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Gesundheit — ein wichtiger Wirtschaftsfaktor

Gesundheit — ein wichtiger Wirtschaftsfaktor

Bei den 4. PRAEVENIRE Gesundheitstagen im Stift Seitenstetten stand in Block 3 das Thema „Standortpolitik — Gesundheitsberufe — Ausbildung“ im Mittelpunkt. Einer der Keynote Speaker, Dr. Thomas Czypionka, Leiter des Bereichs Gesundheitsökonomie und Gesundheitspolitik am Institut für Höhere Studien (IHS), schilderte die Notwendigkeit von Investitionen in die Gesundheit der Österreicherinnen und Österreicher, die steigende Nachfrage nach Gesundheits­leis­t­ungen und warum sich daraus viele Chancen für die öster­reichische Wirtschaft ergeben.| von Mag. Dren Elezi, MA

© Peter Provaznik
© Peter Provaznik

Gesundheit wird heute vorwiegend als „Kostenfaktor“ angesehen. Jedoch stellt sie als wesentliches Bedürfnis der Menschen einen Wirtschaftsfaktor von zunehmender Bedeutung dar. Angesichts dieser steigenden Nachfrage nach Gesundheitsleistungen ergeben sich laut Dr. Thomas Czypionka, Leiter des Bereichs Gesundheitsökonomie und Gesundheitspolitik am Institut für Höhere Studien (IHS), viele Möglichkeiten für die heimische Wirtschaft.

„Wir leben länger. Das bedeutet aber auch, dass der Wille und die Notwendigkeit zur Investition in die eigene Gesundheit steigen, um länger gesund zu leben. Durch den steigenden Wohlstand wollen wir uns schließlich auch mehr leisten, was zu einer größeren Nachfrage von Gesundheitsleistungen führt. Dieser steigende Wohlstand ist auch international festzustellen, womit auch weltweit die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen steigt“, so Czypionka. Ihm zufolge hängt diese Entwicklung auch damit zusammen, dass Menschen heutzutage eine andere Vorstellung von Gesundheit haben: „Menschen haben ein neues gesellschaftliches Verständnis von Gesundheit. In den 60er-Jahren war man mit 60 Jahren alt, heutzutage geht man mit 60 Jahren ins Fitnesscenter, trifft sich im Club und arbeitet bestenfalls noch. Menschen beschäftigen sich auch mit Public Health, mit Gesundheitszielen, mit Wellness oder setzen auf Personal Trainer — da gibt es mittlerweile ein völlig anderes gesellschaftliches Verständnis.“ Auch der technologische Wandel eröffnet laut Czypionka neue Behandlungsmöglichkeiten. Schlecht Behandelbares wird behandelbar und ein gutes Leben ist auch mit Krankheit vielfach möglich.

Gesundheitswirtschaft ein bedeutender Bestandteil

Die Gesundheitswirtschaft ist aufgrund der Produktivität, Verflechtung, Vorleistungsstruktur, aber auch den Exportmöglichkeiten und den Beschäftigten ein bedeutender Bestandteil der nationalen Ökonomie. Warum die Rolle des Gesundheitswesens wichtig für die Wirtschaft ist, zeigt sich u. a. auch am Einfluss des Gesundheitswesens in andere Bereiche. „Es geht es um die Befriedigung von Bedürfnissen wie etwa die Diagnose und Behandlung der Leiden von Patientinnen und Patienten. Im Gesundheitsbereich tragen Krankenhäuser und andere Betriebe zur Wertschöpfung und Beschäftigung bei, wodurch wiederum Beschäftigte ihre Konsumbedürfnisse bei anderen Wirtschaftssektoren befriedigen. Auch bei der Erstellung von Leistungen im Gesundheitswesen sind Vorleistungen aus anderen Wirtschaftsbereichen, die nicht zum Gesundheitswesen zählen, notwendig, womit die Wertschöpfung in anderen Wirtschaftsbereichen durch das Gesundheitswesen angestoßen wird.“ Ein weiterer Punkt, der laut Czypionka eine große Bedeutung für die Wirtschaft darstellt und durch die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen beeinflusst wird, ist die Gesundheit der Menschen, denn „Gesundheit wirkt sich auch positiv auf die Wirtschaft aus, da Menschen, die gesünder sind, auch länger und viel lieber im Arbeitsleben bleiben. Dadurch erhöht sich die Produktivität der Arbeitnehmerinnen und -nehmer, womit sich die Gesundheit der Menschen positiv auf das Wirtschaftswachstum insgesamt auswirkt.“

Der Mediziner und Volkswirt betonte außerdem, dass wenn über Gesundheit und Gesundheitswirtschaft gesprochen wird, auch die Wertschöpfungskette in die Diskussion miteinbezogen werden sollte. Laut Czypionka besteht die Gesundheitswirtschaft nicht nur aus pharmazeutischer Produktion, Krankenhäusern und niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten und sollte aus einem breiteren Spek­trum betrachtet werden: „In den Forschungen des Instituts für Höhere Studien unterscheiden wir zwischen den direkten, indirekten und induzierten Effekten. Die direkten Effekte sind die, die unmittelbar im Gesundheitswesen entstehen. Durch diese Nach­frage nach Leistungen in anderen Bereichen entstehen die indirekten und induzierten Effekte.“

Menschen die gesünder sind, bleiben länger und viel lieber im Arbeitsleben. Dadurch erhöht sich die Produktivität der Arbeitnehmerinnen und -nehmer, womit sich die Gesundheit der Menschen positiv auf das Wirtschaftswachstum insgesamt auswirkt.

So zeigen Studien des Instituts für Höhere Studien, die im Auftrag von Wirtschafts­kammer und Wirtschaftsministerium durch­geführt wurden, dass es eine Viel­zahl von Wirtschaftsaktivitäten gibt, die durch das Bedürfnis nach Gesundheit ange­stoßen werden und daher berücksichtigt werden müssen. Zur Gesundheitswirtschaft zählen laut Czypionka nicht nur das Gesundheits­wesen im engeren Sinne, sondern viele weitere Bereiche, deren Wachstum maßgeblich vom Bedürfnis nach Gesundheit bestimmt wird. „Neben dem Kernbereich der stationären und ambulanten Versorgung umfasst die soge­nannte erweiterte Gesundheitswirtschaft auch die Apotheken, die Selbsthilfe, die pharmazeutische Industrie, Biotechnologie, Medizintechnik, bauliche Adaptionen, Wellness, Sport oder den Gesundheitstourismus. Bereiche, die durch das Bedürfnis nach Gesundheit entstehen und nicht klassisch als Gesundheitswesen bezeichnet werden“, so Czypionka.

Hohe Wertschöpfungseffekte und Beschäftigung

Die Expertinnen und Experten diskutierten zum Thema Standort­politik — Gesundheitsberufe — Ausbildung im Rahmen der 4. PRAEVENIRE Gesundheitstage. | © Peter Provaznik
Die Expertinnen und Experten diskutierten zum Thema Standort­politik — Gesundheitsberufe — Ausbildung im Rahmen der 4. PRAEVENIRE Gesundheitstage. | © Peter Provaznik

Jeder siebte Beschäftigte in Österreich ist laut den Berechnungen von Thomas Czypionka direkt im Gesundheitswesen beschäftigt. Wenn die Vorleistungseffekte und induzierten Effekte mitberechnet werden, hängt jeder fünfte Arbeitsplatz am Bedürfnis nach Gesundheit. Laut dem Leiter des Bereichs Gesundheitsökonomie und Gesundheitspolitik am Institut für Höhere Studien „ist die erweiterte Gesundheitswirtschaft ein Wachstumsmotor und bedeutsamer Zukunftssektor, der stärker wächst als der Durchschnitt der Gesamtwirtschaft“. Mit den Verflechtungseffekten werden immerhin 16,5 Prozent der österreichischen Wertschöpfung direkt, indirekt oder induziert durch Nachfrage in der Gesundheitswirtschaft geschaffen. Jeder achte Abgabeneuro fällt durch die Gesundheitswirtschaft und ihre Verflechtungen an. Der Schwerpunkt der Gesundheitswirtschaft liegt auf Dienstleistungen. „Über 80 Prozent der Bruttowertschöpfung der Gesundheitswirtschaft werden über Dienstleistungen generiert. Die Gesundheitswirtschaft als Exportwirtschaft ist aber noch ausbaufähig, denn der Beitrag der Gesundheitswirtschaft am gesamtösterreichischen Exportüberschuss (Waren und Dienstleist­ungen) beträgt 6,26 Prozent. Die österreichische Gesundheitswirtschaft ist daher ein sehr bedeutender Wirtschaftsektor, indem er über die wirtschaftlichen Verflechtungen Vorleistungen aus der heimischen Wirtschaft bezieht. Etwa 870.000 Beschäftigungsverhältnisse sind davon abhängig, dass in Österreich eine Nachfrage nach Gesundheitsleistungen besteht.“ Außerdem bekräftigte Czypionka, dass sich der Kernbereich der Gesundheitswirtschaft laut Analysen „stabilisierend auf die österreichische Volkswirtschaft auswirkt und sich auch in der Phase der Finanzkrise 2009 als stabilisierend erwiesen hat.“

Hohes Ansehen im Gesundheitsbereich

„International hat Österreich ein hohes Ansehen des eigenen Gesundheitswesens und bedeutende Standortvorteile, die sowohl einen Dienstleistungs- als auch einen Technologieexport ermöglichen, denn es verfügt über gut ausgebildete Fachkräfte, Überkapazitäten, Know-how, sehr gute Universitäten, Technologiecluster und Unternehmensstandorte“, lobte Czypionka das österreichische Gesundheitswesen. Diese Vorteile gilt es zu nützen, da in Zukunft „eine Expansion der Mittelschicht“ zu erwarten sei und weltweit die Nachfrage nach dem „Luxusgut Gesundheit“ sehr stark zunehmen werde. „Hierzulande verfügen wir über viele Exportgüter und attraktive Exportbranchen. Dazu zählen Gesundheitsdienstleistungen, Pharmazeutika, Pharmawirtschaft, Medizintechnik und Medizinprodukte, Digital Health-Anwendungen, den Gesundheitstourismus oder auch eine anerkannte klinische Forschung und sehr gute Universitäten. Doch der derzeitige Export entspricht keineswegs den Möglichkeiten und den international nachfragesteigernden Faktoren. Studien zufolge befindet sich die Welt an einem Tipping-point: Die eine Hälfte der weltweiten Bevölkerung befindet sich auf der ärmeren Seite und die andere Hälfte auf der wohlhabenderen. Bereits im Jahr 2030 wird diese Mittelklasse, die vorher noch 3,5 Mrd. Menschen ausgemacht hat, 5,3 Mrd. umfassen. Wenn nun davon ausgegangen wird, dass diese Menschen nach besseren Gesundheitsleistungen fragen, ist für die österreichische Wirtschaft und für unseren Standort Österreich sehr viel gewonnen.“ Czypionka appellierte daher abschließend, dass „Gesundheit nicht nur als Kostenfaktor, sondern im Rahmen der Gesundheitswirtschaft und ihrer Bedeutung für Wachstum und Beschäftigungen verstanden werden sollte.“

BioBox

Dr. Thomas Czypionka wurde 1976 in Wien geboren, wo er Medizin studierte. Während seines Studiums war er in der Institutionenforschung des Gesundheitswesens tätig und promovierte 2004 sub auspiciis praesidentis. Danach war er an der MedUni Wien als Forscher tätig und wechselte 2005 an das Institut für Höhere Studien (IHS), wo er zunächst als Researcher und Projektleiter im Bereich Gesundheitsökonomie tätig war. Seit 2007 ist Thomas Czypionka Senior Researcher am IHS in Wien, wo er für das Team IHS HealthEcon verantwortlich ist. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der angewandten Gesundheitsökonomie, insbesondere zu Fragen der Finanzierung, Effizienz und Reformen von Gesundheitssystemen. Er ist als Experte und Gutachter u. a. an einer Reihe von Initiativen zur Gesundheitsreform in Österreich beteiligt. Darüber hinaus erstreckt sich sein Engagement auf internationale Vortragstätigkeiten sowie die Lehre an verschiedenen österreichischen Universitäten.


PRAEVENIRE Initiative Gesundheit 2030

Block 3 | Standortpolitik Gesundheitsberufe Ausbildung

Programm im Rahmen der PRAEVENIRE Gesundheitstage 2019

 

KEYNOTES

  • Standortpolitik Gesundheitsberufe Ausbildung
    Dr. Hans Jörg Schelling | PRAEVENIRE Präsident

  • Gesundheit als Wirtschaftsfaktor
    Dr. Thomas Czypionka | Head of IHS Health Economics and Health Policy

  • Anforderungen an die Ärzteausbildung
    Univ.-Prof. Dr. med. Lars-Peter Kamolz, MSc | Abteilungsleiter der
    klinischen Abteilung für plastische, ästhetische und rekonstruktive
    Chirurgie an der MedUni Graz

  • Zukünftige Herausforderungen an die Gesundheitsberufe
    Mag. Silvia Rosoli | Leitung der Abteilung Gesundheitsberuferecht und
    Pflegepolitik in der Arbeiterkammer Wien

PODIUMSDISKUSSION

  • Dr. Thomas Czypionka | Head of IHS Health Economics and Health Policy

  • Univ.-Prof. Dr. med. Lars-Peter Kamolz, MSc | Abteilungsleiter der klinischen Abteilung für plastische, ästhetische und rekonstruktive Chirurgie an der MedUni Graz

  • Mag. pharm. Jürgen Rehak | Präsident des Österreichischen Apothekerverbands

  • Mag. Silvia Rosoli | Leiterin der Abteilung Gesundheitsberuferecht und Pflegepolitik in der Arbeiterkammer Wien

  • Dr. Hans Jörg Schelling | PRAEVENIRE Präsident


Stimmen aus der Podiumsdiskussion

„In Österreich müssen Maßnahmen für die Zukunft gesetzt werden, um den neuen Herausforderungen der Allgemeinmedizin gerecht zu werden. Die vorhandenen finanziellen Mittel müssen richtig eingesetzt werden. Dazu sollten die zukünftigen Gesundheits- und Krankheitsbilder erforscht werden, um die Ausbildung optimal anzupassen.“ Dr. Hans Jörg Schelling | PRAEVENIRE Präsident

„Wir haben viele Fachleute, die aber sehr häufig nicht speziell für den
niedergelassenen Bereich ausgebildet werden. Zukünftig sollte die Aus­bildung für Gesundheitsberufe daher so gestaltet sein, dass die Auszubildenden für unterschiedliche Bereiche geschult werden.“ Univ.-Prof. Dr. med. Lars-Peter Kamolz, MSc | Abteilungsleiter der klinischen Abteilung für plastische, ästhetische und rekonstruktive Chirurgie an der MedUni Graz

„Es ist wichtig, dass die Gesundheitsversorgung nicht mit Bequem­lichkeit verwechselt wird. Im Bereich der Health Literacy bzw. der Gesundheitskompetenz der Menschen stehen wir vor großen Herausforderungen. Hier sehe ich die Bildungspolitik am Zug, denn da gibt es noch Aufholbedarf.“ Mag. pharm. Jürgen Rehak | Präsident des Österreichischen Apothekerverbands

„Es benötigt mehr Investitionen und budgetäre Mittel für mehr Ausbildungsplätze. Eine qualitativ bessere Ausbildung könnte sich darin niederschlagen, dass vor allem im tertiären Bereich, etwa mit Universitäten und Fachhochschulen eine gemeinsame Basisausbildung aller Gesundheitsberufe angestrebt wird. Damit wäre auch ein besseres Verständnis der unterschiedlichsten Gesundheitsberufe und eine bessere Zusammenarbeit möglich. Ein gemeinsames Basisjahr wäre beispielsweise ein guter Ansatz.“ Mag. Silvia Rosoli | Leiterin der Abteilung Gesundheitsberuferecht und Pflegepolitik in der Arbeiterkammer Wien


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