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Diabetesbetreuung in den Griff bekommen

Am Podium diskutierten v. l. n. r. Alice Herzog, Maria Fritsch, Erwin Rebhandl, Bernhard Rupp, Martin Clodi.
© KRISZTIAN JUHASZ

Diabetesbetreuung in den Griff bekommen

Am Podium diskutierten v. l. n. r. Alice Herzog, Maria Fritsch, Erwin Rebhandl, Bernhard Rupp, Martin Clodi.
© KRISZTIAN JUHASZ

Diabetes ist ein bedeutendes Gesundheitsproblem in Österreich – in jedem Lebensalter. Aufgrund dessen stand bei den 8. PRAEVENIRE Gesundheitstagen im Stift Seitenstetten die Versorgung von Menschen mit Diabetes im Fokus. In drei Keynotes behandelten Expertinnen und Experten das Thema aus verschiedenem Blickwinkel – dem hausärztlichen Bereich, der Primärversorgungseinheit (PVE) und mit dem Schwerpunkt Kinder und Jugendliche.

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Carola Bachbauer, BA, MSc

Periskop-Redakteurin

Bereits 1989 befasste sich die St. Vincent Deklaration an der die wichtigsten Vertreter der Internationalen Diabetesföderation (IDF), die Weltgesundheitsorganisation (WHO), Patientenorganisationen und Gesundheitsministerien – so auch Österreich – mitwirkten mit der Verhinderung schwerer Folgeschäden durch Diabetes und empfahl Maßnahmen zur Verbesserung der Diabetesversorgung. Über 30 Jahre später gibt es immer noch Verbesserungspotenzial.

Fokus hausärztlicher Bereich

„Die Krankenhäuser haben ein Versorgungsproblem. In vielen Spitälern fehlen Ärztinnen und Ärzte“, mit diesen Worten begann Dr. Stephanie Poggenburg von der Österreichischen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (ÖGAM) ihre Keynote. Die Personalprobleme im Spitalsbereich seien auch im niedergelassenen Bereich zu spüren. Aber nicht nur das. Der hausärztliche Bereich selbst habe mit einem Ärztemangel zu kämpfen. „Dies wirkt sich auf die Betreuung und Versorgung von Patientinnen und Patienten aus. Vor allem chronische Erkrankungen, wie Diabetes benötigen mehr Zeit und Ressourcen“, betonte die Hausärztin.

Um hier eine Veränderung herbeizuführen, müsse laut Poggenburg eine interprofessionelle Zusammenarbeit gefördert werden. Davon würden nicht nur die Patientinnen und Patienten profitieren, sondern auch Kosten könnten einsparen werden. Denn volkswirtschaftlich gesehen, sind chronische Krankheiten ein Riesenproblem, welches in Zukunft aufgrund des demografischen Wandels immer größer wird. Als Best-Practice-Beispiel führte Poggenburg in diesem Zusammenhang das Programm „Therapie Aktiv“ an. „Evaluierungen zeigen, dass dadurch nicht nur die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten steigt, die Morbidität und Mortalität sinken, sondern auch die Betreuungskosten zurückgehen.“ Obwohl die Hausärztinnen und Hausärzte pro Patientin, Patient eine Vergütung von 1.000 € im Jahr bekommen, sei ein Disease Management Programm (DMP) für die Gesundheitspolitik dennoch kostengünstiger als Akutbehandlungen im Krankenhaus. Grund dafür sei, dass Menschen mit Diabetes aufgrund der Betreuung im Rahmen eines DMP weniger Komplikationen haben und seltener ins Krankenhaus müssen.

Zusätzlich merkte die Hausärztin an, dass „Therapie Aktiv“ das einzige DMP in Österreich ist und eine Erweiterung auf andere chronische Erkrankungen wünschenswert wäre. Mit DMP können laut Poggenburg chronisch Erkrankte im niedergelassenen Bereich besser versorgt und laut einer Hochrechnung sogar 70 Prozent der Patientinnen und Patienten in der Hausarztpraxis abgefangen werden.

Dies sei der Grund, warum laut der Allgemeinmedizinerin die Hausarztordination der Best Point of Care sei. Denn dort würde man die Lebensweise und Umgebungsbedingungen der Patientinnen und Patienten kennen. Aufgrund dessen könnten Hausärztinnen und -ärzte Veränderungen, welche beispielsweise auf eine Diabeteserkrankung zurückzuführen sind, frühzeitiger erkennen.

Diabetesbetreuung in einer PVE

Dr. Erwin Rebhandl, Allgemeinmediziner und Präsident von AM PLUS – Initiative für Allgemeinmedizin und Gesundheit, ging auf die Erstdiagnose und Versorgung von Menschen mit Diabetes näher ein und berichtete aus der Sicht als Mitinhaber einer PVE in Haslach an der Mühl. Aufgrund seiner Erfahrung sowohl in einer Einzelpraxis als auch in einer PVE konnte der Hausarzt einen Unterschied in der Diabetesversorgung feststellen. „Die Behandlung von Diabetes benötigt Teamarbeit und genau dies kann eine PVE bieten“, erklärte Rebhandl. Die PVE in Haslach stellt neben der medizinischen Begleitung auch Ernährungs- und Bewegungsberatung, Achtsamkeitstraining und Psychotherapie zur Verfügung. Somit könne eine muliprofessionelle Diabetesbegleitung gewährleistet werden. Jedoch betonte Rebhandl, dass nicht alle PVE über dieses Angebot verfügen und es auch hier Nachholbedarf gibt.

Den Ablauf der Diagnose und Versorgung in einer PVE schilderte Rebhandl wie folgend: „Wir bestimmen den Nüchternblutzucker und den HbA1c Wert bei den Patientinnen und Patienten ab 40 Jahren. Dies erfolgt bei der Vorsorgeuntersuchung oder bei anderen Blutabnahmen.“ Darüber hinaus spiele die Familienanamnese eine Rolle bei der Erkennung von Risikopatientinnen und -patienten. Dadurch könne frühzeitig entsprechende vorkehrende Maßnahmen eingeleitet werden. Bei der Betreuung von Menschen mit Prädiabetes stehen die Lebensstiländerung, Prävention und die Gesundheitsförderung im Vordergrund. „Patientinnen und Patienten mit Prädiabetes kommen bei uns alle sechs Monate zur Kontrolle. Dabei findet sowohl eine Laboruntersuchung als auch eine klinische Untersuchung statt.“ Laut Rebhandls Einschätzungen könne so der Ausbruch einer Diabeteserkrankung hinausgezögert und bei Einzelnen sogar verhindert werden.

„Therapie Aktiv“ Programm

Für PVE ist die Teilnahme am DMP „Therapie Aktiv“ im Gegensatz zur Einzelpraxis obligatorisch. Aufgrund dessen werden in der PVE in Haslach zwei bis drei Mal pro Jahr für Betroffene zusammen mit Krankenpflegerinnen, -pflegern und Diätologinnen, Diätologen Schulungen durchgeführt. „Wenn länger kein Schulungstermin stattfindet, verweisen wir die Patientinnen und Patienten auf die Möglichkeit der online Schulung über die ‚Therapie Aktiv‘ Homepage“, erläuterte der Allgemeinmediziner. Das DMP sieht vor, dass vier Mal im Jahr eine Kontrolle stattfindet, wobei einmal im Jahr eine umfangreiche Jahresuntersuchung vorgesehen ist. Ein wichtiges Element des Programms sei die Zielvereinbarung, bei der Ziele für bestimmte Werte, welche für den Krankheitsverlauf von Diabetes relevant sind, gemeinsam mit der Patientin, dem Patienten definiert und kontrolliert werden.

Diabetes bei Kindern und Jugendlichen

Priv.-Doz. Dr. Maria Fritsch von der Klinischen Abteilung für Allgemeine Pädiatrie der Medizinischen Universität Graz widmete sich in ihrem Vortrag dem Thema Diabetes bei Kindern und Jugendlichen. Zu Beginn veranschaulichte Fritsch die Diabeteszahlen bei den jüngsten Bevölkerungsgruppen: „In der Pädiatrie sind mehr als 94 Prozent der Patientinnen und Patienten von Typ-1-Diabetes und rund zwei Prozent von Typ-2-Diabetes betroffen. In den letzten 20 Jahren gab es einen dramatischen Anstieg bei Typ-1-Diabetes. So ist die Inzidenz von 5 pro 100.000 auf mehr als 20 pro 100.000 Kinder und Jugendliche mit Typ-1-Diabetes gestiegen.“ Erstmals sehe man auch einen signifikanten An- stieg bei den Zahlen für Typ-2-Diabetes. Diese liegen im Moment bei 0,6 pro 100.000 Kinder und Jugendlichen.

Betreuungsstrukturen

In Österreich gibt es 34 Zentren, in denen etwa 3.500 Kinder und Jugendliche im Alter von unter 19 Jahren mit Typ-1-Diabetes versorgt werden. Für eine gute Betreuung braucht es ein multiprofessionelles Team aus den Bereichen Kinderdiabetologie, Diabetesberatung, Diätologie, Psychologie und Sozialarbeit. Die empfohlenen Teamkapazitäten pro 100 Patientinnen und Patienten mit Diabetes betragen:

  • 1,0 Kinderärztin/-arzt
  • 1,0 Diabetesberaterin/-berater
  • 0,3 Psychologin/Psychologen
  • 0,5 Diätologin/Diätologe
  • 0,2 Sozialarbeiterin/-arbeiter

Laut der Pädiaterin werden im österreichischen Behandlungsalltag diese empfohlenen Kapazitäten nicht einmal zur Hälfte erfüllt. Die Daten zeigen, dass im Bereich der Versorgung erheblicher Aufholbedarf besteht.

Fortschritte in der Diabetestherapie

Für eine Früherkennung und Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes braucht es gut geschulte Ärztinnen und Ärzte. Denn häufig weichen die Beschwerden von den klassischen Diabetessymptomen ab. Eine späte Diagnose kann zu Akut- aber auch Spätkomplikationen führen. „Im Zeitraum zwischen 2012 und 2020 sind 43 Prozent unserer Patientinnen und Patienten mit einer diabetischen Ketoazidose eingeliefert worden. 14 Prozent davon mit einer schweren – Tendenz steigend“, erklärte Fritsch. Positiv zu erwähnen sei, dass seit der Erfindung des Insulins massive Fortschritte in der Diabetestherapie erzielt wurden. So gibt es Hybrid-Closed-Loop-Systeme, die als künstliches Pankreas dienen. Mit dieser Therapiemöglichkeit kann die Zeit im Zielbereich erhöht und das Hypoglykämierisiko sowie der HbA1c-Wert gesenkt werden. „Zurzeit sind in Österreich zwei Modelle erhältlich, welche von der Krankenkasse finanziert werden. Dennoch haben 80 Prozent der Patientinnen und Patienten kein Hybrid-Closed-Loop-System“, sagte Fritsch und betonte, dass die Verschreibung der Systeme forciert werden müsse, denn die Produkte führen nicht nur bei den Kindern, sondern auch bei deren Familie zu einer Steigerung der Lebensqualität.

Kindergarten­ und Schulbetreuung bei Kindern mit Diabetes

Die Betreuung von Kindern mit Diabetes in der Schule und im Kindergarten stellt oft ein Problem dar. Meist sind Pädagoginnen und Pädagogen nicht entsprechend geschult, was dazu führt, dass Kinder mit Diabetes häufig keinen Kindergartenplatz finden. Ein Lösungsansatz wäre laut Fritsch, vermehrt mobile Kranken- pflegedienste und Diabetes-Nannies einzusetzen. In Schulen konnten bereits erste Erfolge verzeichnet werden, indem in Zusammenarbeit mit der Österreichischen Diabetes Gesellschaft (ÖDG) eine online Schulung zu Typ-1-Diabetes für Pädagoginnen und Pädagogen entwickelt wurde. „Des Weiteren wurde mit dem Bun- desministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung die Möglichkeit der Übertragung von medizinischen Tätigkeiten an Lehrpersonen gegeben. Das bedeutet, Lehrerinnen und Lehrer tragen keine Haftung falls bei der Betreuung von Kindern mit Diabetes ein Fehler passiert“, berichtete Fritsch.

Podiumsdiskussion

Anschließend an die Keynotes wurden in der Podiumsdiskussion die Themen der Vorträge aufgegriffen und vertiefend diskutiert.

Dabei ging Fritsch näher auf die Ursachen einer Diabeteserkrankung bei Kindern und Jugendlichen ein. Beispielsweise können Viruserkrankungen, eine schnelle frühkindliche Gewichtszunahme oder die Genetik Auslöser für die Krankheit sein. Alle Gründe für eine Diabeteserkrankung konnten jedoch noch nicht geklärt werden.

Im Bezug auf die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes spricht sich Fritsch für eine Betreuung im Spital aus, denn die Pumpentherapie ist sehr spezifisch und muss in einem multiprofessionellen Setting erfolgen. Auch die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Typ-2-Diabetes sehe die Fachärztin aufgrund der Seltenheit im Krankenhaus. Der niedergelassene pädiatrische Bereich sei wichtig für das Screening. Anders sieht es bei der Versorgung von erwachsenen Patientinnen und Patienten mit Diabetes aus. Hier sollte Prim. Univ.-Prof. Dr. Martin Clodi, Präsident der ÖDG, zu folge die erste Anlaufstelle die Hausarztpraxis sein. Diese Meinung vertritt auch Rebhandl.

Als letzten Punkt sprachen die Diskutantinnen und Diskutanten das Thema Vereinheitlichung an. Dies müsse laut Hon.-Prof. (FH) Dr. Bernhard Rupp, MBA, Leiter der Abteilung Gesundheitspolitik der Arbeiterkammer Niederösterreich, sowohl die Honorierung als auch die verpflichtende Teilnahme am DMP betreffen. Einhelliger Meinung waren die Teilnehmenden Punkto Versorgung: Eine chronische Krankheit wie Diabetes sollte aufgrund der vielen Komplikationen und der komplizierten medizinischen und therapeutischen Implikation in ärztlicher Hand bleiben.

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