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Wie kann man Gelenke gesund halten?

© GERHARD GATTINGER

Wie kann man Gelenke gesund halten?

© GERHARD GATTINGER

Wer den Idealfall einer durch Vorbeugung verhinderbaren Erkrankung sucht, landet schnell bei der Gelenksarthrose. Doch gerade hier fehlt es derzeit in Österreich an umfassenden, längerfristig wirksamen Konzepten, hieß es bei einem PRAEVENIRE Gipfelgespräch in Alpbach in Tirol. Bewegungstraining von Jugend an, aber auch in vielen Fällen Gewichtsreduktion, wären hier die wichtigsten Bestandteile.

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Wolfgang Wagner

Gesundheitsjournalist

In der Gesellschaft wird die Bedeutung der Arthrose für das Leben der Menschen oft
unterschätzt. Sie sei aber für die Lebensqualität und auch für die „soziale Integrität“ der Menschen ganz wichtig, betonte Univ.-Prof. Dr. Stefan Nehrer, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention, in einem Impulsreferat. „Die Osteoarthrose/Osteoarthritis ist Altern, Degeneration, Inflammation, Schmerz und Gelenksdysfunktion“, erklärte Nehrer. „Das spielt sich nicht nur am Knorpel ab. Da gehört viel mehr dazu als der Knorpel. Da gibt es ganz viele Faktoren, die dazu beitragen.“ Ein Faktor, der mit Sicherheit zur vielfältigen Unterschätzung des Problems führt, ist der oft unterschiedliche Verlauf der Erkrankung. Die Symptomatik wechselt häufig. Schmerzfreien Phasen folgen Zeiten mit heftigen Beschwerden (morgens, je nach „Wetterlage“, Jahreszeiten). Die Probleme können belastungsabhängig sein, im Sport oder im Alltag auftreten. Ruheschmerz, Nachtschmerz kommen genauso vor wie Symptomlosigkeit, vorübergehend aktivierte Reizzustände können wieder in asymptomatische Phasen übergehen. „Zehn bis 30 Prozent der Arthrosen sind aktiviert“, stellte der Experte fest.

Hohe Placebowirkung

Das bedeutet aber auch, dass es schwierig ist, neue Behandlungskonzepte nach wissenschaftlichen Kriterien zu überprüfen. „Man findet auch Krankheitsbilder, die von allein
wieder ‚gut werden‘. Dadurch haben wir Placebo-Wirksamkeiten von 40, 50 oder 60 Prozent“, sagte Nehrer. „Jedem, der sagt, die Arthrosestudien sind schlecht, sage ich: Ja, aber das Krankheitsbild ist halt so.“

Das alles sollte aber gerade dazu führen, mit einer Prävention möglichst schon im frühen
Lebensalter zu beginnen. „Meist haben wir eine Verletzung in jungen Jahren. Eine etablierte Osteoarthrose ist dann unheilbar. Da haben wir schon verloren. Wir können nicht mehr gewinnen“, erklärte der Experte. Ein weiterer Faktor, der offenbar zur Unterschätzung des Problems beiträgt, so Nehrer: „Man stirbt nicht an einer Arthrose.“

„Trotzdem“, so Nehrer, „ist die Osteoarthritis eine ernste Krankheit. Sie schränkt das Leben
ein. 25 Prozent der Betroffenen können keine normale Aktivität mehr ausüben. 80 Prozent
sind in der Bewegung eingeschränkt. Die Osteoarthritis erhöht das Risiko für andere
Erkrankungen für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Bluthochdruck, auch die Mortalität ist erhöht.“

Die Zahlen steigen mit der demografischen Entwicklung unaufhörlich. „Derzeit ist etwa ein Viertel der Erwachsenen betroffen. Bis 2032 wird es ein Drittel sein. Die Arthrose ist
belastend, sie verursacht Schmerzen, Funktionseinschränkungen und eine verminderte Lebensqualität. Die Arthrose ist nach Diabetes und Demenz jene Erkrankung, die am dritthäufigsten mit Behinderungen einhergeht. 50 Prozent aller Menschen im erwerbsfähigen
Alter haben eine Arthrose“, sagte Nehrer.

Die Problematik: Jede Behandlung kann nur die Schmerzen lindern. Es gibt kein zugelassenes Medikament, das eine Arthrose verhindern und/oder das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen kann. Die gängigen Therapiekonzepte mit Kortison, NSARs und Schmerzmittel hätten sich in 50 Jahren nicht geändert. „Eine Operation kann das natürliche Gelenk ersetzen, aber nicht wieder herstellen“, sagte Nehrer. Hier komme hinzu, dass beispielsweise 36 Prozent der Patientinnen und Patienten nach künstlichem Kniegelenksersatz mit dem Ergebnis nicht zufrieden seien.

Durchgängige Mängel in der Prävention

Wenn, so der Experte, 57 Prozent der Arthrosepatientinnen und -patienten allein Kortison
erhielten und nur 29 Prozent aufgefordert würden, Übungen zu machen bzw. zu einer
Physiotherapie zu gehen, sei das einfach mangelhaft. 46 Prozent erhielten den Rat, dass eine
Gewichtsabnahme helfen könnte. Nur 20 Prozent versuchten, vor einer Gelenksersatzoperation Prävention zu betreiben. Dem gegenüber gibt es laut Nehrer gute Daten, dass man mit
Training, das auf Muskelstabilisierung und Koordination ausgerichtet ist, z.B. bei Fußballerinnen und Fußballern die Häufigkeit von Kreuzbandverletzungen um 50 Prozent reduzieren kann. „Prävention ist ganz wichtig.“

Die Arthrose spielt sich nicht nur am Knorpel ab, da gehört viel mehr dazu.

Österreich liege übrigens mit rund 500 Eingriffen für Gelenksersatz pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohnern und Jahr (Hüfte und Knie) im internationalen Vergleich ganz vorne. Der EU-Durchschnitt betrage 105 solcher Operationen pro 100.000 Menschen und Jahr.
Ganz wichtig wäre es, zu wissen, wer in eine Gelenksarthrose abgleitet. Da müssten dann akut Präventionsmaßnahmen gesetzt werden.

Nehrer nannte in seiner Zusammenfassung zu Maßnahmen bezüglich Gelenkerhaltung und
Therapieansätzen bei Knorpelschäden und Arthrose:

  • Veränderung des Lebensstils hinsichtlich Ernährung, Sport- und Belastungsgewohnheiten (auch Körpergewicht)

  • Aktive Bewegungsprogramme: Kräftigung,

  • Reduktion der entzündlichen Reaktion auch mit regenerativen Verfahren. Hier könnten auch Nahrungsergänzungsmittel einen Platz haben, das sei aber noch mehr zu erforschen.

  • Direkte operative Knorpelbehandlung

  • Korrektur der Gelenksachsen

  • Gelenksersatz durch Teil- oder Totalendoprothesen

Jedenfalls müsste, so die übrigen Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Expertenrunde,
buchstäblich an allen Stellschrauben gedreht werden, um dem Problem der Arthrose in
Österreich ausreichend zu begegnen. „Mein Dauerthema ist Krafttraining. Man muss zum
Beispiel im Fitnesscenter die Muskeln stärken. Da haben wir sehr gute Erfolge. Die Osteoporose ist bekannt, von der Sarkopenie redet niemand“, sagte Priv.-Doz. Dr. Ralf Rosenberger, Facharzt für Orthopädie, Traumatologie und Unfallchirurgie. Wenn nicht ausreichend Muskelstärke vorhanden sei, könnten Stürze nicht mehr aufgefangen werden. Es sei auch kein Wunder, wenn ein relativ hoher Anteil der Patientinnen und Patienten nach Kniegelenksersatz nicht zufrieden sei – es fehle oft die Muskelkraft, um das Gelenk zu stützen.

Bewegung, Bewegung, Bewegung

„Bei uns geht es immer um Bewegung. Wir schauen uns an, wie leistungsfähig die Patientinnen und Patienten sind, egal auf welchem Niveau. Diese Leistungsfähigkeit hat nichts mit
Spitzensport zu tun, sondern mit Prävention, um die Menschen wieder ‚in die Gänge‘ zu bringen und Pflegebedürftigkeit hintanzuhalten“, sagte der Sportmediziner Mag. Michael Koller.

Einfaches Muskeltraining könne jedenfalls viel bewirken. „Das Gelenk wird von den Muskeln
geschützt. Deshalb ist es für mich als Hypothese sehr gut vorstellbar, warum der Outcome bei den Endoprothesen bei den Kniegelenken schlechter ist als bei der Hüfte“, erklärte der Experte. Das menschliche Hüftgelenk mit großer Pfanne und großem Gelenkskopf sei dadurch besser gesichert. Beim Kniegelenk gebe es mit Oberschenkelmuskeln und Streckern mit einem komplexen Zusammenspiel eine andere Situation.

„Das gehört trainiert. Dieses Krafttraining ist kein ‚Gewichtheben‘ und hat nichts mit Leistungssport zu tun“, erklärte Koller. Das habe auch nichts mit dem Erlangen eines Aussehens wie Arnold Schwarzenegger „in seiner besten Zeit“ zu tun. „Es geht um ganz einfache Übungen, die man nach WHO-Definition nur zweimal wöchentlich tun sollte. Damit kann man sehr gute Erfolge erzielen.“ Eine Lanze für in der Praxis als wirksam beschriebene medikamentöse Therapien brach Mag. Andreas Hoyer, 1. Vizepräsident des Österreichischen Apothekerverbandes: „Es gibt sehr viele Substanzen, die man einsetzen kann und die sich in der Praxis bewährt haben.“ Da sei beispielsweise die Hyaluronsäure zu nennen, die buchstäblich ein Wundermittel sein könne. Glukosamin und andere Wirkstoffe gehörten auch hierher.

Auf das Zusammenspiel zwischen Muskeln und Knochen verwies Univ.-Prof. Dr. Heinrich Resch, Past Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Knochen- und Mineralstoffwechsel „Wir sehen seit Jahrzehnten, dass der Verlust von Muskeln und Knochen Hand in Hand geht. Mit den modernen Geräten zur Knochendichtebestimmung können wir das messen. Wir können den Wasser- und Fettgehalt sowie die Muskelmasse messen.

„Man muss die Menschen abholen, wo sie sind“, erklärte Mag. Gabriele Jaksch, Präsidentin des
Dachverbandes der gehobenen medizinischtechnischen Dienste Österreichs (MDT Austria). „Das Gespräch ist wichtig.“ Im Grunde gehe es in der Prävention aber um das Prinzip: „Was kann ich selbst tun!“ Dies sei zu stärken. Dazu auch Mag. Monika Peer-Kratzer, Physiotherapeutin und Tiroler Landesverbandsvorsitzende von Physio Austria: „Edukation ist massiv wichtig. Wir
müssen den Patientinnen und Patienten erklären, dass sie sich bewegen müssen. Wodurch wird der Knorpel ernährt? Durch Zug und Bewegung.“ Weniger wichtig sei, welche Methode man hier anwende, es komme auf ständiges Üben bzw. Belasten an.
„Wir müssen vom ‚Behandeln‘ ins ‚Handeln‘ kommen.“ Für Margit Halbfurter, MSc, D. O.,
Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Osteopathie, ist gerade ihr Fachgebiet in der Prävention gefordert: „Zu uns kommen Patientinnen und Patienten mit akuten, aber
auch mit chronischen Schmerzen.“ Es gehe um das Wiederherstellen eines Gleichgewichts,
Osteopathie sei jedenfalls – wie oft fälschlich in der Öffentlichkeit dargestellt – kein „Kraftakt“.

Runter mit zu vielen Kilos

Mit dem zunehmend „sitzenden“ Lebensstil aber wird einerseits mangelnder Muskelkraft zur Stabilisierung von Wirbelsäule und Gelenken Vorschub geleistet, andererseits wird dadurch auch die Entwicklung von Adipositas gefördert. Das beansprucht die Gelenke noch zusätzlich. Übergewicht und Adipositas sind wesentliche Risikofaktoren.

„Wir haben 50 Prozent übergewichtige Erwachsene und 30 bis 40 Prozent übergewichtige Jugendliche. Wir haben schon vor zehn Jahren die erste Studie publiziert, die gezeigt hat, dass übergewichtige Jugendliche in einem erheblichen Ausmaß Osteoarthritis-Zeichen aufweisen“, sagte Univ.-Prof. Dr. Kurt Widhalm, Wiener Pädiater und Präsident des Österreichischen Akademischen Institutes für Ernährungsmedizin. Man benötige gute umfassende Programme und Strukturen, um diesem Problem zu begegnen. „Als‚ Prävention kann man nicht nur sagen: Essen‘S ein bisschen weniger.“

Man muss die Menschen abholen, wo sie sind. Das Gespräch ist wichtig.

Auf jeden Fall müssten Diagnose und Therapie frühzeitig und umfassend erfolgen, betonte schließlich Dr. Andreas Stippler, MSc, Facharzt für Orthopädie und orthopädische Chirurgie: „Wir sehen viele Patientinnen und Patienten, aber zu spät. Da kann man keine Prävention mehr machen.“ Jedenfalls sei Bewegung immer wichtig, um eine Arthrose – gemeinsam mit allen anderen Mitteln – für den Betroffenen managebar zu machen. Die Betreuung müsse aber umfassend sein: „Wir behandeln oft nur Bilder.“

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