Während der Coronapandemie und aufgrund des Personalmangels mussten bzw. müssen zahlreiche Knie- und Hüftoperationen verschoben werden. Noch immer heißt es für viele Patientinnen und Patienten: Geduld haben und warten. Dr. Andreas Stippler, MSc, Bundesfachgruppenobmann der Fachärzte für Orthopädie und orthopädische Chirurgie, erläuterte im PERISKOP Interview die derzeitige Lage und führte aus, welche Massnahmen notwendig sind, um die Wartezeiten auf Operationen zu verringern.
Carola Bachbauer, BA, MSc
PERISKOP-Redakteurin
Lange Wartezeiten sind für Betroffene nicht nur ärgerlich, sondern auch belastend, vor allem, wenn es zu einer Beeinträchtigung der Lebensqualität oder einer Einschränkung der Arbeitsfähigkeit kommt. Die Gründe für die Dauer sind vielseitig. Ein Ausbau der konservativen Therapiemöglichkeiten wäre dringend notwendig.
PERISKOP: Das Thema Wartezeiten auf Operationstermine sorgte in der Vergangenheit immer wieder für Schlagzeilen. Warum ist es jetzt so akut und inwieweit ist die chirurgische Orthopädie davon betroffen?
STIPPLER: Seit Jahren können in Österreich weniger Operationen durchgeführt werden, als notwendig wären oder zumindest geplant sind. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Wartezeiten für Patientinnen und Patienten immer länger werden und sich der Terminstau kontinuierlich vergrößert.
Die Orthopädie ist davon besonders stark betroffen. So gibt es noch immer einen Rückstau aufgrund der Einschränkungen während der coronabedingten Lockdowns, finanzielle Engpässe und einen massiven Personalmangel. Allein im relativ kleinen Krankenhaus Korneuburg warten derzeit über 1.000 Patientinnen und Patienten auf einen Operationstermin. Die langen Wartezeiten können für die Betroffenen extrem belastend sein, vor allem, wenn es zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes, zu einer Beeinträchtigung der Lebensqualität oder einer Einschränkung der Arbeitsfähigkeit kommt. Zusätzlich führt die vor Jahren erfolgte Zusammenlegung des Fachs Orthopädie mit der Traumatologie zu Kapazitätseinbußen, da für Akutfälle immer ein Operationssaal bereit gehalten werden muss.
Wie könnten die Kapazitäten im chirurgischen Bereich erweitert werden? Gibt es hier einen Stufenplan bezüglich rasch und längerfristig umzusetzender Maßnahmen?
Zum einen sind die Politik, aber auch die Betreiber der Krankenhäuser gefordert, dieses Problem jetzt und vor allem tatsächlich anzugehen. Es müssen rasch Maßnahmen ergriffen werden, um die Wartezeiten auf Operationen zu reduzieren. Das heißt konkret, für einen Ausbau der operativen Kapazitäten zu sorgen, und zwar durch Erweiterung der Anzahl an Operationssälen und eine Intensivierung der Bespielung von Operationssälen. Außerdem brauchen wir mehr Ausbildungsangebote nicht nur im operativen, sondern auch im konservativen Bereich, um die Patientinnen und Patienten besser betreuen und die große Anzahl an Betroffenen, die auf ihre Operation warten, abbauen zu können. Deshalb fordere ich Verhandlungen und strecke den Entscheidungsträgern beide Hände entgegen. Es werden dringend Lösungen im Interesse unserer Patientinnen und Patienten benötigt.
Gibt es eine erste Maßnahme, die ganz besonders wichtig ist?
Die erste Maßnahme ist immer ein Gespräch und eine Quantifizierung des Problems. Wir haben feststellen müssen, dass das Problem der Wartezeiten im Osten größer ist als im Westen. Die Wartezeiten betragen zwischen vier Wochen und zwei Jahren. Ein erster wichtiger Schritt wäre deshalb zu schauen, wie man flächendeckend in Österreich einen Ausgleich schaffen kann.
Sie haben zuvor die fehlenden konservativen Ansätze angesprochen. Welche Möglichkeiten gäbe es hier, die Leiden bzw. Wartezeiten von Betroffenen erträglicher zu machen?
Anhand des Beispiels Australien sieht man, dass die eine oder andere Operation durch eine konservative Therapie ersetzt und die Beschwerden zumindest gleich gut oder sogar effizienter behandelt werden können. In Australien hat man begonnen, Patientinnen und Patienten, die bereits auf der Warteliste gestanden sind, intensiv mit einem entsprechenden konservativen Programm zu behandeln. Dadurch konnten 27 Prozent der Betroffenen wieder von der Warteliste hinuntergenommen werden. Ich glaube, dass konservative Maßnahmen eine gute Möglichkeit sind, um die Anzahl der wartenden Patientinnen und Patienten zu reduzieren. Eine weitere Lösungsmöglichkeit gibt es im Bereich der ambulanten Rehabilitation, und zwar das Modell des Rapid Recovery. In Amerika ist „a hip a day“, die schnelle Hüfte, bereits ein Schlagwort. Bei diesem Konzept kommt die Patientin, der Patient nur noch einen Tag ins Spital und wird entsprechend vorher und nachher ambulant betreut. Damit ist der Aufenthalt im Krankenhaus sehr kurz und die Kapazität der Operationszahlen kann leicht erhöht werden.
Des Weiteren ist ein Ausbau der orthopädischen Versorgung auch im niedergelassenen Bereich notwendig. Denn die Generation der Baby-boomer erreicht jetzt das Pensionsalter. Somit wird die Zahl der Patientinnen und Patienten mit Gelenkarthrose demnächst stark ansteigen.
Prävention spielt in Verbindung mit Arthrose eine wichtige Rolle. Welche Faktoren sind hier relevant, um einer Erkrankung vorzubeugen?
Die Ernährung ist einer der wichtigsten Therapieansätze in der Prävention. Für eine entzündungshemmende Ernährung sollten vor allem Gemüse und gesunde, pflanzliche Öle zu sich genommen und der Zucker- und Fleischkonsum reduziert werden. Besonders rotes Fleisch und Wurst enthalten viele entzündungsfördernde Stoffe. Außerdem ist eine adäquate Bewegung ein wichtiger Faktor. Denn der Knorpel „ernährt“ sich durch Zug sowie Druck und dies kann durch Bewegung unterstützt werden. Darum möchte ich hier noch einmal einen Appell aussprechen. Bitte bewegen Sie sich! Machen Sie immer wieder Sitzunterbrechungen! Die sind wichtig. Denn der zunehmend sitzende Lebensstil führt nicht nur zu einer mangelnden Muskelkraft, sondern auch zu mehr Arthrosefällen.
Was ist notwendig, um konservative Therapieangebote flächendeckend der Bevölkerung zur Verfügung zu stellen? Gibt es überhaupt genug Orthopädinnen und Orthopäden im niedergelassenen Bereich? Ist auch eine Kombination mit anderen Gesundheitsberufen hierzu notwendig?
Wir sind gerade dabei, mit der österreichischen Gesundheitskasse ein Pilotprojekt zu starten und hier die entsprechenden ersten Maßnahmen zu ergreifen. Ich glaube, es gibt genug interessierte Orthopädinnen und Orthopäden. Wir als Fachärztinnen und -ärzte für Orthopädie sind es gewohnt, im Team zu arbeiten. Wir arbeiten mit Bandagistinnen und Bandagisten, Sportwissenschafterinnen und Sportwissenschaftern, Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten sowie Osteopathinnen und Osteopathen zusammen. Ich glaube, es ist die Aufgabe der Orthopädin, des Orthopäden, die richtige, individuelle Mischung an Berufsgruppen für jede Patientin und jeden Patienten zusammenzustellen.
Welche Bedeutung hat die Osteopathie für die Orthopädie?
Die Thematik der Osteopathinnen und Osteopathen ist uns Orthopädinnen und Orthopäden sehr wichtig. Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern ist das Berufsbild der Osteopathin, des Osteopathen in Österreich nicht gesetzlich geregelt und geschützt. Ich glaube, es ist an der Zeit, diese hoch qualifizierte Fachgruppe anzuerkennen. Dies ist auch im Sinne einer partnerschaftlichen Betreuung für die Patientinnen und Patienten von Bedeutung.
Abonnieren Sie PERISKOP gleich online und lesen Sie alle Artikel in voller Länge.