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Gesundheitssystem braucht klare Konzepte

Gerhard Kaniak
© KRISZTIAN JUHASZ

Gesundheitssystem braucht klare Konzepte

Gerhard Kaniak
© KRISZTIAN JUHASZ

Im Gesundheitssystem knirscht es zurzeit gewaltig. Die Regierung beginnt Reformen anzugehen. Welche Ideen und Konzepte dazu seitens der Oppositionspartei FPÖ bestehen, erörterte PERISKOP mit deren Gesundheitssprecher Mag. Gerhard Kaniak.

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Rainald Edel, MBA

Periskop-Redakteur

Einblicke in das Gesundheitssystem hat Gerhard Kaniak schon als Jugendlicher gewonnen, indem er in der väterlichen Apotheke mithalf. Das so geweckte Interesse für Gesundheit führte ihn nach dem Pharmaziestudium in Wien nach Laakirchen, wo er seit 2006 als Apotheker tätig und seit 2014 auch alleiniger Eigentümer der dortigen Helios Apotheke ist. Dem Nationalrat gehört er seit 2017 an. Seit Jänner 2020 ist Gerhard Kaniak Obmann des parlamentarischen Gesundheitsausschusses.

PERISKOP: In vielen ländlichen Regionen gibt es immer weniger ärztliche Versorgung im niedergelassenen Bereich. Welche Konzepte erachten Sie als sinnvoll, um die Primärversorgung nachhaltig zu sichern?

KANIAK: Wir leiden an strukturellen Fehlern der Vergangenheit. Es war dem Gesundheitssystem lange Zeit durchaus recht, wenn Leistungen nicht im niedergelassenen Bereich erbracht wurden, sondern in den Ambulanzen und Spitälern, da sich die Sozialversicherungen durch diese Leistungsverlagerung Kosten gespart haben.

Zugleich haben die Länder als Trägerorganisationen der Krankenhäuser davon profitiert, weil so ihr Stellenwert im Gesundheitssystem gestärkt wurde. War eine kassenärztliche Stelle bis vor rund fünfzehn Jahren durchaus noch attraktiv, haben zusätzliche bürokratische Aufgaben, Verordnungsrichtlinien, Einschränkungen in der Diagnostik und Therapie die Arbeit als Kassenärztin, Kassenarzt in den letzten Jahren zunehmend unattraktiv gemacht. Dadurch stagniert zum einen die Gesamtanzahl der Kassenärztinnen und -ärzte in den letzten zehn Jahren, obwohl die Bevölkerung im gleichen Zeitraum um fast zehn Prozent zugenommen hat. Zum anderen ist die Zahl der Wahlärztinnen und -ärzte um 40 Prozent gestiegen, da diese nicht den bürokratischen Vorgaben der Sozialversicherungen unterliegen. Durch die COVID-19-Pandemie ist die Belastung im öffentlichen Gesundheitsbereich noch stärker angestiegen, wodurch überlastete und frustrierte Ärztinnen und Ärzte, Pflegekräfte und andere Gesundheitsberufsgruppen dem öffentlichen Gesundheitssektor immer stärker den Rücken kehren. Die Ursache sind weniger finanzielle Aspekte, sondern primär die Arbeitsbedingungen, die Rechte und Befugnisse und gleichzeitig die Pflichten und Verpflichtungen, die das Arbeiten erschweren und Kassenstellen unattraktiv machen. Um das zu ändern hat die FPÖ einen Sechspunkteplan ausgearbeitet.

Was beinhaltet dieser Plan im Detail?

Zunächst ist eine ehrliche Evaluierung der tatsächlich benötigten Stellen notwendig. Das bedeutet, wir brauchen einen bundesweit einheitlichen verbindlichen Schlüssel für den Spitalsbereich. Damit einher geht auch eine Neuevaluierung des Strukturplans Gesundheit. Der letzte Plan stammt aus dem Jahr 2009. Es braucht in vielen Fällen keine finanzielle Besserstellung, aber mehr Fairness bei den Dienstverträgen von allen Angestellten im Gesundheitsbereich.

Handlungsbedarf besteht im Bereich der Kompetenzen und des bürokratischen Aufwands. So haben Ärztinnen und Ärzte intra- wie extramural durch Dokumentations- und Abrechnungsaufgaben immer weniger Zeit für Patientinnen und Patienten. Zudem werden dem nichtärztlichen Personal immer mehr Aufgaben übertragen, zu denen sie nach den Berufsbildgesetzen nicht befugt sind. Ich bin der Meinung, dass wir auf Grund der guten Qualifikation der Menschen im Gesundheitsbereich eine deutliche Ausweitung der Kompetenzen für die jeweilige Berufsgruppe gesetzlich auch verankern sollten. Das entlastet die Ärztinnen und Ärzte, die dadurch mehr Zeit für eigentliche Aufgaben haben.

Wir benötigen aber auch eine massive Ausbildungsoffensive und einen Überblick über die tatsächlich zur Verfügung stehenden Ausbildungskapazitäten sowie die in Ausbildung befindlichen Personen. Auch sollten wir auf die Expertise langjähriger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheitssystem zurückgreifen und ihnen attraktive Angebote machen, damit diese nicht so früh wie möglich in Pension gehen, sondern zum Beispiel im Bereich der Ausbildung zur Verfügung stehen. In der Ausbildung haben sich Stipendienanreizen zur Bedarfssteuerung bewährt, allerdings sollten diese bundesweit einheitlich geregelt sein.

Für Wahlärztinnen und Wahlärzte braucht es ein Angebot, dass diese in einer Mischform zumindest tageweise Kassenpatientinnen und -patienten zur Verfügung stehen. Ebenso muss es auch Spitalsärztinnen und -ärzten möglich sein, eine Kassenordination zu betreiben.

Österreich hat mit ELGA seit einigen Jahren ein elektronisches Basissystem für die Gesundheitsversorgung, das allerdings, so die Kritik von Anwendern und Patientenseite, noch einige Schwachstellen hat. Welche Ausbaupläne gibt es dazu?

Eines der Hauptprobleme ist, dass wir nicht die flächendeckende verpflichtende Verwendung von Diagnosecodes haben. Solange nicht alle Leistungen einheitlich codiert und Diagnosedaten, Befunde etc. hochgeladen sind, ist es sehr schwierig diese im unmittelbaren Patientenkontakt zu nutzen. Das zweite Grundproblem ist, dass durch die Möglichkeit des partiellen Opt-outs, die Datenbasis, auf die die Ärztin, der Arzt zugreift, ungewiss ist. Dadurch ist der Wert einer solchen Datenbank ein zweifelhafter und es entsteht ein zusätzlicher Abklärungsbedarf, der Zeit kostet und die Effizienz des gesamten Systems reduziert. Hier wäre eine klare Entscheidung, ob jemand mitmacht oder nicht, besser gewesen. Zu klären wäre zudem, wie die Versorgung aufrechterhalten werden kann, wenn ELGA und andere elektronische Gesundheitssysteme durch einen Ausfall nicht verfügbar sind.

Inwieweit sollen anonymisierte Daten, die es oftmals ja schon gäbe, zum Beispiel im Rahmen von Krankheitsregistern für Auswertungen zur Verfügung stehen?

Grundsätzlich stehe ich der Nutzung anonymisierter Daten positiv gegenüber. Wie die Coronapandemie gezeigt hat, fehlen uns Daten, um gesundheitspolitisch valide Entscheidungen zu treffen. Aber solange die Sammlung nicht zentral einheitlich erfolgt, haben die momentan vorhandenen Daten nur einen sehr eingeschränkten Wert. Es gibt schon einzelne Ansätze, wie diese Daten für wissenschaftliche Zwecke in anonymisierter Form zur Verfügung gestellt werden können. Aus meiner Sicht wäre es ideal hier eine zentrale staatlich beauftragte Stelle zu haben – das kann die Gesundheit Österreich GmbH sein, die ELGA GmbH – also eine Stelle die nachweislich gezeigt hat, dass sie Datensicherheit gewährleisten kann. Durch die Vermarktung der Daten soll ein Beitrag zum öffentlichen Gesundheitssystem erzielt werden und somit wieder der Allgemeinheit zugute kommen.

Welche Konzepte – abgesehen von der genannten Attraktivierung der Gesundheitsberufe – gibt es im Bereich der Pflege und Betreuung, die für eine Entlastung sorgen können?

Die Anwerbung ausländischer Pflegekräfte ist aus unserer Sicht keine nachhaltige Lösung, sondern schafft nur noch zusätzliche Probleme. Wir müssen vielmehr eigene Ressourcen mobilisieren und stärken. Wir haben auch in der Pflege eine bevorstehende Pensionierungswelle und kämpfen seit Jahren mit dem verstärkten Trend zur Teilzeit. Zudem hat es in den letzten drei Jahren viele Negativanreize im Bereich der Pflege gegeben. Hier muss man gegensteuern. Die Pflegelehre ist sicherlich ein erster Schritt. Nötig sind zudem eine bessere Durchlässigkeit und Aufstiegschancen in den gehobenen Pflegedienst sowie eine gesetzliche Grundlage, dass erworbene Kompetenzen auch rechtlich gesichert eingesetzt und finanziell abgegolten werden.

Im PRAEVENIRE Jahrbuch fordern die Expertinnen und Experten, alle vom Nationalen Impfgremium empfohlenen Impfungen kostenlos zu ermöglichen. Denken Sie, es ist möglich, die Impfbereitschaft mittels Aufklärung und niederschwelliger Angebote zu erhöhen?

Außer Frage steht, dass Impfen ein ganz wichtiger Baustein der Präventionsmedizin ist und wir mehr Prävention und weniger Akutmedizin brauchen. Allerdings hat die aktuelle Bundesregierung mit dem Covid-Impfpflichtgesetz massiven Schaden an der Impfbereitschaft der Bevölkerung angerichtet. Die Kosten der Impfung sind aus meiner Sicht eher sekundär, wie man beispielsweise an der FSME-Impfung sieht. Daher braucht es weniger eine Ausweitung der Gratisimpfungen, sondern viel mehr eine klare nationale Impfstrategie. Diese muss beinhalten, welche Stellen tatsächlich für Impfungen zuständig sind, und eine Abschaffung der derzeitigen Parallelstrukturen und Rabatte, die nur einzelne Anbietergruppen gewähren können. Aus den letzten drei Jahren hat sich ein großer Nachholbedarf vor allem bei Auffrischungsimpfungen angestaut. Hierzu haben wir einen Antrag eingebracht, der Apotheken als niederschwelligen Ort für Auffrischungsimpfungen vorschlägt. Denn dabei ist das Risiko überschaubar, wenn die Erstimpfung bei einer Ärztin, einem Arzt erfolgte und gut vertragen wurde. Für die Erstimpfungen sind aus meiner Sicht nach wie vor Hausärztin, Hausarzt oder für einzelne Impfungen die entsprechenden Fachärztinnen und Fachärzte die beste Lösung. Auch muss es bundesweit einen einheitlichen, fairen Tarif für Impfleistungen geben.

Ein aktuelles Thema ist die Arzneimittelversorgung in Österreich. Wie reagiert die Politik auf die veränderten Umstände, die zu dieser Situation geführt haben?

Führende Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass die Versorgungskrise mit Arzneimittel noch lange nicht überwunden ist und wir im Herbst Winter wieder mit einer verstärkten Knappheit bei Antibiotika und Schmerzmitteln konfrontiert sein werden. Wie ich vor Monaten in meinem Fünfpunkteplan im Parlament dargelegt habe, brauchen wir in Österreich neue gesetzliche Notfallregelungen für die Arzneimittelabgabe, wie sie bereits in anderen Ländern angewandt wird. Zudem ist eine Belieferungspflicht an den vollsortierten pharmazeutischen Großhandel und eine Vorratshaltung essenzieller Arzneimittel sowie eine Anpassung der Preisbandpolitik notwendig, damit die Kosten für die Erzeuger gedeckt sind und somit eine Produktion wieder nach Europa rückgeführt werden kann. Die Bundesregierung redet sich da auf die europäische Ebene aus, die für langfristige Betriebsansiedlung durchaus notwendig sind. Dieser Plan kann mit Ausnahme des letzten Punktes rein national umgesetzt werden und könnte kurzfristig das Problem durchaus lösen. Dazu brauchen wir aber die entsprechenden gesetzlichen Rahmenbedingungen sowohl bei der Bevorratung als auch bei der Aufhebung der Kostengrenzen, wenn Arzneimittel sonst nicht beziehbar wären.

Wie sieht das Spital der Zukunft für Sie aus – Stichwort Ambulantisierung und Bettenzahl bzw. Bettenfunktion?

Momentan ist unser Gesundheitssystem definitiv zu spitalslastig – der Trend hat sich, auch durch den Mangel an Hausärztinnen und Hausärzten am Land, in den letzten Jahren noch verstärkt.

Das Thema der flächendeckenden Gesundheitsversorgung bzw. Verlagerung vom intramuralen in den extramuralen Bereich, hatten wir ebenfalls schon im Regierungsprogramm 2017 festgeschrieben.

Dass Spitalsambulanzen als Erstanlaufstelle genutzt werden, ist auch darauf zurückzuführen, dass das Angebot im niedergelassenen Bereich immer geringer wurde, wie beispielsweise in der Kinder- oder Unfallmedizin.

Wir brauchen daher eine massive Stärkung der flächendeckenden Primärversorgung sowie der fachärztlichen Versorgung – sowohl als Primärversorgungszentren als auch in Form von Einzelordinationen.

Bei einer Verlagerung von Leistungen aus dem Spitals- bzw. Ambulanzbereich in den niedergelassenen Bereich muss deren Finanzierung mitgehen. In Krankenhäusern brauchen wir einen Konzentrations- und Spezialisierungsprozess. Langfristig wird eine Bettenreduktion möglich sein, wobei man da entsprechende Notfallsauffangmöglichkeiten für Epidemien etc. berücksichtigen muss. Genau diese muss aber auch in den österreichischen Strukturplänen Gesundheit sowie in den regionalen Strukturplänen abgebildet werden, da hier Leistungshierarchien und -dichte definiert werden.

Ein Bereich, der in Zukunft stark wachsen wird, ist die Geriatrie und die Nachversorgung von Akutfällen – die sogenannten Überlieger. Um dafür nicht mehr die teuren Akutbetten zu verwenden, muss die Zahl der Pflegebetten erhöht werden.

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