Die föderalistische Struktur in Österreich geht auch am Gesundheitssystem nicht spurlos vorüber. Die OECD und der Rechnungshof haben diesen Umstand als „komplex, intransparent und teuer“ beschrieben.
Mag. Renate Haiden, MSc
Freie Journalistin
Im OECD-Schnitt und im EU-Vergleich liegen die Kosten für die Versorgung der heimischen Bevölkerung über dem Durchschnitt. Trotzdem schaffen es Herr und Frau Österreich nicht, länger gesund zu leben. Die Qualität der Versorgung ist nicht immer optimal und auch das deutet auf Ineffizienz hin, die vor allem durch die Fragmentierung von Verantwortlichkeiten und der Finanzierung verursacht wird. Mit dem Ergebnis, dass weder die Qualität noch die Sicherheit der Versorgung flächendeckend zufriedenstellend ist.
Die Finanzierung aus einer Hand wird häufig als Lösung für viele aktuelle Herausforderungen im Gesundheitswesen beschrieben. Woran es immer noch scheitert, welche Rolle dabei die Bundesländer spielen und welche Ideen aktuell auf dem Tisch liegen, beschreiben Mag. Dr. Christian Stöckl, Landeshauptmann-Stellvertreter, ressortzuständig für Finanzen und Gesundheit im Land Salzburg, und Peter Hacker, amtsführender Stadtrat für Soziales, Gesundheit und Sport, Wien, im Gespräch mit PERISKOP.
PERISKOP: Warum ist die Finanzlage im Gesundheitswesen so angespannt?
Stöckl: Schon in den 90er-Jahren war absehbar, dass es immer schwieriger werden wird, das Gesundheitssystem in der gewohnten hohen Qualität aufrechtzuerhalten. Der demografische Wandel und die damit verbundenen Herausforderungen für das Gesundheitswesen, wie beispielsweise die zunehmende Anzahl an chronisch Kranken und multimorbiden Patientinnen und Patienten mit deutlich höherem Versorgungsaufwand, waren keine unerwartete Entwicklung. Daher wurden die Landesgesundheitsfonds eingerichtet und übernahmen am 1.1.1997 die öffentlich-rechtliche Finanzierung öffentlicher gemeinnütziger Krankenanstalten nach dem System der leistungsorientierten Krankenanstaltenfinanzierung. Darüber hinaus erfüllen sie Aufgaben, die sich aufgrund der partnerschaftlichen Zielsteuerung-Gesundheit auf Landesebene ergeben. Als Finanzgeber der Landesgesundheitsfonds fungieren der Bund, die Länder und Gemeinden sowie die Sozialversicherungen. Dass die Zahlungen limitiert sind, liegt auf der Hand, denn als Selbstverwalter können die Sozialversicherungen auch nur das aufbringen, was sie über die Beiträge der Versicherten einnehmen. Auch Bund, Länder und Gemeinden haben Limitierungen. Der Finanzrahmen der Landesgesundheitsfonds war auf fünf Jahre ausgelegt und sollte 2002 neu verhandelt werden. Gleichzeitig hat man für diese Gesundheitstöpfe 1997 auch festgelegt, dass die Abgänge von den Rechtsträgern bezahlt werden müssen, das sind zu großen Teilen die Länder.
Was hat sich seither verändert?
Stöckl: Es ist seit 2002 nicht gelungen, dieses alte System der Finanzierung in ein neues überzuführen. Mittlerweile stehen wir Länder mit dem Rücken zur Wand, denn von Jahr zu Jahr steigen die Abgänge exorbitant an. Corona hat die Situation noch weiter verschärft. Die Teuerung wird auch durch den rasanten Fortschritt in der Medizin angeheizt. Es werden immer mehr und bessere Medikamente entwickelt, die aber besonders in Nischen wie den seltenen Erkrankungen extrem teuer sind und nicht flächendeckend angeboten werden können. Manche Therapien dürfen nur an Universitätskliniken oder in Expertisezentren durchgeführt werden. Das führt dann sogar dazu, dass Betroffene kurzzeitig den Wohnsitz in ein anderes Bundesland wechseln, um an Therapien zu kommen. Für diese Fälle haben wir eine „kleine“ Lösung gefunden: einen Finanztopf für seltene Erkrankungen.
Hacker: Gleiches gilt für onkologische Patientinnen und Patienten. Die Einzelmedikamente sind zwar nicht ganz so teuer wie bei seltenen Erkrankungen, aber in Summe sind es auch hohe Kostenanteile, die vonseiten der Länder mitfinanziert werden. Viele onkologische Behandlungen sind aufgrund der Fortschritte in der Medizin heute schon ambulant möglich.
Warum werden manche Leistungen im extramuralen Setting nicht angeboten?
Stöckl: Wir haben in den Krankenhäusern – noch viel stärker als im niedergelassenen Sektor – eine extreme Leistungsverdichtung. Solange diese Finanzierung – auf der einen Seite die Selbstverwaltung, auf der anderen Seite die Steuergelder – existiert, wird es immer den Kampf zwischen extra- und intramuraler Versorgung geben. Da sind wir immer Verlierer, denn Spitäler haben einen absoluten Versorgungsauftrag. Wir können niemanden wegschicken, wenn er ins Krankenhaus kommt! Die Gesundheitskassen und die Sozialversicherungen steuern über das Honorar die Leistungen im niedergelassenen Bereich. Manche Leistungen werden extramural so unattraktiv entlohnt, dass sie automatisch im Spital landen. Ein Beispiel sind intravitreale operative Medikamentenapplikationen in der Augenheilkunde. Die Honorare, wenn überhaupt, gestalten sich derart, dass diese Leistungen in die Spitäler verlagert werden. Seit Jahren dränge ich hier auf eine Lösung mit der ÖGK.
Können Primärversorgungseinheiten einen Teil der Spitalsleistungen übernehmen?
Hacker: Das ist genau das Spannungsfeld, in dem alle Bundesländer stecken, und erst recht jene mit Universitätskliniken. Seit 2015 haben wir zwar auch kein neues Finanzierungsmodell, aber zumindest einige inhaltliche Punkte geklärt, wir etwa die Möglichkeit, Primärversorgungszentren (PVEs) aufzubauen. Das kann ein Spital nicht ersetzen, aber zumindest bei ambulanten Leistungen zum Teil entlasten. Doch weder die Krankenkassen noch die Ärztekammer haben Interesse daran, diese Bereiche wirklich versorgungswirksam aufzubauen.
Stöckl: Immer mehr Leistungen werden in Richtung öffentliche Krankenhäuser verschoben, doch Jammern hilft nicht, wir müssen nach Lösungen suchen. Eine ist die Einrichtung von PVE, die sich jedoch auf Grund der engen gesetzlichen Möglichkeiten sehr zaghaft entwickeln. Eine dazu erforderliche Gesetzesnovelle ist schon so gut wie fertig. Daher bin ich guter Dinge, dass PVE-Gründungen in nächster Zeit zunehmen werden.
Wer krank ist, will behandelt werden. Welcher Teil des Gesundheitssystems für diese Kosten aufkommt, ist den Patientinnen und Patienten nicht wichtig.
Peter Hacker
Ist ein neues Finanzierungsmodell nun in Aussicht?
Hacker: Wir haben viele solcher Beispiele, daher wollen wir in den Finanzausgleichsverhandlungen eine grundsätzliche Neuordnung verlangen. Sie muss die Basis dafür bilden, was in der Versorgung evident ist: Wer krank ist, will behandelt werden! Welcher Teil des Gesundheitssystems für diese Kosten aufkommt, ist den Patientinnen und Patienten in der Situation nicht wichtig. Die Bürgerinnen und Bürger zahlen in ganz Österreich Steuern und Sozialversicherungsbeiträge und haben kein Verständnis für den Verdrängungswettbewerb. Wir haben in der Zwischenzeit so umfangreiche Abgänge aus dem Steuergeld des jeweiligen Bundeslandes zu stemmen, weil der Großteil der medizinischen Entwicklung hin zur tagesklinischen und ambulanten Versorgung von der Krankenkassa in der derzeitigen Form gar nicht bewältigt werden kann. Es braucht daher eine Änderung der grundsätzlichen Logik. So ist die Idee entstanden, dass extra- und intramuraler Teil weiter bestehen sollen, aber in der Mitte eine neue Finanzierungssäule entstehen muss. Diese neue Mittelsäule umfasst Primärversorgungszentren oder den tagesklinischen Bereich. Es gibt dazu in den Bundesländern in der jeweiligen Landeszielsteuerung spannende Projekte, aber die können keine Versorgungswirksamkeit entfalten, weil in diesem Topf so wenig Geld ist!
Stöckl: Da das System der Finanzierung von Gesundheitsleistungen seit 25 Jahren nicht geändert wurde, ist es immer komplizierter geworden. Es ist Zeit, hier an einer Bereinigung zu arbeiten.
Wer soll nun die neue mittlere Säule finanzieren?
Hacker: Aktuell ist die Idee, über den Bundesmittel zu finanzieren. Da auch die Tagesklinik in diesen Topf fällt, werden wir künftig den Spitalstopf auf die Bereiche Notfall, Unfall, Chirurgie und Bett reduzieren. Neu ist, dass das Spital nicht mehr nur aus einer Quelle finanziert wird. Das wird auch eine Herausforderung für das Spitalsmanagement werden. Da werden Spitalsmanager möglicherweise in unterschiedlichen Abrechnungslogiken denken müssen. Diese Herausforderung ist aber bewältigbar und darf nicht abschrecken.
Stöckl: Unser Projekt in Mittersill ist so angedacht, dass wir dort ein kleines Spital bauen und in dieses Gebäude soll auch ein PVE kommen, mit einem extra Eingang. Der Standort an Verkehrsknotenpunkten macht schon allein aufgrund der Erreichbarkeit Sinn. Kleine Spitäler können nur überleben, wenn sie interdisziplinär arbeiten.
Wir haben in den Krankenhäusern eine extreme Leistungsverdichtung.
Christian Stöckl
Wer soll nun die neue mittlere Säule finanzieren?
Hacker: Aktuell ist die Idee, über den Bundesmittel zu finanzieren. Da auch die Tagesklinik in diesen Topf fällt, werden wir künftig den Spitalstopf auf die Bereiche Notfall, Unfall, Chirurgie und Bett reduzieren. Neu ist, dass das Spital nicht mehr nur aus einer Quelle finanziert wird. Das wird auch eine Herausforderung für das Spitalsmanagement werden. Da werden Spitalsmanager möglicherweise in unterschiedlichen Abrechnungslogiken denken müssen. Diese Herausforderung ist aber bewältigbar und darf nicht abschrecken.
Stöckl: Unser Projekt in Mittersill ist so angedacht, dass wir dort ein kleines Spital bauen und in dieses Gebäude soll auch ein PVE kommen, mit einem extra Eingang. Der Standort an Verkehrsknotenpunkten macht schon allein aufgrund der Erreichbarkeit Sinn. Kleine Spitäler können nur überleben, wenn sie interdisziplinär arbeiten.
Sind sich da alle neun Länder einig?
Hacker: Die Verhandlungen finden zwischen Bund und Ländern statt und es geht um rund 30 Mrd. Euro. Wir haben noch zwei kleine Säulen, die hier mitbedacht werden müssen: den Medikamenteneinkauf, der über den Dachverband und die Spitäler erfolgt und wo es aktuell zwischen intra- und extramuralem Sektor eine strikte Trennung gibt. Es spricht einiges dafür, einen gemeinsamen Einkauf für das Gesundheitswesen zu denken. Die fünfte Säule betrifft die öffentliche Gesundheit und umfasst das Impfen und die Vorsorgeprogramme. Mir ist auch das Thema Versorgungssicherheit wichtig. Wir haben zurzeit einen Katalog von über 500 Medikamenten, die nicht lieferbar sind. Wenn ein zentraler Einkauf das am Radar hat, kann man auch besser planen und die Versorgungssicherheit steigt.
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