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Faszination Genetik

© JANA MADZIGON

Faszination Genetik

© JANA MADZIGON

Viele innovative Therapien fußen auf Erkenntnisse der Humangenetik, die eine neue Dimension in der Erforschung, Diagnose und Behandlung von Erkrankungen ermöglicht hat. PERISKOP sprach mit Univ.-Prof. Dr. Gökhan Uyanik über seine Leidenschaft für das Fachgebiet, Trends und deren Integration in die Regelversorgung.

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Rainald Edel, MBA

Periskop-Redakteur

Gökhan Uyanik ist Facharzt für Medizinische Genetik (Humangenetik) und Facharzt für Neurologie. Nach dem Studium der Medizin an den Universitäten Freiburg und Wien absolvierte er seine Facharztausbildung an den Universitätskliniken Freiburg, Regensburg und Hamburg. Im Jahr 2012 erhielt er den Auftrag, den Fachbereich Medizinische Genetik am Hanusch Krankenhaus aufzubauen und ist seither dessen Leiter. 2016 wurde er auf den Lehrstuhl für Medizinische Genetik an der Medizinischen Fakultät der Sigmund Freud Privatuniversität (SFU) berufen und ist Mitglied des Vorstandes der Österreichischen Gesellschaft für Humangenetik (ÖGH).

PERISKOP: Sie sind einer der Pioniere für medizinische Genetik in Österreich – was ist das Faszinierende an diesem Fachgebiet und hat Sie dazu bewogen, neben Neurologie auch eine Facharztausbildung in diesem Bereich zu absolvieren?

UYANIK: Die Genetik hat mich schon in der Schule so sehr fasziniert, dass ich damals bereits den Entschluss fasste, später etwas mit Genetik zu machen. Während des Medizinstudiums hatte ich die Gelegenheit, meine Doktorarbeit zu einem genetischen Nachweisverfahren in der Humangenetik zu verfassen und blieb dort am Institut als studentischer Mitarbeiter beginnend bis hin zu meiner Facharztausbildung. Das Faszinierende an der Genetik ist, dass man sich mit zahlreichen Fächern der Medizin beschäftigt. Dabei habe ich erkannt, dass die Genetik wie auch Anatomie und Pathologie oder Radiologie alle Fächer betrifft und diese beeinflussen wird.

Ferner faszinierte mich die Neurologie und Funktionsweise unseres Nervensystems schon immer und ich hatte die Vision, dass hier die Genetik – wie für viele andere Fächer – eine Bereicherung in der Diagnostik und auch Therapie sein könnte. Meine Entscheidung als Gegenfach Neurologie zu machen, führte mich direkt in die Neurogenetik und Erforschung von Fehlbildungen des Gehirns und zur Ausbildung zum Facharzt für Neurologie. Das bedeutet, dass ich eigentlich umgekehrt neben der Humangenetik die Facharztausbildung für Neurologie absolviert habe, um dann anschließend meine Facharztausbildung in Humangenetik abzuschließen.

In Bereich der Diagnostik gab es in der letzten Dekade sehr signifikante methodische sowie therapeutische Fortschritte.

Mittels Genetik lassen sich sowohl Erbkrankheiten abklären als auch in der Diagnostik, beispielsweise in der Onkologie, individuelle Behandlungsoptionen ermitteln. Wie wichtig sind diese Untersuchungen, um Patientinnen und Patienten besser behandeln zu können und wie hoch ist die Prävalenz bzw. die Einsatzrate der Genetik in der Diagnostik heute?

Genau diese Unterscheidung der genetischen Diagnostik einerseits im Hinblick auf Keimbahn-Mutationen, das heißt Erbkrankheiten, die aufgrund einer Mutation in allen Körperzellen auch vererbt werden können, und andererseits die Analyse im Hinblick auf somatische Mutationen, das heißt auf Mutationen, die sich nur in bestimmten Geweben (z. B. Tumorgewebe) befinden, ist von besonderer Bedeutung, um zu verstehen, wofür die genetische Diagnostik eingesetzt werden kann. In beiden Bereichen gab es in der letzten Dekade sehr signifikante methodische sowie therapeutische Fortschritte. Methodisch wäre hier etwa die sogenannte Liquid biopsy zu erwähnen, die es erlaubt, einen Tumor oder dessen Metastasen ohne invasiven Eingriff zu charakterisieren, und die Therapie zu ermöglichen.

Denn zunehmende Erkenntnis bezüglich Krankheitsentstehung und Krankheitsmechanismen, besonders auch im onkologischen Bereich, führt zu spezifischen therapeutischen Ansätzen, die die entsprechenden Signalwege zum Ziel haben, aber auch nur dann wirken, wenn tatsächlich die Störung in diesen Signalwegen liegt. Somit kommt dem Nachweis dieser Störung innerhalb dieses Signalweges durch Nachweis von Mutationen bei der Indikation zur Therapie signifikante Bedeutung zu.

Es werden zudem inzwischen auch immer mehr Erbkrankheiten, die meist zu den „seltenen Erkrankungen“ gehören, therapierbar, da sich – unterstützt durch nationale und internationale Förderprojekte – sowohl Forscherinnen und Forscher als auch Pharmaunternehmen vermehrt diesem Feld widmen.

Im Jahr 2012 erhielten Sie den Auftrag, den Fachbereich Medizinische Genetik am Hanusch Krankenhaus aufzubauen, und sind seither Leiter dieses Zentrums. Was hat sich seitdem geändert, welche Meilensteine haben Sie dabei in den letzten über 10 Jahren erreicht?

Dabei war der Anfang sehr entscheidend, dass im Hanusch Krankenhaus entschieden wurde, die molekularpathologischen Analysen in das Zentrum für medizinische Genetik zu übertragen und wir somit gemeinsam mit der Pathologie eine Diagnostik-Plattform bilden. Dieses Pilotprojekt der Zusammenarbeit zwischen Humangenetik und Pathologie dient inzwischen als ein schönes Beispiel für Interdisziplinarität und Synergie-Effekte auch an anderen Orten.

Entscheidend war bereits zu Beginn das vorherige Konzept umstellen zu können und Next-Generation-Sequenzierung (NGS) integrieren zu können. Aktuell ist die weitere Entwicklung in die nächste NGS-Generation, der Long-read-Sequenzierung, in vollem Gange, womit wir bereits vor sechs Jahren begonnen haben erste Erfahrungen zu sammeln.

Neben diesen apparativen und methodischen Verbesserungen sind die Entwicklungen in der Versorgung der Ratsuchenden zu nennen. Unser Schwerpunkt hat sich hier von klassischen Fragestellungen weiter in Richtung prädiktive Fragestellungen und Diagnostik (z. B. in der Onkologie, Neurogenetik, Kardiogenetik) entwickelt. Dabei sind wir im Hanusch Krankenhaus in der glücklichen Lage nahezu alle diese Fälle gemeinsam mit Psychologinnen und Psychologen beraten und auf die psychosozialen Aspekte eingehen zu können. Inhaltlich entwickeln wir uns derzeit von monogenetischen Fragestellungen zusätzlich in Richtung zu sogenannten Polygenen Scores, die uns auch die Beantwortung von Fragen zu multifaktoriellen, polygenen und genetisch mitbedingten Erkrankungen erlauben werden.

Neben apparativen und methodischen Verbesserungen hat sich die Versorgung von klassischen Fragestellungen weiter in Richtung prädiktive Aussagen und Diagnostik entwickelt.

Sie sind auch im Vorstand der Österreichische Gesellschaft für Humangenetik (ÖGH). Wo liegen aktuell die Herausforderungen in der Humangenetik, welche Trends zeichnen sich ab?

Hier ist natürlich eine Vielzahl an Punkten zu nennen. Einer der wichtigsten Punkte für mich ist die Harmonisierung in der Versorgung, sei es in der Vergütung der Ärztinnen und Ärzte oder in der Vergütung der einzelnen Leistungen an den einzelnen Zentren und Instituten.

Die Nachwuchsproblematik betrifft die Humangenetik in gleicher, wenn nicht sogar stärkerer, Härte wie einige andere Fächer. Hier versuchen wir – auch gemeinsam mit unseren Nachbarländern – die Nachwuchsförderung und -ausbildung deutlich zu stärken und attraktiver zu gestalten. Es wäre wünschenswert auch seitens (Standes-)Politik und Geldgeber bessere Anreize für das wichtige Fach zu schaffen.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Vernetzung der österreichischen Zentren und der Institute untereinander. Vernetzung z. B. auf apparativer Ebene durch Schaffung von Core Facilities und gemeinsamen Datenmanagementstrukturen.

Neben ihrer ärztlichen Tätigkeit haben sie auch den Lehrstuhl für Humangenetik an der Sigmund Freud Privatuniversität inne. Wie wichtig ist die Vermittlung von Kenntnissen der Humangenetik schon während des Studiums?

Ich glaube, aus dem Besagten geht schon hervor, wie wichtig das Fach Humangenetik in der Ausbildung ist. Inzwischen ist die Humangenetik aus keiner Disziplin der Medizin mehr wegzudenken. Sie hat bereits Einzug in die Facharztausbildung in vielen, nicht nur konservativen, Fächern erhalten. Infolgedessen ist es erforderlich die Humangenetik in der studentischen Ausbildung zu betonen und zu erweitern. Dabei ist es wichtig, die Humangenetik nicht nur als Blockveranstaltung als eigenständiges Fach zu lehren, sondern im Rahmen der einzelnen Fächer integriert mitzuunterrichten. Dieses Ziel wird mittlerweile an vielen Universitäten umgesetzt.

Inzwischen ist die Humangenetik aus keiner Disziplin der Medizin mehr wegzudenken, daher ist es erforderlich sie in der studentischen Ausbildung zu betonen und zu erweitern.

Um in Zukunft die Humangenetik noch besser und gezielter einsetzen zu können, welche Änderungen und Rahmenbedingungen bräuchte es dafür?

Das Fach muss eine höhere Bekanntheit erreichen. Es darf nicht sein, dass selbst Medizinerinnen, Mediziner nicht wissen, dass es eine Sonderfachausbildung für Medizinische Genetik gibt, dass Fachärztinnen und Fachärzte für Medizinische Genetik nicht nur „genetische Berater“ sind, sondern klinisch-genetische Ambulanzen betreiben und vielfältige interdisziplinäre Aufgaben übernehmen. Hier wäre die Teilnahme an Tumorboards zu erwähnen.

Eine konkrete Verbesserung der Rahmenbedingung wäre die Schaffung von weiteren Assistenzberufen, wie wir sie in anderen Ländern haben. Weiterhin Förderung und Anerkennung von vertiefender Ausbildung im Fachbereich Humangenetik für weitere Berufsgruppen wie Biomedizinische Analytikerinnen und Analytiker (BMA) und Naturwissenschafterinnen und -wissenschafter wären sinnvoll.

Ein nationales Projekt für Humangenetik wäre ein weiterer wichtiger Punkt in Richtung internationale Wettbewerbsfähigkeit. Es ist höchste Zeit dies zu realisieren, um nicht den Anschluss an die internationalen Entwicklungen in der Humangenetik und somit in der Versorgung der Patientinnen und Patienten zu verpassen.

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