Die Personalisierte Medizin gewinnt in der Krebsbehandlung immer mehr an Bedeutung. Welche Weichen Roche dazu in die Zukunft stellt, skizzieren PHC Director Priv.-Doz. Dr. Johannes Pleiner-Duxneuner und Director of Business Development Mag. (FH) Ing. Christine Stadler-Häbich im Periskop-Interview.| Von Mag. Petra Hafner
In Österreich werden Roche Pharma & Diagnostik noch integrativer zusammenarbeiten, um das volle Potenzial der Personalisierten Medizin anbieten zu können.
PERISKOP: Personalisierte Medizin wird vielfach als Medizin der Zukunft bezeichnet. Was sind die Vorteile der Personalisierten Medizin? An welchen konkreten Beispielen lässt sich dies festmachen?
Stadler–Häbich: Die Personalisierte Medizin hat sich in den letzten Jahrzehnten rasant entwickelt. Gerade in der Onkologie. Personalisierte Medizin beginnt mit Diagnostik im Labor, mit hochentwickelten Diagnoseservices wie z. B. Next-Generation Sequenzing, um genetische Veränderungen im Tumor zu untersuchen und die Krebserkrankung besser verstehen zu können. Diese Informationen sollen Expertinnen und Experten bei ihren Entscheidungen unterstützen. Verknüpft man etwa das individuelle Tumorprofil mit tausenden anderen Profilen, so ergeben sich daraus Muster, die wertvolle Impulse für die Erforschung und Entwicklung weiterer personalisierter Therapien liefern können.
Uns unterscheidet klar das Zusammenspiel von Diagnostik und Pharma, das ist ein großes Asset.
Johannes Pleiner-Duxneuner
Pleiner-Duxneuner: Personalisierte Medizin bedeutet durch frühe Testung herauszufinden, welche Therapie am besten für die individuelle Patientin bzw. den individuellen Patienten geeignet ist. In der Onkologie ist personalisierte Medizin schon Realität. Anstelle einer Chemotherapie, bei der viele Menschen dieselbe Behandlung bekommen, werden bei der Personalisierten Medizin spezielle Patientengruppen herausgefiltert, die besonders gut auf eine zielgerichtete Therapie ansprechen. Für Betroffene soll die Personalisierte Medizin bessere Behandlungsergebnisse und damit mehr Lebensqualität schaffen. Das sehen wir zum Beispiel beim HER2-positiven Brustkrebs, der früher noch ein Todesurteil für die Betroffenen war und heute dank Zusammenspiel von Diagnostik und zielgerichteter Therapie so weit eingedämmt werden kann, dass der Tumor nicht weiterwächst.
Ziel der Personalisierten Medizin ist es, die Therapie optimal auf die individuellen Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten abzustimmen. Welche Vision hat Roche dazu?
Stadler–Häbich: Es geht darum, dass wir versuchen über die Kombination aus Diagnostik und Therapie die bestmögliche Versorgung der Patientinnen und Patienten zu erzielen. Wenn wir von der Vision sprechen, dann wird die Personalisierte Medizin ein großer Meilenstein in der Patientenversorgung in Österreich werden — darauf richten wir uns auch aus. Da haben natürlich Diagnostik, digitale Lösungen und Therapie ihre individuellen Ankerpunkte. Das zusammenzubringen und gemeinsam mit unseren Stakeholdern voranzutreiben, ist im Endeffekt unser Anliegen.
Personalisierte Medizin gewinnt immer mehr an Bedeutung. Für welche spezifischen Krebsformen ist diese zielgerichtete Therapie erfolgversprechend?
Pleiner-Duxneuner: Die ersten zielgerichteten Therapien wurden vor rund 20 Jahren zugelassen. Heute gibt es mehr als 70 zugelassene zielgerichtete Krebstherapien in Europa. Allein beim Lungenkrebs lassen sich über zehn unterschiedliche Lungenkrebsarten anhand genetischer Veränderungen diagnostizieren, für die auch eine zugelassene gezielte Therapie zur Verfügung steht. Spannend sind insbesondere die Krebsformen, für die es noch keine optimale Lösung gibt — also z. B. cancer of unkown primary oder komplexe Krebsformen. Da gibt es noch viel Forschungsbedarf.
Ohne moderne Diagnostik würde Personalisierte Medizin nicht existieren. Was waren die wichtigsten Entwicklungen in der Diagnostik und wo werden wir in den nächsten Jahren stehen?
Stadler–Häbich: Wenn wir uns die Gensequenzierung und die durch die Digitalisierung entstandenen Möglichkeiten der Auswertung von extrem komplexen Zusammenhängen auf genetischer und molekularbiologischer Ebene ansehen, zeigen sich die sehr tiefen Erkenntnisse und diagnostischen Möglichkeiten. Damit können Ärztinnen und Ärzte auch viel besser Therapieentscheidungen treffen. Das sind Errungenschaften, mit denen wir uns zukünftig noch viel stärker auseinandersetzen werden.
Pleiner-Duxneuner: Ein Meilenstein ist die Digitalisierung und Auswertung großer Datenmengen. Ein Tumor entspricht einer Festplatte an Daten, das kann kein Mensch mehr auswerten. Da brauchen wir entsprechende Unterstützungssysteme, damit Ärztinnen und Ärzte dies auswerten und gezielte Therapien entwickeln können.
Wie werden die Softwarelösungen die Personalisierte Medizin unterstützen? Wie kann man sich das konkret vorstellen?
Stadler–Häbich: Ärztinnen und Ärzte sollen durch Software-unterstützte Lösungen mehr Zeit für ihre Patientinnen und Patienten haben, indem sie schneller und gezielter Wissen generieren. Softwarelösungen sollen auch zu besseren Entscheidungen führen. Es geht darum, nicht nur über eine Plattform Daten zusammenzuführen und darzustellen, sondern im Endeffekt aus den abgebildeten Daten und der Verknüpfung dieser Daten mit z. B. Studiendaten oder Literaturdaten nochmals mehr Wissen herauszuholen. Das alles umfasst die Softwarelösung, die wir gerade auf den Markt bringen.
Roche hat Diagnostik und Pharma unter einem organisatorischen Dach gebündelt. Welche konkreten Vorteile erwarten Sie sich durch diese Maßnahme?
Stadler–Häbich: Wir können auf ein umfassendes Know-how aus beiden Bereichen aufbauen. So können wir zum Beispiel Forschungsprojekte gemeinsam aufsetzen und Synergien aus beiden Organisationen nutzen. Aber auch am Standort in Österreich profitieren wir von der gemeinsamen Zusammenarbeit. Jeder bringt das Wissen aus seinem Fachbereich ein und dadurch schaffen wir ein ganzheitliches Bild und versuchen noch bessere Lösungen für unsere Patientinnen und Patienten mit den Partnern im Gesundheitssystem zu entwickeln. Wir sehen aber auch Herausforderungen im Bereich Zulassungen, Erstattung und Finanzierung, die wir besser gemeinsam angehen und lösen können.
Welche Herausforderungen im Bereich Zulassung und Finanzierung sind konkret gemeint?
Stadler–Häbich: Zum Beispiel sind Erstattungswege für diagnostische Angebote anders, als für Medikamente. Dabei braucht es aber gerade bei der Personalisierten Medizin eine ganzheitliche Betrachtung. Durch unseren Fokus auf die Personalisierte Medizin haben wir gesehen, dass wir gemeinsam bessere Lösungen mit den Stakeholdern entwickeln können.
Wie schätzen Sie die medizinische Forschung in Österreich im internationalen Vergleich ein? Welche Bedeutung hat Personalisierte Medizin dabei?
Pleiner-Duxneuner: Österreich ist ein kleines Land. Wir haben aber durchaus Spitzenleistungen in der medizinischen Forschung. Gerade für die Personalisierte Medizin sehen wir schon noch Herausforderungen. Ein großes Thema wird die Nutzung von Gesundheitsdaten für Forschungszwecke aus unterschiedlichen Quellen sein. Datenquellen wie zum Beispiel ELGA bzw. Sozialversicherungsdatenbanken sollten auch breiter für die wissenschaftliche Nutzung geöffnet werden. Denn die Nutzung von großen — und vor allem qualitativ hochwertigen — Datenmengen für die Forschung und Entwicklung ist notwendig, um bessere und präzisere Behandlungsmöglichkeiten für die individuellen Patientinnen und Patienten zu schaffen.
Stadler–Häbich: Ich sehe schon auch Möglichkeiten, dass Österreich verstärkt den Schwerpunkt auf Forschung und Entwicklung legt, insbesondere bei der Grundlagenforschung. Im aktuellen e-Health-Vergleich der Bertelsmann Stiftung über 17 Länder liegt Österreich auf Rang 10. Da gibt es noch Luft nach oben.
Was unterscheidet Roche weltweit von anderen Pharmaunternehmen im Hinblick auf Personalisierte Medizin? Wie und wo kann Roche international punkten?
Pleiner-Duxneuner: Uns unterscheidet klar das Zusammenspiel von Diagnostik und Pharma, das ist ein großes Asset. Zusätzlich möchte ich noch die Datenanalytik zum Beispiel mit Foundation Medicine, Flatiron Health sowie Kooperationen mit accenture und GE Healthcare hervorheben.
Gibt es Bestrebungen und Strategien, wie sich Roche in Österreich speziell im Bereich Personalisierte Medizin neu ausrichtet?
Stadler–Häbich: Es geht darum, gemeinsam Veränderungen zu antizipieren. Das beginnt schon im niedergelassenen Bereich, dieser hat einen starken Fokus auf die Versorgung im Krankenhaus und mündet in einer Transformation des Gesundheitswesens hin zu patientenorientierten, individuellen Gesundheitsleistungen und hat auch eine generelle Komponente im Gesundheitswesen. Wir werden in Österreich zukünftig noch intensiver zusammenarbeiten. Dafür haben wir auch ein gemeinsames Team von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus Pharma & Diagnostik geschaffen.
Wie wollen Sie die Personalisierte Medizin weiterentwickeln? Wie können Therapien und Konzepte noch präziser werden?
Pleiner-Duxneuner: Roche arbeitet intensiv daran, die Personalisierte Medizin voranzutreiben, damit alle Krebspatientinnen und -patienten davon profitieren können. Voraussetzung dafür ist der Zugang zu zertifizierten und validierten Tumorprofilanalysen sowie auch ein umfassender Zugang zu den daraus resultierenden präzisen Therapien. Heute gilt eine Behandlung als erfolgreich, wenn die akute Erkrankung in ein chronisches Stadium übertritt, das heißt der Tumor wird eingedämmt und wächst nicht weiter. Tumorzellen entwickeln allerdings gerne Fluchtmechanismen, um dem Zelltod zu entgehen — neue Mutationen können entstehen. Die Wissenschaft muss daher Schritt halten. Ein wirklicher Meilenstein in der Personalisierten Medizin sind die ersten Zulassungen für Medikamente, die unabhängig von der Lokalisation, also egal wo der Tumor sich im Körper befindet, zugelassen werden. Die ersten Medikamente dieser Art richten sich gegen Tumore mit NTRK-
Fusionen, weitere werden sicherlich folgen.
Die Personalisierte Medizin wird ein großer Meilenstein in der Versorgung der Patientinnen und Patienten in Österreich werden — darauf richten wir uns aus.
Christine Stadler-Häbich
Die präzise Diagnostik hat somit eine wichtige Rolle bei der Personalisierten Medizin. Haben eigentlich alle Krebspatientinnen und -patienten in Österreich Zugang zu einer präzisen Diagnose? Gibt es da noch Handlungsbedarf?
Pleiner-Duxneuner: Die Krebsversorgung in Österreich ist auf einem guten Niveau. Das muss aber auch weiterhin gehalten werden und das ist herausfordernd. Handlungsbedarf gibt es immer dann, wenn Neuerungen auf den Markt kommen. Krebspatientinnen und
-patienten sollen Zugang zur optimalen Diagnose und geeignetsten Therapie haben. Es wäre sinnvoll, qualitativ hochwertige Tumorprofiling-Lösungen frühzeitiger einzusetzen. Denn in klinischen Studien sehen wir, dass Patientinnen und Patienten von einer molekular-basierten zielgerichteten Behandlung profitieren.
Was bedeutet die neue EU-Regulative für in-vitro-diagnostische Abläufe? Ist das aufwendig? Welche Zertifizierungen muss man dafür machen?
Stadler–Häbich: Die neue EU-Regulative wird Qualität und Sicherheit für in-vitro-diagnostische Lösungen noch weiter verbessern. Bei der Umsetzung ist aber mit einem Mehraufwand zu rechnen. Da geht es zum Beispiel um Herstellungs- und Produktionsprozesse, klinische Prüfungen oder spezifische ISO-Zertifizierungen für manche Labore. Das bringt Herausforderungen für alle Partner entlang der Vertriebskette — vom Hersteller über Distributoren und auch für Labore bzw. Pathologien.
Ein Blick in die Zukunft: Wird sich die Personalisierte Medizin im Hinblick auf verschiedene Krebsformen dahingehend entwickeln, dass möglichst viele Krebspatientinnen und -patienten in Österreich davon profitieren?
Pleiner-Duxneuner: Unser Ziel ist es, noch bessere Personalisierte Lösungen zu schaffen, das gelingt uns durch immer präzisere Testung. Wir entwickeln im Konzern und mit Partnern und nicht zuletzt auch mit akademischen Forschungsgruppen und Start-ups aus Österreich diese Möglichkeiten weiter. Darüber hinaus sehen wir in Studien immer öfter, dass bereits am Markt befindliche Medikamente auch bei der Bekämpfung von anderen Tumoren als jenen, für die sie zugelassen wurden, wirksam sind. Das ist auf jeden Fall ein Thema, das uns als forschendes pharmazeutisches Unternehmen, aber auch die Zulassungsbehörden und nicht zuletzt die Kostenträger in Bezug auf Zulassung und Erstattung in Zukunft beschäftigen wird. Damit letztendlich möglichst viele Patientinnen und Patienten jetzt schon und auch in Zukunft von Personalisierter Medizin profitieren können.
Würde Roche eine Initiative unterstützen, bei der es darum geht, die Potenziale der Personalisierten Medizin in einer Region in Österreich aufzuzeigen und gemeinsam mit Systemvertretern neue Wege zu suchen, um Patienten den Zugang zu Personalisierter Medizin zu ermöglichen?
Pleiner–Duxneuner: Personalisierte Medizin bedeutet nicht unbedingt, dass sie teurer ist. Im Gegenteil, sie soll effizienter werden. Natürlich wäre es gut, dies in einer kleinen Region in Österreich, wo es bereits einen guten Austausch mit dem Krankenhauserhalter und wissenschaftlichen Expertinnen und Experten gibt, zu zeigen.
BioBox
Priv.-Doz. Dr. Johannes Pleiner-Duxneuner ist als PHC (Personalised Healthcare) Director bei Roche mit seinem Team für medizinische Themen, Studien, Marketing und Market Access Themen für das PHC Portfolio zuständig. Er startete nach dem Medizinstudium seine medizinische Karriere an der MedUni Wien in unterschiedlichen Positionen. 2013 wechselte er in die pharmazeutische Industrie und ist seit 2015 bei Roche.
BioBox
Mag. (FH) Ing. Christine Stadler-Häbich ist Director of Business Development bei Roche Diagnostics GmbH. Sie absolvierte Ausbildungen zur Biochemikerin und für Europäische Wirtschaft und Unternehmensführung und begann ihre Berufslaufbahn am Biozentrum an der Uni Wien. Im Jahr 2000 wechselte Stadler-Häbich zu Roche Diagnostics Österreich.