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Phosphatdiabetes: es braucht mehr Interdisziplinarität

© PRIVAT, MANUEL A EGGER-MOSERSISSI FURGLER, PRIVAT, PETER PROVAZNIK , CHRISTINE SOMMERFELDT

Phosphatdiabetes: es braucht mehr Interdisziplinarität

© PRIVAT, MANUEL A EGGER-MOSERSISSI FURGLER, PRIVAT, PETER PROVAZNIK , CHRISTINE SOMMERFELDT

„Kinder sind keine kleinen Erwachsenen“ – dieser Leitsatz gilt nicht nur im Hinblick auf die Dosierung von Medikamenten. Gerade wenn chronisch kranke Kinder erwachsen werden, ist dem Transitionsmanagement besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Welche Lücken und Herausforderungen dabei entstehen, wurde am Beispiel von Patientinnen und Patienten mit Phosphatdiabetes in Österreich kürzlich im Rahmen eines RoundTable-Gesprächs, das von Kyowa Kirin initiiert wurde, diskutiert.

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Mag. Renate Haiden, MSc.

Freie Redakteurin

In Österreich leidet einer von 20.000 Menschen an X-chromosomaler Hypophosphatämie (XLH) – das sind rund 440 Betroffene, wie aus einer Aussendung der Johannes Kepler Universität Linz hervorgeht. Nach Angaben des Zentrums für Seltene Knochenerkrankungen am Hanusch Krankenhaus in Wien ist „Phosphatdiabetes“ eine seltene Erkrankung, die durch eine erblich bedingte Stoffwechselstörung ausgelöst wird und sich schon im Kindesalter manifestiert.

Michael Rudnicki, © PETER PROVAZNIK

„Sie wird daher oft fälschlich als Kinderkrankheit bezeichnet, jedoch erfordert sie eine lebenslange Betreuung“, erklärt Assoc.-Prof. PD. Dr. Roland Kocijan, Leiter des Zentrums für Seltene Knochenerkrankungen an der 1. Medizinischen Abteilung im Wiener Hanusch Krankenhaus, und ergänzt: „Die Symptome im Erwachsenenalter reichen von Zahnabszessen über Deformitäten im Bereich der unteren Extremitäten bis hin zu muskuloskelettalen Schmerzen.“ Die Folgen werden anschaulich unter anderem von der Selbsthilfeorganisation phosphatdiabetes.at beschrieben: Es kommt zu Bewegungseinschränkungen, einer verringerten Muskelkraft und schließlich Immobilität. Das reduziert die Lebensqualität der Betroffenen, hat massive Auswirkungen auf ihre soziale Integration und zieht hohe volkswirtschaftliche Folgekosten nach sich.

„Eine rezente Studie zeigt, dass jeder zweite Erkrankte an Frakturen oder Pseudofrakturen
leidet, die häufig zwischen zehn und fünfzehn Jahren nicht abheilen. Eine Arthrose tritt schon im jungen Erwachsenenalter auf und führt meist unweigerlich zu Gelenksersatz“, beschreibt Kocijan weiter. Auch wenn die volkswirtschaftlichen Kosten noch nicht näher untersucht sind, beobachtet der Mediziner, dass häufig Männer weniger Compliance aufweisen als Frauen und daher im Alter von etwa 30 Lebensjahren vor ganz anderen Herausforderungen stehen. „Manche hören früher mit der Therapie auf, weil sie keinen Benefit sehen und stellen dann zum Beispiel fest, dass die Berufswahl nicht auf ihre gesundheitlichen Anforderungen abgestimmt ist. Längere Krankenstände oder Rehabilitationsaufenthalte haben dann direkte Auswirkungen auf das Arbeitsleben und ziehen massive soziale Probleme nach sich.“
Hon.-Prof. Dr. Bernhard Rupp, Gesundheitsmanager in der Arbeiterkammer Niederösterreich, ortet bei chronischen Erkrankungen Parallelitäten und ergänzt: „Die Behandlung
ist meist medizinzentriert und psychosozialen Themen wird weniger Beachtung geschenkt.
Daher stehen Fragen wie etwa zur Ausbildung und Berufswahl nicht im Vordergrund, haben
aber in späteren Jahren bis hin zur Höhe der Pension im Alter deutliche Auswirkungen.“

Für moderne Therapien, die auch einen relevanten Kostenfaktor darstellen, braucht es verbindliche Parameter.

Neue Ansätze: Die Rolle von FGF23

„Eine konventionelle Therapie ist die medikamentöse Supplementation von Phosphat und
aktiviertem Vitamin D, verteilt auf mehrere Tagesdosen,“ sagt Kocijan. Der Experte betont,
dass die konventionelle Therapie die Osteomalazie und Schmerz reduziert und positive Effekte
auf die Zahngesundheit hat, jedoch auch ihre Limitationen aufweist, denn: Es gibt keine
passende Standarddosis, sondern muss individuell angepasst und laufend kontrolliert werden.
„Das führt auch dazu, dass die Therapieadhärenz bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu wünschen übrig lässt. Viele von ihnen brechen die Therapie ab und werden dann nach
vielen Jahren wieder bei uns vorstellig, wenn bereits massive Deformitäten oder Frakturen
vorliegen“, berichtet Kocijan aus der Praxis und ergänzt: „Die konventionelle Therapie erhöht
vorübergehend den Serumphosphatspiegel, kann jedoch den renalen Phosphatverlust nicht
stoppen. Sie setzt nicht bei der zugrunde liegenden Pathophysiologie der XLH an und birgt bei langer Therapiedauer das Risiko für Nephrokalzinosen und Hyperparathyroidsimen.“
„Bei Betroffenen kommt es aufgrund eines Gendefektes des PHEX-23 und einer Überexpression des FGF23-Proteins zu einer erhöhten Phosphatausscheidung und einer gestörten Knochenmineralisation,“ beschreibt Kocijan. Der Experte erklärt weiter, dass ein alternativer Therapieansatz darauf abzielt, mithilfe des rekombinanten humanen monoklonalen
Antikörpers Burosumab das überschüssige FGF23 abzufangen.

Oft erfolgt die Verordnung rekombinanter humaner monoklonaler Antikörper in Österreich derzeit nur in Ausnahmefällen und nicht in allen Bundesländern nach den gleichen Regeln.

„In einem umfangreichen Phase-3-Studienprogramm konnten die Wirksamkeit und Verträglichkeit bei Kindern und Jugendlichen zwischen fünf und zwölf Jahren, sowie bei Erwachsenen nachgewiesen werden. Das erhöhte Phosphat wird in der Niere reabsorbiert und so die Phosphatausscheidung verringert. Die so behandelten Patientinnen und
Patienten sind schon bei Therapie von vier bis sechs Wochen deutlich mobiler. Während die
konventionelle Therapie wenig Einfluss auf die Frakturen zeigt, konnten wir unter Burosumab
bis zu 60Prozent Heilungsraten verzeichnen“, sagt Kocijan. Das bestätigt auch Betroffene
und Selbsthilfeaktivistin Doris Prochaska: „Betroffene Erwachsene berichten von weniger
Schmerzen, geringerer Steifigkeit und deutlich mehr Energie im Alltag. Ein Kollege aus der
Internationalen XLH Alliance konnte nach wenigen Monaten Burosumab-Therapie sogar
auf seine Krücken verzichten und damit beginnen, leichten Sport zu treiben. Leider
erfolgt die Verordnung in Österreich derzeit nur in Ausnahmefällen.“

Übergänge und interdisziplinäre Versorgung

Der Übergang von der pädiatrischen Versorgung hin zur Erwachsenenmedizin stellt eine besondere Anforderung an die Medizin, wenn es um Betreuung von Menschen mit
Phosphatdiabetes geht. Viele Betroffene gehen genau an dieser Schnittstelle verloren, denn die Herausforderungen verändern sich und die Bedeutung einer kontinuierlichen Versorgung wird genau in dieser Phase nicht ausreichend wahrgenommen. Während bei Kindern die Eltern wesentlich für die Therapietreue verantwortlich sind, sehen junge Erwachsene oft kurzfristig wenig Nutzen und kommen wieder in das Versorgungssystem, wenn massive Probleme bereits aufgetreten sind. „Dann sehen wir, dass die Erkrankung bereits weitreichende Auswirkungen auch auf das soziale und ökonomische Leben der Betroffenen hat. So ist die Eingliederung in einen adäquaten Beruf beispielsweise eine große Herausforderung, aber auch die interdisziplinäre Versorgung von Erwachsenen“, weiß Kocijan.

„Die Versorgung in einem multidisziplinären Team ist wichtig und muss auch den niedergelassenen Sektor einbeziehen, denn hier erfolgt oft eine Ersteinschätzung oder es kann die Weiterbehandlung nach der erfolgten Einstellung durchgeführt werden“, beschreibt der
Experte. Zur Unterstützung bei der Diagnosefindung wurde beispielsweise eine Checkliste
erstellt, die Anzeichen und Symptome einfach und übersichtlich zusammenfasst. Kooperation gerade bei der Transition wird auch bei Univ.-Prof. Dr. Christoph Mache an der Klinischen Abteilung für allgemeine Pädiatrie Graz großgeschrieben: „Wir haben keine fixen Strukturen, aber transferieren die Patientinnen und Patienten nach der Behandlung in der Pädiatrie nach Rücksprache mit den Kolleginnen und Kollegen in die Erwachsenenendokrinologie.“

Es braucht ein strukturiertes Transitionsmanagement und den interdisziplinären Zugang.

Kooperation gerade bei der Phase der Transition ist wichtig.

Österreichweit wären mehrere spezialisierte Zentren erforderlich, da es signifikante Fallzahlen benötigt, um eine optimale Diagnose und den Therapiebeginn zu gewährleisten.
Diese erforderlichen Fallzahlen zu erreichen ist bei seltenen Erkrankungen außerhalb
von Zentren oft schwierig. „Wir haben in Innsbruck aktuell keine Spezialangebote für
XLH-Betroffene, jedoch im Zentrum für Seltene Erkrankungen besprechen wir Transitionsthemen. Damit ist der Informationsfluss gegeben und wir bauen je nach Bedarf die passenden Strukturen auf“, sagt Priv.-Doz. Dr. Michael Rudnicki, Leitender Oberarzt an
der Universitätsklinik für Innere Medizin IV der Universität Innsbruck. Die Zentralisierung
der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) hat darauf aus Sicht von Rudnicki kaum einen Einfluss gezeigt: „Im Wesentlichen sind die medizinischen Netzwerke gleich geblieben
und wenn wir begründen können, warum eine Verschreibung bestimmter Therapien erforderlich ist, haben wir meist auch keine Hürden bei der Bewilligung.“ Dennoch ist ein bestimmtes Ost-West-Gefälle bei Verordnungsentscheidungen erkennbar: „Im Westen erleben wir einen gewissen Pragmatismus. Das könnte an der Bürokratie, aber auch an der Höhe der
Patientenzahlen liegen“, meint Rudnicki.

Längere Krankenstände oder Rehaaufenthalte haben direkte Auswirkungen auf das Arbeitsleben und ziehen massive soziale Probleme nach sich.

Im Westen erleben wir einen gewissen Pragmatismus, vielleicht, weil wir weniger Betroffene haben.

Bewährte Netzwerke als Vorbild

Konzepte wie Home-Nursing-Angebote könnten als ein Bindeglied zwischen Expertinnen
und Experten sowie dem niedergelassenen Setting fungieren und auch wesentlich dazu
beitragen, dass die Compliance gefördert wird. Selbsthilfegruppen können Betroffene mit
Erfahrungswissen unterstützen. Behandlungskonzepte müssen auch den einfachen Zugang
zu physikalischen Therapien oder Rehabilitationseinrichtungen umfassen.

Das Wiener Zentrum für Seltene Knochenerkrankungen (VBGC) verfügt bereits über ein
etabliertes Netzwerk medizinischer Fachdisziplinen und auch an den Universitätskliniken in
Graz und Linz werden junge Patientinnen und Patienten adäquat auf die Transition vorbereitet. „Wir machen es uns nicht leicht“, gibt Kocijan Einblick in die Versorgungsseite, denn: „Wir haben uns ein umfassendes standardisiertes Vorgehen auferlegt, um passende Patientinnen und Patienten auszuwählen, die für die Behandlung mit rekombinanten humanen monoklonalen Antikörpern infrage kommen. Die Entscheidung wird immer im Team besprochen und muss von chefärtzlicher Seite befürwortet werden. Danach erfolgt eine engmaschige Kontrolle und Evaluation der Wirksamkeit dieser Therapie. Umfassend dokumentiert werden die Ergebnisse aus Fragebögen, physikalischen Tests und radiologischen Untersuchungen.“ Die Kommunikation reicht bis hin zu Apotheken im extramuralen
Setting, denn auch hier ist es nicht immer selbstverständlich, dass kostenintensive Therapien
bestellt werden können. Kocijan schätzt auch die Zusammenarbeit mit den Selbsthilfegruppen, sieht aber noch Optimierungspotenziale im Bereich der Zahnhygiene und physikalischen
Medizin: „Wir haben Schwierigkeiten, Zahnärztinnen und -ärzte sowie Kieferchirurginnen
und -chirurgen für die Versorgung erwachsener XLH-Betroffener zu akquirieren. Physikalische
Therapien und Rehabilitationsleistungen sind oft schwer zugänglich.“

Auch Mache weiß aus Erfahrung: „Trotz der österreichweiten Struktur der ÖGK haben wir
regional große Unterschiede und oft bleibt es dann bei Einzelfallbewilligungen.“ Er wünscht
sich die gemeinsame Erarbeitung von Kriterien, unter welchen Voraussetzungen diese Therapien erstattet werden. „Das würde auch helfen den Zugang niederschwelliger zu machen und die Therapietreue zu erhöhen“, ist er überzeugt. Bis Ende 2023 soll es vonseiten der Arbeiterkammer gemeinsam mit der Pharmig, dem Dachverband der pharmazeutischen Industrie, erarbeitete Konzepte und Lösungsvorschläge geben, um bei den kommenden Finanzausgleichsverhandlungen für mehr Harmonisierung einzutreten.

„Es muss unabhängig davon, wo Patientinnen und Patienten versorgt werden, österreichweit
gleiche Vorgaben geben, um den Patiententourismus hintanzuhalten und allen die gleiche
Chance auf Versorgung zu geben“, fordert Rupp. Die ÖGK ist gemäß ihrem Auftrag daran
interessiert, allen Betroffenen eine gleichartige Versorgung zukommen zu lassen. „Es bestehen
wohl noch historisch gewachsene regionale Unterschiede, die zunehmend aufgelöst werden. Gerade für seltene Erkrankungen ist hier eine enge Zusammenarbeit mit den Expertinnen und Experten und Zentren notwendig. Die Entscheidung zur Finanzierung moderner Therapien, die auch einen relevanten Kostenfaktor darstellen, sind zwar in der Regel Einzelfallentscheidungen, jedoch ist die ÖGK immer darum bemüht, sinnvolle Lösungen für die Patientinnen und Patienten zu finden. Es braucht aber auch entsprechende Parameter, wie etwa Leitlinien, die einen erwarteten Therapieerfolg rechtfertigen können“, resümiert Mag. Martin Schaffenrath, Mitglied des Verwaltungsrates der ÖGK.

Wir wollen sicherstellen, dass alle jene Patientinnen und Patienten die Therapie erhalten, die auch davon profitieren. Hilfreich wäre es dazu auch, gemeinsam mit der ÖGK Guidelines auszuarbeiten, um eine flächendeckende Versorgung zu ermöglichen.

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