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Demenz: Wissen als Wundermittel

© Krisztian Juhasz

Demenz: Wissen als Wundermittel

© Krisztian Juhasz

Das fünfte PRAEVENIRE Bürgerforum bot die Gelegenheit, neueste Erkenntnisse aus der Hirnforschung mit interessierten Besucherinnen und Besuchern zu teilen, aber auch deren Fragen zu beantworten und umfassend über Prävention, Behandlung sowie den Umgang mit Betroffenen zu informieren. | Mag. Marie-Thérèse Fleischer, BSc

Johann Spreitzer, Bürgermeister der Gemeinde Seitenstetten, und Gesundheitsausschussvorsitzender Alois Schlager stimmen in ihren Begrüßungsworten überein, wie wichtig das Thema Demenz ist und wie viele Fragen darüber noch offen sind. Einige Fragen, vor allem jene, die die Einstellung der Bevölkerung betreffen, greift Dr. Walter Wintersberger, Senior Research Director und Partner bei Spectra Marktforschung, in seinem Vortrag auf (siehe auch PERISKOP Juni 2022). So schätzen die meisten Österreicherinnen und Österreicher ihr Wissen über Demenz als gering ein und fast die Hälfte würde bei beginnenden Gedächtnisproblemen zuwarten, statt diese ärztlich abklären zu lassen. Das stellt ein erhebliches Problem dar, denn gerade in frühen Phasen der Erkrankung kann noch viel unternommen werden, um den Verlauf zu verlangsamen.

Nervenzellen gezielt stimulieren

Als Hoffnungsträger gilt die Stimulation der Nervenzellen, deren neuester Ansatz in Wien bereits zur Anwendung kommt: die transkranielle Pulsstimulation (TPS) mittels Ultraschall. Univ.-Prof. Dr. Roland Beisteiner von der Univ.-Klinik für Neurologie der MedUni Wien berichtet: „In einer ersten Studie 2019 haben wir die TPS bei Demenzpatientinnen und -patienten durchgeführt und konnten in den neuropsychologischen Tests eine bis zu drei Monate anhaltende Verbesserung feststellen.“ Stimulationsverfahren werden in der Medizin bereits seit einiger Zeit eingesetzt, etwa die transkranielle Magnetstimulation (TMS) oder die transkranielle Gleichstromstimulation. Eine aktuelle Studie zeigt, dass ca. 31 Prozent der getesteten Personen mit Alzheimer durch die TMS eine klinisch relevante Verbesserung verspüren, woran aber auch Placeboeffekte beteiligt sind. Demgegenüber zeigt sich innerhalb der TPS-Studie bei 72 Prozent der Patientinnen und Patienten eine solche Verbesserung. Und auch sonst bietet die TPS einige Vorteile, erläutert Beisteiner: „Wir können durch die Ultraschallpulse viel genauer zielen, als das bei den elektromagnetischen Feldern der Fall ist. Und man kommt zum ersten Mal auch in die Tiefe des Gehirns: Wir können in die Mitte des Gehirns zielen und dort Hirnareale aktivieren.“ Bei Verfahren wie der TMS ist hingegen nur eine oberflächlichere Stimulation möglich

Für mich ist der Punkt, an dem man einen Gedächtnischeck machen sollte, dann erreicht, wenn man beginnt, sich selbst Sorgen zu machen.

Man ist besorgt, aber man versucht, es zu verdrängen – und man will seine Angehörigen, seine Partnerin oder seinen Partner nicht belasten. Die Barrieren, sich der Diagnose zu stellen, sind sehr hoch.

Hochkomplexe Therapien


Mittels funktioneller Magnetresonanztomographie kann die verbesserte Hirnaktivität schließlich auch sichtbar gemacht werden. „Dabei zeigt sich kein allgemeiner Effekt, sondern ein spezifischer Effekt auf das Gedächtnis-Netzwerk. Allerdings ist wichtig, zu beachten, dass es sich um eine hochkomplexe Therapie handelt, die sich noch in wissenschaftlicher Entwicklung befindet“, betont Beisteiner. Der Zugang zu dieser Therapie erfolge über klinische Studien oder privatmedizinisch. „Leider gibt es bisher noch keine Unterstützung von den Krankenkassen“, zeigt sich der Neurologe enttäuscht. Im Schnitt treten Verbesserungen nach zwei Wochen der Behandlung auf, eine Folgetherapie nach sechs Monaten erscheine aus derzeitiger Sicht sinnvoll. Außerdem erfreulich: „Bei über 6000 Anwendungen gab es bis jetzt keine wirklich schweren Nebenwirkungen. Was man erwarten kann sind leichte Kopfschmerzen, Puls- sowie Druckgefühle und am Ende der ersten Woche Behandlung wird oft eine gewisse Ermüdung beschrieben.“ Neben der Therapie von Demenz könne der Einsatz auch bei Erkrankungen wie Parkinson, nach einem Schlaganfall oder bei einer Depression gewinnbringend sein. 

Jeder weiß, dass es bei Demenz zu Gedächtnisstörungen bzw. einem Gedächtnisverlust kommt. Weniger bekannt ist, dass es v. a. im fortgeschrittenen Stadium zu Verhaltensveränderungen, herausforderndem Verhalten und Weglauftendenzen kommen kann.

Steiniger Weg zur Diagnose


Bevor therapeutische Schritte gesetzt werden können, muss allerdings erst einmal die Diagnose „Demenz“ feststehen. Hier braucht es viel Fingerspitzengefühl von Angehörigen, Ärztinnen und Ärzten sowie anderen an der Diagnose beteiligten Gesundheitsberufen, wie sich in der anschließenden Podiumsdiskussion herauskristallisiert. Nicht zuletzt ist aber auch das Eingeständnis der Betroffenen vonnöten, dass ihre kognitive Leistungsfähigkeit abnimmt. „Für mich ist der Punkt, an dem man einen Gedächtnischeck machen sollte, dann erreicht, wenn man beginnt, sich selbst Sorgen zu machen“, erklärt Mag. Carmen Viereckl, Klinische Psychologin und Gesundheitspsychologin bei der MAS Alzheimerhilfe. An diesem Punkt können auch Angehörige gut einhaken: „Sagt die bzw. der Betroffene, dass sie oder er schon so viel vergisst, kann man das bestätigen und ermutigen, es abklären zu lassen.“ Etwa die Hälfte der Erstdiagnosen einer Demenz sind der Initiative von Angehörigen zu verdanken. Leider herrscht allerdings immer noch eine gewisse Stigmatisierung von Erkrankten in der Gesellschaft vor. „Man ist besorgt, aber man versucht, es zu verdrängen – und man will seine Angehörigen, seine Partnerin oder seinen Partner nicht belasten“, zeigt Wintersberger auf, warum 44 Prozent der Bevölkerung bei ersten Symptomen einer Demenz lieber zuwarten wollen, anstatt sich einem Gedächtnischeck zu unterziehen. „Die Barrieren, sich der Diagnose zu stellen, sind sehr hoch.“

Akzeptanz schaffen - ohne zu beschönigen

Kommt der diagnostische Prozess einmal ins Rollen, haben die Betroffenen viel zu verarbeiten. „Auch aus meiner eigenen Erfahrung kann ich sagen, dass das Schwierigste ist, die eigene Erkrankung zu akzeptieren“, erzählt Ronald Söllner, Dipl. Krankenhausbetriebswirt, Vorstandsvorsitzender des Dachverbands NÖ Selbsthilfe und Sprecher des Nationalen Netzwerks Selbsthilfe. Hierbei ist wiederum viel Einfühlungsvermögen gefragt, hebt Viereckl hervor: „Man darf die Diagnose nicht beschönigen, denn die Menschen wollen eine Antwort auf die Frage haben, was nicht mit ihnen stimmt. Aber gleichzeitig ist es sehr wichtig, den Betroffenen trotzdem die Perspektive zu ermöglichen, dass ein Leben mit der Erkrankung – und viel Lebensqualität – möglich ist.“

Körperliches und geistiges Training und natürlich eine gesunde Lebensweise sind aus unserer Sicht essenziell. Was man ebenfalls bedenken sollte: Dass die Menschen ihre eigenen Sinne möglichst gut erhalten, also Hör- und Sehfähigkeit regelmäßig überprüft werden.

Vielfältige therapeutische Möglichkeiten

 

„Die Diagnose frühzeitig zu bekommen, ist sehr relevant, denn damit beginnen die medikamentöse sowie die therapeutische Behandlung, die uns zu Verfügung stehen“, unterstreicht Viereckl. Sie fügt hinzu: „Man kann durch den Lebensstil den Krankheitsverlauf wirklich sehr positiv beeinflussen. Aus therapeutischer Sicht bedeutet das, geistig aktiv und fit zu bleiben – z.B. ein Gedächtnistraining zu machen, ein Ressourcentraining, um die kognitiven Fähigkeiten zu fördern und auch Alltagsaktivitäten zu trainieren.“ Zudem sollen die Beweglichkeit gefördert und physische Aktivität im Alltag integriert werden. Beisteiner stimmt zu: „Körperliches und geistiges Training und natürlich eine gesunde Lebensweise sind aus unserer Sicht essenziell. Was man ebenfalls bedenken sollte: Dass die Menschen ihre eigenen Sinne möglichst gut erhalten, also Hör- und Sehfähigkeit regelmäßig überprüft werden.“ Denn schlechtes Hören könne die demenziellen Symptome verstärken. Er betont: „Wenn all diese Punkte mit Training und neuen Therapiemöglichkeiten verbunden werden, hat man die besten Chancen, die Krankheit zwar nicht zu heilen, aber doch den Verlauf deutlich zu verlangsamen.“ Auf Nachfrage aus dem Publikum sind sich Beisteiner und Viereckl allerdings einig, dass ein gesunder Lebensstil nicht bedeutet, Vitaminpräparate zu sich zu nehmen. „Ein Mangel muss natürlich behoben werden, aber es besteht auch die Gefahr, dass es zu einer Überdosierung kommt. Eine normale, ausgewogene, gesunde Ernährungsweise ist da sicher am besten“, so Beisteiner.

 

 

Herausforderungen in der Pflege

Was die Pflege von Menschen mit Demenz betrifft, sind einerseits die pflegenden Angehörigen, andererseits die professionelle Pflege gefordert. „Jeder weiß, dass es bei Demenz zu Gedächtnisstörungen bzw. einem Gedächtnisverlust kommt. Weniger bekannt ist, dass es v.a. im fortgeschrittenen Stadium zu Verhaltensveränderungen, herausforderndem Verhalten und Weglauftendenzen kommen kann“, verrät Mag. Dr. Ursula Halbmayr-Kubicsek, MSc, Dipl. Gesundheits- und Krankenpflegerin vom Österr. Gesundheits- und Krankenpflegeverband. Mitunter komme es dann auch zu einem Pflegewiderstand mit teils aggressivem Verhalten. „Hier ist vonseiten der pflegenden Angehörigen oft ein großes Wissensdefizit vorhanden. Deshalb glaube ich, wäre es wichtig, auch die Symptome der fortgeschrittenen Demenz öfter zu thematisieren“, unterstreicht Halbmayr-Kubicsek. Im Umgang mit Demenz darf nicht auf die Bedürfnisse der pflegenden Angehörigen vergessen werden. „Es ist noch immer ein Tabu, sich Hilfe zu holen, Angehörige vielleicht auch einmal für eine Kurzzeitpflege anzumelden oder sich professionelle Unterstützung tage- oder stundenweise zu organisieren“, berichtet Halbmayr-Kubicsek. Dabei sei es essenziell, dass pflegende Angehörige sich auch Auszeiten einräumen. Daneben wirken auch Gespräche innerhalb von Selbsthilfegruppen entlastend: „Im Bereich der Selbsthilfe versuchen wir natürlich pflegende Angehörige bestmöglich zu unterstützen. Denn wir wissen, dass gerade der Austausch auf Augenhöhe ganz, ganz wichtig ist“, betont Söllner. Allerdings mangle es and den Kapazitäten der extramuralen Hauskrankenpflege, meint Halbmayr-Kubicsek: „Hier sind Politik und Gesellschaft gefordert, z.B. durch die Implementierung von Community Nurses Abhilfe zu schaffen.“ Dabei handelt es sich um diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerinnen und -pfleger, welche eigene, öffentlich geförderte Praxen eröffnen, die Beratung und Unterstützung bieten, mit starkem Fokus auf die Gesundheitsförderung. Dass jeder unabhängig von seinen persönlichen finanziellen Ressourcen dort kostenlos Hilfe bekommen kann, wäre laut Halbmayr-Kubicsek ein großer Fortschritt.

Im Bereich der Selbsthilfe versuchen wir natürlich pflegende Angehörige bestmöglich zu unterstützen. Denn wir wissen, dass gerade der Austausch auf Augenhöhe ganz, ganz wichtig ist.

Tipps für Angehörige

 

Auf die Publikumsfrage, wie man es als Angehöriger schafft, mit der zunehmenden Vergesslichkeit umzugehen, rückt Viereckl die Rolle der Emotionen in den Fokus: „Fangen Sie nicht auf einer logischen, rationalen Ebene mit den Betroffenen an, zu diskutieren – da ziehen Sie definitiv den Kürzeren.“ Stattdessen müsse die Gefühlsebene angesprochen werden. „Gefühle sind immer real, egal was der Tatbestand ist.“ Auch wenn die Betroffenen eine falsche Vorstellung haben, z.B. dass die Kinder noch klein sind und von der Schule abgeholt werden müssen, soll über die Sorgen geredet und diese anerkannt werden. „Wenn man über die Gefühle spricht, kann man versuchen, die Sicherheit wieder herzustellen, über die Kinder sprechen und über etwas Schönes, das man mit diesen verbindet. So versucht man gleichzeitig, die Gedanken auch wieder in eine andere Richtung zu lenken“, rät Viereckl.

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