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PRAEVENIRE Open Alm: Wege aus der Pflegemisere

v.l. Karl Lehner, Markus Golla, Hanna Mayer, Hanns Kratzer (Moderation), Heidemarie Staflinger, Michael Tesar
© JAKOB- GLASER GATTINGER

PRAEVENIRE Open Alm: Wege aus der Pflegemisere

v.l. Karl Lehner, Markus Golla, Hanna Mayer, Hanns Kratzer (Moderation), Heidemarie Staflinger, Michael Tesar
© JAKOB- GLASER GATTINGER

Die Pflege ist am Limit. Es braucht daher einen kompletten Neustart, statt ein Flickwerk wie bisher, so der Tenor der Expertinnen und Experten bei der diesjährigen Open Alm. Lösungen müssen daher großzügig gedacht und von der gesamten Gesellschaft getragen werden.

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Rainald Edel, MBA

Periskop-Redakteur

Österreich verfügt über ein Gesundheitssystem, in dem Menschenwürde, Selbstbestimmung, Information und Unterstützung der Betroffenen nicht nur großgeschrieben werden, sondern auch gesetzlich verankert sind. Allerdings gerät dieser Anspruch zunehmend ins Wanken, denn Pflegekräfte stoßen aufgrund von Personalmangel an ihre Grenzen und müssen immer öfter wesentliche Pflegeschritte auslassen. Das von der Bundesregierung geschnürte Pflegepaket erachten Expertinnen und Experten eher als Kosmetik und sehen noch keine Trendwende. Deshalb hat sich der gemeinnützige Verein PRAEVENIRE für seinen traditionellen Höhepunkt der PRAEVENIRE Gesundheitsgespräche in Alpbach dieses Themas angenommen. Unter dem Titel „Professionelle Pflege an der Grenze des Machbaren: Ursachen verstehen und Lösungen finden“ diskutierte eine hochkarätige Expertenrunde Lösungswege aus der Krise und benannte klare Handlungsschritte, die sich deutlich von denen der Bundesregierung unterscheiden.

Es brauche eine Entbürokratisierung, damit Personal zu uns kommt. Vertrauen statt Barrieren ist das entscheidende Schlagwort.

Studie zu Pflegemissstand

Wie dramatisch die Situation in Österreich bereits ist, legt Univ.-Prof. Mag. Dr. Hanna Mayer, Professorin für Pflegewissenschaft an der Karl Landsteiner Privatuniversität, anhand der „MISSCARE Austria“ Studie dar, an der sie selbst mitgewirkt hat. Diese zeigt, dass Pflegepersonen aufgrund von Ressourcenknappheit und Schwierigkeiten in der Beziehung, Zusammenarbeit und Kommunikation im Team notwendige Pflegetätigkeiten auf Allgemeinstationen im Krankenhaus implizit rationieren müssen, um den Betrieb aufrechterhalten zu können. Teilweise werden Pflegetätigkeiten weggelassen oder nur mit einer für die Patientinnen und Patienten nachteiligen Verzögerung durchgeführt. Dieses Phänomen wird als „Missed Nursing Care“ bezeichnet. „Aufgrund der impliziten Rationierung kommt es zu einer fehlenden Versorgungsqualität, zu verminderter Patientensicherheit sowie auch zu negativen personalbezogenen Outcomes“, fasst Mayer die wichtigsten Eckpunkte zusammen. Misscare sei aber nicht Ausdruck fehlender Qualifikation, sondern ein Frühwarnindikator für Missstände im System. Auch wenn die Studie im Spitalsbereich gemacht wurde, ließen sich die Ergebnisse auch auf die Langzeitpflege umlegen.

Die Ursachen für Misscare seien die fehlenden Personalressourcen, aber auch die schwierige Zusammenarbeit und Kommunikation in interprofessionellen Teams. Im Endeffekt befinde sich die Pflege momentan in einem Teufelskreis von fehlender Qualität, die oft zum Verlassen des Berufs führt und eine Verschlechterung des Images nach sich zieht. Daher würden simple Lösungen wie „mehr Leute rein“ nicht greifen, zumal man immer die gleichen Fehler mache und eher auf Deprofessionalisierung in Form von Assistenzberufen setze, die das Image der Pflege weiter schwächen. Ein tauglicher Ausweg wäre aus Mayers Sicht, das Gesundheitssystem anders zu denken, um den Bedarf neu zu bauen.

Fünf­-Punkte­-Plan

Obwohl die durch die Studie nun wissenschaftlich belegten Fakten durchaus schon länger bekannt sind, habe Österreich nichts getan, bemängelt der Vizepräsident des Europäischen Parlaments und Präsident des Hilfswerks Österreich, Dr. Othmar Karas in seinem Videostatement. „Der Bedarf an in der Pflege tätigen Menschen steigt stetig. Wir benötigen bis ins Jahr 2030 knapp 90.000 neue Fachkräfte. Der generelle Personalmangel im Gesundheitsbereich ist noch um ein Vielfaches höher“, erklärt er. Um diesen Mangel zu lösen, bedarf es einer gezielten Arbeitsmigration. Allerdings zeige der Vergleich mit anderen Ländern, dass Österreich eine intelligente Strategie fehle, um Personen aus dem Ausland, die an einem Pflegeberuf bei uns interessiert sind, den Weg nach Österreich zu ebnen. So habe sich beispielsweise in den letzten Jahren nichts im Bereich Nostrifikation getan. Das ist angesichts der demografischen

Entwicklung nicht mehr tolerierbar. Das Hilfswerk Österreich habe deshalb einen Fünf-Punkte-Plan entwickelt, wie Österreich den Zuzug von Pflegekräften aus Drittstaaten einfach und ethisch korrekt abwickeln sollte. Es brauche, so Karas eine Entbürokratisierung, damit Personal zu uns kommt. „Vertrauen statt Barrieren“ sei das entscheidende Schlagwort dabei.

Gründe für den Verbleib in der Pflege

Im österreichischen Gesundheitsberuferegister sind 165.000 Personen in der professionellen Pflege registriert, die als diplomierte Pflegekräfte, Pflegefachassistenz bzw. in Pflegeassistenzberufen arbeiten. „Allerdings brauchen wir schon in sieben Jahren mindestens 75.000 zusätzliche Pflegekräfte – eher mehr. Stellt sich die Frage: Woher kommen diese und was braucht es dazu“, erklärt MMag. Heidemarie Staflinger von der Arbeiterkammer Oberösterreich. Die Probleme, wie sie die Studie schildert, kenne man seit vielen Jahren. Zwar versuche man jetzt durch die Pflegelehre junge Menschen für die Pflege zu begeistern. Aber nur in sehr geringem Ausmaß versuche man erfahrene Kräfte in diesem Berufsbild zu halten. Wobei hier die Schuld nicht in der Verwaltung zu suchen sei, sondern in der Politik und den Rahmenbedingungen.

Aufgrund der impliziten Rationierung kommt es zu einer fehlenden Versorgungsqualität, zu verminderter Patientensicherheit sowie auch zu negativen personal- bezogenen Outcomes.

Eine deutsche Studie der Bertelsmannstiftung zum Thema „ich Pflege wieder, wenn…“ zeigt, dass die Gründe für einen Verbleib im Pflegeberuf auf folgenden Punkten lägen: in einer größeren Wertschätzung, mehr Anerkennung – auch in Form von Gehalt, mehr Zeit für Pflege, Bürokratieabbau sowie echter Anerkennung durch Politik und Führung. Die Ergebnisse seien, so Staflinger, auch auf Österreich umlegbar. Ein wichtiger Schritt zur Verbesserung sei aus ihrer Sicht: „Weg mit allem Geplänkel.“ In diesem Sinn sei auch der Föderalismus im Gesundheitsbereich zu überdenken, da man sich mit diesem die Zuständigkeiten zuschiebe und nicht zur Lösung beitrage. Was es brauche, sei ein Miteinander.

Pflegemangel als globales Phänomen

Prof.(FH) Markus Golla, BScN, MScN, Studiengangsleiter am Institut für Pflegewissenschaft, übt Kritik an der Zahl der Ausbildungsplätze. Umgelegt auf die Gemeinden, gäbe es pro Ort einen Absolventen – das gehe sich nicht aus.

Ebenso kritisch sieht er die Pflegelehre, da es im Vorjahr über alle Branchen 8.000 Lehrstellen gab, die keinen Lehrling gefunden haben. „Die Annahme, dass jetzt Scharen in diesen neuen Beruf strömen werden, ist schon statistisch gesehen nicht realistisch“, so Golla. Es gäbe aber auch ein gesellschaftliches Problem, das man berücksichtigen müsse, da die Österreicherinnen und Österreicher vom Gesundheitssystem ein „All-inklusive-Rundumpaket erwarten“, das teilweise aus einem Anspruchsdenken heraus missbraucht werde. Daher müsse man die Gesellschaft ins Boot holen, wenn man über Pflege spricht. Der globale Pflegemangel liegt derzeit bei 14 Mio. Pflegepersonen. Daher müsse man sich nicht nur in Österreich, sondern global Lösungen einfallen lassen. Und in zehn Jahren werde sich die Situation noch weiter dramatisch zuspitzen. Alle Berufsgruppen im Gesundheitsbereich müssen ohne Standesdünkel an einen Tisch kommen, einen großen Reset starten und Lösungen für Österreich entwickeln. Allerdings sollte man dabei nicht wieder versuchen, Ideen aus dem Ausland zu stehlen, sondern taugli- che Konzepte entwickeln und die Pflege in der Gesetzgebung entsprechend berücksichtigen. Unumgänglich sei, dass alles, was in den Ausbildungen unterrichtet werde, auch tatsächlich in der Praxis angewendet werden darf.

Wir kennen die Probleme, daher gilt es, Partikularinteressen auszublenden und einen Schulterschluss herzustellen.

Lösungen in der Praxis

„Wir haben mit 16.000 Menschen so viele in unserem Konzern wie noch nie“, berichtet Mag. Karl Lehner, MBA, Geschäftsführer bei Oberösterreichische Gesundheitsholding. Auch in der Ausbildung sowohl der konzerneigenen FH-Gesundheitsberufe als auch den an allen Standorten angesiedelten Krankenpflegeschulen gäbe es Rekorde, dennoch habe man auch in Oberösterreich Personalsorgen. Man setze zwar in der Ausbildung auf höchste Qualität und konnte sich bislang die Bewerberinnen und Bewerber aussuchen. Doch mit dem immer steigenden Bedarf gehe auch die Gefahr einher, Personen zu rekrutieren, die doch nicht für einen Pflegeberuf geeignet sind. In Oberösterreich setze man zur Entlastung der Pflegekräfte auf einen Skillsmix und habe zusätzlich bei Administrativkräften aufgestockt und eigene medizinische Dokumentationsassistentinnen und -assistenten den Stationen zur Verfügung gestellt. Schon lange etabliert sei bei der Oberösterreichischen Gesundheitsholding auch die Möglichkeit der Weiterentwicklung und Unterstützung. Auch Lehner sieht die Lösung vor allem in einem Miteinander von Arbeitgebern und Arbeitneh- mern im Gesundheitsbereich.

Grundsätzlich würden sich im Gesundheitsbereich alle bemühen, die Situation zu verbessern, sowohl im Bereich der Ausbildung als auch bei der Arbeitsmigration und seitens der Trägerorganisationen. Nur in Summe funktioniere es nicht. Es gilt, das Problem bei der Wurzel zu packen. So werden Unsummen in den klinischen Bereich gepumpt, während bei den mobilen Diensten im extramuralen Bereich geknausert werde. „Wir kennen die Probleme, daher gilt es, Partikularinteressen auszublenden und einen Schulterschluss herzustellen“, erklärt Michael Tesar, MBA, DGKP, Geschäftsführer und fachliche Leitung Pflege bei Curaplus. Es müssen einige Weichen gestellt werden, sowohl bei den Länderkompetenzen als auch bei den §15a-Vereinbarungen im Rahmen der derzeit laufenden Finanzausgleichsverhandlungen, um langfristige Lösungen zu schaffen.

Jubiläum

Die diesjährigen PRAEVENIRE Gesundheitsgespräche in Alpbach stellten zugleich ein Jubiläum dar. Denn heuer veranstaltete das PRAEVENIRE Gesundheitsforum – Gesellschaft zur Optimierung der solidarischen Gesundheitsversorgung zum zehnten Mal seine Gesundheitsgespräche in Alpbach. Gemeinsam mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern sowie den Gästen der Open Alm wurde im Anschluss an den traditionellen Höhepunkt der PRAEVENIRE Gesundheitsgespräche dieses Jubiläum gefeiert.

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