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Innovatives Forschungsfeld: Stamm- und Immunzelltherapie

Innovatives Forschungsfeld Stamm- und Immunzelltherapie, Professur für Zelltherapie
© Feel Image, Matern

Innovatives Forschungsfeld: Stamm- und Immunzelltherapie

Innovatives Forschungsfeld Stamm- und Immunzelltherapie, Professur für Zelltherapie
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Stamm- und Immunzelltherapien gelten als innovatives Forschungsgebiet. Welche Perspektiven sich damit in der Behandlung auftun, schildert Univ.-Prof. Dr. Antonia Müller von der MedUni Wien im PERISKOP-Interview.

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Rainald Edel, MBA

Periskop-Redakteur

Antonia Müller übernahm mit Mai 2022 die Professur für Zelltherapie und Transfusionsmedizin der MedUni Wien sowie die Leitung der Universitätsklinik für Blutgruppenserologie und Transfusionsmedizin von MedUni Wien und AKH Wien.

PERISKOP: Was versteht man unter der Stamm- und Immunzelltherapie konkret und welche Formen gibt es?

Müller: Die älteste Form der Zelltherapie ist die allogene Knochenmarktransplantation, die erstmalig im Jahr 1957 durchgeführt wurde – damals unter Verwendung von Knochenmark von Leichenspendern auf einen Leukämiepatienten. Im Rahmen einer allogenen Stammzelltransplantation werden einerseits gesunde Blutstammzellen, die die Blutbildung für den Rest des Lebens in der Empfängerin, im Empfänger sicherstellen sollen, übertragen, andererseits wird aber auch das adaptive, spezifische Immunsystem der Spenderin, des Spenders mitinfundiert und kann maßgeblich dazu beitragen, bösartige Leukämiezellen in der Empfängerin, im Empfänger als fremd zu erkennen, zu attackieren und somit die Heilungschancen zu erhöhen. Als Transplantate wurde früher Knochenmark verwendet, heutzutage meist mobilisierte aus dem Blut abgesammelte Stammzellgemische, da deutlich einfacher zu gewinnen. Die Stammzelltransplantation stellt weiterhin die einzige kurative Behandlungsform für viele Patientinnen und Patienten mit bösartigen Erkrankungen des Bluts oder schweren angeborenen Immundefekten dar. Neue Therapieformen, wie die CAR-T-Zelltherapie, versuchen lediglich den Immuneffekt der Zelltherapie zu nutzen – ohne gleichzeitig eine „große“ Transplantation des kompletten Blut- und Immunsystems durchzuführen. Hierbei werden (momentan meist körpereigene) T-Lymphozyten gentechnisch derart verändert, dass sie gegen Zielstrukturen, die auch auf den entarteten malignen Zellen zu finden sind, abgerichtet werden. Im Rahmen der gentechnischen Modifikation werden dann zugleich co-stimulatorische, verstärkende Elemente integriert, was den CAR-T-Zellen ermöglicht, einen übernatürlichen immunologischen Effekt zu vermitteln. Diese Therapieform steht derzeit nur für wenige Indikationen (Lymphome, multiple Myelome) zur Verfügung, da für andere Erkrankungen bisher keine Zielstrukturen identifiziert sind, die sicher angegriffen werden könnten, ohne dass es zu bedrohlichen Nebenwirkungen kommen könnte.

Bei welchen anderen Indikationen  bieten Zellprodukte einen Therapiefortschritt?

Blut- und Knochenmarkzellen sind aufgrund ihres flüssigen Charakters ein leicht erhältliches Forschungsmaterial, welches unkompliziert und ohne Schädigung des Menschen entnommen werden kann. Daher wurde die Blutstammzelle schon in den 1980er Jahren identifiziert und ist inzwischen sehr gut charakterisiert. Anders sieht dies für solidere Gewebe aus: Auch hier werden Stammzellen mit „regenerativem Potenzial“ postuliert, sind aber bei weitem schlechter charakterisiert und stehen in der Klinik noch nicht für Gewebeersatz routinemäßig zur Verfügung. Wohl aber ist es prinzipiell möglich, Haut zu züchten und zu übertragen (z. B. bei Brandopfern), Inselzellen für Patientinnen und Patienten mit Diabetes zu isolieren und transplantieren etc.

Immer mehr Expertinnen und Experten sprechen sich für eine Produktion von Zellprodukten am Point of Care aus. Welche Vorteile haben solche In-House-Lösungen? Wie sieht die Lage diesbezüglich in Österreich aus?

In-House-Herstellung bietet viele Vorteile: Zeitgewinn; Verwendung von frischen Zellen und Geweben und Vermeidung zellschädigender Einfrierschritte; Kosteneinsparung (wenngleich der Unterhalt der Infrastruktur ebenfalls sehr teuer ist und die Produktion auch vor Ort teuer bleibt); genaue Kenntnis über Produkteigenschaften und Inhalt; und mit am wichtigsten vielleicht die Möglichkeit, durch akademische Studien tatsächlich neuartige Konzepte zu prüfen und einen Beitrag zum Fortschritt zu liefern. Als Wissenschafterinnen, Wissenschafter und Ärztinnen, Ärzte ist es nicht primär unsere Aufgabe, und wir haben auch nicht entsprechende Kompetenzen, den großen Pharmafirmen Konkurrenz zu machen und bereits etablierte car-t-Konstrukte nachzubauen, sondern eben vielmehr neuartige Ideen zu entwickeln und auf Richtigkeit und Machbarkeit zu überprüfen. Wenn aber CAR-T-Zellen und andere Zelltherapien in frühere Behandlungslinien rücken und aufgrund ihrer breiten Anwendung budgetrelevant für das Gesundheitswesen werden, dann ist es denkbar, dass man an gewissen großen Zentren sogenannte Herstellungszentren aufbaut und dort die Herstellung von Produkten für die reguläre Patientenversorgung durchführt. Die Gewinnung und Verarbeitung, inklusive Kryoasservation und Lagerung, sind für Häuser mit Stammzelltransplantationsprogramm Routine, für die Herstellung von CAR-T-Zellen werden zunehmend geschlossene Systeme und Kits angeboten, sodass die Herstellung technisch gut machbar sein dürfte. Große Hilfe wäre allerdings bei der Umsetzung regulatorischer Hürden und der Finanzierung der Infrastruktur und Facilities, ebenso wie der Vergütung der Herstellung der Produkte und der eigentlichen Behandlung durch die Krankenkasse bzw. alternative Vergütungsmodelle. Diese Hürden können Krankenhäuser alleine nicht bewältigen. Derartige Entscheide müssen auf höherer gesundheitspolitischer Ebene entschieden und getragen werden. Wohin die Reise geht, ist noch nicht sicher. Wenn man sich mit Kolleginnen und Kollegen in den USA unterhält, ist man dort schon deutlich überzeugter, dass die Herstellung zurück in die akademischen Zentren geht. Am sinnvollsten erscheint wohl die Herstellungskompetenz an den Zentren aufzubauen und spezielle Anwendungen außerhalb der Routinezulassung zu verwenden, sodass dann die zwangsläufig rasche und deutlich günstig werdende Bereitstellung von Produkten durch die Pharmaindustrie für Standardindikationen für den Hauptteil der Patientinnen, Patienten verwendet werden könnte.

Biobox

Antonia Müller studierte Humanmedizin an der Albert-Ludwigs Universität Freiburg im Breisgau. Praktika führten sie u. a. nach Wien (Klinik Hietzing), Kapstadt (Groote Schuur Hospital) und New York (Memorial Sloan Kettering Cancer Center). Ihre Facharztausbildungen für Internistische Hämatologie und Onkologie begann sie ebenfalls in Freiburg i.Br., unterbrach diese dann aber für einen mehrjährigen Forschungsaufenthalt von 2006 bis 2012 an der Stanford University, CA. Ihre Forschung in der Division of Blood and Marrow Transplantation befasste sich mit der Pathophysiologie der Graft versus Host Erkrankung sowie Regeneration von Blutbildung und Immunfunktion mittels verschiedener präklinischer Stammzelltransplantationsmodelle. Zurück in Europa, komplettierte sie am Universitätsspital Zürich in der Klinik für Medizinische Onkologie und Hämatologie ihre Facharztausbildung und war dann dort seit 2015 als Oberärztin im Bereich der Stamm- und Immunzelltherapie tätig. Seit Mai 2022 ist sie Professorin für Zelltherapie und Transfusionsmedizin an der MedUni Wien sowie Leiterin der Universitätsklinik für Blutgruppenserologie und Transfusionsmedizin an der MedUni Wien und am AKH Wien.

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