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Optimale Versorgung bei Krebserkrankungen

© MANUEL A EGGER-MOSER

Optimale Versorgung bei Krebserkrankungen

© MANUEL A EGGER-MOSER

Gerade die Onkologie steht häufig im Mittelpunkt, wenn es um die Sicherstellung der solidarischen state-of-the-art-Gesundheitsversorgung der Österreicherinnen und Österreicher geht. Es braucht hochspezialisiertes Expertenwissen, um die teils sehr kostspieligen Therapien so anwenden zu können, dass am Ende ein vernünftiges Kosten-Nutzen-Ergebnis steht. | von Mag. Renate Haiden, MSc

Onkologische Patientinnen und Patienten zu versorgen ist in vieler Hinsicht „anders“, als
herkömmliche chronisch Kranke zu betreuen, da in kaum einem vergleichbaren Feld Forschung und Praxis so nahe beisammen sind. Es braucht medizinische und pflegerische Expertise, die mit dem kontinuierlichen Wissenszuwachs Schritt halten kann und gleichzeitig sehr nahe an den Betroffenen möglichst individuell arbeitet. Die demografische Entwicklung mit steigenden Inzidenzraten von Krebskranken und der Fortschritt der Wissenschaft mit innovativen Therapien
und diagnostischen Möglichkeiten legen die Latte hoch. Um diese vielfältigen Anforderungen bewältigen zu können, hat PRAEVENIRE bereits 2017 unter der Patronanz zahlreicher Stakeholder mit dem „Seitenstettener Manifest zur zukünftigen onkologischen Versorgung“ eine patientenzentrierte Philosophie erarbeitet und seither laufend weiterentwickelt sowie Impulse gesammelt – zuletzt im Rahmen eines Gipfelgesprächs beim Forum Alpbach.

Personalplanung und Versorgung

Die umfassende Betreuung und Begleitung von Patientinnen und Patienten ist ein zentraler Erfolgsbaustein und gleichzeitig einer der personal- und damit kostenintensivsten für ein Konzept „Onkologie 2030“. Es wäre nicht nur für die Betroffenen und ihre Angehörigen wünschenswert, dass neben der ärztlichen Behandlung eine sogenannte Cancer Nurse zur Verfügung steht, die den pflegerischen und administrativen Aufwand abdeckt. „Wir erleben, wie schnell sich die Onkologie entwickelt und sich das Bild der Pflege ändert. Durch den Fortschritt bei den Therapien werden wir in den nächsten zehn Jahren und darüber hinaus immer mehr
Patientinnen und Patienten mit und nach einer Krebserkrankung haben, die versorgt werden müssen“, bringt Walter Voitl-Bliem, MBA, Geschäftsführer der Österreichischen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (OeGHO), die Anforderungen auf den Punkt. Ein Weg aus diesem prognostizierbaren Engpass könnte eine Spezialisierung der Pflegekräfte in Richtung von Cancer Nurses sein, um ärztliches Personal adäquat zu entlasten. Gleichzeitig könnte man damit das Berufsbild attraktiver machen.

Aktuell gibt es in Österreich einige onkologische Abteilungen, die bereits auf die Mitarbeit von Cancer Nurses setzen, jedoch handelt es sich dabei um ein freiwilliges Engagement. Der Grund für das Fehlen einer flächendeckenden Versorgung ist aus Sicht von Harald Titzer, BSc, MSc, Präsident der Arbeitsgemeinschaft hämatologischer und onkologischer Pflegepersonen (AHOP),
ein Versagen des Gesetzgebers: „Bei der Pflegereform wurde die Onkologie nicht als Spezialbereich erkannt. Heute zeigen uns die Anforderungen, dass das ein Fehler war.“

Ebenfalls im Freiwilligenbereich finden sich Pflegekräfte, die Betroffene und Angehörige über Selbsthilfeorganisationen unterstützen: „Der enge Kontakt zu den Menschen und ihrem sozialen Umfeld ist notwendig, um bestmöglich auf ihre Bedürfnisse einzugehen“, unterstützt auch Angelika Widhalm vom Bundesverband Selbsthilfe Österreich die Forderung nach der Spezialisierung. Wie so oft in der Medizin ist auch die Behandlung von Krebspatientinnen und -patienten ein Teamsport, doch mit besonderen Anforderungen. „Die Onkologie unterscheidet sich von anderen medizinischen Fachgebieten durch ihre Komplexität bei Diagnose und
Therapie und das spricht für speziell ausgebildetes Personal“, meint auch Pharmaexperte Mag. DDr. Wolfgang Wein.

Cancer Nurses sind keine „Schmalspurärzte“

Prim. Priv.-Doz. Dr. Birgit Grünberger, Leiterin der Abteilung für Innere Medizin, Hämatologie und internistische Onkologie des Landesklinikums Wiener Neustadt und Sekretärin der Österreichischen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie, fordert nachdrücklich, das Augenmerk auf Zentren, Spezialisierung und personalisierte Therapien zu legen: „Onkologische Patientinnen und Patienten benötigen vor allem Zeit und das ist es, was wir am wenigsten haben. Für ein erfolgreiches Behandlungsergebnis müssen wir die sozialen Faktoren einfließen lassen und genau hier können Cancer Nurses ihre Vorteile ausspielen.“ Grünberger war in der Ausbildung europäischer Cancer Nurses als Trainerin involviert und kennt die vielen Vorteile: „Durch die Nähe zu den Betroffenen können sie im Management der Erkrankung rascher reagieren und haben hohe Sensibilität für Veränderungen bei den Patientinnen und Patienten. In manchen Ländern haben sie z.B. auch die Kompetenz, die Medikamentendosis anzupassen.

Dass Cancer Nurses keine „Schmalspurärzte“ sein dürfen, warnt Univ.-Prof. Dr. Michael
Gnant von der Medizinischen Universität Wien: „Eine Spezialisierung eröffnet ein weiteres Spannungsfeld in der Berufsgruppe der Gesundheits- und Krankenpflege und ändert
nichts an der Tatsache, dass wir einen Mangel an Onkologinnen und Onkologen haben!“ Er
plädiert dafür, dass Patientinnen und Patienten keine falschen Perspektiven gezeigt werden,
denn: „Wir müssen uns an die Vorstellung gewöhnen, dass knappe Personalressourcen eher dazu führen, dass weniger hochqualifiziertes Personal Aufgaben übernehmen wird, wie etwa Nurse Practicioner.“

Das wird schon allein deswegen erforderlich sein, weil sich die Zahl der zu Behandelnden
rasant verändert. „In den letzten zehn Jahren verzeichnen wir doppelt so viele onkologische Patientinnen und Patienten und das wird sich in den kommenden zehn Jahren noch einmal
verdoppeln. Das heißt, wir benötigen einerseits spezialisierte Zentren mit einem hohen technischen Aufwand und gleichzeitig Personal, das die Betroffenen über einen viel längeren Zeitraum als bisher begleiten kann“, sagt Prim. Doz. Dr. Hannes Kaufmann, Vorstand der 3. Med. Abteilung Zentrum für Onkologie und Hämatologie Klinik Favoriten, Wien. Im Laufe der Erkrankung ändern sich auch die Bedürfnisse. So treten bei onkologischen Patientinnen und Patienten am Ende der eigentlichen Krebstherapie als Langzeitfolgen häufig soziale oder psychische Probleme auf und sie benötigen daher den Support anderer Berufsgruppen. „Alle in ein Zentrum zu schicken, wäre der teuerste und am wenigsten hilfreiche Weg. Daher braucht es ein Umdenken bei den Strukturen“, so Kaufmann.

Mag. Martin Schaffenrath, MBA, MBA, MPA, Mitglied des Verwaltungsrates der ÖGK, ergänzt: „Wir sind in Sachen Leistungsharmonisierung auf einem guten Weg. Daher dürfen wir auch bei den onkologischen Zentren nicht in Bundesländergrenzen denken, sondern müssen die richtigen Menschen in das richtige Zentrum zuweisen, um die passende und damit auch kosteneffiziente Versorgung zu gewährleisten.“

Spezialisierung verschärft Pflegemangel

Priv.-Doz. DDr. Peter Kölblinger, MBA ist Leitender Oberarzt der Universitätsklinik für Dermatologie und Allergologie, Salzburger Landeskliniken, und kommt aus einem
hochspezialisierten Bereich, der Derma-Onkologie: „Aufgrund des Pflegemangels wurde die dermaonkologische Tagesklinik in eine interdisziplinäre Tagesklinik übergeführt. Wir haben gesehen, dass es für Patientinnen und Patienten besonders wichtig ist, dass es eine kontinuierliche Betreuung gibt – egal aus welcher Profession.“

Doch nicht nur im intramuralen Sektor muss die Versorgung onkologischer Patientinnen und
Patienten gewährleistet sein. „Wir brauchen Angebote im niedergelassenen Bereich, wie z.B.
die interdisziplinäre onkologische Nachsorge Ambulanz IONA im Gesundheitszentrum
Mariahilf der Österreichischen Gesundheitskasse“, betont Dr. Andreas Krauter, Leiter des Medizinischen Dienstes, Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK). In die gleiche Kerbe
schlägt auch Mag. Dr. Edgar Starz, Leiter Zentraleinkauf der Steiermärkischen Krankenanstaltengesellschaft: „Wir haben immer mehr Schwierigkeiten, die Spezialeinrichtungen mit Pflegepersonal zu versorgen, denn je spezialisierter das Personal ist, desto weniger flexibel
kann es eingesetzt werden.“

Digitalisierung steigert Effizienz

„Eine fachlich korrekte Betreuung heißt nicht immer fachlich adäquat. Oft ist es den Betroffenen subjektiv für die eigene Lebensqualität viel wichtiger, sich gut aufgehoben und wohlzufühlen, als mit einer hochspezialisierten Medizinerin oder einem Mediziner in Kontakt zu
sein. Diese Lücke könnten die Cancer Nurses sehr gut füllen“, ist Assoc.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Lukas Weiss, PhD, Leitender Oberarzt an der Universitätsklinik für Innere Medizin III, Uniklinikum Salzburg, Leiter der Colorectal Branch der ABCSG, überzeugt. Dennoch wird mit Blick auf 2030 auch aus seiner Sicht die Versorgung durch ein Plus an Personal nicht
realistisch sein: „Wir müssen eine Diskussion führen, was ärztliche und was nicht-ärztliche
Tätigkeiten sind und wie wir es schaffen, Kosten zu reduzieren und die Effizienz zu steigern, etwa durch den Einsatz digitaler Gesundheitsanwendungen“, so Weiss. Die Themenführerschaft und die fachliche Leitung müssen aus seiner Sicht zentrumsbasiert bleiben, denn hier können Studien durchgeführt oder neue Substanzen verschrieben werden. Dann braucht es aber einen neuen Schnittpunkt zum extramuralen Setting.

Dass die Onkologie im niedergelassenen Setting fehlt, ist aus Sicht von Gnant eine
Fehlentwicklung: „Der digitale Datenaustausch ist Voraussetzung, dass Therapien intramural fachkundig festgelegt werden, aber durchaus extramural umgesetzt werden können. Viele onkologische Patientinnen und Patienten, die als geheilt gelten, könnten in der Nachsorge dort betreut werden.“ Anders sieht es Grünberger: „Die Onkologie ist ein komplexes Fachgebiet. Im Spital arbeiten wir in Tumorboards und im niedergelassenen Setting soll dann ein Onkologe alles können?“ Zudem, so die Onkologin, sei es in Österreich den Betroffenen durchaus
zumutbar, in das nächstgelegene Zentrum zu fahren. Für Grünberger, Kaufmann und
Krauter wäre die extramurale Lösung nur denkbar, wenn es eine enge Anbindung und Kooperation mit einem Zentrum und eine digitale Vernetzung gibt.

Individuelle Behandlung optimieren

Präzisionsmedizin und patientenzentrierte Therapien sind moderne Schlagwörter, die so neu aber nicht sind, denn Kombinationstherapien werden in der Onkologie schon viele Jahre erfolgreich eingesetzt. Die Erwartungen, dass jeder Betroffene nach einer Analyse dann auch wirklich die beste Therapie erhält, sind überzogen. Aktuell geht die Entwicklung noch weiter in die Richtung, Therapievorschläge aufgrund von bestimmten Krebs- oder Personeneigenschaften gezielt auszuwählen. „Einen wirklichen Benefit haben wir hier aber erst bei ganz wenigen Patientinnen und Patienten, weil der Einsatz dieser Vorgangsweise im einstelligen Prozentbereich liegt“, sagt Weiss.

Auch Prim. Univ.-Prof. Dr. Thomas Grünberger, Vorstand der Abteilung für Chirurgie, Klinik Favoriten, Wien, rückt die Erwartungen zurecht und plädiert für Standards: „Nicht jeder durchschnittliche Betroffene erhält die innovativsten Therapien. Es braucht hochspezialisiertes Wissen, um zu entscheiden, wann welche Form der Therapie und welches Medikament zum Einsatz kommt, und auch die etwaigen Analyseergebnisse richtig zu interpretieren. Es braucht Nutzenabwägungen, die sich in der Lebensqualität und Lebenserwartung widerspiegeln. Ich bin überzeugt, dass wir hier in Österreich unter den Top 10 liegen.“

Benjamin Riedl, Experte für Gesundheitsökonomie im Wiener Gesundheitsverbund, bremst
zu hohe Erwartungen: „Zur Genomsequenzierung aller onkologischen Patientinnen und Patienten fehlen die Ressourcen. Der Preis von modernen Therapien muss sich jedenfalls am Nutzen orientieren.“ Dass es weit mehr Aufwand benötigt, um die passende Therapieentscheidung zu treffen und den erwünschten Erfolg zu verbuchen, meint auch Kaufmann: „Es ist nicht das Gros der 75 Prozent durchschnittlichen Onkologiepatientinnen und
-patienten, sondern die letzten 25 Prozent der Betroffenen, um die wir uns intensiv kümmern müssen und wo die medizinische Versorgung teurer wird.“ Dazu ist es aus Sicht aller Expertinnen und Experten erforderlich, österreichweite Standards festzulegen und auch eine Diskussion über die Kosten und den zu erwartenden Nutzen zu führen. Denn es zeigt sich, dass der Kostentreiber nicht die innovativen Therapien, sondern vielmehr das Personal sind.

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