Suche
Close this search box.

Gesundheit wesentlichen Schritt vorangebracht

Fotocredit: Peter Provaznik
Fotocredit: Peter Provaznik

Gesundheit wesentlichen Schritt vorangebracht

Fotocredit: Peter Provaznik
Fotocredit: Peter Provaznik

Mag. Dr. Brigitte Zarfl, Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz, ist Regierungsmitglied der sogenannten Übergangsregierung. In ihrer zeitlich befristeten Amtszeit lässt sie mit Innovationen wie dem elektronischen Impfpass aufhorchen. Im PERISKOP-Interview begründet sie die Vorteile von e-Health und gibt Einblick in ihre Arbeitsweise. | Von Mag. Petra Hafner

Seit Juni ist die frühere Leiterin des Präsidiums im Gesundheitsministerium, Mag. Dr. Brigitte Zarfl, Bundes­ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz. Durch eine enge Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten ihres Hauses, hat sie Begonnenes fortgeführt und bereitet Maßnahmen für die Nachfolgerin oder den Nachfolger vor.

PERISKOP: Sie sind eine Top-Expertin im Gesundheitsbereich, waren zuletzt Leiterin des Präsidiums im Ministerium und wurden im Juni als Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz angelobt. Die ersten 100 Tage „Schonfrist“ waren dabei nicht vorgesehen, sondern Sie haben sofort mit zahlreichen Plänen aufhorchen lassen. Wie sehr haben Sie dabei von Ihrer langjährigen Erfahrung profitiert?

Zarfl: Sektionsleiterinnen und -leiter haben einen guten Blick auf die Themen, die in einem Haus verwaltet und gestaltet werden. In „meinem Haus“ ist es ein breiter Bogen, beginnend bei sozialen Angelegenheiten, Pensionen über Pflege, Sozialversicherung, Krankenversicherung, Gesundheitswesen allgemein, Arbeitsmarkt, Arbeitsrecht, Arbeitnehmerschutz bis hin zu Konsumentenschutz. Diese Themen greifen in idealer Art und Weise ineinander und ermöglichen so die Entwicklung sehr zielgenauer Maßnahmen. In der Funktion als Leiterin des Präsidiums habe ich diese seit 2015 begleitet, dadurch ist mir der Umstieg in die neue Rolle als Ministerin leichter möglich gewesen. Ich arbeite sehr eng mit den Expertinnen und Experten im Haus zusammen, das unterstützt das Fortführen der bisherigen Aktivitäten sehr. Die Initiativen im Gesundheitsbereich sind ein Fortführen von Begonnenem und jetzt — in der zweiten Hälfte meiner sechs Monate, die ich voraussichtlich in der Funktion sein werde — ein Vorbereiten von Maßnahmen, die meine Nachfolgerin oder mein Nachfolger fortsetzen kann.

Zu den wirksamsten vorbeugenden Maß­nahmen der Medizin zählen Impfungen. EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis plädiert für eine Impfpflicht in Ländern mit sinkenden Impfraten als Maßnahme gegen Impfmüdigkeit und Impfskepsis. Welche Position vertritt Österreich?

Punkto Impfpflicht hat sich gezeigt, dass diese in einigen Ländern gut funktioniert und in anderen wiederum die Durchimpfungsrate sogar schlechter als in Österreich ist, wo wir keine Impfpflicht haben. Um diese Frage auszuleuchten, habe ich vor kurzem eine handverlesene Gruppe aus nationalen Expertinnen und Experten, aber auch von der WHO und dem europäischen Umfeld einberufen, um die Vor- und Nachteile von Impfpflicht-Maßnahmen sowie Schritten zur Hebung der Durchimpf­ungsrate zu diskutieren.

Es muss uns gelingen, Impfskeptikerinnen und -skeptiker davon zu über­zeugen, dass Impfen eine wichtige Gesundheitsmaß­nahme ist, um Krankheiten zu vermeiden.

Im Zentrum der Impfdebatte stehen die Masern, die als relativ leicht vermeidbar gelten und sich dennoch in Europa wieder ausbreiten. Die WHO hatte im ersten Halbjahr 2019 rund 90.000 Fälle registriert, das sind um 84.462 Fälle mehr als im gesamten Jahr 2018. In Österreich liegt die Entscheidung, ob jemand geimpft werden möchte oder nicht, bei jedem selbst. Sollte man von dieser Position v.a. im Hinblick auf die steigenden Masernfälle abrücken?

Österreich hat eine sehr gute Masern-Durchimpfungsrate bei der Erstimpfung der Kinder. Bei den Zweitimpfungen liegen wir im Mittelfeld. Mit einem Maßnahmen-Mix muss es uns gelingen, eine verbesserte Durchimpfungsrate zu erzielen. Das wird sehr oft auf eine Verpflichtung zugespitzt. Es zeigt sich jedoch, dass ein Verpflichten ohne flankierende weitere Maßnahmen nicht zu dem Erfolg beiträgt, den man sich erwarten würde. Es muss uns gelingen, Impfskeptiker, von denen es in Österreich relativ viele gibt, davon zu überzeugen, dass Impfen eine wichtige Gesundheitsmaßnahme ist, um Krankheiten zu vermeiden. Österreich zählt mit Frankreich zu jenen EU-Ländern, wo die Gruppe der Skeptikerinnen und Skeptiker am ausgeprägtesten ist. Niemand von uns zweifelt an der Sinnhaftigkeit einer Gelbfieber-Impfung, wenn man in ein Land fährt, wo diese empfohlen wird. Bei Kinderimpfungen werden hingegen immer wieder nicht gesundheitsevidente Bilder strapaziert. Ein ganz wichtiger Punkt ist, zu informieren und daran zu arbeiten, dass die Gruppe der Skeptikerinnen und Skeptiker in Österreich kleiner wird.

In Österreich gibt es erheblichen Verbesserungsbedarf bei der Durchimpfungsrate. Sie haben ein Bündel an Maßnahmen angekündigt, welches die Menschen zu einer höheren Impfbereitschaft animieren soll. Mit welchen konkreten Maßnahmen kann das gelingen?

Wir setzen dabei stark auf zielgruppenspezifische Maßnahmen, insbesondere für Impfskeptikerinnen und -skeptiker. Wir werden daher verstärkt Multiplikatorinnen und Multiplikatoren — also Akteurinnen und Akteuren im Gesundheitssystem, denen vertraut wird — informationsunterstützende Tools zur Seite stellen. Ein zweiter wichtiger Schritt wird sein, Impfungen und Impfmöglichkeiten, die wir seit Ende der 90er-Jahre beim Kinderimpfprogramm flächendeckend eingeführt haben, über eine längere Kaskade auszudehnen, um versäumte Impfungen nachzuholen. Das heißt, mehrere Etappen zum Nachholen von Impfungen einführen, den Katalog im Mutter-Kind-Pass ausweiten und Schul- und Betriebsärztinnen und -ärzte verstärkt miteinbeziehen. Ein anderer wesentlicher Bereich ist die Durchführung von Impfungen beim Gesundheitspersonal. Viele Krankenanstalten haben schon eingeführt, dass neu eintretendes Personal geimpft sein muss. Wichtig ist nun, dass bereits bestehendes Personal — von der Reinigungskraft bis hin zu den Ärztinnen und Ärzten — diesen Impfstatus ebenfalls erreicht. Und wir benötigen für das weiterführende Begleiten eine verbesserte Datenlage, also Daten im Sinne eines Impfregisters.

Peter Provaznik

Der elektronische Impfpass wurde von Ihnen als eine wichtige Erneuerung angekündigt. Wie weit sind die Vorbereitungen für die Umsetzung und ab wann wird dieser in Österreich eingeführt?

Wir haben in Österreich eine sehr gute Tradition der e-Health, also der Einbindung von digitalen Systemen ins Gesundheitssystem und sind im europaweiten Vergleich mit ELGA und den e-card-Systemen im vorderen Drittel. Mit dem elektronischen Impfpass werden wir erstmals ein Produkt haben, das die Patientinnen und Patienten direkt serviciert. Die gesetzlichen Vorbereitungen dafür sind im Laufen. Das Gesundheitstelematikgesetz wird gerade für die Begutachtung vorbereitet, damit ab kommendem Jahr in den drei Bundesländern Wien, Niederösterreich und Steiermark die ersten Pilotversuche stattfinden und die Ausrollung in ganz Österreich — abhängig von den Ergebnissen aus den Piloten — in den Folgejahren erfolgt. Wir sind dabei in einer gemeinsamen Verantwortung zwischen Bund, Ländern und Sozialversicherungsträger. Das heißt, wir als Bundesebene haben nicht die alleinige Entscheidungsgewalt, sondern müssen uns abstimmen.

Welche Vorteile bringt der elektronische Impfpass für die Menschen und für das Gesundheitssystem?

Ich bin Mitte 50 und habe einen Impfpass aus Kindertagen, den meine Mutter für mich angelegt hat und einen weiteren, den ich mir im Erwachsenenalter selbst zusammengetragen habe. Dieses Stückwerk an Impfinformationen wird mit dem elektronischen Impfpass beendet sein. Der große Vorteil ist, dass damit eine sichere Datenablage mit allen relevanten Impfungen gewährleistet ist. Wir beginnen dabei mit der nächsten Impfgeneration, den Kindern, und es soll — mit einem noch festzulegenden Zeitplan — für die ganze Bevölkerung erfolgen. Der elektronische Impfpass hat auch den Vorteil, dass durch das System beispielsweise automatisch eine Erinnerung für eine Tetanus-Auffrischungsimpfung per SMS oder Brief gesandt werden kann. Ein weiterer Vorteil, insbesondere für das Gesundheitssystem ist, dass wir dadurch valide Daten über Durchimpfungsraten in der Bevölkerung haben und viel zielgerichteter steuern können, wo wir Maßnahmen setzen müssen.

Sie wollen die Aufgaben von Schulärztinnen und -ärzten ausweiten und plädieren dafür, dass diese u.a. auch für Schutzimpfungen und Gesundheitsförderung zuständig sein sollen. Welche Konsequenzen und Vorteile erwarten Sie sich dadurch?

Es muss gelingen, dass im Kinder- und Jugendalter versäumte Impfungen in mehreren Etappen nachgeholt werden können. Dabei spielen Schulärzte eine wichtige Rolle und daran arbeiten wir.

Mit dem elektronischen Impfpass werden wir erstmals ein Produkt haben, das die Patientinnen und Patienten direkt serviciert.

Ein weiteres Thema, welches vor allem bei Ärztinnen und Ärzten teils skeptisch aufgenommen wird, ist ELGA, die elektronische Gesundheitsakte. Die Ärztekammer kritisiert, dass es bei den elektronischen Befunden Schwachpunkte gebe. Wie wollen Sie die Medizinerinnen und Mediziner von den Vorteilen von ELGA über­zeugen?

Wichtig in diesem Sektor ist natürlich die Datensicherheit, weil Gesundheitsdaten zu den sensibelsten zählen. Der erste Schritt ist, klarzustellen, wofür ELGA als Synonym verwendet wird. ELGA ist letztlich nur die bestehende Basisinfrastruktur, die für den niedergelassenen Bereich zur Verfügung gestellt wird, um miteinander kommunizieren zu können. Wenn die Akteurinnen und Akteure zusätzlich noch ihre eigenen Software-Systeme haben, die mit dieser Infrastruktur kommunizieren müssen, entsteht ein sehr komplexes System an Software-Lösungen. Das, was oft von den Ärztinnen und Ärzten beklagt wird, sind Probleme in dieser komplexen Software-Welt, die in der Regel weniger mit der „Kommunikationsschiene“ selbst zu tun hat. Wir arbeiten daran, dass es verbesserte Standards auch für die Software-Anbieter gibt, um diese Probleme hintanzustellen. Uns ist bewusst, dass wir Kassen- und Wahlärztinnen und -ärzte und andere Akteure nur dann zur Teilnahme bei ELGA bewegen können, wenn sie die Vorteile davon erkennen.

Die Ausrollung der elektronischen Gesundheitsakte (ELGA) hätte bis Ende September bei niedergelassenen Ärzten abgeschlossen sein sollen. War das ein realistischer Zeit­rahmen? Wie geht es jetzt weiter?

Wenn wir — so wie jetzt bei der e-Medikation — von einer großflächigen Anbindung des niedergelassenen Bereichs sprechen, dann haben wir uns nie eine 100-prozentige Abdeckung vorgenommen, weil das aufgrund der Heterogenität der Ärztelandschaft nicht realistisch ist. Aber wir haben uns eine mehrheitliche Abdeckung vorgenommen. Unser Ziel muss sein, dass wir alle, welche wir jetzt bei der ersten Ausrollung nicht gewinnen konnten — und das ist nicht immer nur aus Skepsis am System — davon überzeugen, dass es ein gutes System ist und es Abläufe in der Ordination sicherstellt.

ELGA ist für Kassenärztinnen und -ärzte konzipiert, die immer größer werdende Zahl der Wahlärztinnen und -ärzte ist in dieses Programm jedoch nicht eingebunden. Um eine lückenlose Dokumentation zu gewährleisten, müssten diese Tools von allen  auch den Schul- und Amtsärztinnen und -ärzten  genützt werden. Planen Sie dafür Maßnahmen, um diese Lücke zu schließen?

Wir müssen die Ärztinnen und Ärzte auf eine Reise mitnehmen. ELGA hat mit einem Datenaustausch begonnen, der rein zu Abrechnungszwecken geschaffen wurde. In der zweiten Phase wurde jetzt mit der Ausrollung der e-Medikation gestartet, wir werden den elektronischen Impfpass und e-Befund ausbauen. Das heißt, wir sind im ELGA-Verbund nicht mehr rein auf ein Verrechnungssystem beschränkt. Ich bin überzeugt, dass Ärztinnen und Ärzte diese Funktionalität verstärkt nutzen werden.

Sie haben als Mitglied der Übergangsregierung angekündigt, die sich in Umsetzung befindenden Projekte fortzusetzen oder anstehende auf den Weg zu bringen. Wie sieht Ihre Bilanz nach knapp einem halben Jahr dazu aus?

Wir haben die wesentlichen Projekte umsetzen können — von den Vorbereitungen im Pflegebereich bis hin zu wichtigen Aktivitäten für den Arbeitsmarkt und Programmen im Gesundheitsbereich. Mein Ziel ist, dies in der verbleibenden Zeit zu komprimieren, damit die nächste Regierung die Initiativen gut aufsetzen und weiterführen kann.

BioBox

Mag. Dr. Brigitte Zarfl studierte Ernährungswissenschaften. Die gebürtige Kremserin war nach ihrem Studium Universitätsassistentin und Lehrbeauftragte am Institut für Ernährungswissenschaften der Universität Wien, bevor sie 1998 in das Büro der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales, Lore Hostasch, wechselte. Nach einigen Jahren als Lehrbeauftrage an der Universität Wien kehrte Zarfl 2006 als Abteilungs- und Gruppenleiterin im Bereich EU und Internationales wieder ins Sozialministerium zurück. 2015 wurde sie zur Leiterin des Präsidiums bestellt, im Juni 2019 folgte die Angelobung zur Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz.

Aktuelle Ausgabe

Nach oben scrollen