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Der Weg zu mehr gesunden Lebensjahren

Wie die Lebensqualität für Best Agers gesteigert werden kann
© Gerhard Gattinger

Der Weg zu mehr gesunden Lebensjahren

Wie die Lebensqualität für Best Agers gesteigert werden kann
© Gerhard Gattinger

Der Weg zu mehr gesunden Lebensjahren führt direkt zu Fragen der Prävention, passenden Programmen und dem Ausbau der Primärversorgung. Wie die Lebensqualität für Best Agers gesteigert werden kann, diskutierten Expertinnen und Experten kürzlich im Rahmen des PRAEVENIRE Talks in Alpbach.

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Mag. Renate Haiden, MSc.

Freie Redakteurin

„Die österreichische Bevölkerung hat einige Vorlieben, die nicht dazu geeignet sind, den Lebensabend auch bei guter Gesundheit zu verbringen“, leitet Dr. Alexander Biach, Direktor-Stellvertreter der Wirtschaftskammer Wien und Standortanwalt der Stadt Wien, seine
Keynote ein. Während zum Beispiel Frauen im Schnitt 84 Jahre werden, begleiten sie ab dem
65. Lebensjahr bereits eine Reihe, oft chronischer, Erkrankungen. Das führt dazu, dass hierzulande die Pflegebedürftigkeit in dieser Altersgruppe bereits über 22 Prozent liegt,
während es vergleichsweise in Skandinavien nur acht Prozent trifft – und das bei ähnlich
hohen Ausgaben für die Gesundheit. 

„Die Österreicherinnen und Österreicher müssen wohl auf den Weg ins hohe Alter irgendwo „falsch abbiegen“. Das macht auch der Umstand nicht besser, dass sich viele gerne im Krankenhaus behandeln lassen, obwohl sie möglicherweise auch im niedergelassenen – und deutlich kostengünstigeren Setting – besser aufgehoben wären. Mit 7,2 Spitalsbetten pro 1.000 Einwohnerinnen und Einwohnern haben wir die Nase weit vorne und investieren mehr als der OECD-Schnitt in den intramuralen Sektor. Ein Belegtag kostet hier derzeit 1.120 Euro, die Fallabrechnung im niedergelassenen Sektor nur 60 Euro. „Wir vergleichen uns gerne mit skandinavischen Ländern, doch dazu muss man auch die Kompetenzen betrachten. Menschen gehen erst zur Ärztin, zum Arzt, wenn sie krank sind. Auch unsere Berufsgruppe ist hierzulande klar für Kranke und nicht für die Prävention zuständig. Wollten wir uns hier engagieren, so wäre das keine verrechenbare Kassenleistung“, gibt Akademischer Pflegemanager Daniel Peter Gressl, diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger für gemeinde- & bevölkerungsorientierte Pflege der Stadtgemeinde Judenburg, zu bedenken. Es steht außer Frage, dass es insgesamt wünschenswert wäre, mehr in die Prävention zu investieren. 

Lebensstil entscheidet

Bei Themen wie ausreichend Bewegung, ausgewogener Ernährung oder dem achtsamen
Umgang mit der psychischen Gesundheit geht die Schere zwischen dem Denken und Handeln weit auf. Das Ergebnis lässt sich in Zahlen deutlich festmachen: „Eine Erhebung der Sozialversicherung hat gezeigt, dass ein Drittel aller Pflegefälle auf einen der drei Lebensstilfaktoren zurückzuführen ist“, weiß Biach. Pflegegeld wird vorrangig zuerkannt, weil
Menschen Herz-Kreislauf- und Stoffwechselerkrankungen haben, an Demenz leiden oder
der Stütz- und Bewegungsapparat massiv in Mitleidenschaft gezogen ist.

Die volkswirtschaftlichen Kosten sind evident: 0,62 Prozent des Bruttoinlandsproduktes gehen in die Diabetesbehandlung, Ausgaben für Medikamente für übergewichtige und adipöse Menschen liegen weitaus höher als für Normalgewichtige und sie haben auch doppelt so viele Krankenstände wie jene, die auf ihr Gewicht achten. Die Kosten für die Reparaturmedizin liegen bei 5.130 Euro pro Kopf, die Ausgaben für Prävention lediglich bei 97,90 Euro, rechnet Biach vor. Die Österreichische Gesundheitskasse gibt lediglich 1,4 Prozent des Budgets für Prävention aus. Das zeigt, dass sie vorwiegend für kranke Menschen da ist“, sagt Andreas
Huss, Obmann der Österreichischen Gesundheitskasse und ergänzt: „Sozioökonomische
Rahmenbedingung, spielen darüber hinaus eine zentrale Rolle, um gesund zu leben.
Wir wissen, dass sozial Schwache eher krank werden, daher kann nicht jede und jeder in
vollem Umfang selbst für die eigene Gesundheit und den gesunden Lebensstil verantwortlich gemacht werden. Gesundheitskompetenz ist auch eine Frage der Bildung und sogar des Wohnorts.“ Denn: Es gibt deutliche Belege dafür, dass die Bevölkerung im Westen Österreichs deutlich gesundheitsbewusster lebt als im Osten. „Der Föderalismus ist das Grundproblem im heimischen Gesundheitswesen. Wir haben keine Finanzierung aus einer Hand, daher ist die Situation regional sehr unterschiedlich. Geht es um Prävention, braucht es zentrale Strukturen“, sagt Univ.- Prof. Dr. Michael Gnant, MedUni Wien.

Einig waren sich Expertinnen und Experten, dass Apps unterstützen können, aber Menschen Begleitung im Alltag über Essen und Bewegen hinaus benötigen. „Viele soziale Themen wie gesunde Beziehungen oder soziales Teilhaben können nicht von einer App vermittelt werden. Das benötigt professionelle Betreuung, wie etwa durch Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter“, meint Gressl. Dass auch ausreichend Budget allein das Problem nicht lösen wird, liegt auf der Hand. So werden in den USA etwa 10.000 Euro pro Kopf in die Versorgung gesteckt, dennoch ist die Lebenserwartung nicht in diesem Ausmaß höher.

© Gerhard Gattinger

An den Spieltrieb appellieren

„Die gute Nachricht lautet trotzdem, dass wir durch den individuellen Lebensstil sehr viel
ändern können“, so Biach. Wir alle wissen vermutlich, wie gesund essen, Bewegung im Alltag oder Entspannung klappen würde – doch selten werden passenden Aktivitäten auch konsequent umgesetzt. „Weil wir zu wenig oft dran erinnert werden, aktiv zu bleiben“, meint Biach und schlägt daher Maßnahmen vor, die auch den Spieltrieb der Menschen zufriedenstellen. Der Best Ager Bonuspass – ein Sammelsystem mit Belohnungsanreizen für gesundheitsförderliches Verhalten – könnte dazu ebenso beitragen wie digitale Gesundheitsanwendungen. Auch hier hat Österreich noch Luft nach oben, wie eine aktuelle Statista-Auswertung zeigt: Im 1. Quartal 2020 lag die Verbreitung smarter Gesundheitsdevices hierzulande bei lediglich acht Prozent. Von „Apps auf Rezept“, also digitalen Gesundheitsanwendungen, die von der Ärztin oder vom Arzt verordnet und auch von den Krankenkassen finanziert werden, ist Österreich damit noch weit entfernt. „Die Umsetzung wäre einfach, denn mit dem Rezept könnte die Sozialversicherung einen QR-Code zum Download zur Verfügung stellen. Anwendungen wie Patiententagebücher für Brustkrebsbetroffene, Diabetes- oder TinnitusApps sind bereits jetzt praxiserprobt“, bringt Biach Beispiele.

Trotz aller Chancen, die digitale Anwendungen eröffnen, scheinen die Vorbehalte bei den Nutzerinnen und Nutzern in Österreich hoch und der Datenschutz wird oft als große
Herausforderung formuliert. „Wir haben der Bevölkerung lange genug eingeredet, selbst für die Gesundheit verantwortlich zu sein und jetzt wundern wir uns, dass genau das passiert. Es braucht dringend eine größere Diskussion über das Verhältnis von Individuum zum Gemeinwohl. Dazu gehört auch der Umgang mit Gesundheitsdaten. Die Menschen müssen das Vertrauen haben, dass die Politik mit ihren Daten verantwortungsvoll umgeht und sie zu ihrem Wohl nutzt“, sagt Gnant.

Vorbild: Deutschland

Was in Österreich noch in den Kinderschuhen steckt, wurde in Deutschland bereits in ein
Gesetz gegossen: Das Digitale-VersorgungGesetz (DVG) sieht vor, dass digitale Angebote in Zukunft schneller in die Regelversorgung kommen. Das Gesetz schafft eine rechtliche Grundlage, damit bestimmte digitale Gesundheitsanwendungen, wie Apps und webbasierte Programme, auch von Ärztinnen und Ärzten verschrieben werden können. Dazu ist vorab eine Prüfung durch das deutsche Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erforderlich, um aus den rund 150.000 Gesundheits-Apps, die auf dem Markt sind, jene herauszufinden, die auch sicher in der Anwendung sind und den Patientinnen und Patienten einen Nutzen bringen. Aspekte wie Sicherheit, Funktionstauglichkeit und Leistungsfähigkeit, aber auch Datensicherheit, Datenschutz und Barrierefreiheit sind nur einige Themen, die sich
das BfArM ansieht, bevor eine Anwendung in das zentrale DiGA-Verzeichnis aufgenommen
wird und die Kosten bei der Verschreibung übernommen werden. Der Hersteller darf im
ersten Jahr den Preis selbst festlegen. Digitale Gesundheitsanwendungen werden in Deutschland nach ICD10-Codes in Gruppen unterschieden und müssen einen medizinischen Nutzen sowie patientenrelevante Struktur- und Verfahrensverbesserungen aufweisen.

„Es lohnt sich nachzudenken, wie digitale Gesundheitsanwendungen eingesetzt werden
können, um die Eigenverantwortung und gesundheitsförderliches Verhalten zu stärken“, meint Univ.-Prof. Dr. Reinhard Riedl, Digital Health Expert und Vorstandsmitglied von PRAEVENIRE. Der häufig angeführte Datenschutz sei laut Riedl nicht die Herausforderung: „Vielmehr ist es die Angst, dass etwas ausgewertet wird, über das man nicht gerne spricht. Die Digitalisierung ermöglicht das schon, aber sie schafft auch bessere Evidenz über positive Entwicklungen.“

Primärversorgung statt Spital

Um Bürgerinnen und Bürger im Gesundheitssystem dorthin zu lotsen, wo die passende,
optimale und mitunter auch kostengünstigere Versorgung stattfinden kann, hätte Österreich
bis zum Jahr 2021 75 Primärversorgungseinheiten (PVE) errichten wollen. Sie arbeiten im
niedergelassenen Setting, haben aber – ähnlich wie Spitäler – ein breites Angebot unterschiedlicher Fachrichtungen. „Bisher gibt es lediglich 36 PVEs, es wäre gut hier mehr Druck zu machen und bessere Rahmenbedingungen zur Gründung zu schaffen. Der Zugang zu Medizin und zu Prävention wäre hier niederschwellig“, so Biach.

In diese Kerbe schlägt auch Dr. Erwin Rebhandl, Allgemeinmediziner und Gründer der
PVE Haslach. Er fordert, den extramuralen Bereich zu stärken: „Das geht am einfachsten
über die Förderung des Teamgedankens. Wir benötigen die Zusammenarbeit mit anderen
Gesundheitsberufen, um die vielen und neuen Aufgaben auch künftig bewältigen zu können.“
Die Allgemeinmedizinerinnen und -mediziner können im PVE als zentrale Drehscheibe das perfekte Angebot für Patientinnen und Patienten schnüren. „Wir müssen deutlich schneller werden, um neue PVEs auf den Weg zu bringen“, fordert auch Huss.

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