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Patientenstimme gesetzlich verankern und solide finanzieren

Gruppenfoto
© Mirjam Reither

Patientenstimme gesetzlich verankern und solide finanzieren

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Im Jahr 2018 wurde der Bundesverband der Selbsthilfe Österreich (BVSHOE) aus der Taufe gehoben. Dessen Vorstand wurde heuer im Frühjahr wiedergewählt. PERISKOP sprach mit der Vorsitzenden Angelika Widhalm, der stellvertreten- den Vorsitzenden Waltraud Duven sowie mit der neu bestellten Geschäftsführerin Mag. (FH) Sabine Röhrenbacher, über Anliegen, Ziele und Pläne des Bundesverbandes.

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Rainald Edel, MBA

Periskop-Redakteur

In Österreich gibt es rund 1.700 Selbsthilfegruppen und -organisationen, von denen 80 österreichweit tätig sind und die Kriterien einer Mitgliedschaft erfüllen. Der BVSHOE hat 36 Mitgliedsorganisationen, weitere zwölf Organisationen sind ihm als Mitgliedsinteressierte in enger Assoziation verbunden. Der Vorstand des BVSHOE ist ehrenamtlich tätig.

PERISKOP: Den BVSHOE gibt es seit nunmehr fünf Jahren, wo liegen dessen Aufgaben und Schwerpunkte?

RÖHRENBACHER: Unsere Hauptaufgabe ist die Patientenorganisationsvertretung mit dem Ziel der Stärkung der Selbsthilfe in Österreich. Dazu gehört auch, die Vernetzung der Patientenorganisationen und deren Anliegen als Drehscheibe in das Gesundheitssystem einzubringen und wichtige Informationen aus diesem an die Mitglieder weiterzuleiten. 

WIDHALM: Als starke Stimme für Patientinnen und Patienten bündeln wir die übergeordneten Patientenanliegen unserer Mitgliedsorganisationen und Mitgliedsinteressierten, bringen sie bei den entsprechenden Stellen des Gesundheits- und Sozialsystems und anderen involvierten Organisationen bzw. Stakeholdern vor und verfolgen diese, damit es zu einer Erledigung kommt. Das können je nach Thema die Sozialversicherungen, aber auch die Ärztekammer oder bei sozial- und arbeitsrechtlichen Problemen die Arbeiter- und Wirtschaftskammer sein. Wir haben auch Parteistellung, bekommen alle relevanten Gesetze und Verordnung zur Stellungnahme und sitzen in allen relevanten Gremien des Ministeriums und der Sozialversicherungen. Seit Neuestem wurden wir beispielsweise als einzige Patientenvertretung in den ELGA-Nutzerbeirat berufen. 

DUVEN: Wir nehmen uns nicht nur der Probleme der Patientinnen und Patienten an, sondern kümmern uns auch um die Anliegen der Menschen, die sich in der Selbsthilfe engagieren und arbeiten, beispielsweise damit diese ihre Arbeiten für die Selbsthilfe- und Patientenorganisationen besser erledigen können. Eine große Aufgabe ist auch, dass die Selbsthilfe für die Öffentlichkeit sichtbar wird. Dazu haben wir eine erfolgreiche Awareness- und Imagekampagne mit einem Imagefilm als Herzstück gelauncht und im Vorjahr die erste Staffel unseres Podcast begonnen, dessen Reichweite ständig zunimmt.

Wir konnten ein tragfähiges Vertrauensverhältnis zu den Playern im Gesundheitsbereich aufbauen und uns als verbindlicher Partner mit Handschlagqualität positionieren.

Was waren im Verlauf der ersten fünf Jahre Highlights, die Sie erreichen konnten?

WIDHALM: Wir haben sehr bald Themen herausgearbeitet, die relevant waren, so den besseren Zusammenschluss und die Kommunikation untereinander, aber auch die Verankerung der Selbsthilfe- und Patientenorganisationsarbeit im gesetzlichen Bereich. Das kann aber nur gelingen, wenn es eine entsprechende Basisfinanzierung gibt. Gelungen ist uns, dass die Selbsthilfe in Österreich als mittlerweile nicht mehr wegzudenkendes fixes Standbein im Gesundheits- und Sozialsystem anerkannt ist. Man hat erkannt, dass wir viele ergänzende Aufgaben im Gesundheits- und Sozialsystem zum Wohle der Patientinnen und Patienten übernehmen und umgekehrt diese wertvolle Patientensicht ins System einbringen. Das ist wichtig.

HRENBACHER: Es ist gelungen, die Zusammenarbeit der traditionell als Einzelkämpfer auftretenden Selbsthilfe- und Patientenorganisationen zu fördern und eine Stimmung der gegenseitigen Unterstützung und des Zusammenhalts zu schaffen. Auch bezüglich der zuvor angesprochenen Arbeit in den Gremien ist zu bemerken, dass wir mittlerweile als starker Partner wahrgenommen und zur Mitarbeit eingeladen werden. Auch der Weg zu einem patientenzentrierten Gesundheitssystem, die Patienten- und Bürgerbeteiligung, hat sich in den letzten Jahren stark zum Positiven gewandelt.

DUVEN: Ein wirkliches Leuchtturmprojekt war auch unsere Arbeit im Bereich ELGA, die wir seit Beginn angestrebt haben. Auch dass es uns gelungen ist, ein gutes tragfähiges Vertrauensverhältnis zu den Playern im Gesundheits- und Sozialbereich aufzubauen und uns als verbindlicher Partner mit Handschlagqualität zu positionieren.

Der Vorstand der BVSHOE ist ein für fünf Jahre gewähltes Gremium, das ehrenamtlich tätig ist. Sie wurden in Ihren Funktionen als Vorsitzende und stellvertretende Vorsitzende heuer bestätigt. Zudem wurde beschlossen, das Büro durch Sie, Frau Röhrenbacher, als Geschäftsführerin weiter zu professionalisieren. Was waren die Gründe, warum man die Organisation nach fünf Jahren nachgeschärft hat?

DUVEN: Sicher einer der Gründe war, dass wir in den ersten Jahren enorm viel dazugelernt haben, auch wenn wir schon zuvor Jahrzehnte in Selbsthilfeorganisationen tätig waren. Man darf auch nicht vergessen, dass wir im Vorstand alle als Betroffene aus Selbsthilfe- und Patientenorganisationen kommen und chronisch krank sind. Daher kann es auch passieren, dass man aus Krankheitsgründen ausfällt oder es nicht mehr schafft, sich aktiv einzubringen. Die Arbeit in Gremien im In- und Ausland kostet auch Kraft. Daher kam der Punkt, wo wir gesehen haben, dass wir zusätzlich eine breitere Außenvertretung brauchen.

RÖHRENBACHER: Zuvor war ich fast seit Gründung des BVSHOE als Leiterin für das Büro und die Kommunikation zuständig, da gerade am Anfang die Öffentlichkeitsarbeit besonders wichtig war.

WIDHALM: Jetzt ist der Punkt gekommen, noch einen Schritt weiterzugehen und ähnlich wie die meisten anderen Organisationen und Verbände eine Geschäftsführung zu implementieren. So aufgestellt, wollen wir die begonnenen Projekte noch professioneller vorantreiben, den erfolgreichen Kurs fortsetzen und noch schlagkräftiger werden.

Wir wollen die begonnenen Projekte noch professioneller vorantreiben, den erfolgreichen Kurs fortsetzen und noch schlagkräftiger werden.

Welche Herausforderungen stellen sich dem Verband, welche Ziele für die Zukunft hat man sich gesetzt?

WIDHALM: Ein großes Thema in der Selbsthilfe und bei Patientenorgansiationen ist die Nachfolge. Da die Arbeit in Selbsthilfe- und Patientenorganisationen ehrenamtlich und freiwillig geschieht, muss man sich das Engagement auch leisten können. Deswegen sind die zuvor erwähnte Formalisierung im Beteiligungsgesetz sowie die ausreichende Finanzierung so wichtig. Wir werden die PR und Kommunikation in den nächsten fünf Jahren weiter ausbauen, stärken und intensivieren müssen. Denn mein großes Ziel ist, dass in fünf Jahren in jeder Ordination, Ambulanz, Spital oder sonstigen Gesundheitseinrichtung Informationen zu Selbsthilfe- und Patientenorganisationen zu finden sind und jede Österreicherin, jeder Österreicher weiß, dass es solche Organisationen gibt und was sie tun. Durch die US-Filmindustrie ist leider das Wort Selbsthilfe in Österreich negativ besetzt. Dadurch glauben viele Menschen, das brauchen sie nicht, dazu sei ihr Zustand noch viel zu gut. Das ist ein Irrglaube. Denn je früher man Selbsthilfe- und Patientenorganisationen einbindet, umso früher und besser ist die Patientin, der Patient versorgt und wird in der Patient-Journey unterstützt. Diese komplizierten Wege durch das Gesundheits- und Sozialsystem kennen Patientenorganisationen aus Erfahrung. Das Wissen um Gesundheit sowie Selbsthilfe- und Patientenorganisationen muss daher schon ab der Volksschule gelehrt werden und muss sich auch in den Curricula des Medizinstudiums und der (akademischen) Ausbildung von Gesundheitsberufen wiederfinden.

DUVEN: Wir wollen in den nächsten Jahren auch die Menschen in Österreich in ihrer Gesundheitskompetenz stärken insbesondere bei den Patientenrechten braucht es noch einige Aufklärungsarbeit.

Wir brauchen ein gesetzlich geregeltes Mitspracherecht und eine solide Finanzierung, ähnlich dem deutschen Modell.

Braucht es auch eine Änderung der gesetzlichen und finanziellen Rahmenbedingungen zur Stärkung der Selbsthilfe- und Patientenorganisationen in Österreich?

WIDHALM: Mit ein Grund, warum Österreich der europäischen Entwicklung hinterherhinkt, ist auch die mangelnde finanzielle Ausstattung der Selbsthilfe- und Patientenorganisationen. Daher brauchen wir in Österreich sowohl ein gesetzlich geregeltes Mitspracherecht in allen Belangen des Gesundheits- und Sozialwesens als auch eine solide Finanzierung, ähnlich dem deutschen Modell.

DUVEN: In Deutschland sind die Krankenkassen und ihre Verbände gesetzlich dazu verpflichtet, für die Förderung der gesundheitsbezogenen Selbsthilfe in Selbsthilfegruppen, Selbsthilfeorganisationen finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen, wobei es neben einer Basis- auch eine Projektförderung gibt. Damit kann man eine große und schlagkräftige Organisation aufbauen und auch halten.

WIDHALM: Als Bundesverband ist unsere Ansprechebene die Bundesebene, mit Ministerien, Sozialversicherung, Arbeiter- und Wirtschaftskammer. Die Gesundheit ist Landessache. Es gibt zwar derzeit für Selbsthilfe- und Patientenorganisationen Förderungen auf unterschiedlichen Ebenen, allerdings muss man oft, wenn man öffentliche Gelder in Anspruch nimmt, auf andere Unterstützungsleistungen, beispielsweise der Industrie, verzichten. Damit müssen sich die Organisationen zwischen öffentlichen Fördergebern und Industriesponsoring entscheiden. Dadurch werden Abhängigkeiten geschaffen. 

RÖHRENBACHER: Die Selbsthilfe in Österreich will unabhängiger werden. Auch die noch größere Transparenz ist ein wichtiges Thema und Ziel, das wir uns gesetzt haben.

WIDHALM: Eine Regelung, ähnlich wie in Deutschland, würde die Finanzierung der Selbsthilfe- und Patientenorganisationen von der Bundesebene bis zur kleinsten Organisation abdecken und ausreichend Mittel zur Verfügung stellen, damit die Erfahrungsexpertise zum Wohle aller ins System eingebracht werden kann. Nur so können wir zu einem patientenzentrierten Gesundheits- und Sozialsystem kommen.

Info Box: Gesunde Leber

Die Leber ist das zentrale Gesundheitsorgan, durch das alle anderen inneren Organe beeinflusst werden. Das betrifft den kardiovaskulären Bereich genauso wie den gastroenterologischen und viele weitere. Wenn wir schauen, dass die Leber gesund bleibt, ersparen wir uns 80 Prozent der Diabeteserkrankten in zehn Jahren. Von allen Lebererkrankungen ist die Fettleber in den Industrieländern das Top-Thema und die Hauptursache für Lebertransplantationen. Die Fettleber und die dramatischen Folgen werden anfangs nicht ernst genommen, unterschätzt und so meist zu spät diagnostiziert. Es gibt bislang nur wenige Therapieoptionen. Die Ursache für die Verfettung der Leber ist der Abbau von Fruktose, der zur Bildung von Triglyzeriden führt, welche in der Leber und im Fettgewebe abgelagert werden. Durch zu viel Fruktose steigen die Risiken für Diabetes und Leberkrebs. Durch Umstellung der Ernährung auf „gesunde“, nicht industriell gefertigte Nahrungsmittel, möglichst wenig Alkohol und ausreichend Bewegung kann jeder Mensch dem Risiko, eine Fettleber zu entwickeln, und den damit verbundenen dramatischen Folgeerkrankungen entgegenwirken.

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