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BVSHOE: Die demokratisch legitimierte Patientenstimme

BVSHOE: Die demokratisch legitimierte Patientenstimme

Das Jahr 2023 hat viel Bewegung in den Gesundheitsbereich gebracht. So setzte die Bundesregierung eine Pflegereform, eine Gesundheitsreform um und verhandelte einen neuen Finanzausgleich. Während manche Stakeholder sich massiv in die Medien drängten oder aus anderen Gründen die Schlagzeilen beherrschten und von allen Seiten betont wurde, wie wichtig die Menschen seien, bleibt eine Stimme meist unerwähnt: die der Patientinnen und Patienten. PERISKOP sprach mit der Präsidentin des Bundesverbandes Selbsthilfe Österreich – Die Patientenstimme (BVSHOE), in welchen Bereichen die Anliegen der Patientinnen und Patienten künftig mehr Gewicht in der öffentlichen Debatte und dem Gesetzgebungsprozess bekommen müssen und wo es im internationalen Vergleich noch Verbesserungspotenzial gibt.

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Rainald Edel, MBA

Periskop-Redakteur

Dass der Mensch im Mittelpunkt des Gesundheitssystems stehen muss, ist nicht nur der Leitsatz der unabhängigen Gesundheitsplattform PRAEVENIRE, sondern durchaus auch allgemeingesellschaftlicher Konsens. Sieht man sich allerdings die Gesundheitspolitik aber auch die Handlungsweise diverser Stakeholder und die gelebte Praxis im Detail an, sind Patientinnen und Patienten von einer gleichberechtigen Teilhabe und Mitbestimmung an wesentlichen (Richtungs-)Entscheidungen im Gesundheitssystem nach wie vor weitgehend ausgeschlossen oder werden öffentlich kaum wahrgenommen. Zwar nehmen Politikerinnen und Politiker aber auch Repräsentanten anderer Stakeholdergruppen im Gesundheitsbereich gerne für sich in Anspruch „im Namen der Patientinnen und Patienten“ zu sprechen, doch fehlt ihnen dafür letztlich die Legitimation.

Meilenstein Gründung des BVSHOE

„Bis vor fünf Jahren gab es de facto keine koordinierte und verankerte Patientenstimme in Österreich“, schildert Angelika Widhalm, Präsidentin des Bundesverbandes Selbsthilfe Österreich – Die Patientenstimme. Zwar gab es in der Vergangenheit immer wieder Überlegungen und Initiativen der Patientenstimme mehr Gehör zu verschaffen sowie das Potential der in Selbsthilfegruppen organisierten Patientinnen und Patienten zu nützen, doch beschränkte sich dies auf die Förderungen einzelner Projekte der Selbsthilfe- und Patientenorganisationen. Eine deutliche Wende brachte 2018 die Etablierung des BVSHOE durch den Dachverband der Sozialversicherungsträger und das Gesundheitsministerium als Sprachrohr und Koordinator der übergeordneten Anliegen der einzelnen Selbsthilfe- und Patientenorganisationen. „Als starke Stimme für Patientinnen und Patienten bündeln wir die übergeordneten Patientenanliegen, bringen sie bei den entsprechenden Stellen des Gesundheits- und Sozialsystems und anderen involvierten Organisationen bzw. Stakeholdern vor und verfolgen diese, damit es zu einer Erledigung kommt“, fasst Widhalm eine der Hauptaufgaben des Bundesverbandes zusammen. Hinzu kommt, dass dem BVSHOE auch Parteistellung eingeräumt wurde, womit er nicht nur die Möglichkeit zur Stellungnahme bei Gesetzen und Verordnungen mit Gesundheits- und Patientenbezug hat, sondern auch in vielen Gremien zum Beispiel des Ministeriums und der Sozialversicherungen vertreten ist. „In der medialen Berichterstattung werden wir fälschlicherweise gerne mit den Pflege- und Patientenanwaltschaften der Länder in einen Topf geworfen“, so Widhalm. Dies führe zu Irritationen und Missverständnissen. Denn die Aufgabe der Pflege- und Patientenanwaltschaften sei es, bei Missständen der betroffenen Person zu ihrem Recht zu verhelfen und zu vermitteln. „Der Bundesverband vertritt als unabhängige, weisungsfreie Institution die Interessen aller Patientinnen und Patienten“, betont Widhalm. Hinzu kommt, dass der Vorstand des Bundesverbandes demokratisch gewählt wird.

Als unabhängige, weisungsfreie demokratisch legitimierte Institution vertritt der Bundesverband die Interessen der Patientinnen und Patienten. Er bündelt die übergeordneten Patientenanliegen und bringt sie bei den entsprechenden Stellen vor.

Patientenstimme wird kleingehalten

Welchen Stellenwert die öffentliche Hand der Vertretung der Patientinnen und Patienten tatsächlich einräumt, lässt sich anhand der zur Verfügung gestellten Mitteln ablesen. „Mit der Gründung einher ging eine laufende Finanzierung des BVSHOE durch den Dachverband der Sozialversicherungsträger und das Gesundheitsministerium (BMSGPK). Allerdings beschränkt sich die Summe auf einen niedrigen sechsstelligen Betrag, der seit der Gründung nicht mehr valorisiert wurde“, klagt Widhalm. Eine Finanzierung über Drittmittel, beispielsweise Seitens der Wirtschaft, ist ausgeschlossen. „Die Arbeit der Vorstände in Selbsthilfe- und Patientenorganisationen sowie in den meisten Dachorganisationen wie zum Beispiel im BVSHOE und Pro Rare Austria erfolgt ehrenamtlich. Aber man braucht auch professionelle Leistungen, die entsprechend bezahlt werden müssen. Wenn man die Vielzahl an Aufgaben, Sitzungen etc. bedenkt, muss man sich das Engagement erst einmal leisten können“, so Widhalm. Abgesehen davon lassen die schmalen finanziellen Mittel nur wenige Möglichkeiten, beispielsweise in der Öffentlichkeitsarbeit, wodurch die Patientenstimme institutionell kleingehalten werde.

© LUDWIG SCHEDL

Bessere Rahmenbedingungen gefordert

„Anhand unserer Partnerorganisationen und vergleichbarer Patienten-Einrichtungen in Europa sehen wir, dass es wesentlich bessere Finanzierungsstrukturen gibt, die der Patientenstimme deutlich mehr finanziellen Spielraum geben und damit diesen Organisationen auch mehr Wertschätzung zollen“, betont Widhalm. Als Beispiel, wie eine unabhängige und breite Finanzierung von Selbsthilfe- und Patientenorganisationen erfolgen kann, nennt sie Deutschland. Denn in unserem Nachbarland sind die Krankenkassen und ihre Verbände gesetzlich dazu verpflichtet, für die Förderung der gesundheitsbezogenen Selbsthilfe in Selbsthilfegruppen und Selbsthilfeorganisationen, pro versicherter Person einen bestimmten Betrag zur Verfügung zu stellen. „Ich kann der Idee, die Finanzierung auf Basis eines Versichertenschlüssels festzulegen, durchaus etwas abgewinnen. Zu kurz greifen würde allerdings eine simple Kopie des deutschen Modells. Wir brauchen eine Regelung, die den österreichischen Verhältnissen gerecht wird“, betont Widhalm. Hier seien die Erfahrungen und Ideen auch anderer Länder einzubeziehen, um ein zukunftsweisendes Modell zu entwickeln.

„Um der Patientenstimme Gewicht zu verleihen und deren Einbindung ernst zu nehmen, braucht es eine formalisierte Patientenbeteiligung in Form eines Beteiligungsgesetzes, das der Patientenseite Sitz und Stimme in allen relevanten Entscheidungsgremien auf Bundes- und Landesebene einräumt“, fordert Widhalm. Denn derzeit erfolge die Einladung zu Sitzungen meist auf Wohlwollen und Gutdünken der jeweiligen Körperschaft und Institution und man hat – wenn überhaupt – nur beratende Stimme. Ebenso braucht es eine klare Einteilung in welchen Entscheidungsgremien die Patientenseite vertreten sein muss. „die Patientenvertretung muss auf Bundes- und Länderebene zumindest in all jenen Gremien und Institutionen vertreten sein, in denen sie auch auf EU-Ebene bereits implementiert ist. Die EU gibt vor, dass in allen Entscheidungsgremien demokratisch gewählte Patientenvertreter Sitz und Stimme haben müssen“, so Widhalm.

Um der Patientenstimme Gewicht zu verleihen und deren Einbindung ernst zu nehmen, braucht es eine formalisierte Patientenbeteiligung in Form eines Beteiligungsgesetzes, das der Patientenseite Sitz und Stimme in allen relevanten Entscheidungsgremien auf Bundes- und Landesebene einräumt.

Als Zeichen der Wertschätzung den Patientinnen und Patienten gegenüber müsse auch das Ungleichgewicht in der Transparenz behoben werden. Während die Selbsthilfe- und Patientenorganisationen, um überhaupt anerkannt und förderwürdig zu sein, zu völliger Transparenz angehalten sind, werden Entscheidungen im Gesundheitssystem nach wie vor hinter verschlossenen Türen ohne Begründung und Rechtfertigung getroffen. Hier hoffe man, dass das von der Bundesregierung nun verabschiedete Informationsfreiheitsgesetz zu einem Paradigmenwechsel führt, der auch den Patientinnen und Patienten zugutekommt.

In der praktischen Arbeit werden Selbsthilfe- und Patientenorganisationen in Österreich durch den §51 des Arzneimittelgesetzes, der die Laienwerbung regelt, behindert. Denn dieser legt für Vertreter des Gesundheitswesens und pharmazeutische Unternehmen fest, welche Informationen diese an die Öffentlichkeit geben dürfen. Wie eine vom BVSHOE initiierte Studie zum „Informationsbedarf und -beschaffung von Patientenorganisationen in Österreich“ aus 2020 klar aufzeigt, stellen Fachärztinnen und Fachärzte für Patientenorganisationen die wichtigste Informationsquelle dar, Pharmaunternehmen rangieren auf Platz zwei, gefolgt von Universitäten auf Platz drei. Ebenso haben Fachkongresse, wissenschaftliche Tagungen und Fachliteratur für Patientenvertreterinnen und Patientenvertreter einen hohen Stellenwert. Allerdings wird ihnen auf Grundlage des § 51 AMG oftmals der Zugang zu diesen wichtigen Informationsquellen versagt. „Patientenvertreterinnen und -vertreter sind in der jeweiligen Indikationsrichtung hochspezialisierte Personen, die eine wichtige Funktion in der Vermittlung von Wissen über die jeweilige Erkrankung zu anderen betroffenen Personen haben. Ebenso haben Selbsthilfe- und Patientenorganisationen eine wichtige Feedbackfunktion für die Forschung. Patientenselbsthilfe lebt vom Wissen und dem Austausch mit den besten Fachleuten. Daher müssen die Angehörigen der Selbsthilfe- und Patientenvertretung vom §51 AMG ausgenommen werden sowie in der Informationsgewinnung und der Teilhabe an medizinischen Tagungen dem medizinischen Fachpersonal gleichgestellt werden, wie es international seit Jahren anerkannt und gelebt wird“, fordert Widhalm.

Aktive Stimme der Patientinnen und Patienten

Wie notwendig eine gewichtige Stimme der Patientinnen und Patienten und deren obligatorische Einbindung ist, zeigt die von der Bundesregierung im Rahmen der Gesundheitsreform durchgepeitschte Änderung des Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetzes (KaKuG). Denn ohne Einbindung des BVSHOE und gegen die klaren Bedenken seitens der Patientenseite und anderer Akteure im Gesundheitswesen, wie Ärzteschaft, Fachgesellschaften, Pro Rare Austria, etc. wurde ein Bewertungsboard für ausgewählte Arzneimittelspezialitäten gesetzlich verankert. „Auch wenn sich der Gesundheitsminister gegenüber Medien gerne zum ,Anwalt der Patienten´ stilisiert, sobald es tatsächlich notwendig wäre, im Sinne der Patientinnen und Patienten zu handeln und auf deren Anliegen zu hören, wird dies ignoriert“, schildert Widhalm. Nachdem ein offener Brief des BVSHOE an den Bundesminister wenig Wirkung zeigte, der Minister einen Runden Tisch zur Aussprache mit kritischen Stakeholdern im Gesundheitsbereich erst Wochen nach dem Gesetzesbeschluss ansetzte, mobilisierte der Bundesverband im Dezember die Volksanwaltschaft, um eine Änderung des Gesetzes zu bewirken (siehe Faksimile).

Auch wenn die Rahmenbedingungen noch nicht optimal sind, setzen wir alles daran, der Stimme der Patientinnen und Patienten Gehör zu verschaffen und suchen proaktiv gute Lösungen zu erzielen.

„Auch wenn die Rahmenbedingungen noch nicht optimal sind, setzen wir alles daran, der Stimme der Patientinnen und Patienten Gehör zu verschaffen und suchen, proaktiv gute Lösungen zu erzielen. Denn in einem demokratischen Land wie Österreich, ist es unabdingbar, dass Betroffene eine Stimme haben und nicht über ihren Kopf hinweg entschieden wird“, gibt sich Widhalm kämpferisch.

Ausblick

Für das nächste Jahr habe man sich vorgenommen noch stärker auf Öffentlichkeitsarbeit zu setzen und die Awareness für Selbsthilfe- und Patientenorganisationen zu stärken. So werde man beispielsweise das erfolgreiche Podcast-Format weiter fortsetzen. Ein besonderes Highlight im kommenden Jahr wird der „1. Kongress der Selbsthilfe- und Patientenorganisationen“ sein. „Wir planen bereits dieses Event und werden ein attraktives Programm mit interessanten Vorträgen, hochkarätigen Rednerinnen und Rednern sowie der Möglichkeit der aktiven Teilnahme in Form von Workshops zusammenstellen. Wir sind überzeugt, dass dies eine gute Gelegenheit sein wird sowohl für Personen aus Selbsthilfe- und Patientenorganisationen als auch für Stakeholder aus dem Gesundheitsbereich einander zu begegnen und auszutauschen“, kündigt Widhalm an.

Aus diesem Grund hat sich vidaflex entschlossen, die Gemeinwohlplattform www.betreuerinnen.at ins Leben zu rufen. Diese bietet faire, sichere, transparente und schnelle Vermittlung von 24-Stunden-Betreuung für zu Betreuende und deren Angehörige sowie auch für 24-Stunden Betreuerinnen und Betreuern an.

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