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Josef Smolle: Perspektiven für Österreichs Gesundheitssystem

Portrait Josef Smolle
© RICHARD TANZER

Josef Smolle: Perspektiven für Österreichs Gesundheitssystem

Portrait Josef Smolle
© RICHARD TANZER

Univ.-Prof. Dr. Josef Smolle ist als Dermatologe, Venerologe und Abgeordneter zum Nationalrat das, was man einen Top-Gesundheitsexperten in der Politik nennt. Mit PERISKOP sprach er über seine Perspektiven für Österreichs Gesundheitssystem.

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Mag. Dora Skamperls

PERISKOP-Redakteurin

Josef Smolle war von 2008 bis 2016 Rektor der Med Uni Graz und fühlt sich bis heute der Lehre und der Ausbildung junger Medizinerinnen und Mediziner sehr verpflichtet. In seiner Person vereint sich der Praktiker, der Lehrer, der Wissenschafter und der Mensch mit viel Können und Wissen, die er in die hohe Kunst der Politik erfolgreich einbringt.

PERISKOP: Herr Prof. Smolle, Sie sind Dermatologe und haben sich im Rahmen Ihrer Professur an der Med Uni Graz mit Neuen Medien in der medizinischen Lehre und interaktiven elektronischen Lehr- und Lernmethoden beschäftigt. Wie wichtig ist die Vermittlung von Digital Skills und Data Literacy in der Ausbildung der Gesundheitsberufe?

SMOLLE: Das muss in der Ausbildung der Gesundheitsberufe eine Rolle spielen und spielt auch eine Rolle, aber die Digitalisierung im Gesundheitswesen muss man mehrschichtig anschauen. In der Dateneingabe ist die Belastung der Gesundheitsberufe eine Mehrfache geworden. Kaum je wird in den Gesundheitsberufen gesagt: Hurra, die Digitalisierung entlastet uns im Arbeitsalltag. Es gibt Ausnahmen: Positives Beispiel ist die digitale Radiologie. Wo profitieren die Gesundheitsberufe sonst von der digitalen Dateneingabe? Ein Positivum ist die Verfügbarkeit. Wo man früher in einem Archiv kramen musste, hat man es heute digital verfügbar. Das wird allerdings durch den Datenschutz zum Teil wieder konterkariert. Allein einen digitalen Befund von einem anderen Krankenhaus anzufordern und zu bekommen, verlangt wieder Papierformulare und einen großen administrativen Aufwand.

Das nächste große Asset der Digitalisierung ist die Möglichkeit, riesige Datenmengen auszuwerten. Leider wird das viel zu wenig gemacht, und auch wenn es gemacht wird, ist es im Alltag der Gesundheitsberufe nicht unmittelbar spürbar. Trotzdem glaube ich, dass man auf diesem Weg der Auswertung und Vernetzung der vorhandenen Daten weitermachen muss. Das Austria Micro Data Center, das ja gesetzlich geregelt ist, ist ein sehr gutes Instrument, hier einen entscheidenden Schritt weiterzukommen.

Kaum je wird in den Gesundheitsberufen gesagt: Hurra, die Digitalisierung entlastet uns im Arbeitsalltag.

In Ihrer wissenschaftlichen Arbeit beschäftigen Sie sich unter anderem mit der Früherkennung von Hauttumoren mittels neuer, bildgebender Verfahren. Welche Bedeutung haben solche gerätetechnischen Weiterentwicklungen, wenn die daraus folgenden Datenmengen nicht in flächendeckenden Informationssystemen auch für die Forschung genutzt werden können?

Ich halte den Aufbau von wirklich flächendeckend nutzbaren Datenbanken und der Vernetzung von vorhandenen Datenbanken im Interesse der Steuerung des Gesundheitswesens und des Erkennens von epidemiologischen Veränderungen für eine ganz wichtige Maßnahme. Zusammen mit einer sehr ausgeprägten Wissenschaftsskepsis in Österreich gibt es auch eine sehr ausgeprägte Datenskepsis. Wenn es um diagnostische Methoden geht, wie zum Beispiel die Klassifikation von Hauttumoren oder auch generell in der Pathologie, so braucht es ja einen ganz breiten Datensatz. Wenn man dann die Künstliche Intelligenz (KI) daraufsetzt, und das funktioniert technisch vielfach schon recht gut, ist entscheidend, dass der Datensatz, von dem das System lernt, auch entsprechend gut war – nicht nur groß, sondern auch das gesamte Spektrum der Möglichkeiten umfassend, für die es angewendet werden soll.

Wie können wir die einzelnen Akteure in den Bundesländern, die auf ihren Datenschätzen sitzen, dazu bringen, die Daten in ein System zusammenzuführen?

Die Entwicklung dieser Krankenhausinformationssysteme ist eine sehr dynamische. Manche Länder oder Spitalsträger haben hier eine Vorreiterrolle eingenommen und waren früh mit einem bestimmten System dran, andere etwas später, haben vielleicht schon ein moderneres System genommen. Bis zur Umstellung dauert es wieder eine Zeit, und so hat sich eine sehr differenzierte Landschaft entwickelt. Ich habe nicht die Illusion, dass man überall irgendwann das einheitliche System haben wird, wohl aber die Hoffnung, dass die Systeme gut miteinander vernetzbar sein werden.

Welche Bedeutung werden Ihrer Meinung nach in Zukunft Vorsorgeprogramme und -untersuchungen zur Entlastung des Gesundheitssystems haben wie ein jährlicher Bewegungs- und Mobilitäts-Check oder der „Best-Agers-Bonuspass“?

Die Implementierung des Facharztes für Allgemeinmedizin und Familienmedizin ist nicht einfach nur ein Umtiteln der praktischen Ärztinnen und Ärzte, sondern soll mit einer Erweiterung des Portfolios einhergehen. Da gehört die Präventionsarbeit ganz massiv dazu. Ich sehe auch eine große Chance für digitale Gesundheitsanwendungen, die in der Motivation der Entwicklung und Aufrechterhaltung eines gesunden Lebensstils sehr förderlich sein können.

Manche Probleme in den nachgeordneten Bereichen hätten wir nicht, wenn die Primärversorgung flächendeckend bestens funktionieren würde.

PRAEVENIRE fordert, alle vom Nationalen Impfgremium empfohlenen Impfungen kostenlos zu ermöglichen. Denken Sie, es ist möglich, die Impfbereitschaft mittels Aufklärung und solcher niederschwelligen Angebote zu erhöhen?

Aufklärung ist wichtig. Die kostenlose Bereitstellung steigert vielleicht in manchen Sektoren die Bereitschaft, erhöht in anderen Sektoren aber möglicherweise die Impfskepsis, das haben wir schon erlebt. Grundsätzlich darf ein soziales Gesundheitssystem nicht nur auf Reparieren setzen, sondern auch auf Präventionsmaßnahmen – und da ist Impfung eine der aller wichtigsten. Wenn das zunehmend im Rahmen des solidarischen Gesundheitssystems zur Verfügung gestellt wird, halte ich das für eine gute Entwicklung, auch in epidemiologischer Hinsicht; ein Beispiel ist die HPV-Impfung, wo Österreich eines der ersten Länder war, wo die Impfung nicht nur für Mädchen, sondern auch für Knaben kostenlos angeboten wurde, und die kürzlich bis 21 Jahre ausgeweitet worden ist.

Thema Darmgesundheit – können Sie ein paar Punkte zum Status quo des österreichweiten Koloskopie-Programms darstellen? Wie stehen Sie zu der PRAEVENIRE Forderung, das Mikrobiom als eigenes Organ zu betrachten?

Mikrobiomforschung ist im Moment ein großer Boom. Im Moment zeigt jede Studie, wie wichtig das Mikrobiom ist, aber es gibt noch kaum Ergebnisse, die sagen: Wenn das Mikrobiom so oder so ist, dann bedeutet das dieses oder jenes – oder wir müssen das Mikrobiom auf diese oder jene Weise verändern, damit wir etwas Bestimmtes erzielen. So weit ist man noch lange nicht. Deshalb ist weitere Forschung wichtig.

Koloskopie ab einem gewissen Alter in regelmäßigen Abständen ist eine sinnvolle Maßnahme. Ich könnte mir vorstellen, dass man hier ein ähnliches Einberufungssystem wie beim Brustkrebs macht. Es gibt auch neue Entwicklungen, wie der gentechnische Nachweis von Krebszellen im Stuhl, etc. Generell muss Prävention viel mehr in den allgemeinen Verpflichtungen dessen, was von der Sozialversicherung gezahlt wird, beinhaltet sein.

In vielen ländlichen Regionen gibt es immer weniger ärztliche Versorgung im niedergelassenen Bereich. Welche Konzepte erachten Sie als sinnvoll, um die Primärversorgung nachhaltig zu sichern?

Die Primärversorgung ist das Rückgrat der Gesundheitsversorgung. Manche Probleme in den nachgeordneten Bereichen hätten wir nicht, wenn die Primärversorgung flächendeckend bestens funktionieren würde. Das umfasst das gesamte Spektrum von der allgemeinmedizinischen Einzelordination bis zum komplett ausgebauten Primärversorgungszentrum. Dazwischen kann es die Primärversorgungsnetzwerke geben, die – disloziert – ein ähnliches Spektrum anbieten wie Primärversorgungszentren. Dann gibt es natürlich noch weitere unterschiedliche Formen der Vernetzung und Zusammenarbeit der Allgemeinmedizin mit anderen Gesundheitsberufen. Man muss hier das kassenärztliche allgemeinmedizinische System so erweitern, dass genau diese Vernetzungsaktivitäten und das breite Abdecken des Bedarfs der Erstversorgung entsprechend gewährleistet sind. Wenn man dem noch ein gut ausgebautes 1450 vorausschaltet, das die Patientinnen und Patienten in Form einer „Patientenlenkung light“ zum Best Point of Service hinführt, und dieses Angebot auch vor Ort vorhanden ist, dann würde das der Primärversorgung und allen nachgeschalteten Institutionen guttun. Dann wäre etwas Telefonisches oder Digitales der erste Einstieg, aber die entscheidende Lotsenfunktion spreche ich der Allgemeinmedizin zu.

Es ist eine Frage der Patientensicherheit, dass man Spitalsversorgung schwerpunktmäßig organisiert.

Ein Dauerbrenner im Fokus der Medien ist der Bereich der Pflege und Betreuung. Welche Konzepte – abgesehen von der Attraktivierung der Gesundheitsberufe – gibt es, die für eine Entlastung sorgen können?

Beim Begriff Pflege muss man zwei völlig unterschiedliche Welten gesondert betrachten. Das eine ist die Alten- und Langzeitpflege und Pflege zu Hause, und das andere ist die Pflegekraft im Spital. Die Entwicklung muss in die Richtung gehen, dass die Pflege zu Hause besser unterstützt wird, dass auch hier die externen Hilfestellungen für die Pflege zu Hause weiter ausgebaut werden. Auch ein Zwischenmodell muss in Form des betreuten Wohnens ausgebaut werden, wo dann eine Betreuungskraft für mehrere Wohneinheiten vorgehalten werden kann. Meines Erachtens nicht denkbar ist eine 24-Stunden-Betreuung einer Einzelperson im Angestelltenverhältnis, das ist für niemanden finanzierbar.

Welche Rolle spielen in Österreich pflegende Angehörige und wie können sie besser geschult und von gesetzlicher Seite entlastet werden?

Von gesetzlicher Seite wurde als erster Schritt der Pflegebonus für die Pflege zu Hause eingeführt als ein Signal in die richtige Richtung. Das Zweite ist der Anspruch auf Kurzzeitpflege in einer Pflegeeinrichtung. Und dann brauchen die pflegenden Angehörigen natürlich auch eine fachliche Unterstützung, wobei Schulungsangebote durchaus auch in digitaler Form hilfreich sein werden.

Das Spitals- und Gesundheitsmanagement hinkt vielen innovativen Entwicklungen hinterher. Warum ist das System so träge und wie kann optimiert werden, um auch den veränderten Anforderungen des jungen Personals an ihre Jobs zu begegnen?

In der Spitalslandschaft haben wir sicher in Österreich das große Problem, dass es sehr viele kleine Spitäler gibt, die aus einer Motivation von vor ungefähr 100 Jahren entstanden sind, doch mittlerweile hat sich die Medizin massiv geändert. Vieles ist so spezialisiert, dass es nur konzentriert an wenigen Stellen, dafür aber von eingeschworenen, routinierten Teams qualitativ gut gemacht werden kann. Das ist natürlich eine politische Herausforderung. Es ist schwer, einer Bezirksstadt begreiflich zu machen, dass das, wo Krankenhaus draufsteht, vielleicht in absehbarer Zeit andere Funktionen haben wird. Gleichzeitig muss man aber der Gesamtbevölkerung vermitteln, dass es eine Frage der Patientensicherheit ist, dass man Spitalsversorgung schwerpunktmäßig organisiert. Das Ganze ist noch akzentuiert durch die vor einigen Jahren stattgefundene wichtige und überfällige Reduktion der ärztlichen Arbeitszeit. Das führt nämlich dazu, dass man für die ärztliche Arbeit in einem kleinen Spital, die sich früher auf eine Handvoll von Chirurginnen und Chirurgen aufgeteilt hat, plötzlich an die 20 Dienstposten vorhalten muss – und das geht zulasten der Erfahrung, Routine und Patientensicherheit.

Prävention muss viel mehr in den allgemeinen Verpflichtungen dessen, was von der Sozialversicherung gezahlt wird, beinhaltet sein.

Wie sieht das Spital der Zukunft für Sie aus – Stichworte Ambulantisierung und Betten- zahl bzw. Bettenfunktion?

Wenn man mehr ambulant macht und gleichzeitig schaut, dass die ambulante Nachbetreuung gut gesichert ist, was wieder in Richtung Primärversorgung geht, dann muss diese flächendeckend gewährleistet sein. Dann kommt man sicher mit deutlich weniger Betten aus, wie viele andere Länder zeigen, die auch ein recht gutes Gesundheitssystem haben. Das, was stationär verbleibt, wird sehr spezialisiert sein. Für problematisch halte ich die verlockende Idee der multidisziplinären Belegung einer Station, weil man dabei ignoriert, dass auch die Pflege etwas Hochspezialisiertes ist. Das geht allenfalls bei ganz einfachen Routinedingen, nicht jedoch in der komplexen Spitzenmedizin. Die Zentralkrankenhäuser oder Zentralkliniken sind allerdings auch nicht nur zur Vorhaltung von Betten da, sondern sie sind Expertisezentren. Und bei seltenen Krankheiten reicht manchmal ein einziges Zentrum für das ganze Land. Das ist eine Frage der Qualität und Effizienz. In der Realität geht es schon in diese Richtung.

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