Üblicherweise kennen Branchen ihre Personalsituation sehr genau, wissen wie viele Personen mit welchen Qualifikationen in welchem Ausmaß für sie tätig sind. Nicht so im österreichischen Gesundheitsbereich. Zwar gibt es seit 2018 ein Gesundheitsberufe-Register, doch dies ist eher ein zahnloser Papiertiger als ein Cockpit zur Personalplanung und muss deshalb dringend verbessert werden, erläutert Dr. Bernhard Rupp die Haltung der Arbeiterkammer Niederösterreich.
Rainald Edel, MBA
Periskop-Redakteur
Seit 2006 ist Hon. Prof. (FH) Dr. Bernhard Rupp, MBA Leiter der Abteilung Gesundheitswesen und ArbeitnehmerInnenschutz der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Niederösterreich (AK NÖ). Als Gesundheitsexperte war er schon in den ersten Versuch vor zehn Jahren eingebunden, ein Gesundheitsberufe-Register auf den Weg zu bringen. Seitdem hat sich die Situation aus seiner Sicht nur marginal verbessert.
PERISKOP: Man sollte meinen, Österreich habe aus der Pandemie seine Lehren gezogen und seine Datenlage im Gesundheitsbereich verbessert. Wie aktuelle Medienberichte allerdings zeigen, tappt man beim Personal nach wie vor im Dunkeln. Wie wichtig sind diese Personaldaten aus dem Gesundheitsbereich?
RUPP: Um die Gesundheitsversorgung in Österreich aufrecht zu erhalten, ist eine effektive Personalbedarfsplanung unabdingbar. Genaue Prognosen sind angesichts der Veränderung der Arbeitswelt und des demografischen Wandels ohne belastbare Daten unmöglich zu treffen. Logische Quelle für diese Daten wäre das Gesundheitsberufe-Register, welches durch ständige Verzögerung einer Novellierung großteils ungenutzt bleibt, da die darin enthaltenen Informationen aus der Praxis heraus beurteilt, unzureichend und mangelhaft sind.
Wie entstand das heute gültige Gesundheitsberufe-Register?
Lange Jahre war Österreich bezüglich einer Übersicht der Berufsangehörigen im Gesundheitsbereich im Blindflug unterwegs. Der erste vernünftige Gesetzesentwurf dazu passierte erst 2013 beide Häuser des Parlaments. Was damals niemand bedacht hatte, war, dass wenn eine neue Bundesbehörde eingerichtet werden soll – die Arbeiterkammer ist diesbezüglich als Bundesbehörde zu sehen – haben die Länder ein Vetorecht. Von diesem haben nach dem Parlamentsbeschluss zwei Bundesländer Gebrauch gemacht, wodurch das Gesetz aus 2013 niemals in Kraft getreten ist. 2018 ist dann ein zweites Gesetz zum Gesundheitsberufe-Register vom Parlament verabschiedet worden und auch in Kraft getreten. Damit wurden zehn Berufe und später noch ein weiterer in das Beruferegister aufgenommen. Nur die Qualität und die Aussagekraft des Registers ist wesentlich schlechter, als der Gesetzesentwurf 2013 vorgesehen hätte. Das bedeutet, wir haben ein sehr löchriges Gesetz und sind dadurch „halbblind unterwegs“.
Um die Gesundheitsversorgung in Österreich aufrecht zu erhalten, ist eine effektive Personalbedarfsplanung unabdingbar. Basis dafür ist das Gesundheitsberufe-Register.
Bernhard Rupp
Welche Lücken zeigen sich im Speziellen?
Konkret bedeutet das, dass wir nicht wissen wie viele und vor allem wie qualifizierte Personen wir tatsächlich dem Gesundheitsbereich zur Verfügung stehen. Zwar müssen seit Juli 2018 Angehörige der Pflege- und -Berufe des Medizinisch-technische Dienste (MTD) in Österreich sowie seit Juli des Vorjahres auch die Operationstechnische Assistenz in das Gesundheitsberufe-Register eintragen, um berufsberechtigt zu sein, doch schafft dies nur einen Teilüberblick. Auf Grundlage des Registers war es erstmals möglich, die Anzahl, Geschlechterverhältnis, Qualifikationsstruktur, Einsatzgebiete, Tätigkeitsprofile und Altersverteilung in den betroffenen Gesundheitsberufen mit jeweils unterschiedlicher Schärfe abzubilden und damit erste wertvolle Daten für die dringend notwendigen Personalbedarfsanalysen zu liefern. Es bleiben jedoch weiterhin wichtige Fragen für eine sinnvolle Personalbedarfsplanung unbeantwortet.
Im Gegensatz zum heutigen Gesetz, beurteilen Sie den Ursprungsentwurf deutlich fortschrittlicher. Wie kam es zu der Änderung in der Qualität des Gesetzes?
Der erste Entwurf zum Gesundheitsberufe-Register sah die Arbeiterkammer als einzige Registerbehörde vor. Dagegen gab es allerdings Widerstand. Das liegt vor allem daran, dass die Berufsverbände der Pflege als auch die MDT-Berufe dieses Register grundsätzlich selbst führen wollten. Hingegen war das Bestreben der Arbeiterkammer, eine noch bessere Interessenvertretung für alle kammerzugehörigen Gesundheitsberufe werden zu wollen und wir uns deshalb um die Registerführung bemüht haben, um die Bedürfnisse unserer Mitglieder besser kennen zu können. Damit prallten Interessensgegensätze aufeinander. Die Gesundheitsberufe haben dann auf der politischen Ebene eine Blockade des Gesetzes 2013 erwirkt. Der eher als unambitioniert zu bezeichnende zweite Aufguss des Gesetzes, das dann 2018 in Kraft getreten ist, ist lückenhaft und erfüllt nicht die Anforderungen, die ein gutes Register erfüllen müsste. Deshalb gibt es aus Sicht der Arbeiterkammer den dringenden Bedarf einer Reparatur.
Was sind die vordringlichsten Probleme an dem derzeitigen Gesetz, die man mit einer Novellierung sanieren müsste?
Ohne regelmäßigen automatischen Abgleich der Registerdaten mit den Dienstverhältnisse-Daten des Dachverbandes der Sozialversicherungsträger können Häufigkeit der Dienstgeberwechsel, Verweildauer im Beruf und Mitarbeiterfluktuation nicht erfasst werden. Tendenzen vorherzusehen ist damit unmöglich. Durch die fehlende Arbeitszeiterhebung können vereinbarte Arbeitszeit, tatsächliche Arbeitszeit und Teilzeitquote nicht erhoben werden. Es liegen keine Daten über vorhandene Vollzeitäquivalente vor und eine dramatische Unterversorgung kann daher übersehen werden. Die Gesundheitsversorgung wird überdies auch zusätzlich von vielen Berufsgruppen gesichert, die noch nicht im Register aufgenommen wurden, z. B. den Medizinischen Assistenzberufen. Damit das Gesundheitssystem nicht durch einen Mangel in diesen Gesundheitsberufen gefährdet wird, muss das Register um weitere Berufsgruppen ergänzt werden. Da auch absolvierte Sonderausbildungen/Spezialisierungen nicht verpflichtend bekannt zu geben sind, existieren dazu keine zuverlässigen Daten über die Anzahl entsprechend ausgebildeter Spezialistinnen und Spezialisten. Diese Daten über Absolventinnen und Absolventen von Sonderausbildungen, insbesondere zur Intensivpflege, haben während der Coronapandemie schmerzlich gefehlt.
Durch die aktuelle Existenz zweier Registrierungsbehörden, die Bundesarbeitskammer und die Gesundheit Österreich GmbH (GÖG), kommt es zu einem überflüssig hohen Verwaltungsaufwand. Insbesondere FH-Absolventinnen und Absolventen, für deren Registrierung die GÖG zuständig ist, wechseln innerhalb kurzer Zeit mehrmals die Behörde, da aufgrund der höheren Verfügbarkeit der Antrag bei der AK gestellt, zur Registrierung an die GÖG weitergeleitet und nach Eintragung bei vorhandenen Dienstverhältnis an die AK zurückgeleitet wird. Eine Registrierung der FH-Absolventinnen und Absolventen durch die Arbeiterkammer würde nicht nur zu einer Verwaltungsvereinfachung, sondern auch zu einer Entlastung der GÖG führen, welche die freien Ressourcen zu Datenanalyse aus dem Register im Sinne einer besseren Personalbedarfsplanung nutzen könnte. Der Zugang zu anonymisierten Daten und Auswertungen aus dem Gesundheitsberuferegister ist aufgrund des aktuellen Gesundheitsberuferegister-Gesetzes zur Datenverarbeitung ohnedies stark eingeschränkt. Eine generelle Möglichkeit zur Abfrage von Datensätzen besteht nicht, was eine verbesserte Studienlage durch Dritte stark einschränkt bzw. unmöglich macht. Ohne eine umfassende Novelle des Gesetzes kann das Gesundheitsberufe-Register seine Bestimmung als präzises und sinnvolles Planungsinstrument der Gesundheitspolitik nicht ausreichend erfüllen.
Ohne eine umfassende Novelle des Gesetzes kann das Gesundheitsberufe-Register seine Bestimmung als präzises und sinnvolles Planungsinstrument der Gesundheitspolitik nicht ausreichend erfüllen.
Bernhard Rupp
Die Arbeiterkammer Niederösterreich hat zur Novellierung eine entsprechende Resolution verfasst und konkrete Änderungsvorschläge gemacht. Welche Punkte wurden angeregt?
Die Vollversammlung der AK Niederösterreich hat im Mai 2023 einstimmig den Bundesgesetzgeber aufgefordert, das Gesundheitsberuferegister-Gesetz in folgenden Punkten zu novellieren:
- Um im Gesetz tatsächlich die Gesundheitsberufe abzubilden, braucht es die Aufnahme folgender Berufsgruppen: Medizinische Assistenzberufe, Medizinischtechnischer Fachdienst, Kardiotechnischer Dienst, Zahnärztliche Assistenz, Medizinische Masseurinnen und Masseure sowie Heilmasseurinnen und Heilmasseure, Sanitäterinnen und Sanitäter, Medizinphysikerinnen und Medizinphysiker.
- Weiters braucht es eine gesetzliche Verpflichtung zum regelmäßigen automatischen Abgleich der Registerdaten mit den Dienstverhältnisse-Daten durch den Dachverband der Sozialversicherungsträger inklusive einer Erhebung der Arbeitszeit im Rahmen der monatlichen Beitragsgrundlage, für verlässliche und aktuelle Informationen über Beschäftigungsverhältnisse in Gesundheitsberufen.
- Sonderausbildungen/Spezialisierungen der Diplomkrankenpflegerinnen und -pfleger sollen zum verpflichtenden, qualitätsgesicherten und veröffentlichenden Eintrag werden.
- Die Arbeiterkammer soll, im Sinne einer ressourcenschonenden Verwaltungsvereinfachung, die für die FH-Absolventinnen und Absolventen zuständige Registrierungsbehörde werden.
- Die Ermöglichung versorgungspolitisch erforderlicher Analysen der Daten aus dem Gesundheitsberufe-Register im öffentlichen Interesse für alle wissenschaftlichen Einrichtungen im Sinn des Forschungsorganisationsgesetz.
Welche Priorität hat die Gesetzesreform?
Die politische Diskussion über die Anzahl von 70.000 bis 90.000 Pflegekräften, die wir bis 2030 benötigen werden, war ja erstmals auf Grund der Registerdaten möglich. Davor hätte die GÖG bzw. das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) das nicht einmal ansatzweise schätzen können, weil wir keine Daten hatten. Für eine seriöse Vorbereitung der Politik und auch der Finanzausgleichsverhandlungen muss klar sein, wieviel Budget und Personen wir haben, wieviel wir noch brauchen und auf welchem Qualifikationsniveau. Daraus leitet sich auch ab, welche Maßnahmen und Anstrengungen wir setzen müssen. Dazu benötigen wir diese Daten. Das zeigt: Ohne Registerdaten ist eine vernünftige Planung der Versorgungssicherheit der Bevölkerung nicht möglich.
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