„Stellenwert der Osteopathie – heute und morgen“ – so das Thema der hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion, die im Rahmen der 2. Fachtagung der Österreichischen Gesellschaft für Osteopathie (OEGO) im Mai 2022 in Seitenstetten stattfand. Im Fokus der Expertenrunde standen Ausbildung, Qualitätssicherung und die Integration der Osteopathie in ein therapeutisches Gesamtkonzept samt optimierter interdisziplinärer Zusammenarbeit.
Lisa Türk, BA
Periskop-Redakteurin
Am 17. Mai 2022 fand die 2. Fachtagung der OEGO in hybridem Setting im Vorfeld der 7. PRAEVENIRE Gesundheitstage im Stift Seitenstetten statt. Ziel war es, den Meinungsaustausch und die gegenseitige Vernetzung zwischen Osteopathie, Medizin und Gesundheitsberufen zu fördern und neben einem ausgezeichneten Fortbildungsprogramm, Herausforderungen und Chancen zu analysieren und zu diskutieren. Sowohl der Zeitpunkt als auch der Veranstaltungsort wurden bewusst im Vorfeld der PRAEVENIRE Gesundheitstage im Stift Seitenstetten gewählt, um auch den Austausch mit der Gesundheitspolitik zu pflegen. „Ein zentrales Anliegen der OEGO ist allem voran das Bestreben, zeitnahe eine Anerkennung für die Osteopathie als eigenes Berufsbild zu erreichen und eine österreichweit flächendeckende osteopathische Versorgung mitsamt einer respektvollen Honorierung von Seiten der Sozialversicherungsträger zu forcieren“, so OEGO-Präsidentin Margit Halbfurter, MSc. D.O.
Das Fachtagungsprogramm wurde von namhaften nationalen und internationalen Expertinnen und Experten aus dem osteopathischen Bereich präsentiert. „Darüber hinaus hat es uns besonders gefreut, Hanna Tomasdóttir, D.O. MRO.DK, die Präsidentin der European Federation and Forum for Osteopaths (EFFO), begrüßen zu dürfen“, betonte Nina Mittendorfer, D.O., OEGO-Vizepräsidentin und internationale Vertretung. Tomasdóttir referierte über das Thema „Überblick über die Regulierung des osteopathischen Berufsstandes in Europa. Vor- und Nachteile der Regulierung, basierend auf Erfahrungen aus Dänemark“. Während die Osteopathie in 13 europäischen Ländern als gesetzlich reglementierte Gesundheitsprofession und als eigenständige Behandlungsmethode verankert ist, fehlt in Österreich eine derartige Regelung. „Eine Reglementierung unseres Berufsstandes sowie eine Legalisierung der Berufsbezeichnung zu erreichen, ist elementar wichtig – zur Qualitätssicherung der Behandlung und zur Gewährleistung der Patientensicherheit“, so Halbfurter.
Vor dem Hintergrund der allgemeinen dynamischen Weiterentwicklungen im Gesundheitsbereich begrüßte auch Gesundheits- und Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) im Zuge seiner virtuellen Eröffnungsbotschaft den regen fachlichen Austausch, die gelebte Interdisziplinarität und letztlich die Stärkung des Stellenwerts der Osteopathie zugunsten von Patientinnen und Patienten.
Ganz in diesem Sinne bildete den Abschluss der Fachtagung eine hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion. „Vertreterinnen und Vertreter der OEGO und der Institute für Aus- und Weiterbildung spannten gemeinsam mit Ärztinnen, Ärzten unterschiedlicher Fachrichtungen einen Bogen zwischen der derzeitigen Rolle der Osteopathie und zukunftsweisenden Chancen als fixer Bestandteil der Osteopathie im therapeutischen Gesamtkonzept“, so Thomas Marschall, MSc D.O., OEGO-Vorstandsmitglied.
Evidenzbasierte Humanwissenschaft
Zu Beginn der Diskussion erläuterte Margit Halbfurter das osteopathische Grundkonzept: „Die Osteopathie ist eine Humanwissenschaft mit einem eigenständigen medizinischen Diagnose- und Behandlungsansatz. Sie ist Teil der Integrativen Medizin, bei welcher es sich per definitionem um einen Zusammenschluss von Schulmedizin und evidenzbasierter Komplementärmedizin handelt.“
In den vergangenen beiden Jahrzehnten konnten international in kontrollierten, randomisierten Doppelblindstudien zunehmend Wirksamkeitsnachweise für osteopathische Interventionen in verschiedenen Indikationen erbracht werden. Die Evidenz für manuelle Therapien wächst und wird zunehmend robuster. Grob zusammengefasst, zählen zu den Indikationen etwa Schmerzen und Funktionseinschränkungen im Bewegungsapparat, gynäkologische Beschwerden, Indikationsstellungen im pädiatrischen/neonatologischen Bereich und therapieassoziierte Nebenwirkungsbeschwerden in der Onkologie. Oberstes Ziel osteopathischer Interventionen ist stets, den pathophysiologischen Mechanismus hinter einer Erkrankung zu diagnostizieren, mittels manueller Techniken die Genesung einzuleiten und so die Wiederherstellung, Aufrechterhaltung oder Verbesserung von Gesundheitszustand und Lebensqualität zu erreichen. Ganz allgemein ist, so die einhellige Expertenmeinung, die wissenschaftliche Evidenz im Hinblick auf die Anerkennung der Osteopathie sowohl im extra- als auch im intramuralen Bereich unabdinglich. „Künftig braucht es mehr Mut zu Studien, die den Vergleich von Behandlungserfolgen mit und ohne osteopathische Unterstützung in den Fokus rücken“, strich Priv. Doz. Dr. Ralf Rosenberger, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, in diesem Zusammenhang hervor.
Standardisierung und Qualitätssicherung
Die OEGO ist der Ansicht, dass es im Sinne der Qualitätssicherung und Patientensicherheit unabdingbar ist, dass jede einzelne Osteopathin, jeder einzelne Osteopath nationale Qualitätsstandards, die sich an internationalen Leitlinien orientieren, erfüllen muss. Dies gilt sowohl für die Berufsausübung, besonders aber auch für die Ausbildung. „Wir brauchen Standards, welche die überprüf- und kontrollierbare Qualität der Osteopathie-Ausbildung zugunsten der Patientensicherheit gewährleisten“, so Halbfurter. Raimund Engel, MSc D.O., Wiener Schule für Osteopathie (WSO) und Gründungsmitglied der OEGO, betonte ebenfalls die Relevanz der Evidenzbasiertheit in Aus- und Weiterbildung. „An der Wiener Schule für Osteopathie versuchen wir stets, den Spagat zwischen Tradition und Evidenz zu schaffen. Was wir von unseren Gründervätern gelernt haben, geben wir an unsere Studierenden weiter – mit dem Auftrag, die Dinge in der Praxis kritisch und angelehnt an die wissenschaftliche Evidenz zu konsumieren und zu hinterfragen“, erläuterte Engel die Philosophie der WSO. Für eine gesteigerte Qualitätssicherung osteopathischer Interventionen sorgt auch die Implementierung eines öffentlich einsehbaren, verpflichtenden Therapeutenregisters seitens OEGO. Dieses soll das osteopathische Versorgungsfeld auf transparente Weise sichtbar machen. „Durch die Listung aller praktizierenden Osteopathinnen, Osteopathen, welche die fachlichen Anforderungen für die Berufsausübung erfüllen, soll vor allem eine missbräuchliche Verwendung der Berufsbezeichnung als Osteopathin, Osteopath verhindert werden“, erklärte Halbfurter. Zudem bringe ein derartiges Register für die Ärzteschaft Klarheit in der Zuweisung zu spezialisierten Ansprechpartnerinnen und -partnern mit sich.
Stimmen aus der Praxis
In der Praxis selbst kann die Osteopathie schließlich maßgeblich dazu beitragen, den Leidensweg von Patientinnen und Patienten zu verkürzen. „Bereits zu einem frühen Zeitpunkt in der Behandlung erlebe ich die osteopathische Intervention als effektive zusätzliche Methode, um Therapieergebnisse und letztlich auch die Lebensqualität Betroffener zu verbessern. Aus diesem Grund sollte die Osteopathie in der Praxis nicht erst als Letztschritt angesetzt, sondern viel früher Teil des therapeutischen Gesamtkonzepts werden“, regte Dr. Christoph Heiserer, Arzt für Allgemeinmedizin und Bundesliga-Teamarzt, an. „Vor allem aber bedarf es einer Präzisierung und Abgrenzung des Berufs der Osteopathin, des Osteopathen von etwa physiotherapeutischen Interventionen. Denn ein eindeutiges Bild in der öffentlichen Wahrnehmung, vor allem aber bei der nicht osteopathisch ausgebildeten Ärzteschaft, fehlt bislang“, ergänzte Dr. Beatrix Urbanek, MSc D.O., DPO., Fachärztin für Frauenheilkunde, Osteopathin und Kinderosteopathin, und berichtete weiter: „Im niedergelassenen Bereich werden die Kolleginnen und Kollegen häufig durch positive Rückmeldungen seitens Patientinnen und Patienten auf die Osteopathie aufmerksam, im Spitalsbereich geht dieses Feedback oftmals unter.“ Vielen Ärztinnen und Ärzten seien Stellen- und Mehrwert osteopathischer Behandlungs- und Untersuchungstechniken demnach nicht bekannt, hier gelte es, deren Sichtbarkeit zu forcieren.
Die Notwendigkeit eines diesbezüglichen Paradigmenwechsels – vor allem im Spitalsbereich – erörterte auch Prim. Doz. Dr. Hannes Kaufmann, Vorstand der 3. Med. Abteilung – Zentrum für Onkologie und Hämatologie – Klinik Favoriten. „Österreich steht hier an der Schwelle, es fehlt der letzte Kick. Dank innovativer onkologischer Therapien können wir das Gesamtüberleben der Betroffenen verlängern, allerdings braucht es ein entsprechendes interdisziplinäres Nebenwirkungs- und Schnittstellemanagement, zu dem auch die Osteopathie einen wesentlichen Beitrag leisten kann – vor allem in puncto Therapiebegleitung und Nachbetreuung.“ Der medizinische Fortschritt zieht veränderte Versorgungsrealitäten nach sich; ein abgestuftes onkologisches Versorgungskonzept, das auf multiprofessionelle Herangehensweisen setzt und auch die Wirksamkeit der Osteopathie verdeutlicht, ist, so Kaufmann, bereits in Form eines wissenschaftlich begleiteten Pilotprojekts in Planung.
Optimiertes Schnittstellenmanagement
Im Sinne einer umfassenden und ganzheitlichen Patientenbetreuung plädierten die Expertinnen und Experten schließlich allem voran für eine enge Zusammenarbeit und einen regen Austausch zwischen Osteopathie, Ärzteschaft und anderen Gesundheitsberufen. Anzustreben ist ein sinnvolles additives Miteinander, in dem sich die einzelnen Tätigkeitsbereiche ergänzen. In diesem Zusammenhang gelten insbesondere möglichst einheitliche und standardisierte Dokumentation, Informationsaustausch und transparente Kommunikation als Brennpunktthemen bzw. Spannungsfelder; hier ist auf ein konstruktives, sprachlich reflektiertes Miteinander auf Basis gegenseitiger Wertschätzung zu setzen. „Es geht nicht um Hierarchien oder darum, Kolleginnen oder Kollegen mit dem eigenen Wissen zu übertrumpfen. Es geht darum, Brücken zu bauen. Es geht am Endes des Tages um das Patientenwohl, zu dem jeder einzelne Gesundheitsberuf einen wesentlichen Beitrag leisten kann – in einem multiprofessionellen Zusammenspiel auf Augenhöhe“, so Stephan Klemm, MSc. Ost., Vice Principal und Seniordozent der International Academy of Osteopathy (IAO).
OEGO-Präsidentin Halbfurter appellierte abschließend: „Wir freuen uns, dass wir in der Praxis seitens Ärzteschaft eine zunehmende Offenheit der Osteopathie gegenüber erleben. Neben dem Bewusstsein, dass wir alle zum Wohle der Patientinnen und Patienten an einem Strang ziehen müssen, braucht es für eine gesteigerte Anerkennung der Osteopathie nun vor allem eine klare und transparente Kommunikation und den notwendigen berufspolitischen Support.“
Die 3. Fachtagung der OEGO findet am 23. Mai 2023 statt – abermals in Seitenstetten. „Auch im kommenden Jahr werden der interdisziplinäre Austausch, das persönliche Gespräch und ein hervorragendes Fortbildungsprogramm im Vordergrund stehen“, erklärte Sebastian Soika, BSc., ebenfalls OEGO-Vorstandsmitglied.