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Innovative Strategien gegen Arzneimittelengpässe

Seit Ausbruch der Pandemie nehmen Arzneimittelengpässe weltweit zu.
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Innovative Strategien gegen Arzneimittelengpässe

Seit Ausbruch der Pandemie nehmen Arzneimittelengpässe weltweit zu.
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Seit Ausbruch der Pandemie nehmen Arzneimittelengpässe weltweit zu. In Österreich und in anderen europäischen Ländern hat dies spürbare Auswirkungen auf die kontinuierliche Patientenversorgung. Innovative Strategien sind gefragt.

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Mag. Renate Haiden, MSc

Freie Journalistin

Lieferengpässe bei Arzneimitteln haben unterschiedliche Ursachen. Sie kommen etwa dadurch zustande, dass nicht ausreichend Rohstoffe für die Produktion vorhanden sind. Sie können auch
das Ergebnis der Verlagerung von Produktionsstätten auf wenige Standorte sein oder die Einstellung von Produktionslinien, die sich als nicht mehr wirtschaftlich erweisen. Häufig werden Wirkstoffe in China, Pakistan oder Indien produziert. Nicht immer sind es die Wirkstoffe, die fehlen. Manchmal können die Verpackungen nicht hergestellt werden oder es gibt Engpässe beim Transport, sodass die Lieferkette der Medikamente still steht. Ist eine Charge fehlerhaft oder ein Transportschiff kann den Hafen nicht verlassen, so spüren die Patientinnen und Patienten in Europa zeitversetzt den Engpass. Neu ist das Phänomen nicht, aber seit Ausbruch der Pandemie, dem Ukraine-Krieg und der Energiekrise tritt es immer häufiger auf, weil die Unwegsamkeiten mehr werden.

Nach Angaben der AGES, der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit, sind hierzulande aktuell mehr als 400 Medikamente von Lieferschwierigkeiten betroffen. Mit einer Entspannung ist auch in den nächsten Wochen nicht zu rechnen und das betrifft nicht etwa „exotische“ Medikamente, sondern durchaus häufig verschriebene Antibiotika, Asthmasprays, Augentropfen oder Neuroleptika und Schmerzmittel, die bei Erkältungen und grippalen Infekten Linderung versprechen. Oft kann nur in Rücksprache mit den behandelnden Ärztinnen und Ärzten Ersatz gefunden werden. Nicht immer stößt das auf Verständnis bei den Betroffenen und gerade ältere Menschen haben bei der Umstellung einer gewohnten Medikation oft Schwierigkeiten.

Lieferketten resilienter machen

In Österreich ist die Arzneimittelversorgung über die Verteilerkette von Pharmaunternehmen über den Pharmagroßhandel zu den Apotheken und den Endverbrauchern abgedeckt. Österreichische Arzneimittel-Vollgroßhändler müssen nach gesetzlicher Definition durch
ausreichende Lagerhaltung, eine entsprechende Sortimentsgestaltung sowie Versorgungsbereitschaft, -regelmäßigkeit und -intensität dafür sorgen, dass die Arzneimittelversorgung sichergestellt ist.

Sie haben daher auch die Aufgabe, diese globalen Krisen genau im Auge zu behalten, um möglichen Vertriebseinschränkungen rechtzeitig entgegenzuwirken und mit einer vorausschauenden Lagerhaltung kurzfristige Ausfälle abzufangen.

Von einer „Einschränkung der Vertriebsfähigkeit“ spricht die Verordnung, wenn voraussichtlich mehr als zwei Wochen gar nicht geliefert werden kann oder voraussichtlich mehr als vier Wochen ein Arzneimittel nicht in ausreichender Menge verfügbar ist, um den Bedarf der Patientinnen und Patienten zu decken. Mit Inkrafttreten der Verordnung über die Sicherstellung der Arzneimittelversorgung am 1. April 2020 und aufgrund der Arzneimittelbetriebsordnung 2009 sind Zulassungsinhaber verpflichtet, jede Einschränkung der Vertriebsfähigkeit für verschreibungspflichtige Arzneimittel über das E-Service „Zulassung und Lifecycle ASP“ zu melden.

Bei Arzneimitteln, die für sehr viele Patientinnen und Patienten wichtig sind – zum Beispiel Diabetes- oder Herz-Kreislauf-Medikamente – oder für die es keine therapeutischen Alternativen gibt, ist eine sichere Versorgung besonders wichtig. Daher ist gerade bei diesen Produkten in den letzten Jahren der Aufbau von nationalen Reserven durch Bevorratung in den Fokus von Stakeholdern gerückt. Der Wunsch im Gesundheitswesen, das Management von potenziellen oder tatsächlichen Lieferengpässen zu verbessern, ist groß, nicht nur in Krisenzeiten, sondern auch im Regelbetrieb.

Innovative Konzepte gefragt

Für mehr Resilienz im Gesundheitswesen setzt sich auch Jens Peter Nielsen, Vice President, Sales & Unlicensed Medicine bei Orifarm, ein. Das Unternehmen versteht sich als innovativer Akteur im europäischen Gesundheitsmarkt. „Unsere Kernkompetenz ist der Import von Originalarzneimitteln aus EU-Staaten mit niedrigerem Preisniveau. Wir sehen darin nicht nur ein wirtschaftliches Erfolgsrezept für alle Beteiligten, sondern auch einen effektiven Weg, um dem Gesundheitswesen Zugang zu sicheren, wirksamen und gleichzeitig kostengünstigen Medikamenten zu verschaffen“, beschreibt Nielsen den Zugang. Hand in Hand damit hat Orifarm auch ein wirkungsvolles Konzept zur kurzfristigen Bewältigung von Arzneimittelengpässen, das in Ländern wie Dänemark oder Großbritannien bereits erfolgreich umgesetzt wird. Man spricht von sogenannten „Unlicensed Medicines“ (UL), das sind Arzneimittel, die zum Zeitpunkt des Vertriebs über keine heimische Zulassungsnummer verfügen, aber dennoch – unter bestimmten, gesetzlichen Bedingungen – abgegeben werden dürfen. Es kann sich dabei um Orphan Drugs für bestimmte, seltene Krankheiten handeln.

UL können auch in anderen gesetzlich geregelten Ausnahmesituationen auf den Markt kommen, im Wesentlichen immer dann, wenn der Behandlungserfolg mit einer (anderen) in Österreich zugelassenen und verfügbaren Arzneispezialität voraussichtlich nicht erzielt werden kann. Voraussetzung ist, dass die Rahmenbedingungen, unter denen das geschehen kann, klar definiert sind, insbesondere, wer im Notfall darüber entscheiden darf bzw. muss, welche Kontingente auf diesem Weg beschafft werden.

Unsere Kernkompetenz ist der Import von Originalarzneimitteln aus EU-Staaten mit niedrigerem Preisniveau.

„Großhändler, Apotheken und Krankenhäuser werden mit UL genauso wie mit vielen anderen Arzneimitteln beliefert, jedoch bedarf es vorab spezieller Genehmigungen durch lokale Behörden“, beschreibt Nielsen den Weg. So kann besonders im Krisenfall rasch auf einen Engpass reagiert werden. „Gibt es Unterbrechungen der nationalen Versorgung, etwa durch Herstellungsprobleme oder Verzögerungen in der Lieferkette, kann binnen kürzester Zeit ein Angebot an die ausschreibende Stelle abgeben werden. Erfahrungsgemäß sind Antworten zu lieferbaren Mengen binnen 24 Stunden möglich. Aus dem bestehenden Lieferantennetz wird ein spezieller Lieferantenpool zusammengestellt, der in der Regel eine Lieferzeit von einer bis maximal zwei Wochen sicherstellen soll“, beschreibt der Experte den geplanten Ablauf.
Für den beschleunigten Ablauf in der Lieferkette soll künftig im tschechischen Lager von
Orifarm ein eigenständiger Prozess entwickelt werden, der die Wareneingangskontrolle, die Lagerung und den Versand umfasst und Good-Distribution-Practices-konform ist.
„In weiterer Folge wollen wir ein Lager zur Cross-Country-Verteilung für relevante Produkte aufbauen, um noch rascher agieren zu können. Als Kunden werden sowohl Großhandel, Spitäler als auch öffentliche Institutionen, die Engpass-Situationen in den Ländern bearbeiten, betreut“, fasst Nielsen zusammen und prognostiziert, dass die UL-Struktur bis zum Ende des ersten Quartals 2023 in vollem Umfang startklar sein wird.

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Kornelia Nemeth von Orifarm Austria ist zuversichtlich: Nach dem Vorbild von Großbritannien oder Norwegen wollen wir in Österreich standardisierte Prozesse implementieren, um UL rasch und flexibel in den Markt zu bringen.

Klare Strukturen erforderlich

Bis der Vertrieb von UL am heimischen Markt möglich ist, ist noch eine Reihe von Vorarbeiten auf nationaler Ebene erforderlich, die sich durchaus an den bestehenden Musterländern orientieren könnten. So ist etwa in Großbritannien eine nationale Behörde dafür zuständig, die Importgenehmigung für eine bestimmte Zeitspanne zu erteilen. Bei Unterbrechung der Lieferkette tritt in Norwegen die „Norwegian Medicinal Agency“ an registrierte Lieferanten wie Orifarm heran, die Abrechnung und Kostenübernahme erfolgt durch die nationale Gesundheitsbehörde. „Sowohl Dänemark als auch die Niederlande haben hier ein gut funktionierendes System erarbeitet, das sehr rasch und flexibel reagieren kann“, so der Orifarm-UL-Experte. Er ist überzeugt, dass das System auch Vorbild für den österreichischen Markt sein könnte, solange es klare Verantwortlichkeiten und Strukturen umfasst.

Abhängig von Produkt und Verfügbarkeiten, kann Orifarm derzeit innerhalb von zwei bis
sechs Wochen liefern. „Wir haben Tausende europäische Arzneimittel auf Lager und direkten Zugang zu US-amerikanischen Produktionslinien sowie gute Kontakte zu allen wichtigen Großhändlern innerhalb Europas, sodass wir hier für nahezu alle Anfragen gut aufgestellt sind“, beschreibt Nielsen die Vorteile. Neben der Versorgungssicherheit bieten beide – sowohl der UL- als auch der Parallelimport-Markt – auch aus der Nachhaltigkeitsperspektive einen interessanten Ansatz in Form einer europäischen Clearingstelle: Produkte, die möglicherweise in anderen EU-Ländern entsorgt werden müssten, können so ihren Weg zu den Patientinnen und Patienten finden, die aktuell unter Versorgungs- und Lieferengpässen leiden.

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