Pro Woche lassen sich rund 30.000 Österreicherinnen und Österreicher von einer Osteopathin oder einem Osteopath behandeln, trotzdem existiert kein geregeltes, anerkanntes Berufsbild. Wissenschaftlich belegt ist die Wirkung von Osteopathie vor allem bei chronischen Schmerzen, hieß es bei den PRAEVENIRE Gesundheitsgesprächen auf Basis einer Literaturanalyse von Univ.-Prof. Dr. Andrea Siebenhofer-Kroitzsch.
Wolfgang Wagner
Gesundheitsjournalist
„Laut einer Umfrage der Statistik Austria aus dem Jahr 2019 suchen in Österreich bereits 10 Prozent aller über 15-Jährigen mindestens einmal im Jahr eine Osteopathin oder einen Osteopathen auf. Das sind bei 1.500 bis 2.000 aktiven Osteopathinnen und Osteopathen rund 30.000 Behandlungen pro Woche. Hinzu kommen noch die kinder-osteopathischen Behandlungen. Für sie gibt es in Österreich noch immer keinen gesetzlichen Rahmen“, erklärte Msc. Margit Halbfurter, Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Osteopathie (OEGO) bei den PRAEVENIRE Gesundheitsgesprächen auf der Alten Schafalm. Sie unterstreicht auch die Meinung von Gesundheitsminister Johannes Rauch, wonach die Osteopathie einen wertvollen Beitrag im Gesundheitswesen leisten könne.
An der ÖGK wird es am Ende nicht scheitern.
Arno Melitopulos
„In 13 europäischen Ländern ist die Osteopathie als Gesundheitsberuf (gesetzlich; Anm.) verankert. Vorreiter war 1993 Großbritannien“, bemerkt Margit Halbfurter. Im Gegensatz dazu sei die Osteopathie in Österreich bisher nicht gesetzlich im Gesundheitssystem verankert.
Anerkennung der Ausbildung der Osteopathie
Im Sinne einer Qualitätssicherung fordert die OEGO eine rechtliche Regelung des Berufsbildes Osteopath bzw. Osteopathin. Seriöse Osteopathie-Ausbildungsinstitutionen sehen Studien mit mindestens 1.500 bis 2.000 Stunden samt Master-Titel vor. Das Defizit der Anerkennung als gesetzlich geregelter Gesundheitsberuf führt auch dazu, dass derzeit an die Refundierung der Therapiekosten durch die Krankenkassen (Kassenleistung) nicht zu denken ist.
Wissenschaftliche Evidenz
Andrea Siebenhofer-Kroitzsch (MedUni Graz) analysierte existierende Übersichtsarbeiten zu „Wirksamkeit und Sicherheit osteopathischer Behandlungen – Systematic Overview of Reviews“. Siebenhofer-Kroitzsch und ihr Co-Autor Thomas Semlitsch beurteilten 27 systematische Reviews auf der Basis von randomisierten kontrollierten Studien nach ihrer Aussagekraft. Die Beurteilung erfolgte nach Patientinnen- bzw. Patienten-relevanten Endpunkten wie Schmerz/Symptomatik, Funktionalität und Lebensqualität, Medikation bzw. unerwünschte Ereignisse. Es ging ausschließlich um manuelle osteopathische Behandlungsformen.
Den Weg zur Evidenz muss man gehen.
Michael Gnant
Ergebnisse der Studie
„Osteopathische Behandlungen sind bei erwachsenen Personen mit chronischen nicht-onkologischen Schmerzen, chronischen Kreuzschmerzen (auch während der Schwangerschaft; Anm.), akuten Nackenschmerzen und bei frühgeborenen Säuglingen (durch Verringerung der Spitalsaufenthaltsdauer; Anm.) wirksam“, so die Autorin und der Autor der Studie.
Die Anerkennung der Osteopathinnen und Osteopathen als Gesundheitsberuf ist die erste Hürde.
Andreas Huss
„Es fanden sich keine positiven Ergebnisse mit hoher Verlässlichkeit der Evidenz“, sagte die Expertin. Für die genannten Anwendungsgebiete bestünden aber in der wissenschaftlichen Literatur Hinweise auf eine „positive Wirkung mit moderater Verlässlichkeit“, wie Andrea Siebenhofer-Kroitzsch betonte. Das bedeutet, dass weitere Studien diesen Status „vermutlich nicht verändern“ werden. Keine Effekte bei einer niedrigen Verlässlichkeit der vorliegenden wissenschaftlichen Evidenz gibt es hingegen für Erwachsene mit akuten unspezifischen Kreuz schmerzen, Fibromyalgie- und Kopfschmerzpatientinnen und-patienten und zum Beispiel Personen mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung. Keine wissenschaftlichen Hinweise auf eine Wirkung existieren für Anwendungen in der Zahn- und Kieferheilkunde, bei Krebs und anderen Erkrankungen (z.B. Herz-Kreislauf-Erkrankungen).
Es gibt Evidenz für eine positive Wirkung mit moderater Verlässlichkeit für die Osteopathie in einigen Indikationen.
Andrea Siebenhofer-Kroitzsch
Univ.-Prof. Dr. Michael Gnant (ABCSG) betonte, dass man für neue Heilmethoden jeweils eine Wirksamkeit beweisen müsse: „Das sind wesentliche Schritte in diese Richtung. Es ist offensichtlich, dass es sich um eine junge Disziplin handelt, die tatsächlich im klinischen Alltag in Österreich schon viel weiter ist. Ich finde es toll, dass diese Studie durchgeführt worden ist.“
Mittlere oder moderate Evidenz für bestimmte Indikationen ist schon relativ viel, meint Gerald Gartlehner. Auch in der modernen Medizin seien nur ein Drittel aller Verfahren durch gute wissenschaftliche Studien in ihren Effekten mit randomisierten kontrollierten Studien ausreichend belegt.
Der Gesetzgeber schreibt vor, welche Gesundheitsberufe und Leistungen die Österreichische Gesundheitskasse anzubieten haben, sagt Andreas Huss. „Ein ‚jüngerer‘ Gesundheitsberuf ist die Osteopathie, die noch kein Gesundheitsberuf ist. Das ist die erste Hürde.“ Bei entsprechender Gesetzesänderung und entsprechender Evidenz seien auch osteopathische Leistungen im Rahmen der von den Krankenkassen bezahlten Leistungen zu überlegen.
Dr. Andreas Krauter, der ärztliche Leiter der ÖGK, drückte seine Gratulation zur Grazer Studie aus. Dr. Arno Melitopulos, Leiter der Landesstelle Tirol der ÖGK und Leiter der Abteilung für Versorgungsmanagement 3 der ÖGK: „An der ÖGK wird es am Ende nicht scheitern. (…) Innovationen erfolgen im öffentlichen Gesundheitswesen in einem recht strikten Prozess. Man muss mit dem System auch ein wenig Geduld haben.“
Es sind Bereiche identifiziert worden, in denen Evidenz vorliegt.
Andreas Krauter
Jede Hilfe erwünscht
Nach Dr. Andreas Stippler, Präsidialkonsulent der NÖ Ärztekammer, selbst Facharzt für Orthopädie, gibt es zwei Probleme in der Orthopädie. Einerseits existieren sehr viele weiße Flecken in der Schmerztherapie, andererseits müssen Qualität und Evidenz gegeben sein.
Dr. Franz Harnoncout, Vorstandsvorsitzender der OÖ Gesundheitsholding: „Wir sind im Spital dazu verpflichtet, nur anerkannte Methoden einzusetzen.“ Das Sammeln von Evidenz sei die einzige Möglichkeit, das Therapiespektrum zu erweitern.
Mittlere oder moderate Evidenz für bestimmte Indikationen, dasist eigentlich schon relativ viel.
Gerald Gartlehner
Die Zukunft der Osteopathie
Die wissenschaftliche Absicherung ist wichtig für die Osteopathie, genauso wie ein klares Bekenntnis zu einer standardisierten Ausbildung.
Lesen Sie diesen Artikel in voller Länge in unserem Print-Magazin und abonnieren Sie PERISKOP gleich online.