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Darmkrebsvorsorge rettet Leben

© PERI

Darmkrebsvorsorge rettet Leben

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In Österreich erkranken pro Tag 12 Menschen an Darmkrebs, weitere sechs Menschen sterben täglich daran. Beides muss nicht sein, denn die Koloskopie ist eine einfache Untersuchung, die diese Entwicklung rechtzeitig verhindern kann.

Mag. Renate Haiden, MSc.

Mag. Renate Haiden, MSc.

Freie Journalistin

Daher steht das Thema Darmkrebsvorsorge auch ganz oben auf der Agenda von PRAEVENIRE. Ein Zeichen dafür wurde erst kürzlich gesetzt: Die Übergabe eines Briefes an den Gesundheitsminister mit den wichtigsten Eckpunkten und Forderungen vonseiten der Expertinnen, Experten und Stakeholderinnen, Stakeholder aus dem Gesundheitswesen. Sie sind sich alle einig, dass es dringend ein österreichweit einheitliches, qualitätsgesichertes Darmkrebsvorsorge- und Früherkennungsprogramm inklusive eines Einladesystems braucht. Parallel dazu müssen Ängste und Vorbehalte in der Bevölkerung abgebaut werden, denn die Untersuchung ist mittlerweile praktisch schmerzfrei möglich. Die „sanfte Koloskopie“ muss in der Öffentlichkeit bekannter werden. Sie unterscheidet sich von herkömmlichen Koloskopien lediglich in einem, aber umso wichtigeren Punkt: Durch das Verabreichen einer Prämedikation spürt der/die zu Untersuchende nichts von diesem Eingriff. Die gute Nachricht vorweg: Vonseiten des Gesundheitsministeriums wurde das Thema positiv aufgenommen und den „Briefboten“ – Manfred Brunner, Landesstellenvorsitzender der ÖGK Vorarlberg, Dr. Andreas Krauter, Leiter des Fachbereichs Medizinischer Dienst der ÖGK und PRAEVENIRE-Präsident Dr. Hans Jörg Schelling – Unterstützung für das Anliegen eines Darmkrebsvorsorge- und Früherkennungsprogrammes zugesagt.

Das Rad nicht neu erfinden

Grundlage für die Forderungen waren neben vielen Gesprächen und hochrangigen Diskussionen – wie etwa im Rahmen der Initiative Darmgesundheit 2030 in Seitenstetten und Alpbach – vor allem auch die Erfahrungen aus dem Vorarlberger Darmkrebsvorsorgeprogramm. Ein hohes Maß an Entwicklungsarbeit ist seit Februar 2007 in dieses Projekt geflossen, das von der Ärztekammer Vorarlberg, der Vorarlberger Gebietskrankenkasse und dem Land Vorarlberg initiiert und beschlossen wurde. „Als Vorbild stand das deutsche Koloskopieprogramm Pate, das nach internationalen Standards qualitätsgesichert ist“, erläutert Brunner und ergänzt: „Die Zahlen sprechen für sich. Mit der Koloskopie gibt es eine äußerst erfolgreiche Möglichkeit, Darmkrebs zu verhindern bzw. in sehr frühen Stadien zu entdecken und eine knapp 70-prozentige Sterblichkeitsreduktion zu bewirken. Damit ist die komplette Darmspiegelung weitaus erfolgreicher in der Detektion von Darmkrebs als der Stuhlbluttest oder die flexible Sigmoidoskopie, die sich lediglich auf den letzten Abschnitt des Darms beschränkt.

Während im Jahr 2006 in Vorarlberg die Mortalitätsrate in Bezug auf Kolorektalkarzinome (CRC) etwa die Hälfte der Neuerkrankungsrate betrug, werden dank Screening nun 92 Prozent der Fälle in frühen Stadien entdeckt. „Das hat massive Auswirkungen auf die Lebensqualität und -erwartung, aber auch auf die Kosten“, sind sich Brunner und Krauter einig. Schließlich hätten Darmkrebspatientinnen und -patienten auch im metastasierten Stadium noch eine Chance auf Heilung – allerdings bei Therapiekosten von mehr als 230.000 Euro. „Darum trägt die Früherkennung von malignen Veränderungen, die noch keiner Immun- oder Chemotherapie bedürfen, auch zur Senkung der Behandlungskosten bei“, sagt Brunner. Krauter ergänzt: „Ein großes Anliegen der ÖGK ist es, die Vorsorge-Kolonoskopie auf ein dem europäischen Niveau entsprechendes Level zu bringen.“

Mit der Initiative „Darmgesundheit 2030“ wollen wir das Thema in den Fokus der Gesundheitsversorgung für Menschen in Österreich rücken und aktiv mitwirken, dass die Vorsorge und frühzeitige Erkennung von Darmkrebs optimiert wird.

Erfolge, die sich sehen lassen können

Insgesamt wurden bis Ende 2021 – also innerhalb von knapp 15 Jahren – mehr als 52.000 Vorsorgekoloskopien durchgeführt und somit knapp die Hälfte der Zielbevölkerung Vorarlbergs erreicht. Bösartige Polypen wurden lediglich bei 1,8 Prozent der Untersuchten gefunden, der Rest wies einen unauffälligen Befund oder gutartige Polypen auf. Von den 966 Personen mit bösartigen Veränderungen befanden sich 699 im Frühstadium, weitere 190 Personen im Stadium I oder II, wo weder die Lymphknoten befallen sind noch Metastasen in anderen Organen existieren. Mit der Vorsorgekoloskopie ist in diesen Stadien gleichzeitig die Therapie verbunden, denn im selben Untersuchungsgang kann der Polyp entfernt werden. Allein in Vorarlberg konnte damit 889 Menschen das Leben gerettet werden. „Das sind nicht nur Zahlen, dahinter stecken menschliche Schicksale“, betont Brunner die Tragweite.

Auch aus volkswirtschaftlicher Sicht ist der Nutzen des Vorarlberger Vorsorgekoloskopieprogramms belegt. Je nach Berechnungsansatz beträgt der volkswirtschaftliche Nutzen zwischen 736 Mio. und 4,5 Mrd. Euro, wovon die Einsparungen im Gesundheitsbereich rund ein Drittel ausmachen. Brunner appelliert an die Finanzverantwortlichen im Gesundheitssystem, die Zahlen für ein österreichweites Programm hochzurechnen, und betont: „Medizinisch steht der Nutzen des Programms außer Frage und alle Beteiligten bis hin zum Gesundheitsministerium sind sich einig, dass dieser Weg der einzig richtige ist.“ Auch die ÖGK bemüht sich um rasche praktische Lösungen: „Wir sind im Austausch mit Expertinnen und Experten der Österreichischen Gesellschaft für Gastroenterologie und Hepatologie (ÖGGH), wie das Konzept einer Vorsorgekoloskopie praktisch umzusetzen wäre,“ gibt Krauter Einblick.

Es ist wichtig, dass jetzt auch der Bogen zum Gesundheitsministerium geschlagen ist und gemeinsam die Ziele zur bestmöglichen Versorgung der Bevölkerung weiter entwickelt werden.

Finanzierung einmal mehr offen

Darmkrebs erzeugt Kosten, nicht nur durch die Behandlung, sondern auch durch Produktivitätsausfälle bei Betroffenen und deren Angehörigen sowie den vorzeitigen Tod. „Über die medizinische Notwendigkeit bestehen scheinbar keine Zweifel und auch die Fakten sprechen eine klare Sprache“, betont Brunner. Doch wie so oft bei guten Ideen krankt es auch bei der Darmkrebsvorsorge an der erforderlichen Finanzierung und den föderalen Strukturen. Ein Problem, das das Projekt schon einmal zum Scheitern verurteilte: Im Jahr 2005, als die Vorsorgeuntersuchung „neu“ bereits mit einer Ankündigung der Vorsorgekoloskopie von sich reden machte. Die Finanzierung war durch die Tabaksteuer geplant, aber nicht realisiert. Die Verhandlungen zwischen der Ärztekammer und dem damaligen Hauptverband der Sozialversicherungsträger scheiterten an der Kostenfrage und die Länder entschieden sich für Insellösungen.

Die Ärztekammer Vorarlberg, die Vorarlberger Gebietskrankenkasse und Land Vorarlberg schlossen einen Vertrag für den niedergelassenen Bereich nach dem Vorbild Deutschlands mit internationalen Qualitätsstandards: Die VGKK finanzierte die Koloskopie und Polypektomie und stellte den Ordinationsbedarf, das Land leistete einen Qualitätssicherungsbeitrag, somit waren die internationalen Qualitätsanforderungen für die Praxis realisierbar. Regelmäßige Information der niedergelassenen Allgemeinmedizinerinnen und -mediziner, Internistinnen bzw. Internisten sowie Chirurginnen und Chirurgen über das Programm, die Zielgruppe und die Ergebnisse der Datenauswertung sowie die regelmäßige Information der Bevölkerung waren mitentscheidend für den Erfolg.

Während also in Vorarlberg die Darmkrebsvorsorge flächendeckend bei niedergelassenen Ärztinnen bzw. Ärzten angeboten werden kann, läuft in anderen Bundesländern, wie etwa in Wien das Angebot vorwiegend über Spitäler ab. Für diese sind aber die Länder zuständig, für den niedergelassenen Bereich die Sozialversicherungen. Daher braucht es einen Finanzierungstopf – ähnlich dem Brustkrebsfrüherkennungsprogramm –, der von diesen Institutionen im passenden Verhältnis – je nach extra- oder intramuraler Abwicklung des Vorsorgeangebotes – befüllt wird.

„Das Thema ist als fixes Vorhaben der Bundesregierung auch im Regierungsprogramm aufgenommen. Jetzt braucht es aber auch die praktische Unterstützung von Experten und Expertinnen, die sich mit Finanzierungsfragen gut auskennen, damit wir zu einer flächendeckenden Umsetzung kommen. Ich freue mich, dass unser Vorschlag aber schon auf Interesse gestoßen ist“, resümiert Brunner. Vereinbart wurde jedenfalls, die Idee weiterzuverfolgen und demnächst Nägel mit Köpfen zu machen. „Darmkrebsvorsorge darf kein Add-on-Thema sein, sondern muss zu einem zentralen Anliegen der Politik werden“, wünscht sich Brunner. „An einem österreichweit koordinierten Koloskopieprogramm und mehr Awareness in der Bevölkerung, um frühzeitig zu Diagnosen und Therapien zu gelangen, führt kein Weg vorbei. Das Interesse aus dem Gesundheitsministerium ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung,“ ergänzt Schelling. Bleibt zu hoffen, dass der Brief, den namhafte Experten und Expertinnen aus dem Gesundheitswesen unterzeichnet haben (siehe Kasten), den Anstoß dazu geben konnte.

Folgende Expertinnen und Experten haben den Brief unterzeichnet und unterstützen die Forderungen nach einer raschen Umsetzung der Vorsorgekoloskopie:

Univ.-Prof. Dr. Stefanie Auer, Dr. Silvia Bodi, MSc, Manfred Brunner, Prim. Univ.-Prof. Dr. Monika
Ferlitsch, Mag. Barbara Fisa, Mag. Anita Frauwallner, Mag. pharm. Gunda Gittler, MBA, aHPhm, Dr. Michael Jonas, Dr. Stefan Kastner, MR Dr. Gerald Oppeck, Dr. Hans Jörg Schelling, Constance Schlegl, MPH, Dr. Julia Traub, MSc

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