Präventionsmaßnahmen sind für den Erhalt der Gesundheit besonders wichtig. Deshalb lag der Fokus zweier Keynotes bei den 8. PRAEVENIRE Gesundheitstagen im Stift Seitenstetten auf den Themen Kinder- und Jugendgesundheit sowie Bewegung.
Carola Bachbauer, BA, MSc
Periskop-Redakteurin
Der Präsident der Arbeiterkammer Niederösterreich (AK NÖ) Markus Wieser engagiert sich seit Jahren für die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Deswegen widmete er sich in seiner Keynote dem Thema Versorgungssicherheit, eines der drei wichtigen Zukunftshemen, die in einem „3V für Österreichs Zukunft“ genannten Memorandum der AK NÖ zusammengefasst wurden, mit dem Schwerpunkt auf Kinder und Jugendliche.
Kinder- und Jugendlichenrehabilitation
„Kinder und Jugendliche sind keine kleinen Erwachsenen. Sie benötigen spezielle Versorgung und medizinische Betreuung und verdienen ein (Gesundheits-)System, das ihre speziellen Bedürfnisse kennt und in der Versorgungspraxis berücksichtigt“, sagte Wieser. Aufgrund dessen wurden in den letzten Jahren Kinder- und Jugendlichenrehabilitationszentren in Österreich errichtet und vor kurzem das sechste und letzte Kinder- und Jugendlichenrehazentrum umgesetzt. Wo es laut Wieser Handlungsbedarf gäbe, seien die Mitaufnahme und gegebenenfalls Therapie von Begleitpersonen bzw. Familienangehörigen. Diese ist bis dato nur im hämatoonkologischen Bereich vorgesehen. Eine Ausweitung der familienorientierten Rehabilitation für alle Indikationen wäre dringend erforderlich. Zusätzlich sind nach wie vor die arbeitsrechtlichen Fragen für Eltern mit kranken Kindern, wie der Rechtsanspruch auf Freistellung für den Reha-Aufenthalt des Kindes vom Arbeitgeber zu bekommen, nicht geklärt. „Eine erfolgreiche Rehabilitation der Kinder kann nur mit Unterstützung der Eltern gelingen. Dafür reicht der Pflegeurlaub nicht aus“, betonte Wieser.
Kinder, die mehr als drei Turnstunden die Woche hatten, hatten deutlich weniger orthopädische Probleme, wie Muskelschwäche oder Haltungsprobleme, wie jene mit nur zwei oder weniger.
Stefan Nehrer
Psychische Belastung durch die Pandemie
Kinder und Jugendliche haben in der Coronapandemie besonders gelitten. Lockdowns, Schulschließungen und Distance-Learning führten in vielen Fällen zu vergebenen Bildungschancen, verlorengegangenen sozialen Kontakten und Einsamkeit. Studien belegen, dass die psychische Belastung der Kinder und Jugendlichen durch die Pandemie stark angestiegen ist. Dies äußert sich vielseitig und reicht von Depressionen, Angst-, Schlaf-, Essstörungen bis hin zu suizidalen Gedanken. In der öffentlichen Diskussion wird dieses Thema jedoch bislang ignoriert. Bund und Sozialversicherung seien deshalb gefordert, Nachbesserungen in der Versorgung unserer jüngsten Gesellschaftsmitglieder vorzunehmen.
„Deshalb fordere ich, dass die nächste Bundesregierung ein eigenes Staatssekretariat für Kinder- und Jugendgesundheit im Gesundheitsministerium etabliert. Dieses soll mit einer Querschnittskompetenz ressortübergreifend für die Interessen von Kindern und Jugendlichen eintreten. Die zweite Forderung, die ich an die Politik habe, ist eine Kinder- und Jugendgesundheitsmilliarde. Mithilfe dieser sollen spezifische und gesundheitsbezogene Problemlagen bestmöglich gemildert bzw. beseitigt werden. Jeder Cent, der hier investiert wird, hilft der Prävention bei Kindern und Jugendlichen und spart dem Gesundheitssystem später ein Vielfaches ein“, erklärte Wieser.
Transitionsmedizin stärken
Laut Wieser leiden 16 Prozent der bis zu 17-Jährigen an chronischen Erkrankungen wie etwa Rheuma, Diabetes, psychischen Erkrankungen oder Krebs. Diese Erkrankungen weisen einen chronischen, über das Jugendalter hinausreichenden Verlauf auf. Durch die zunehmend bessere Versorgung erleben mehr als 90 Prozent dieser Kinder und Jugendlichen das Erwachsenenalter.
Daher braucht es Wieser zufolge – parallel zur psychosozialen und persönlichen Entwicklung – auch entsprechende Angebote zur multiprofessionellen Begleitung, damit das Erwachsenwerden mit einer Erkrankung erfolgreich verlaufen kann. Allerdings darf die medizinische Begleitung nicht auf ein Lebensalter beschränkt oder eingeschränkt sein. Die Betroffenen benötigen oft ihr Leben lang Begleitung. „Nur weil man das 18. Lebensjahr erreicht hat, darf man nicht aus der Versorgung fallen“, betonte der AK NÖ Präsident.
Förderung der Gesundheitskompetenz
Das Internet stellt mittlerweile für Kinder und Jugendliche eine bedeutende Anlaufstelle in der Beschaffung von Gesundheitsinformationen dar. Jedoch fällt es jungen Menschen schwer, diese Informationen zu verstehen und von Fake News zu unterscheiden. „Aus zahlreichen Studien wissen wir, dass das Gesundheitsverhalten von Kindern und Jugendlichen die Basis für die Gesundheit im Erwachsenenleben ist. Deshalb ist es wichtig früh beim Gesundheitswissen und beim Aufbau von Gesundheitskompetenz anzusetzen. Kinder und Jugendliche müssen dabei unterstützt werden, eigenverantwortliche und gute Entscheidungen für ihre Gesundheit zu treffen“, erklärte Wieser.
Aktueller Versorgungsengpass bei Medikamenten
Abschließend legte Wieser den Fokus auf den aktuellen Versorgungsengpass bei Medikamenten in der Kinder- und Jugendmedizin. Dieser gebe Anlass zu Sorge. Es fehlt an Penicillinen, Fieber- und Schmerzmedikamenten in kindergerechter Dosis. Hierfür bräuchte es eine Aktualisierung der europäischen Arzneimittelgesetzgebung. Diese müsse unter anderem das Ziel umfassen, die Produktion von Medikamenten wieder nach Europa bzw. nach Österreich zu bringen. Denn dies würde nicht nur Versorgungssicherheit schaffen, sondern auch Arbeitsplätze. Parallel dazu müsse das Gesundheitsministerium eine Verordnung erlassen, um die verfügbaren Reserven von Medikamenten und Wirkstoffen in Österreich deutlich zu erhöhen und damit die Lage zu entspannen.
Kinder und Jugendliche sind keine kleinen Erwachsenen. Sie benötigen spezielle Versorgung und medizinische Betreuung und verdienen ein (Gesundheits-)System, das ihre speziellen Bedürfnisse kennt und in der Versorgungspraxis berücksichtigt.
Markus Wieser
Bewegung fördern
„Bewegung ist Leben“, mit diesen Worten begann Univ.-Prof. Dr. Stefan Nehrer, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention, seinen Vortrag. Seit Jahren beschäftigt sich der Orthopäde und Sportmediziner mit dem Thema Prävention durch sportliche Aktivität und somit mit Maßnahmen, die Erkrankungen und Folgeerscheinungen verhindern bzw. minimieren können. Prävention vor allem in Hinsicht auf gesunde Ernährung und ausreichende Bewegung, kann einen großen Beitrag leisten. „In Österreich verbringen wir im Durchschnitt 62 Lebensjahre in Gesundheit. In Südkorea sind es 70 gesunde Lebensjahre“, sagte der Experte. Grund dafür sei der Lebensstil. Studien haben belegt, dass 150 bis 300 Minuten körperliche Betätigung pro Woche die Mortalität von Menschen im Vergleich zu körperlich Inaktiven um rund 40 Prozent senken kann. So würden Menschen mit Diabetes oder Bluthochdruck, aber auch Patientinnen und Patienten mit einer Krebserkrankung durch Bewegungsprogramme eine deutlich höhere Überlebensrate erreichen.
Anschließend veranschaulichte Nehrer den positiven Effekt von Bewegung an einer Studie. In der Untersuchung wurden Daten von US-Olympiateilnehmerinnen und -teilnehmern zwischen 1912 und 2021 ausgewertet. Die Olympionikinnen und Olympioniken lebten im Durchschnitt um fünf Jahre länger als die Allgemeinbevölkerung. Extremsport sei dennoch nicht notwendig.
Mit dem globalen Aktionsplan für körperliche Aktivität 2018 bis 2030 möchte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) das Ziel der Reduktion des Bewegungsmangels verfolgen. Diese Initiative umfasst einerseits die Motivation bzw. die Überzeugung, dass Bewegung sinnvoll ist und andererseits die Schaffung von Möglichkeiten, um diese umzusetzen, wie Radwege, Parks etc. Weltweit könnte mit der Erhöhung der Aktivität laut WHO die Zahl der neu auftretenden nicht-ansteckenden Erkrankungen pro Jahr um rund 500 Millionen Fälle reduziert werden.
Hohe Inaktivität in Österreich
Auch in Österreich herrsche eine hohe Inaktivität. Daten des Eurobarometer Sport und körperliche Betätigung zeigen, dass 77 Prozent der Männer und 76 Prozent der Frauen über 55 Jahre selten oder nie Sport betreiben. Dies sieht bei Schülerinnen und Schülern nicht anders aus. Laut der Gesundheits- und Fitnessstudie „Get fit Kid“ würden 61 Prozent aller untersuchten Schülerinnen und Schüler der Bewegungsempfehlung nicht entsprechen. Ein erstreckend hoher Anteil der Kinder und Jugendlichen, so Nehrer, sind übergewichtig oder gar adipös. Eine entgegenwirkende Maßnahme sei die tägliche Turnstunde. „Kinder, die mehr als drei Turnstunden die Woche hatten, hatten deutlich weniger orthopädische Probleme, wie Muskelschwäche oder Haltungsprobleme, wie jene mit nur zwei oder weniger“, sagte der Experte und führte weiter an: „Aus Kindern mit orthopädischen Problemen werden Erwachsene mit orthopädischen Problemen, die vermehrt zu Arthrose neigen.“ Bereits ein Viertel der Erwachsenen im Alter von 40 Jahren oder älter ist von Arthrose betroffen. Zusätzlich erhöht Arthrose das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Bluthochdruck. Vorbeugende Maßnahmen bestehen vor allem in einer Veränderung des Lebensstils hinsichtlich Ernährung, Sport- und Belastungsgewohnheiten sowie Körpergewicht. Allerdings werden die Maßnahmen, so der Experte, in der Primärversorgung zu wenig eingesetzt. Nehrer schilderte die üblichen Behandlungsszenarien wie folgt: 57 Prozent der Patientinnen und Patienten erhalten immer noch Kortison als alleinige Therapie. Nur 46 Prozent erhielten den Rat, dass eine Gewichtsabnahme helfen könnte.
Zum Ende seines Vortrages appellierte Nehrer, dass der Bewegung sowie der Forcierung der Verletzungsprophylaxe wieder mehr Gewichtung als Präventionsmaßnahme gegeben werden sollte und schloss mit den Worten: „Aufgrund der Alterspyramide können wir uns keine Prävention gar nicht leisten.“
Essenzen aus der Podiumsdiskussion
In der anschließenden Podiumsdiskussion wurden die Themen der beiden Keynotespeaker aufgegriffen und vertiefend diskutiert. Ein wichtiger Punkt bei der Bewegungsförderung ist nicht nur die Frage, wie bekommt man Leute zum Sport, sondern auch, wie schafft man es, dass Menschen dranbleiben. Nehrer betonte: „Bei der Arthroseprophylaxe wissen wir, dass die Patientinnen und Patienten nach sechs bis acht Wochen eine Erinnerung benötigen.“ Hier könnten Reminder auf Apps hilfreich sein. Bianca Groß, MAS, Geschäftsführerin der FSW-Wiener Pflege- und Betreuungsdienste GmbH, teilte ihre Erfahrungen aus der Sicht der Tageszentren mit. Auch hier sei es bekannt, dass die gesunde Ernährung oder tägliche Bewegung eine Zeitlang anhält, sich jedoch vermehrt wieder schlechte Gewohnheiten einschleichen. In den Tageszentren gäbe es durch Angebote wie Kochworkshops, Bewegungsrunde, Physio- und Ergotherapie die Möglichkeit hier Stabilität reinzubringen.
Bezüglich der Schaffung von Bewegungsmöglichkeiten sei es laut Hon.-Prof. (FH) Dr. Bernhard Rupp, MBA, Leiter der Abteilung Gesundheitspolitik der AK NÖ, wichtig, neue Überlegungen in Richtung bewegungsförderliche Architektur anzugehen. Dies sollte nicht nur in Richtung Gebäudearchitektur, sondern auch Stadtplanung gehen. Als Beispiel führte Rupp Paris an. Dort hat die derzeitige Bürgermeisterin ihren Wahlkampf mit der Kampagne „Paris soll eine Stadt der kurzen Wege werden“ gewonnen. Das bedeutet, innerhalb von 15 Minuten sollen die wichtigsten Besorgungen mit dem Rad erledigt werden können. Auch Wieser sprach hier einen wesentlichen Punkt an. Bei vielen Neubauten werden zwar Grünflächen und Parkanlagen errichtet, doch sei dort Kindern häufig verboten zu spielen. Hier müsse ein Umdenken geschehen, denn viele Kinder und Jugendliche hätten die Begeisterung für Bewegung und Sport und diese müsse aktiv unterstützt werden.
Des Weiteren betonte Rupp: „Die Weiterentwicklung von Gesundheitsförderungen und Prävention auf betrieblicher Ebene ist schon lange auf der Agenda der AK NÖ.“ Diese Meinung vertrat auch Wieser und führte an, dass es mehr Unterstützung bezüglich Betriebssport brauche. Denn durch das Angebot von Sport am Arbeitsplatz würde nicht nur die Bewegung und die Gesundheit gefördert werden, sondern auch der Zusammenhalt im Unternehmen und das Arbeitsumfeld.
Prim. Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Sperl, Rektor der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Salzburg, legte den Fokus der Prävention in der Diskussionsrunde auf ein anderes Thema, und zwar Resilienz. Hier müsse schon im Kindesalter begonnen werden diese zu stärken. Durch frühe Maßnahmen könne man Kinder und Jugendliche für viele Faktoren wie Suchterkrankung, Fehlverhalten und Stress wiederstandfähiger machen.
Zum Schluss appellierte Sperl: „Es ist nur zu wünschen, dass die Regierung auf die Empfehlungen der Expertinnen und Experten bei den 8. PRAEVENIRE Gesundheitstagen in Stift Seitenstetten hört und die gewünschten Handlungen zur Umsetzung setzt.“
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