipositas bzw. Ernährung auch in den Diskurs mit der Lebensmittelindustrie zu treten, um hier eine Veränderung bewirken zu können.

Wesentlicher Faktor: Das Mikrobiom

Unlösliche Ballaststoffe haben einen positiven Effekt auf das Darmmikrobiom, welches bei der Entstehung von alkohol-assoziierter Lebererkrankung, MASLD sowie auch für Virushepatitiden und seltene Lebererkrankungen relevant ist. „Studien haben gezeigt, dass bei einer Leberzirrhose das Mikrobiom stark verändert ist und somit die Diversität abnimmt. Dadurch wird das Mikrobiom anfälliger auf Schäden von außen. Keime können in den Körper gelangen und eine Barrierestörung, eine Entzündungsreaktion verursachen, die Leberfunktion verschlechtern oder zu Komplikationen wie Infektionen führen. Die Zufuhr von speziellen Bakterien hat positive Effekte auf die Darmbarriere. So können Probiotika beispielsweise Infektionen nach einer Lebertransplantation oder die Entstehung eines Leberkomas verhindern“, erklärte Univ.-Prof. Dr. Vanessa Stadlbauer-Köllner von der Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie der Med Uni Graz.

Diätologische Behandlung und Ernährungstherapie bei Fettlebererkrankungen

Eine wesentliche Rolle bei Lebererkrankungen spielt auch deren Behandlung. Diese benötigt Univ. Prof. Dr. Petra Munda von der Klinischen Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie der MedUni Wien, zufolge jedoch viel Zeit. „Häufig muss den Patientinnen und Patienten erst klar gemacht werden, welche Auswirkungen eine Lebererkrankung auf ihr Leben hat. Auch der empfohlene Therapieansatz der Lebensstilveränderung, welcher eine Diät und Sport umfasst, fällt den Betroffenen oft schwer und benötigt eine durchgehende Betreuung“, erklärte die Expertin. Häufig bleibt dafür im niedergelassenen Bereich oder in den Ambulanzen nur wenig Zeit. Aufgrund dessen sei eine diätologische Begleitung bei Patientinnen und Patienten mit Fettlebererkrankungen besonders wichtig. Allerdings wird diese Behandlung von der österreichischen Sozialversicherung derzeit nicht erstattet. Eine Ausnahme stellen die Primärversorgungseinheiten dar.

Über 350 Millionen Menschen haben chronische Hepatitis, schätzungsweise 80 Prozent von ihnen haben keinen Zugang zu der benötigten Versorgung.

Ein weiteres Problem bezüglich diätologischer Behandlung sprach Mag. Barbara A. Schmid, freiberufliche Diätologin aus Wien, an. Sie möchte besonders auf die Trittbrettfahrer im Bereich Ernährungsberatung aufmerksam machen. „Diätologinnen und Diätologen müssen eine sechssemestrige akademische Ausbildung auf einer Fachhochschule absolvieren Mit erfolgreichem Abschluss ‚Bachelor of Science in Health Studies‘ wird die Berufsberechtigung sowie die Berufsbezeichnung ‚Diaetologin‘ /‚Diaetologe‘ verliehen. Für die Berechtigung der Berufsausübung ist, wie für Angehörige anderer Gesundheitsberufe, die Eintragung in das Gesundheitsberuferegister Voraussetzung. Sämtliche andere Berufe im Bereich der Ernährung mit selbsternannter Betitelung, wie Ernährungsberaterinnen,- berater, Ernährungscoaches, -trainierinnen und -trainer, -managerinnen und -manager, beraten kranke Menschen ohne die vom Gesetz vorgeschriebene Berufsberechtigung. Mangelnde Kompetenzen und Scharlatanerie in der Ernährungsberatung bzw. Nahrungsergänzungsmittelberatung ist ein großes Gesundheitsrisiko für Patientinnen und Patienten“, erklärte die Diätologin. Hierbei sei es laut Schmid wichtig, durch gezielte Schritte in Kommunikation bzw. Finanzierung der diätologischen Behandlung im extramuralen Bereich; das heißt diätologische Behandlung auf Krankenschein, einerseits die Ernährungstherapie leistbar und andererseits sicher zu machen.

Bei allen internistischen Erkrankungen, wie auch bei Lebererkrankungen, erläutert Diätologin Schmid, sei es wichtig, aufbauend auf die medizinische Diagnose ein diätologisches Assessment durchzuführen: Das biopsycho-soziale Gesamtbild der Patientinnen und Patienten zu beurteilen, realistische Ziele mit den Patientinnen und Patienten zu formulieren und anhand dessen individuelle, diätologische Maßnahmen zu setzen.

Untersuchungen zeigen, dass eine kontinuierliche diätologische Begleitung, vor allem bei internistsichen Erkrankungen und Adipositas langfristig durch Verhaltensänderung zur Verbesserung führt und mit einer geringeren Medikamenteneinnahme einhergeht.

Gesundenuntersuchung

„70 Prozent der Patientinnen und Patienten erhalten ihre Diagnose einer Leberzirrhose erst, wenn sie aufgrund von Komplikationen bereits ins Krankenhaus müssen. Dies ist nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für das Gesundheitssystem sehr belastend“, erklärte Stadlbauer-Köllner. Aufgrund dessen wäre für eine Früherkennung von Lebererkrankungen eine Modifizierung der Vorsorgeuntersuchung ratsam. Momentan wird im Rahmen der Gesundenuntersuchung die Gamma-Glutamyltransferase (Gamma GT) bestimmt. Diese ist jedoch kein besonders guter Parameter. Zwei andere Leberwerte – Aspartat-Aminotransferase (AST) und die Alanin-Aminotransferase (ALT) – hätten in der Vorsorgeuntersuchung höhere Aussagekraft. Anhand diesen kann nämlich eine Formel mit Alter und den Thrombozyten aus dem Blutbild berechnet werden, welche angibt, ob ein Fibroserisiko besteht (FIB-4 score). Ohne diesen Wert ist es Allgemeinmedizinerinnern und Allgemeinmedizinern kaum möglich, eine höhergradige Fibrose zu diagnostizieren.

Die Sozialversicherung scheue jedoch davor zurück, neue Parameter in die Vorsorgeuntersuchung aufzunehmen, da dies aufgrund des hohen Volumens an Patientinnen und Patienten in der Prävention sehr kostenintensiv sein könnte. Aufgrund dessen sei es notwendig, für neue Parameter, wie beispielsweise bei den Werten AST und ALT, klar zu definieren, wann und bei welchen Patientengruppen diese bestimmt werden sollen. So könnte die Messung der beiden Leberwerte voraussichtlich sogar langfristig Kosten einsparen und Leid reduzieren.

Health in All Policies

Um die Strategie Health in All Policies (wieder) in Bewegung zu bringen, braucht es klare Zielsetzungen. Im Jahr 2016 wurde die erste globale Hepatitis-Strategie vorgestellt, mit dem Ziel bis 2030 die Mortalität von Hepatitis deutlich zu verringern. „Die Strategie der WHO zielt darauf ab, bis 2030 Neuinfektionen mit Hepatitis B und C um 90 Prozent und Todesfälle um 65 Prozent zu reduzieren“, sagte Dr. Gottfried Hirnschall, International Public Health Experte. Hier wurden bereits Erfolge verbucht, allerdings sei der Zugang zu Präventions-, Test- und Behandlungsdiensten für Hepatitis weltweit nach wie vor viel zu gering. „Über 350 Millionen Menschen haben chronische Hepatitis, schätzungsweise 80 Prozent von ihnen haben keinen Zugang zu der benötigten Versorgung“, fügte er hinzu. Laut des Experten müsse jedoch ein Paradigmenwechsel von Hepatitis zu einem breiteren Liver Health Approach und den Querverbindungen zu anderen Erkrankungen wie Diabetes stattfinden. Des Weiteren sei es hier notwendig klar zu definieren, was erreicht werden sollte, wieviel dafür investiert werden müsste, und dies in nationale Gesundheitspläne zu integrieren. In diesem Zusammenhang sprach Czypionka auch den nationalen Aktionsplan an. „Zurzeit werden die Gesundheitsziele sehr groß und breit ausgearbeitet. Ihre Wirkung ist jedoch eher bescheiden. Hier bedarf es meiner Meinung nach klare und weniger Ziele, um effektiv zu sein“, so der Experte.

Abschließend betonte Angelika Widhalm, Vorsitzende Hepatitis Hilfe Österreich – Plattform Gesunde Leber: „Lebererkrankungen werden häufiger. Dennoch gibt es bei Gesundheitskompetenz und Präventionsmaßnahmen, früher Diagnostik und innovativen Therapien dringenden Handlungsbedarf, wie wir in diesem Gipfelgespräch aufgezeigt haben.“ Auch im Bereich der Awareness müsse man aktiver werden. Hier sei es vor allem wichtig, die breite Öffentlichkeit in einer einfachen Sprache zu in- formieren. „Lebergesundheit muss in unserem Gesundheitssystem präsenter werden und ich hoffe, dass wir hier mit der Hilfe der PRAEVENIRE Initiative Lebergesundheit 2030 einen Schritt in die richtige Richtung leisten.“

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