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Infektionsscreening für Schwangere: Prävention von Anfang an

Meduni Wien

Infektionsscreening für Schwangere: Prävention von Anfang an

Meduni Wien

Der Name ist Programm: Unter dem Projekttitel K.I.S.S. will Univ.-Prof. Dr. Herbert Kiss, MBA, Leiter der Klinischen Abteilung für Geburtshilfe und feto-maternale Medizin an der MedUni Wien, ein konsequentes Infektionsscreening für Schwangere etablieren. Im Gespräch mit PERISKOP gibt er Einblick in Hintergründe und Ziele.

Mag. Renate Haiden, MSc.

Mag. Renate Haiden, MSc.

Freie Redakteurin

Eine Frühgeburt vor 37 Schwangerschaftswochen ist weltweit die häufigste Ursache für Morbidität und Mortalität bei Neugeborenen und stellt trotz aller Anstrengungen der letzten Jahre sowie moderner Frühgeborenenversorgung eine große Herausforderung dar. Neben der hohen Belastung für die betroffenen Eltern verursachen Frühgeburten auch erhebliche Kosten für die Gesellschaft.

PERISKOP: Wie hoch ist das Risiko für Schwangere in Österreich eine Frühgeburt zu erleiden?

KISS: In Österreich ist durch die Vorsorgeuntersuchung im Mutter-Kind-Pass die Rate der Frühgeborenen mit sieben bis acht Prozent relativ gering. Allerdings ist diese leider seit Jahrzehnten konstant. Die Ergebnisse einer multizentrischen Studie in Wien, die wir im Jahr 2004 durchgeführt haben, zeigen, dass durch ein konsequentes Infektionsscreening für Schwangere die Zahl noch um ein paar Prozentpunkte gesenkt werden kann. Für Wien würde das bedeuten, dass wir uns 280 Frühgeburten ersparen könnten.

Ein konsequentes Infektionsscreening für Schwangere könnte die Zahl der Frühgeburten senken.

Das klingt auf den ersten Blick nicht viel, wo liegen die Vorteile?

Das ist richtig, doch für die betroffenen Familien spart es unheimliches Leid und für das Gesundheitswesen werden Kosten gespart. Denn Daten aus dem AKH zeigen, dass eine Frühgeburt im Schnitt mit 100.000 Euro zu Buche schlägt. Hochgerechnet auf ganz Österreich fallen diese Zahlen dann doch deutlich ins Gewicht. Durch die Vermeidung von Frühgeburten und damit assoziierten Kosten können Ressourcen eingespart werden: Das sind in erster Linie Behandlungskosten, nachgelagert auch Einsparungen im Zusammenhang mit Bereitstellung von Kapazitäten sowie gesundheitliche Langzeiteffekte.

Welche Rolle könnte das von Ihnen vorgeschlagene Screeningprogramm in der Prävention übernehmen?

Schwangere Frauen sollen von Kassen- und Wahlärzten und -ärztinnen zur Teilnahme am Infektionsscreening eingeladen werden. Für die Schwangeren entstehen keine zusätzlichen Kosten. Da die pränatale Versorgung bei sozial Benachteiligten oft nicht so gut gelingt, profitieren sozial schwächere Gruppen überproportional von dieser Aktion. International diskutiert wird derzeit ein Screening auf bakterielle Vaginose, eine der am häufigsten vorkommenden Vaginalinfektionen. Bei Schwangeren korreliert die bakterielle Vaginose mit einem fast zweifach erhöhten Risiko für eine Frühgeburt. Wir haben am AKH Wien ein Infektions-Screeningprogramm etabliert, das im Gegensatz zum Screening auf bakterielle Vaginose auch auf andere vaginale Infektionen untersucht. Bisher wurde das Infektionsscreening im Labor mithilfe einer Gram-Färbung durchgeführt. Nun haben wir einen Point-of-Care-Test (POCT) validiert, der hohes Einsparpotenzial bietet. Mit dieser neuen, einfachen und kostengünstigeren Testmethode wollen wir wissenschaftlich belegen, dass ein Infektionsscreening viele Vorteile bringt. Durch die Einbindung in den Mutter-Kind-Pass könnten wir in Europa eine Vorreiterrolle einnehmen.

Können Mütter diesen POCT selbst durchführen?

Der Test funktioniert ähnlich wie ein Schwangerschaftstest und könnte nach Weiterentwicklung in Zukunft von den Müttern lebst durchgeführt werden. Das Ergebnis, ob eine Infektion vorliegt oder nicht, kann in rund zehn Minuten abgelesen werden. Im Rahmen der von uns geplanten Studie würde der Test von medizinischem Fachpersonal durchgeführt werden. Der Vorteil dabei ist auch, dass bei Vorliegen einer Infektion sofort die Behandlung eingeleitet werden kann!

Reduziert sich damit das Frühgeburtenrisiko, wenn die Infektion gut behandelt wird und ausgeheilt ist?

Es reduziert das Risiko, dass die Infektion zu einer aufsteigenden Infektion wird und Entzündungsmediatoren freigesetzt werden sowie eine Insuffizienz des Gebärmutterhalses entsteht. Bei einer Infektion des Mutterkuchens und der Gebärmutter kann es zu vorzeitigen Wehen und einem vorzeitigen Blasensprung kommen. Ist die Infektion bereits zum Fötus gelangt, so ist die Prognose noch schlechter. Bei Frühgeburten, vor allem bei den kleinen Frühgeburten, liegen Daten vor, dass die Prognose durch eine Infektion verschlechtert wurde. Unser Screening zielt besonders auf asymptotische Infektionen ab, also zu einem Zeitpunkt, bei dem noch keine Beschwerden spürbar sind. Damit können wir schon sehr frühzeitig auch entsprechende Therapien einleiten.

Wann würde das Infektionsscreening durchgeführt werden?

Je früher, desto besser. In unserer Studie haben wir den Zeitraum zwischen der 14. und 19. Woche angegeben. In der Routine sind wir jetzt in der 11. bis 12. Woche.

Können Sie die geplante Studie noch im Detail konkreter beschreiben?

Wir wollen in einem Screen- & Treat- Programm über einen Zeitraum von rund 20 Monaten etwa 15.000 Schwangere im Raum Wien auf bakterielle Vaginose und Candidose vorbeugend untersuchen und bei Vorliegen einer Infektion behandeln. Durch diese Intervention sollen Geburten vor der 37. Schwangerschaftswoche reduziert werden. Das Projekt würde als klinische Studie von der Medizinischen Universität Wien begleitet und durchgeführt. Teilnehmende schwangere Frauen erhalten eine Aufwandsentschädigung oder einen NIPT-(Pränataldiagnostik)-Test.

Ein neuer Point-of-Care-Test (POCT) wurde validiert und bietet hohes Einsparpotenzial.

Welches Ziel verfolgen Sie mit der Studie?

Wir wollen wissenschaftlich untermauern, dass bei einer breiten Kohorte an Schwangeren aus einem Niedrig-, Mittel- und Hochrisikokollektiv in einem abgegrenzten Bereich wie Wien mit dieser Screeningmethode die Frühgeburtenrate signifikant gesenkt werden kann. Dabei wird ein Vergleich mit historischen Gruppen an Schwangeren aus den Vorjahren mit Daten des Geburtenregister Österreichs (GRÖ) durchgeführt. Weiters wollen wir belegen, dass dadurch auch ökonomisch positive Effekte entstehen.

Wie sehen die nächsten Schritte aus?

Die Unterstützung vonseiten der MedUni Wien wurde uns zugesagt, nun stehen die Einreichung bei der Ethikkommission sowie die Suche nach Sponsoren aus. Positive Vorgespräche mit Dr. Georg Braune, Fachgruppenobmann der Fachgruppe Frauenheilkunde und Geburtshilfe in der Wiener Ärztekammer, zur Einbindung der niedergelassenen Gynäkologen in das Projekt haben bereits stattgefunden.

Studiendaten

Bereits im Jahr 2004 wurde in einer prospektiven, randomisierten, kontrollierten, multizentrischen Studie eine signifikante Verringerung von Frühgeburt und Spätabort bei asymptomatischen schwangeren Frauen berichtet, die sich in gynäkologischen Praxen einem Infektionsscreening unterzogen hatten. Anhand dieses Low-Risk-Kollektivs von knapp 4.500 Frauen konnte gezeigt werden, dass die Intervention des Screenings an sich die Frühgeburtenrate um mehr als die Hälfte reduzieren konnte.1
Eine Folgestudie evaluierte das Kosteneinsparungspotenzial durch das Screeningprogramm. Dabei wurden die direkten Kosten einer Frühgeburt mit einem niedrigen Geburtsgewicht mit jenen Kosten des Infektionsscreenings verglichen. Die direkten Kosten für Frühgeburten wurden so definiert, dass sie die Kosten für die Erstversorgung von Mutter und Kind sowie die Kosten für die ambulante Nachsorge während der ersten sechs Lebensjahre des Frühgeborenen umfassten. Es konnte gezeigt werden, dass die Kosten für das Screeningprogramm nur 7% der direkten Kosten betrugen, die durch das Programm eingespart wurden. Die Berechnungen der Studie ergaben weiter, dass in Wien durch eine Frühgeburtenreduktion direkte Kosten von über 11 Mio. Euro (Preisniveau 2002) pro Jahr eingespart werden können.2
Weitere Studien wurden durchgeführt und konnten einen Vorteil vom Screening nach vaginalen Infektionen bei schwangeren Hochrisikopatientinnen zeigen, die besondere Vulnerabilität für Infektionen und Frühgeburt zeigen.3

Quellen: 

1) Kiss et al. BMJ, 2004
2) Kiss et al. Eur J Obstet Gynecol, 2006
3) Farr et al. PLoS One, 2015; Farr et al.; BMC Pregnancy Childbirth, 2016; Farr et al. Acta Obstet Gynecol Scand, 2016; Marschalek et al. PLoS One, 2016; Holzer et al. Arch Gynecol Obstet, 2017

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