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Optimierungspotenziale der Arzneimittelversorgung

© Manuela Egger-Moser

Optimierungspotenziale der Arzneimittelversorgung

© Manuela Egger-Moser

Nicht erst seit der Pandemie stellen sich Stakeholder die Frage, was aus der Geschichte zu lernen ist. Im Rahmen eines Gipfelgesprächs bei den PRAEVENIRE Gesundheitstagen 2022 in Alpbach, diskutierten Vertreterinnen und Vertreter aus Krankenhausapotheken und der Industrie über Optimierungspotenziale in der Arzneimittelversorgung – während und außerhalb von Krisen. | von Mag. Renate Haiden, MSc

Die Gruppe ist klein, aber einem großen Wandel unterworfen: Die Rede ist von den heimischen Pharmazeutinnen und Pharmazeuten, die in den 42 Krankenhausapotheken Versorgungsaufgaben übernehmen. Mit der Arzneimittelherstellung und einer Reihe pharmazeutischer Dienstleistungen stehen sie dafür, dass Patientinnen und Patienten optimal versorgt werden. Die zentrale Funktion ist die Sicherung des kompletten Arzneimittelprozesses im Spital, von der Beschaffung über die Unterstützung der ärztlichen Verordnung bis hin zur Anwendung. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitsdienstleisterinnen und -dienstleistern aus Medizin und Pflege ist ein wichtiger Beitrag für den sicheren, bedarfsorientierten und kosteneffizienten Einsatz von Arzneimitteln im Krankenhaus. Aktuell steht ein Thema ganz oben auf der Agenda, das nicht allein durch die COVID-19-Pandemie getriggert ist: die Sicherstellung einer hochwertigen Arzneimittelversorgung.

Herausforderungen durch die Pandemie

„Die vier Säulen zur Patientensicherheit – strategischer Einkauf, Logistik, Herstellung und klinische Pharmazie – sind unsere Kernaufgaben, die sich gegenseitig beeinflussen. Gerade die Erfahrungen während der Pandemie haben gezeigt, dass diese Zusammenarbeit auf kurzem Weg essenziell ist, um Herausforderungen wie Lieferengpässe oder auch die Verteilung der Covid-19-Arzneimittel zu meistern. Die laufende Abstimmung und Kommunikation stellen sicher, dass wir die zur Verfügung stehendenden Mittel effizient verwalten können“, beschreibt Mag. Martina Jeske MSc, aHPh, Leiterin der Anstaltsapotheke bei Tirol Kliniken die Situation. So einfach stellte sich die erwünschte Kooperation aber gerade am Beginn der Pandemie nicht dar: „Die Möglichkeit zur Beschaffung und Verteilung von COVID-19 therapierelevanten Arzneimitteln hat sich im Rahmen der Pandemie geändert und war vielfach nicht mehr innerhalb der etablierten Strukturen möglich. Bestimmte Arzneimittel zur Behandlung von SARS-CoV-2-Infektionen waren von den Anstaltsapotheken nicht mehr direkt bei den Pharmafirmen beziehbar und standen zudem in einem begrenzten Ausmaß zur Verfügung. Andere waren nur durch sehr frühzeitigen und zentralen Einkauf der Republik Österreich erhältlich und lieferbar, zu einem Zeitpunkt an dem tatsächlicher Bedarf und Wirksamkeit schwer abschätzbar war“, so Jeske weiter. Der klare und einhellige Wunsch der Krankenhausapothekerinnen und -apotheker lautet daher: rasch wieder zurück zum Ursprungszustand, wo Einkauf, Logistik, Herstellung und klinische Pharmazie in der Hand kompetenter Expertinnen und Experten liegen.

„Wir wissen, welche Präparate für eine sichere Therapie nötig sind und wie wir diese beschaffen können“, stellt Jeske stellvertretend für die Gruppe klar. Wie es in der Krise zu dieser Logistiklösung kommen konnte, erklärt DI Dr. Christa Wirthumer-Hoche, Leiterin der AGES Medizinmarktaufsicht: „In Europa wurde vereinbart, dass nur Regierungen bestimmte Arzneimittel kaufen konnten, um eine gerechte Verteilung, zum Beispiel der Impfstoff e, in der Krise sicherzustellen. Daher wurden Verteilungsschienen über den Großhandel und das Bundesheer etabliert.“ Doch auch Wirthumer-Hoche macht keinen Hehl daraus, dass es vernünftig wäre, wieder zu den ursprünglichen Kompetenzen zurückzukehren und weist auf eine weitere Fehlentwicklung hin: „Die Behörde war aufgrund von Vorgaben der Europäische Arzneimittel-Agentur EMA bei bestimmten Arzneimitteln in der Rolle abzuschätzen, welche Mengen gekauft werden und das zu einem Zeitpunkt, wo es noch nicht einmal ein zugelassenes Produkt oder Evidenz zur Wirksamkeit gab.“ Bisher lag die Aufgabe der Mengenschätzung und Bestellung aufseiten der Pharmaindustrie. Um zu diesem durchaus sinnvollen System zurückzukehren, bedarf es jedoch eines Beschlusses der EMA.

Die vier Säulen zur Patientensicherheit – strategischer Einkauf, Logistik, Herstellung und klinische Pharmazie – sind unsere Kernaufgaben, die sich gegenseitig beeinflussen.

Personalentwicklung am Scheideweg

Zeitgleich mit der Pandemie hat sich auch im Apothekenbereich die Personalsituation verschärft. So mussten zum Beispiel Fremdfirmen für die Reinraumreinigung ihre Leistung einstellen, was zu großen Herausforderungen bei der Zytostatikaherstellung geführt hat. Doch auch Win-win-Situationen sind entstanden, wie Mag. Gunda Gittler, aHPh, Leiterin der Apotheke des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder Linz, beschreibt: „Wir haben Medikamente für die Stationen verblistert, um die Pflege zu entlasten.“ Krankenhausapothekerinnen und -apotheker waren in der Herstellung von Händedesinfektion, der PCR-Testung oder der Aufbereitung der Impfdosen involviert. Das hat auch dazu geführt, dass mit ohnehin knappem Personal noch zusätzliche Überstunden angefallen sind. „Wir haben einen massiven Überhang an Urlaubstagen, die jetzt abgebaut werden müssen und nun zu Knappheiten führen“, sagt Dr. Wolfgang Ibrom, aHPh, Apothekenleiter am Ordensklinikum Elisabethinen Linz. Weniger Plasmaspender und damit Verzögerungen bei der Verfügbarkeit neuer Spenderprodukte von sechs bis neun Monaten verzeichnete Kerstin Schorn, Leiterin der Abteilung Patient Value and Access bei Takeda.

Spätfolgen der Pandemie ortet auch Mag. Ulrich Lübcke, Leiter des Field Access bei Bristol Myers Squibb: „Da viele Patientinnen und Patienten die Vorsorgeuntersuchungen und Früherkennungsprogramme nicht wahrgenommen haben, sehen wir nun mehr Tumore, die sich bereits in einem stark metastasierten Stadium befinden. Hier ist eine Behandlung eine große Herausforderung. Zudem sind viele onkologische Patientinnen und Patienten nicht mehr ins Krankenhaus zu ihrer verordneten Dauertherapie gekommen.“ Auf europäischer Ebene, so Wirthumer-Hoche, habe die Bürokratie zugenommen und in Österreich sei der Hemmschuh „Föderalismus“ einmal mehr deutlich geworden. Positive Entwicklungen sieht Mag. Gernot Idinger, aHPh, Leiter der Anstaltsapotheke des Landeskrankenhauses Steyr: „Die Lernkurve in unserer Organisation ist rasch und massiv gestiegen. Ich denke, dass wir uns hier auch auf gesamtgesellschaftlicher Ebene, etwa im Hinblick auf die Digitalisierung, wirklich weiterentwickelt haben.“ Jeske ergänzt: „Wir haben einen deutlichen Qualitätsschub verzeichnet.

Schmerzversorgung im intra- und extramuralen Spannungsfeld

„Fehlende Rohstoffe und steigende Nachfragen haben bei schmerz- und fiebersenkenden Medikamenten am Beginn der Pandemie für Knappheit gesorgt“, erinnert sich Gittler. Doch sowohl intra- als auch extramural konnten hier Alternativen zur Verfügung gestellt werden. Nichtsdestotrotz sollte künftig weiterhin das Augenmerk darauf liegen, Produktionsstandorte wieder nach Österreich zurückzuholen. Denn auch aktuell sind rund 400 Arzneimittel nicht lieferbar, davon einige orale Antibiotika. „Wenn wir nur ein oder zwei Hersteller haben, kann das System rasch kippen“, warnt Gittler. Importe aus dem europäischen Ausland können sich rasch zum Problem auswirken, vor allem, wenn es um Standorte in Nicht-EU-Ländern wie Großbritannien geht. „Produkte, die wir intramural verschreiben, waren extramural nicht verfügbar, das hilft Patientinnen und Patienten nicht“, wirft Mag. Dr. Birgit Oeser, aHPh, Apothekenleitung im Franziskus Spital in Wien ein. „Wenn es um ausreichende Bevorratung geht, so können v. a. großvolumige Produkte, die palettenweise geliefert werden, wie Infusionsflaschen, rasch auch ein Platzproblem in den Spitälern aufwerfen,“ so Jeske.

Dass die Schmerztherapie besonders unter Knappheiten leidet, weiß Dr. Thomas Schöffmann, Geschäftsführer bei Grünenthal Österreich, und beschreibt die Situation in Österreich, die nicht nur krisenbedingt ist: „Die Schmerztherapie hat in Österreich ohnehin schon keine gute Lobby. Schmerzambulanzen waren die Ersten, die in der Krise geschlossen wurden. Hausärztinnen und Hausärzte sind so frustriert vom schlechten Versorgungsangebot, dass sie ihre Patientinnen und Patienten gar nicht mehr weiter überweisen.“ Die meisten Arzneimittel in der Schmerzmedizin sind niedrigpreisig – mit Blick auf die Inflation und die Energiekosten könnte sich das rasch ändern. Produkte, die aktuell schon unter der Rezeptgebühr liegen, könnten rasch vom Markt verschwinden und die Versorgung zusätzlich beeinträchtigen. „Im Falle von Kontingentierungen werden Spitäler vorrangig versorgt“, sagt Schöffmann.

Energiekosten verteuern auch Arzneimittelproduktion

Die steigenden Energiepreise wirken sich unter anderem auch auf die Herstellung von Infusionen aus, da die Dampfdruck-Sterilisierung energieintensiv ist. „Wir können noch keine Preise für das kommende Jahr sagen und wir wissen auch noch nicht, ob wir als kritische Infrastruktur eingestuft werden“, beschreibt Rudolf Weis, Verkaufsleiter bei Fresenius Kabi, die Situation. Eine Anpassung an den Erzeugerpreisindex – unter Einbeziehung der Energiekosten – würde Preiserhöhungen von bis zu 20 Prozent bedeuteten. Langfristige Lieferverpflichtungen aufgrund von Ausschreibungen, könnten so nicht mehr kostendeckend erfüllt werden. „Wir wollen zwar alle die Rohstoffproduktion nach Europa holen, aber wir sind bei dieser Entwicklung preislich nicht konkurrenzfähig“, so Weis. Unterjährige Preisanpassungen sowie die Verringerung des Angebotes sind nach Ansicht aller Expertinnen und Experten zu erwarten. „Es braucht eine Kennzeichnung für in Europa hergestellte Produkte, denen Vorteile eingeräumt werden sollten, um das Bewusstsein für die Versorgungsicherheit auch in der Öffentlichkeit zu verbessern“, fordern Wirthumer-Hoche und auch Lübcke sowie Mag. Claudia Mraz, verantwortlich für Market Access bei MSD. Ein weiterer Wunsch, der geäußert wurde, ist, dass innovativen Arzneimitteln in der Gesundheitspolitik einen höheren Stellenwert eingeräumt wird.

Im Fokus: Patientinnen und Patienten

Bei allen versorgungsseitigen Unsicherheiten setzen die Krankenhausapothekerinnen und -apotheker auf die enge Zusammenarbeit und die verstärkte Kommunikation innerhalb der Branche, aber auch mit den Behörden und der Industrie. „Eine Lösung für alle Produkte und mit allen europäischen Ländern wird es nicht immer geben, aber ich bin zuversichtlich, dass wir im Einzelfall das bestmögliche Ergebnis für die Patientinnen und Patienten erzielen können“, resümiert Jeske. Auch Schorn bekräftigt, dass die Industrie meist international gut aufgestellt ist und im Krisenfall als bewährter Partner zur Verfügung gestanden ist.

Ihre Vielseitigkeit haben die Krankenhausapothekerinnen und -apotheker gut unter Beweis gestellt: „Wir haben die Krise gemeinsam bisher mit unkomplizierten und unkonventionellen Lösungen sehr gut bewältigt, aber für große Themen wie Lieferengpässe oder die Schmerztherapie braucht es Strukturen und Anreize von der Politik“, betont Mag. Dr. Stefan Mohr, stellvertretende Apothekenleitung des LKH-Univ. Klinikum Graz. Damit bei aller Zusammenarbeit der Nutzen für die Patientinnen und Patienten nicht vergessen wird, macht Mag. Sabine Röhrenbacher vom Bundesverband Selbsthilfe Österreich einmal mehr auf den „Health in all Policies“-Ansatz aufmerksam: „Wir benötigen das Bewusstsein in allen Politikbereichen. Die Nutzung der Daten zwischen extra- und intramuralem Bereich wäre ein wichtiger Schritt, um viele der Herausforderungen rascher zu lösen.“ Eine offene Kommunikation, Transparenz und der partnerschaftliche Dialog werden auch künftig die Planungs- und Versorgungssicherheit unterstützen.

Diskussionsteilnehmende (v.l.)

Gernot Idinger, Ulrich Lübcke, Gunda Gittler, Kerstin Schorn, Christa Wirthumer-Hoche, Sabine Röhrenbacher, Martina Jeske, Claudia Mraz, Thomas Schöffmann, Fabian Waechter (Moderation), Rudolf Weis

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