Suche
Close this search box.

Die Bedeutung pharmakoökonomischer Effizienz in der Kostendämpfung

Gruppenfoto der Teilnehmer
© BEN LEITNER

Die Bedeutung pharmakoökonomischer Effizienz in der Kostendämpfung

Gruppenfoto der Teilnehmer
© BEN LEITNER

Der Einsatz neuer Arzneimittel steigert oft die Ausgaben, kann aber auch Effizienz bringen. Welche aktuellen Ansätze es gibt und wie sich diese in der Praxis umsetzen lassen, war Thema des 3. PRAEVENIRE Dialogs zu Kostendämpfungspfaden im Gesundheitssystem. | von Andreas Schmallegger, BA

Der gemeinnützige Verein PRAEVENIRE hat sich seit Anfang 2022 zwei Initiativen verschrieben, welche die Sicherstellung der solidarischen Gesundheitsversorgung im Fokus haben. Die Projekte „Kostendämpfungspfade im Gesundheitswesen“ und „Spital 2030“ legen dabei das Augenmerk auf konkrete Lösungsansätze, wie sie von ausgewählten Expertinnen und Experten aus dem Gesundheitswesen in den Gesprächen identifiziert werden. In der dritten Runde des Themas „Kostendämpfungspfade“ wurde gegärtnert: Unter „low hanging fruits“ versteht man einfach erreichbare Ziele. Im Sinne der Kostendämpfung ist es momentan von besonderem Interesse, leicht erreichbare, kosteneffiziente Lösungen zu identifizieren. Dr. Thomas Czypionka vom Institut für höhere Studien präsentierte hierzu eine Untersuchung zu sinnvollen pharmakoökonomischen Ansätzen in der Kostendämpfung. Pharmakologische Neuerscheinungen lassen zuerst üblicherweise erhöhte Kosten vermuten. Das Interesse von PRAEVENIRE liegt hier besonders in der Frage: Kann eine Änderung von Therapiekonzepten auch kostendämpfend wirken?

Neue Therapien für kürzere Behandlungen

Die Antwort lautet schlichtweg: Ja. Konkret betrachtet wurde zuerst das Antibiotikum Dalbavancin, das bei Infektionen von Haut und Weichgewebe zum Einsatz kommt. Diese Infektionen bedeuten oft mehrtätige Spitalsaufenthalte, da wiederholte Antibiotika-Infusionen erforderlich sind. Dalbavancin wird nun einmalig verabreicht, da die Eliminationshalbwertszeit des Medikamentes mit 372h die notwendige Behandlungsdauer abdeckt. Patienten können somit nach erfolgter Verabreichung meist häuslich betreut werden. In der Modellierung des Zeitaufwandes ergab sich drei Jahre nach der Einführung eine Zeitersparnis in der stationären Verweildauer von 782 Belagstagen pro 1.000 Fällen.

Das zweite untersuchte Beispiel war die Anwendung Parentaler Eisentherapie. Modellrechnungen zeigen hier, dass die Anwendung von Fe-Derisomaltose (FDI) zu weniger Infusionen pro Behandlungszyklus gegenüber der Verwendung von Fe-Carboxymaltose (FCM) führt. Phosphatmonitoring ist, anders als bei FCM, bei der Anwendung von FDI nicht notwendig. FDI zeigt weiters gegenüber FCM geringes Risiko für Hypophosphatämie und Osteomalazie. All dies ergibt deutlich weniger primären als auch sekundären Behandlungsaufwand bei besserer Lebensqualität für Patientinnen und Patienten aufgrund verringerten Risikos. Die reine Kostenersparnis bei der Anwendung von Fe-Derisomaltose läge bei 135€ pro Patient über fünf Jahre. Die zwei vorgestellten Beispiele demonstrieren somit deutlich, wie durch die Adaptierung von Therapieschemata Aufwände reduziert werden können.

Zeit als immer noch wertvollstes Gut

Die direkt quantifizierbaren Kostenersparnisse in der Anschaffung dieser Pharmazeutika stehen den Zeitersparnissen im Prozess dabei noch weit hinterher. Bedenkt man die Personalproblematik im Gesundheitswesen und dass sie sich in den nächsten Jahren schon allein aufgrund demografischer Grundlage nicht bessern wird, so sollte der Identifizierung und schnellen Anwendung von Pharmazeutika, die nachweislich weniger Behandlungsschritte und kürzere Aufenthalte mit sich bringen, besondere Aufmerksamkeit zukommen. Von Bedeutung müssen in der kostenbewussten Anwendung gewisser Therapien in Zukunft vermehrt auch nicht alleine die Anschaffungskosten, sondern eine Betrachtung des Behandlungsprozesses insgesamt sein. Eine Änderung einer medikamentösen Therapie, die in insgesamt signifikant weniger Behandlungen, Verweildauer und Zeitaufwand für alle Beteiligten resultiert, stellt summa summarum eine Entlastung für das Gesundheitssystem als Ganzes als auch für Patientinnen und Patienten selber dar. Eine Auffassung, die von allen Beteiligten des Gesprächs geteilt wurde, war: Wir müssen Effizienz gewinnen. Die größte und nachhaltigste Wirkung kommt dabei allokativer Effizienz zu, die als Ergebnis politischer Prozesse und Entscheidungen nicht beliebig, geschweige denn schnell und treffsicher zugleich beeinflusst werden kann. Adaptierungen bei Therapieschemata können aber die technische Effizienz erhöhen und abseits direkter, offensichtlicher Kosten innerhalb des Behandlungsprozesses deutliche (Zeit-)Ersparnis bringen – und stellen somit eine jener begehrten „low hanging fruits“ dar, um kurzfristig Veränderung herbeizuführen.

In der Anwendung von Infusionstherapien und Möglichkeiten zu einer effizienten Anwendung dieser hielten die versammelten Expertinnen und Experten im Gespräch folgende zentralen Punkte fest: Der mit Abstand größte relative Kostenteil kommt subkutanen onkologischen Therapien zu. Geht es um die Verabreichung von Infektionstherapien grundsätzlich, so werden diese nicht immer am Best Point of Care eingesetzt. Schlussendlich spielt die Finanzierung von Therapien, und damit auch die Entscheidung darüber, wo diese eingesetzt werden, eine zentrale Rolle. In diesem Zusammenhang kommt auch dem Begriff des Prozessmanagements und der Prozessoptimierung viel Bedeutung zu. Betrachtet man die Anwendung einer (Infusions-)Therapie, von Diagnose über Aufnahme zu Abwicklung und Entlassung, so gibt es durchaus Potenzial als auch konkrete Möglichkeiten, diese kosteneffizienter zu gestalten und Patientinnen und Patienten ein „Pendeln“ in ein Krankenhaus oder einen mehrtätigen stationären Aufenthalt zu ersparen. Als Beispiel wurden neben den eingangs exemplarisch vorgestellten Möglichkeiten der Anpassung von Therapien, weg von Mehrfach- zu Einfachgaben wo möglich, im Gespräch weiters die ausgelagerte Behandlung chronisch entzündlicher Darmkrankheiten in Wien genannt als auch die Existenz einer dezidierten onkologischen Ordination in Deutschland zu subkutaner onkologischer Therapie, inklusive Produktion vor Ort. Letzteres ein, um aus dem Gespräch zu zitieren, „beeindruckendes“ Beispiel, das aber hierzulande entsprechende (rechtliche) Voraussetzungen bräuchte, um diese Versorgung überhaupt anbieten zu können.

Klinische Pharmazie hätte wichtige Kontrollfunktion

Im PRAEVENIRE Interesse der Kostendämpfung für das Gesundheitssystem diskutierten die versammelten Expertinnen und Experten weiterhin, wie über einen längeren Zeitraum laufende Therapien in Zukunft organisiert werden können, um sowohl für Patientinnen und Patienten als auch das Gesundheitssystem möglichst effizient abgewickelt zu werden. Die Grundprämisse ist: Therapien müssen möglichst am Best Point of Care erfolgen – und dieser Ort ist nicht zwangsläufig, außer medizinisch notwendig, ein Krankenhaus. Für die Verabreichung speziell von Infusionstherapien im niedergelassenen Bereich fehlen allerdings derzeit die Finanzierung wie auch die Ausstattung. Im Bereich der chronischen Krankheiten zeigt sich nun die erfreuliche Entwicklung, dass sich zeitgemäße Erkenntnisse zur Versorgung langsam durchsetzen neben den bereits angeführten Modellen zu Infusionstherapien außerhalb der Krankenhäuser wurde beispielsweise in Wien mit Ende April eine neue Diabetesambulanz eröffnet.

Eine flächendeckende laufende Betreuung für notwendige Therapien und chronische Krankheiten auch außerhalb der Spitäler wäre grundsätzlich sehr begrüßenswert. Ermöglicht werden müsste diese schlussendlich durch Entscheidungen der Politik in der grundlegenden Gesetzgebung zur Finanzierung als auch Regelungen betreffend den Betrieb medizinischer Zentren oder kleinerer Ambulanzen. Wege für Patientinnen und Patienten können verkürzt und Krankenhäuser in ihrer täglichen Arbeit entlastet werden. Eine stärkere Miteinbeziehung der Pharmazeutinnen und Pharmazeuten in den Prozess könnte Ärztinnen und Ärzte in Teilbereichen entlasten und durch integrales, bewusstes Medikamentenmanagement Qualität sichern, Komplikationen vermeiden und Kosten dämpfen. Digitale, durchgängige Erfassung von Medikationen wurde als Grundvoraussetzung hierfür betont. Durch den Einsatz der klinischen Pharmazie in österreichischen Krankenhäusern, der ambulanten Versorgung oder Ordinationseinrichtungen könnte so die Polypharmazie mit allen ihren Folgen, wie Nebenwirkungen oder die unnötige Verschreibung von Heilmitteln, deutlich reduziert werden und damit eine Kostenreduktion sowohl beim Medikamentenverbrauch als auch in der Therapie von Nebenwirkungen erzielt werden. In diesem Zusammenhang wurde auf die Erfahrung mit ca. 2.000 Akutaufnahmen von Patientinnen und Patienten mit gastrointestinalen Blutungen in der Klinik Donaustadt in den Jahren 2012 bis 2022 hingewiesen: 50 Prozent davon waren medikamentenassoziiert. Die durchschnittliche Dauer der Aufenthalte betrug sechs Tage, bei einem durchschnittlichen Erythrozytenkonzen- trat („Blutkonserven“-)Verbrauch von 4 und einer Letalität im einstelligen Prozentbereich. Im Gespräch hoben die Expertinnen und Experten grundsätzlich die Bedeutung einer qualitativen Überprüfung von Verschreibungen („Medika- mentenchecks“) deutlich hervor.

Verringerte Aufwände durch bewusstes Medikationsmanagement

Aktuell bleiben auch weiterhin die grundlegende Notwendigkeit einer umfassenden Digitalisierung, vorrangig der Möglichkeit des unkomplizierten Austausches behandlungsrelevanter Daten innerhalb des Gesundheitssystems. Auch Verschreibungen einfach, lückenlos und schnell abzurufen, ist bis heute nicht möglich. die Problematik des Verlassens auf Selbstauskünfte von Patientinnen und Patienten besteht weiterhin. Ebenso bleibt als Dauergast des Diskurses zur Optimierung der solidarischen Gesundheitsversorgung der Themenkomplex des Spannungsfeldes der Versorgung zwischen Spitalsbereich und niedergelassenem Bereich – und der nur zaghaft entstehenden, ersten Versuche einer klar definierten Primärversorgung.

In Bezug auf die im Fokus liegenden Möglichkeiten zur Kostendämpfung durch die Änderung von Therapieschemata lässt sich abschließend festhalten: Bei Infusionstherapien müssen nachweisbar effizientere Einmalgaben, wo möglich, forciert werden. Effizienter Medizinprodukteeinsatz ist Teil bewussten Umgangs mit Ressourcen des Gesundheitssystems. Und speziell in der derzeit angespannten Versorgungslage muss Prozessmanagement, das abseits der reinen Anschaffungskosten den Gesamtaufwand von Therapien in Betracht zieht, grundlegender Bestandteil in der Organisation dieser sein. Die Expertise der Pharmazeutinnen und Pharmazeuten ist hier zu nutzen. Eine präventive, empirisch belegte, effiziente Medizinprodukteauswahl schützt Patientinnen und Patienten vor Nebenwirkungen, beugt Diskussionen um Kosten vor und es gilt, gerade unter dem Gesichtspunkt eines ökonomischen Denkens, „an mehr zu denken als nur Sparen“, wie es einer der Teilnehmenden des Gesprächs formulierte. Effizienz, zielführende Allokation und das Bewusstsein, dass Aufwand in der medizinischen Versorgung zu einem sehr großen Teil kostbare und inhärent lebensentscheidende Zeit bedeutet, müssen Grundlage der Entscheidungen über die Versorgung der Menschen sein.

Abonnieren Sie PERISKOP gleich online und lesen Sie alle Artikel in voller Länge.

Aktuelle Ausgabe

Nach oben scrollen