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Ganzheitliche Behandlung auf Basis medizinischer Evidenz

Thomas Marschall

Ganzheitliche Behandlung auf Basis medizinischer Evidenz

Thomas Marschall

Wenn sich Schmerzen und andere Einschränkungen nicht bessern, suchen mittlerweile viele Menschen Hilfe in einer osteopathischen Praxis. PERISKOP sprach mit den Vorstandsmitgliedern der Österreichischen Gesellschaft für Osteopathie Thomas Marschall, MSc. D.O. und Sebastian Soika, MSc D.O. über das Leistungsspektrum der Osteo­pathie, die Nahtstellen zu medizinischen Fachrichtungen und die Notwendigkeit einer rechtlichen Absicherung des Berufsbildes und seiner Methoden. |  von Rainald Edel, MBA

PERISKOP: Das Fach der Osteopathie wird zunehmend bekannter, allerdings ist vielen noch nicht klar, womit sich Osteopathinnen und Osteopathen konkret befassen. Wie sieht das Leistungsportfolio aus und was bedeutet der gesamtheitliche Ansatz?

Soika: Die Osteopathie arbeitet auf Basis der Schulmedizin, geht aber von einem salutogenetischen und nicht pathogenetischen Ansatz aus. Im Zentrum steht daher die Frage der Entstehung (Genese) und Erhaltung von Gesundheit, nicht die Krankheit.

Marschall: Aufgabe der Osteopathie ist es, Funktionsstörungen im menschlichen Körper zu suchen und ihn wieder in eine Selbstregulation zu bringen. Die Besonderheit, die Osteopathinnen und Osteopathen von anderen medizinischen Berufen unterscheidet, ist der speziell geschulte Tastsinn.

Soika: Fast wie ein Sommelier, der über die Jahre gelernt hat, anhand des Geschmackes nicht nur Weinsorte sondern auch Produzent, Lage und Jahrgang zu unterscheiden, kann auch die Osteopathin bzw. der Osteopath einen unglaublich feinen Tastsinn erlernen und immer weiter verfeinern.

Marschall: Die Osteopathie kann in allen Fachbereichen der Schulmedizin eingesetzt werden. Gerade die Diagnostik schätzen Ärztinnen und Ärzte an unserer Arbeit besonders. Denn dort, wo die Diagnosestellung der Schulmedizin mittels Geräten und Labor aufhört, fängt die Spurensuche der Osteopathie durch den feinen Tastsinn an.

Der einzige Grund und zugleich das oberste Ziel eines einheitlichen Ausbildungsstandards und der Reglementierung der Berufsausübung ist die Patientensicherheit.

Marschall: Die Osteopathie behandelt den gesamten Menschen sowohl in seinen gesunden, als auch in seinen kranken Zuständen und hat nichts mit Esoterik oder Wellnessbehandlungen zu tun. Ziel ist immer, einen individuell möglichst optimalen Gesamtzustand zu erreichen. Allerdings gibt es auch klare Kontraindikationen — Gründe weshalb man nicht behandeln soll, Zustände, im Zuge derer man gar nicht behandeln darf oder bestimmte Bereiche, die man nicht behandeln darf. Daher fordert die OEGO auch die rechtliche Regelung als eigenständigen Gesundheitsberuf mit vorgeschriebenen Ausbildungsstandards.

Welche Evidenzen gibt es zur Wirksamkeit und welcher Mehrnutzen ergibt sich für Patientinnen und Patienten durch die Osteopathie?

SoikaMittlerweile gibt es eine sehr gute Evidenzlage zur Osteopathie, die auch Nutzen und Mehrwert klar belegt. Die Osteopathie kommt ursprünglich aus den USA, wo sie auch als Universitätsstudium gelehrt wird. Daher stammen auch die meisten Studien bislang aus den USA. In der EU ist die Osteopathie derzeit nur eine Zusatzausbildung für Personen mit einem Gesundheitsberuf. Daher gibt es hier deutlich weniger Mittel für die Forschung und somit auch nur wenig große Studien.

Seit mehr als zehn Jahren gibt es in Österreich auch eine akademische Ausbildung zum Master of Science in Osteopathie. Allerdings stoßen die dabei verfassten Masterarbeiten aus Zeit- und Kostengründen an ihre Grenzen und können nur in kleinen Bereichen die Studienlage zur Osteopathie vergrößern. Dennoch würden sie natürlich eine gute Basis für größere Studien bieten.

MarschallDer Mehrnutzen für Patientinnen und Patienten besteht immer dort, wo durch Beziehung einer Osteopathin, eines Osteopathen die Diagnose und Behandlung über das durch die Schulmedizin mögliche und übliche Ausmaß hinausgehen. Das Wesentliche dabei ist, dass die beiden Ansätze in Abstimmung und Austausch erfolgen und ineinander greifen, bzw. aufeinander aufbauen. Das heißt, die Osteopathie kann in beide Richtungen eine Unterstützung oder eine Hilfestellung sein. So kann beispielsweise ein verordnetes Medikament besser wirken, wenn das entsprechende Gewebe besser durchblutet ist.

Durch Nahtstellenmanagement sollen organisatorische Grenzen überwunden werden. Wie sieht die Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitsberufen im Bereich der Osteopathie aus?

Marschall: Da die Grundlage der Osteopathie die Basisfächer der Schulmedizin sind, und sich die Osteopathie als komplementäre Ergänzung zur Schulmedizin versteht, gibt es zu fast allen Fachrichtungen der Medizin enge Verbindungen und Anknüpfungspunkte. Zugunsten von optimalem Austausch und funktionierender Zusammenarbeit in der Praxis ist der gegenseitige Respekt unumgänglich.

Soika: Ich sehe noch einen gewissen institutionellen Nachholbedarf an den Nahtstellen zu den diversen medizinischen Fachrichtungen. Derzeit erfolgt die Zusammenarbeit hauptsächlich auf individueller Ebene.

Um das Bild der Osteopathie besser und transparenter darzustellen, wäre es daher wichtig, verstärkt auf Kongressen vertreten zu sein und auch in den Ärztekammern präsenter zu werden. Nur so lassen sich falsche Vorstellungen und mangelndes Wissen über unsere Tätigkeit aufklären. Umso wichtiger ist eine berufsrechtliche Reglementierung, die auch klar die Grenze zu Esoterik und Wellnessbehandlungen zieht.

Marschall: Eine Berufsgruppe, mit der es häufig einen sehr guten Austausch gibt, sind Zahnärztinnen und Zahnärzte. Gerade der ganzheitliche Ansatz, der unseren beiden Berufsgruppen innewohnt, führt automatisch zu einer sehr engen Zusammenarbeit.

Wann wird eine Osteopathin bzw. ein Osteopath typischerweise hinzugezogen?

Marschall: Generell sehen wir, dass gerade chronischen und Schmerzpatientinnen und -patienten, die oft eine Odyssee durch diverse fachärztliche Ordinationen hinter sich haben, bis sie in der Osteopatie landen.

Soika: Wenn beispielsweise eine Patientin bzw. ein Patient mit Schmerzen in der Herzgegend zur Internistin, zum Internisten geht — und das ist wichtig, dass er zuerst dorthin geht —, wird gar nicht so selten keine Ursache gefunden. Denn das Herz ist aus kardiologischer Sicht gesund, die Patientin bzw. der Patient ist leistungsfähig, aber die Beschwerden sind nach wie vor vorhanden. Hier kann beispielsweise die Osteopathie eine blockierte Rippe als Ursache des Schmerzes ausfindig machen, die mit internistischen Diagnosen nicht auffindbar gewesen wäre. Aber ich würde die Patientin bzw. den Patienten nicht ohne vorangehende internistische Abklärung behandeln. Auch wenn sich im Verlauf der Behandlung eine unerwartete Veränderung, Verschlechterung oder ein zusätzliches Problem ergeben, gilt es ausnahmslos, die Patientin, den Patienten an die überweisende Ärztin oder den Arzt zu schicken.

Marschall: Z. B. kann die Osteopathie bei typischen Beschwerden von Schwangeren, wie Übelkeit oder Schmerzen im unteren Rücken, gut helfen. Wenn eine Schwangere beispielsweise keine paracetamolhaltigen Medikamente nehmen möchte, ist der Weg zur Osteopathin, zum Osteopathen eine gute Alternative.

Auch im Bereich der Gastritis gibt es immer wieder Fälle, in denen Patientinnen und Patienten zwar Protonenpumpenhemmer, also Magenschutz, einnehmen, sich aber keine Besserung einstellt. Auch hier kann die Osteopathie zu einer bestimmungsgemäßen Wirkung des Wirkstoffs, einem Rückgang entzündlicher Reize und somit mehr Beschwerdefreiheit verhelfen.

Welche Ausbildung  im Sinne der OEGO  muss eine Osteopathin, ein Osteopath absolvieren, um den Beruf ausüben zu können?

Marschall: Unser Ziel ist, dass Ausbildungen zur Osteophatin, zum Osteopathen strenge Standards erfüllen. Hier erscheint uns als OEGO der internationale CEN-Standard eine gute Richtlinie, die auch eine Vergleichbarkeit der Ausbildung über nationale Grenzen hinaus gewährleistet.

Soika: Die palpativen Fähigkeiten und das fachliche Wissen darüber, was erspürt wird, gehören in der Osteopathie eng zusammen. Der Bereich der Patientensicherheit nimmt einen sehr großen Anteil in der Ausbildung ein. Darunter fallen auch sämtliche medizinische Test- und Diagnoseverfahren, wie neurologischer Untersuchung inklusive der Hirnnerventests, Abhören von Herz und Lunge, Blutdruckmessungen, orthopädische Tests — alle mit dem Ziel, den Patientinnen und Patienten ausreichend Sicherheit zu gewährleisten.

Eines der vorrangigen Ziele der OEGO ist es, einen gesetzlichen Standard für die Ausbildung und die Reglementierung des osteopathischen Berufsstandes in Österreich zu erreichen. Warum ist die gesetzliche Anerkennung so wichtig?

Marschall: Es ist wichtig, dass wir ein anerkannter Beruf sind. Ein Berufsregister führen können, das all jene Personen umfasst, die im Sinne der Ausbildungsstandards der OEGO eine beruflich qualitativ hochwertige Osteopathieausbildung haben. Das dient der Patientensicherheit und dem Qualitätsmanagement unseres Berufstandes, den wir erreichen wollen. Auch im Sinne der von der EU angestrebten Personen- und Erwerbsfreiheit ist dieser Schritt nötig. Denn derzeit kann eine Person, die ein fünfjähriges Vollzeitstudium in Belgien absolviert hat, in Österreich nicht als Osteopathin oder als Osteopath tätig werden, es sei denn, sie oder er hat auch eine Physiotherapieaus­bildung oder eine ärztliche Ausbildung.

Soika: Langfristig betrachtet, würden das Berufsrecht und die damit verbundene reglementierte Ausbildungsrichtlinie auch die Zusammenarbeit mit den anderen Gesundheitsberufsgruppen stärken, da man so die „schwarzen Schafe“ an der vermeintlich gleichlautenden Berufs- und Methodenausübung hindert. Damit steigt automatisch auch das Vertrauen in den Berufstand — sowohl seitens Ärzteschaft als auch Patientinnen und Patienten. Denn dann ist gesichert, dass es nur eine qualitativ hochwertige und eindeutige Behandlung und Behandlungsrichtlinie gibt. Ein Berufsregister regelt auch indirekt die Fortbildungspflicht, etc.

Sebastian Soika

Mittlerweile gibt es eine sehr gute Evidenzlage zur Osteopathie, die auch Nutzen und Mehrwert klar belegt.

Wozu führt es, wenn es keinen gesetzlichen Standard gibt und der Berufsstand nicht reglementiert wird?

Marschall: Der einzige Grund und zugleich das oberste Ziel eines einheitlichen Ausbildungsstandards und der Reglementierung der Berufsausübung ist die Patientensicherheit.

Soika: Wie wichtig diese ist, zeigt ein Beispiel aus den Niederlanden: Ein Baby kam bei einer Cranio-Sacral-Therapie, von einer nicht fachgerecht ausgebildeten Person vorgenommen wurde, ums Leben. Das zeigt, wie entscheidend die hohe und verbindliche Ausbildungsqualität, die Kenntnisse der Anatomie, etc. sind, da die Patientin, der Patient durch eine falsche Anwendung Schaden nehmen kann.

Marschall: Daher ist es unverantwortlich, dass jeder Mensch in Österreich die Berufsbezeichnung Osteopathin, Osteopath führen oder Methodenbezeichnungen der Osteopathie völlig legal für seine Dienstleistung verwenden darf. Das führt zu gefährlichen Verwechslungen und Täuschungen auf Patientenseite. Und bei negativen Erlebnissen kommt eine ganze Berufsgruppe in Verruf.

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