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Zukunftsszenarien zu SARS-CoV-2 und COVID-19-Impfungen

Sebastian Krammer

Zukunftsszenarien zu SARS-CoV-2 und COVID-19-Impfungen

Sebastian Krammer

Während die Omikron-Welle BA.1 weltweit noch für viele Todesfälle verantwortlich war, sind diese in der BA.2-welle deutlich am Absinken - in den meisten Bundesländern wurden die Corona-Maßnahmen daher fast vollständig aufgehoben. doch gebannt ist die Situation deshalb noch nicht, wie Univ.-Prof. Dr. Florian Krammer von der Icahn School of Medicine at Mount Sinai, New York, in seinem Vortrag bei den Gesundheitstagen im Stift Seitenstetten ausführte.

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Rainald Edel, MBA

Periskop-Redakteur

Mit Stand Mitte Mai 2022 gab es weltweit rund 6,3 Millionen COVID-19-Tote. Allerdings dürfte die Dunkelziffer um einiges höher liegen, wie Florian Krammer in seinem Online-Vortrag bei den PRAEVENIRE Gesundheitstagen erläuterte. Denn schon Studien, die Ende 2021 publiziert wurden, schätzten die tatsächliche Anzahl der Todesfälle auf ungefähr 18 Millionen.

Verhältnismäßig früh im Pandemieverlauf wurden Impfstoffe entwickelt, um Menschen vor COVID-19 – und insbesondere vor schweren Verläufen – zu schützen. Mittlerweile sind in Europa fünf Impfstoffe zugelassen. Allerdings ist deren Wirksamkeitsrate, vor allem gegenüber einer Ansteckung durch das Auftauchen neuer Virus-Varianten, zurückgegangen. Der Grund: Speziell bei der Omikron-Variante haben sich die Bindungsstellen für neutralisierende Antikörper massiv verändert, was in Kombination mit deren hoher Infektiosität zu einer großen Herausforderung führt. Denn die Zweifachimpfung bietet wenig bis gar keinen Schutz vor Infektionen mit Omikron – nach wie vor gegeben ist jedoch ein Schutz vor schweren Verläufen. Eine dritte Impfung, die sogenannte Booster-Dosis, bietet zwar Schutz vor Infektionen, allerdings nimmt dieser relativ rasch ab. „Wir sehen auch, dass Re-Infektionen sehr häufig sind. Das heißt, eine Infektion mit anderen Varianten schützt nicht vor eine Ansteckung mit Omikron“, so Krammer. Zu beobachten ist, dass Omikron generell seltener schwere Infektionen als die Delta-Variante hervorruft. Die Reduktion liegt in etwa bei 70 Prozent und bringt Omikron ungefähr auf die Pathogenität der Alpha-Variante. „Was allerdings nicht heißt, dass Omikron-Infektionen nicht tödlich enden können“, warnte Krammer.

Personen, die nicht geimpft sind, bzw. keine vorherige Infektion durchgemacht haben, entwickeln eine relativ Omikron-spezifische Immunität. „Wahrscheinlich sind diese vor künftigen Varianten nicht geschützt“, so Krammer. Wie sich eine Omikron-Infektion auswirken kann, zeigte Krammer am Beispiel von Hongkong und Neuseeland. Beide Länder hatten es geschafft, sich vor Infektionswellen zu schützen – bis zum Ausbruch von Omikron. Diese Variante hat in beiden Ländern zu hohen Infektionszahlen geführt. Große Unterschiede zeigten sich allerdings in der Mortalität. Während in Hongkong die Altersgruppe 80+ nur zu 30 Prozent geschützt war, und hohe Todesfallzahlen zu verzeichnen waren, stiegen in Neuseeland, wo die Bevölkerung in der gleichen Altersgruppe zu fast 100 Prozent geimpft war, die Todesfälle in einem deutlich geringeren Maße an.

 

Weiterentwicklung des Virus

Bei vielen Virusarten verläuft die Entwicklung relativ linear. Das bedeutet umgekehrt, dass eine Anpassung des Impfstoffes relativ einfach ist. Bei manchen Viren, wie beispielsweise Influenza-B, teilt sich die Entwicklung in zwei evolutionäre Linien auf, die allerdings ebenfalls einen jeweils linearen Verlauf nehmen. Auch in diesem Fall ist es laut Krammer relativ einfach, Impfstoffe anzupassen. Die dritte Variante wäre ein chaotischer Verlauf, wie er beispielsweise bei Influenza H3N2 vorkommt. In diesem Fall ist es sehr schwierig, Impfstoffe anzupassen. Auch bei SARS-CoV-2 lag eine derart chaotische Entwicklung vor. Alle Mutationen entwickeln sich aus der Ursprungsvariante und bauen nicht aufeinander auf. „Wir vermuten, dass Varianten in Personen mit einem schwachen Immunsystem entstehen bzw. bei solchen, die immunsupprimiert sind, und in denen das Virus über lange Zeit wachsen kann und die gleichzeitig einem Immundruck ausgesetzt sind. Das macht es schwierig, Vorhersagen im Hinblick auf die nächste Variante zu treffen. Momentan kämpfen wir mit Omikron, auch dieser Zweig hat sich in verschiedene Linien, BA.1, BA.2 sowie BA.4 und BA.5 bzw. Rekombinanten aufgespalten. Aufgrund der hohen Diversität ist es schwierig, die weitere Entwicklung vorherzusagen.

Szenario für die Zukunft

„Wir haben gesehen, dass SARS-CoV-2 eine Saisonalität aufweist und es sowohl auf der Nord- als auch auf der Südhalbkugel vermehrt zu Ausbrüchen im Winter kommt. Ein Phänomen das auch bei anderen Viren, die Erkältungen oder respiratorische Infektionen hervorrufen, vorhanden ist.“

Hier gibt es zwei Beispiele. Humane Coronaviren, von denen vier verbreitet sind. Diese rufen saisonale Epidemien mit milden Krankheitsverläufen hervor, gegen die keine Impfung notwendig ist. Das andere Extrem sind Influenzaviren, die ebenfalls saisonal im Winter auftreten, allerdings eine substanzielle Anzahl an schweren Erkrankungen auslösen und gegen die es eine jährliche Impfung braucht. „Die Frage wird sein, wo SARS-CoV-2 künftig einzuordnen ist – näher an den humanen Coronaviren oder an den Influenzaviren. Je nachdem wird das Virus ein kleineres oder ein größeres Problem darstellen“, so Krammer. Diese Vorhersage könne man zu jetzigem Zeitpunkt noch nicht treffen.

Ausblick auf die Impfstoffe

„Variantenimpfstoffe waren schon im Jänner 2022 fertig, allerdings gestaltete sich der Weg zur Zulassung nicht so einfach“, so Krammer. Es mussten klinische Studien durchgeführt werden. Moderna war hier schneller; die Daten zu einem Omikron-spezifischen und einem bivalenten Booster-Impfstoff sollten bald zur Verfügung stehen. Für den Booster-Impfstoff von BioNTech/Pfizer rechnet Krammer im Sommer mit Daten. Das Problem ist, dass noch nicht klar ist, ob und wann diese Impfstoffe zugelassen werden. „Wir haben hier keine gute Strategie, was die Zulassungsbehörden betrifft. Bei Influenza kann man einfach den Stamm ändern und den Impfstoff einsetzen. Im Fall von SARS-CoV-2 gibt es diese Strategie noch nicht – daher dauert es länger.“ 

Das zweite Problem ist, dass alle momentan verwendeten Impfstoffe injiziert werden müssen und keine starke mukosale Immunantwort auslösen. Wenn man sich mit dem Virus infiziert, dann landet es zumeist auf den oberen Atemwegen und wandert von dort in die Lunge. Eine intramuskuläre Impfung schützt die oberen Atemwege nur schlecht. Sie schützt die Lunge und man hat viele zirkulierende Antikörper, aber die oberen Atemwege sind nicht gestützt. Dadurch kommt es zu Durchbruchsinfektionen. Was man brauchen würde, wäre eine intranasale oder eine mukosale Impfung, die man oral verabreichen kann, und die zu einer starken Immunantwort in den oberen Atemwegen führt. Damit könnte das Virus, wenn es auf die oberen Atemwege trifft, gar keine Infektion auslösen, sondern würde gleich abgetötet werden. Dies funktioniere mit den momentan vorhandenen Impfstoffen nicht. „Zwar ist eine große Anzahl intranasaler Impfstoffe in Entwicklung, allerdings befinden sich viele davon erst in einem frühen Stadium. Und jene Präparate, die sich schon ein einer klinischen Phase-3 befinden, stammen aus außereuropäischen Ländern, wie etwa Indien, sodass nicht zu erwarten ist, dass diese rasch auch in Europa zugelassen werden“, schilderte Krammer. Zur Frage der vierten Impfung für Erwachsene meinte der Experte, dass diese für gesunde Erwachsene voraussichtlich nicht nötig sein werde, für immungeschwächte bzw. sehr alte Personen allerdings durchaus empfehlenswert sei.

Biobox

Florian Krammer studierte nach der Matura in Köflach (Steiermark) Biotechnologie an der Universität für Bodenkultur Wien. In seiner Dissertation beschäftigte er sich mit Glykoproteinen und Influenzaviren. Seit 2010 forscht Krammer am Institut für Mikrobiologie der Icahn School of Medicine in New York an universellen Grippeimpfstoffen und an Impfstoffen gegen Lassa-, Hanta- und Ebolaviren.

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