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Digitalisierung muss uns dienen, nicht umgekehrt

Prim. Priv.-Doz. Dr. Georg Delle Karth
© LUDWIG SCHEDL

Digitalisierung muss uns dienen, nicht umgekehrt

Prim. Priv.-Doz. Dr. Georg Delle Karth
© LUDWIG SCHEDL

Die Kardiologie ist eine Königsdisziplin der Medizin, die jährlich zehntausenden Österreicherinnen und Österreichern das Leben rettet. Damit wird die Kardiologie zu einem Modellfall der Digitalisierung, wo die Analyse von Patientendaten mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI) großes Potenzial hat. PERISKOP sprach mit Prim. Priv.-Doz. Dr. Georg Delle Karth über sein Verständnis einer zukunftsweisenden Herzmedizin.

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Mag. Dora Skamperls

PERISKOP-Redakteurin

Prim. Priv.-Doz. Dr. Georg Delle Karth ist Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie, Vorstand der Abt. für Kardiologie an der Klinik Floridsdorf und Leiter des Instituts für kardiovaskuläre und intensivmedizinische Forschung der Karl Landsteiner Gesellschaft. Die täglichen Erfahrungen im Spital und in seiner Ordination sind Basis für seine fundierten und praxisbezogenen Ansichten sowie zukunftsfähigen Lösungswege.

PERISKOP: Herr Primar, Sie gelten als eine hoch angesehene Fachpersönlichkeit im Bereich der Kardiologie – was waren Ihre Beweggründe, sich auf dieses Fach zu spezialisieren?

DELLE KARTH: Als ich meine klinische Karriere nach dem Studium in Wien begonnen habe, war die Kardiologie in einer extrem dynamischen Phase. Es war schon am Horizont, dass sich die Infarktbehandlung dramatisch verändern wird. Dieser interventionelle Bereich hat mich von Beginn an sehr fasziniert. Auch die Grundlagenforschung hat mich dahin geführt, die Herzmuskelregeneration, die Pharmakotherapie, die damals erste Erfolge gezeigt hat. Die kardiologische Abteilung im AKH Wien unter Leitung von Prof. Gerald Maurer mit all ihren arrivierten Ärztinnen und Ärzten förderte und forderte mich im positivsten Sinn.

Welche Forschungsschwerpunkte haben Sie in Ihrer Funktion als Vorstand der Abteilung Kardiologie in der Klinik Floridsdorf und des Instituts für kardiovaskuläre und intensivmedizinische Forschung der Karl Landsteiner Gesellschaft?

Wir sind ein sehr aktives klinisches Forschungszentrum und nehmen bspw. an Studien teil, die sich mit neuen Substanzen zur Behandlung eines atherogenen Lipoproteins befassen. Das Lipoprotein a ist ein angeborener Fettstoffwechselparameter, der die Atherosklerose stark fördert – ein nicht veränderbarer genetischer Faktor. Das neue Therapiekonzept ist in der Phase II und gerade beginnt die Phase III, wo es klinisch erprobt wird. Wenn alles gutgeht, können wir mit einer Produkteinführung in drei bis vier Jahren rechnen. Das beschäftigt unser Institut derzeit am meisten. Auch im Bereich der Gerinnungshemmer gibt es neue Entwicklungen. Am Horizont ist eine ganz neue Produktpalette von Gerinnungshemmern, die nicht nur die Gerinnung aktiv reduziert, sondern auch besonders sicher sein soll. In diesem Studienprotokoll sind wir vorne dabei. Unser Zentrum beschäftigt sich auch mit strukturellen Herzerkrankungen, mit Herzklappenerkrankungen, wo wir die Qualität österreichweit absichern wollen.

Die Herzinfarktversorgung gilt in Österreich, auch aufgrund der funktionierenden STEMI-Netzwerke, als eine der besten weltweit. Was funktioniert hier gut, was kann noch verbessert werden?

Tatsächlich ist Österreich ein Vorzeigemodell für die Welt, obwohl wir einschränkend sagen müssen, dass wir nur Schätzungen haben, wie gut wir wirklich sind. Wir führen keine strukturierten qualitätsvalidierten Register darüber. Der wichtigste Faktor bei der Herzinfarktversorgung ist die Schnelligkeit. Wir haben ein hervorragendes Notarzt- und Rettungssystem mit Fachleuten, die schnell die richtigen Diagnosen stellen. Die Patientin, der Patient sollte innerhalb von 90 Minuten, spätestens innerhalb von zwei Stunden ab Diagnosestellung in einem diensthabenden Herzkatheterlabor sein. Was kann man verbessern? Wir sind immermaufgerufen, diese Zeiten noch weiter zu verkürzen. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Patientinnen, Patienten bei massiven Brustschmerzen nicht ihre Hausärztin, ihren Hausarzt aufsuchen sollen, sondern sofort 144 oder 112 wählen.

Wohin entwickelt sich die Herzmedizin intramural – was wird in Zukunft alles möglich sein?

Ich bin überzeugt, dass viele Eingriffe ambulant bzw. tagesklinisch möglich sein werden. Dafür ist aber weiterhin ein starker Rückhalt in einem Spital nötig, falls Komplikationen auftreten. Wir sind im Bereich KI und Machine Learning an einem Beginn, wo mithilfe von Artificial Intelligence (AI) bei den Routineuntersuchungen viele Prozesse durch Machine Learning übernommen und der betreuenden Ärztin bzw. dem Arzt zur Verfügung gestellt werden. Bildgebung ist heute Voraussetzung für viele Interventionen – z. B. Herzultraschall, Herz-CT und Koronar-Angiografie. In Zukunft werden diese Messwerte automatisch generiert und nicht nur als Befund vorliegen, sondern anhand eines virtuellen Modells schon mit Vorschlägen, bspw. welche Herzklappe am besten passt. Die Entwicklung geht dahin, die bestehenden Prozesse auf die einzelnen Patientinnen, Patienten maßzuschneidern im Sinne einer personalisierten Spitzenmedizin. Dies in Kombination mit neuen Generationen von Medikamenten, die ebenfalls personalisiert werden. In weiterer Zukunft werden wir wohl für jede Patientin, jeden Patienten eine individuelle Pille designen. Das ist bereits in der Entwicklung.

Es gilt, Übergangsstrukturen zu schaffen und die medizinische Versorgung in den Pflegeheimen zu verstärken, um das Personal in den Spitälern zu entlasten.

Wie sehen Sie die PRAEVENIRE Initiative Spital 2030 mit der Forderung nach mehr Tagesstrukturen, einer Ambulantisierung und einem optimierten Bettenmanagement?

Mehr Betten ist nicht synonym mit einer besseren Versorgung. Untersuchungen, wo man früher drei Tage stationär aufgenommen war, werden heute ambulant gemacht – wobei auch die Sicherheit gegeben ist.

Was wir brauchen, sind neue Spitalssettings, wo man große Lounges und Vorbereitungs- bzw. Nachbereitungsbereiche hat, also optimal auf die Versorgung abgestimmte Strukturen für die ambulante und tagesklinische Versorgung. Systemisierte Betten sind meiner Meinung nach ein Auslaufmodell. Die Bettenstruktur in Österreich hat dazu geführt, dass wir in den Akutspitälern viel zu lange Liegezeiten haben. Dem wird man sich angesichts der steigenden Lebenserwartung bei eher schlechtem Gesamtzustand stellen müssen. Denn es kann nicht sein, dass man Patientinnen und Patienten aus Pflegeheimen wochenlang auf Spezialabteilungen liegen lässt, die eigentlich diese hochspezialisierte Versorgung gar nicht brauchen. Es gilt, hier Übergangsstrukturen zu schaffen und die medizinische Versorgung in den Pflegeheimen zu verstärken, um das Personal, vor allem auch die Pflege, in den Spitälern zu entlasten. Das ist absolut ein gesundheitspolitisches Ziel.

Nun könnte man meinen, Sie sind als Kardiologe und Intensivmediziner vor allem mit der Behandlung akuter Fälle befasst. Inwieweit beschäftigen Sie sich auch mit dem Thema Vorsorge und Prävention?

Das ist kein Widerspruch, ganz im Gegenteil. Das Grundgerüst bei allen atherosklerotischen Erkrankungen ist die Sekundärprävention. 90 Prozent meiner Patientengespräche drehen sich um die Prävention. Die Senkung des LDL-Cholesterins bringt mindestens 30 Prozent weniger Interventionen, Herzinfarkte und Todesfälle. Dazu kommt, dass die Atherosklerose ja im ganzen Körper wirkt. Die Lipidsenkung kann beispielsweise Schlaganfall oder Demenz verhindern.

Patient Empowerment und Gesundheitskompetenz sind entscheidend. Die Veränderung vom gesunden zum kranken Menschen ist eine vulnerable Phase, eine persönliche Transformation. Das verändert viele Perspektiven, weil die Unversehrtheit ja ein Grundkonzept unseres Lebens ist. Das möchte man nicht öfters erleben. Die Patientin, der Patient kennt den Zielwert und kann selbst etwas dafür leisten, ihn zu erreichen.

Was halten Sie von der PRAEVENIRE Initiative zur Prävention, die u. a. von einer Forderung nach der täglichen Bewegungseinheit an den Schulen über einen Bewegungs- und Mobilitätscheck bis zum „Best Agers Bonuspass“?

Es ist ein wichtiger Prozess für ein Kind, den eigenen Körper kennenzulernen. Eine fehlende Familienkultur in der Bewegung wirkt sich später ganz schlecht aus. Mit kleinen Umstellungen im Alltag – mehr zu Fuß gehen, Stiegen steigen etc. – hat man schon viel erreicht. Bewegung soll Freude machen, um die Entwicklung dieses Gefühls geht es. Mittlerweile weiß man, dass relativ wenig Bewegung ausreicht, um einen messbaren Effekt zu erzielen.

Bei jedem Schritt in der Digitalisierung muss im Vordergrund stehen, dass sie dem Menschen dient und nicht umgekehrt.

Thema Rehabilitation: Was sagen Sie zur PRAEVENIRE Forderung nach einer
verpflichtenden Kontroll-Reha und einem Ausbau der Telerehabilitation und des Telemonitorings?

Das ist ein wichtiger Punkt. Ein Konzept zur Beobachtung des Fortschritts mit telemedizinischen Möglichkeiten, mit Apps und laufenden Selbstkontrollen anhand bestimmter Parameter wie Gewicht, Blutdruck etc., ist sehr sinnvoll. Dafür wird es auch Anreizsysteme geben müssen. Ich bin auch ein großer Fan der ambulanten Reha, die lt. Regierungsprogramm tatsächlich erfolgreich ausgebaut wurde. Gerade die Berufstätigen nehmen das sehr gerne an. Derzeit läuft ein Projekt, an dem ich teilnehme, zum Ausbau der Telemedizin und einer App für Herzschwäche-Patientinnen und -Patienten. Da geht es darum, bei Verschlechterungen frühzeitig anzusetzen, um Hospitalisierungen zu vermeiden. Es ist mit Studien belegt, dass Patientinnen, Patienten z. B. von Nurses viel engmaschiger begleitet werden müssen. Sie werden nach einem Event im Spital medikamentös eingestellt und nach der Entlassung kaum noch kontrolliert. Das zieht erneute Hospitalisierungen und höhere Mortalitätsraten nach sich. Es gibt bereits erfolgreiche Modelle in Österreich, wie zum Beispiel „HerzMobil“ in Tirol.

Wie stehen Sie zur flächendeckenden Nutzung von Diagnosedaten zur Früherkennung und zur Evaluierung von Therapie-Outcomes?

Bei der Nutzung von Diagnosedaten sind wir in Österreich nicht vorne dabei im Vergleich zu den skandinavischen Ländern. Es gibt in Österreich keine belastbaren Register über bestimmte Erkrankungen, das sind alles nur Schätzungen. Wir haben ICD-Codes über Spitalsaufnahmen, und nicht mal das ist personenbezogen; wenn also eine Patientin, ein Patient dreimal mit der gleichen Diagnose kommt, wird das auch dreimal gezählt.

Hier haben wir für den Spitalsbereich nur ein grobes Bild und im niedergelassenen Bereich gar nichts. Ausnahme ist die Herzchirurgie, die alle Eingriffe verpflichtend dokumentieren muss. Wie viele Menschen ein Jahr nach einem Herzinfarkt sterben, wissen wir aber nicht. Dass wir keine Gesundheitsdaten haben, ist ein Drama.

Was wünschen Sie sich von digitalen Systemen wie ELGA – warum gibt es Ihrer Meinung nach noch immer so viele Ärztinnen, Ärzte und sogar Spitäler, die das System nicht oder nicht umfassend nutzen?

ELGA wird wenig genutzt, weil die darin befindlichen Daten wenig brauchbar sind. Es sind bestenfalls PDF-Files ohne Suchparameter dort abgelegt. ELGA wurde anscheinend nicht darauf ausgelegt, dass man wirklich damit arbeitet. Manchmal wird es für Laborwerte verwendet. Impfeinträge funktionieren mittlerweile auch. Aber es ist kein belastbares System, wo wir im Spital relevante Informationen rasch abrufen können. Es ist besser als nichts, muss aber völlig neu gedacht werden. Die Mindestanforderung wäre, dass zumindest die laufende Medikation dort vermerkt ist, aber das ist auch nicht der Fall.

Thema Digitalisierung im Spital: Wo liegen Ihrer Meinung nach die größten Handlungsbedarfe, was muss dringend zum Patientennutzen wie zur Entlastung des Personals verbessert werden?

Da gibt es enormen Handlungsbedarf, allein in der Patientendokumentation. Die ist in vielen Bereichen noch wie vor 20, 30 Jahren. Hier könnte man AI optimal nutzen, beispielsweise in Kombination mit Speech-to-Text-Softwares. Medikamenteninteraktionen müssten sofort digital erfasst werden. Das würde nicht nur die Patientensicherheit erhöhen, sondern auch die Zeit der Ärztinnen, Ärzte und der Pflege wieder weg von der Administration hin zu den Patientinnen, Patienten steuern. Bei jedem Schritt in der Digitalisierung muss im Vordergrund stehen, dass sie dem Menschen dient und nicht umgekehrt.

Was im Spital unweigerlich kommen wird, ist der Einsatz bzw. die Unterstützung von KI in der Diagnose. Wie sehen Sie das Thema insgesamt?

KI hat eine hohe Bedeutung in den Diagnosealgorithmen, wo man verschiedene Parameter wie z. B. genetische Risk-Scores einfließen lassen kann. Hier hat KI als unterstützendes Instrument sicher eine Zukunft. Auch auf anderen Gebieten, zum Beispiel dem Bereithalten der Guidelines, kann KI gut eingesetzt werden. Im Bereich der Bildgebung bin ich überzeugt, dass klassische Berechnungen wie z. B. die Pumpfunktion des Herzens sehr gut über AI funktionieren werden. Im Prinzip ist das nicht so weit weg, wir könnten das schon umsetzen. Aber es ist erschreckend, wie veraltet die IT im Spitalswesen teilweise ist – hier sehe ich großen Innovationsbedarf, um zukunftsfit zu werden.

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