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Phosphatdiabetes: Eine rätselvolle Krankheit

© Daniel Wagner

Phosphatdiabetes: Eine rätselvolle Krankheit

© Daniel Wagner

Phosphatdiabetes: Eine rätselvolle Krankheit Phosphatdiabetes gilt als immer noch weitgehend unbekannte Seltene Erkrankung. Über die Versorgung und die Lebensqualität von Betroffenen sprach das PERISKOP mit Prof. Dr. Martin Klein, dem Herausgeber der Publikation „Phosphatdiabetes (XLH) und Lebensqualität“.| Von Dr. Nedad Memić

Die X-chromosomal-dominante hypo­phosphatämische Rachitis ist eine angeborene Störung, die neben dem Skelettsystem auch die Zähne in ihrer Mineralisation beeinflusst. Die Erkrankung kann ab dem Ende des ersten Lebensjahres, meist mit dem eigentlichen Laufalter im zweiten Lebensjahr, durch einen watschelnden, breitbeinigen Gang und ein vermindertes Längenwachstum auffallen. Bei einzelnen Betroffenen kann die Diagnose erst im Schulalter aufgrund von Beinschmerzen und/oder einer zunehmenden Beinachsenfehlstellung diagnostiziert werden.

PERISKOP: Phosphatdiabetes gilt als eine Seltene Erkrankung. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, darüber ein Buch mit mehreren Autorinnen und Autoren herauszugeben?

KLEIN: Infolge einer Phosphatdiabetes-Erkrankung im privaten Umfeld fing ich an, mich mit der Krankheit zu beschäftigen. Ich musste feststellen, dass es zu jener Zeit relativ wenig Interesse gab, sich mit dieser Erkrankung zu beschäftigen. Ich habe lediglich eine relevante Buchpublikation dazu gefunden, diese war aber so anspruchsvoll verfasst, dass Personen, die keine Medizinerinnen bzw. Mediziner sind, diese kaum lesen konnten. Daraus entstand die Idee, mit mehreren Autorinnen und Autoren ein Buch zu verfassen, das sowohl die Perspektiven der Betroffenen als auch der beteiligten Fachdisziplinen abdeckt und so verfasst ist, dass es auch Nichtmedizinerinnen und -mediziner lesen können.

Wie hat Ihnen Ihr Forschungsschwerpunkt beim Verfassen des Buches geholfen?

Schwerpunkte meiner Arbeit sind u. a. das Netzwerkmanagement sowie das Case und Care Management. Der Ausgangspunkt war also, wie man bei komplexen Rahmenbedingungen und vielen Akteuren eine erfolgreiche Netzwerkkoordination auf die Beine stellen kann — in diesem Fall bei Phosphatdiabetes. Aus diesem Grund haben wir an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen mit Master-Studierenden des Netzwerkmanagements eine Studie durchgeführt. Deren Ziel war es, komplexe Sachverhalte und Themen in diesem Feld strukturiert zu erheben, um ein Netzwerk aufzubauen. Die Ergebnisse wurden in unserem Buch zusammengefasst.

Zu welchen Ergebnissen ist die Studie gekommen?

Das Thema der Studie war die Lebensqualität im Falle einer Phosphatdiabetes-Erkrankung. Der Begriff Lebensqualität ist sehr voraussetzungsvoll, weil sich dieser nicht abschließend definieren lässt. In der Medizin gibt es den Konsens, die gesundheitsbezogene Lebensqualität über eine physische, emotionale und soziale Ebene zu definieren. Dies war auch die Basis für unsere Studie. Zusätzlich haben wir noch eine vierte Ebene hinzugefügt, und zwar die Versorgungssituation. Bei vielen Befragten stellte sich heraus, dass die Einschätzung zur Lebensqualität direkt von der Versorgungssituation abhängt. An unserer Befragung nahmen 79 Betroffene teil, die aus fünf verschiedenen EU-Ländern kamen.

Wie haben Sie Betroffene gefunden?

Wir haben Fachkräfte kontaktiert, die sich mit Phosphatdiabetes beschäftigen, und haben sie gebeten, den Fragebogen an Betroffene weiterzuleiten. Wir haben auch einen Selbsthilfeverein dazu genommen. Zwei Drittel der Befragten kamen über den Selbsthilfeverein, ein Drittel über die kontaktierten Ärztinnen und Ärzte.

In welchem Bereich ist die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten am stärksten beeinträchtigt und wo könnte man ihnen in einem Solidarsystem unter die Arme greifen?

Die größten Beeinträchtigungen finden auf der physischen Ebene statt. Die Belastung und täglichen Schmerzen durch Symptome sowie eine eingeschränkte Mobilität bringen eine beträchtliche Minderung der Lebensqualität mit sich. Auch die emotionale Ebene ist sehr belastend, insbesondere das Thema Vererbung von Phosphatdiabetes. Das hat einen enormen Einfluss auf die Familienplanung. Das war vor der Veröffentlichung dieser Studie weitgehend unerforscht. Darüber hinaus kann die Verabreichung von Phosphat alle zwei bis drei Stunden eine große Belastung für Kinder darstellen. Die Ebene der Versorgungsstruktur stellt sich auch als sehr belastend dar, insbesondere die Suche nach Spezialisten und die langwierige Diagnose-Odyssee inklusive falscher Behandlungen, die manchmal Jahre dauern kann. Als vierter Belastungsfaktor wurden von den Betroffenen Komorbiditäten genannt, die auf den ersten Blick gar nicht so relevant erscheinen. Aber Menschen mit Phosphatdiabetes akzeptieren irgendwann die Krankheit. Wenn dann aber noch Bluthochdruck, ein Fersensporn o. Ä. hinzukommt, ist es oft der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.

Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Handlungsempfehlungen für eine effektive Versorgung?

Das sind in erster Linie die interdisziplinäre Vernetzung von Fachkräften und Selbsthilfevereine und der Ausbau begleitender Maßnahmen wie psychosoziale Betreuung und Beratung. Es ist ebenfalls ratsam, die Selbsthilfevereine zu fördern und weiter zu professionalisieren, die dann als zentrale Informations-, Beratungs- und Anlaufstellen fungieren könnten. Wichtig ist ebenso, neues Wissen über diese Erkrankung und ihre Ausprägungen voranzutreiben.

Gibt es in Sachen Versorgung ein Best-Practice-Beispiel, das hier als Modell dienen könnte?

Ich würde sagen, hier ist die Phosphatdiabetes-Community mittlerweile ein Beispiel, wie es gut laufen kann. In den letzten drei bis vier Jahren hat sich hier viel entwickelt, v. a. auch durch eine sehr starke Selbsthilfegruppe, die sehr aktiv ist. Es gibt bereits eine multizentrische Studie über die nächsten zehn Jahre, an einem Patienten­register wird ebenfalls gearbeitet.

Wie schätzen Sie die künftige Entwicklung der medizinischen Versorgung von Phosphatdiabetes ein?

Es bleibt abzuwarten, welche Ergebnisse Studien über den Wirkstoff Burosumab bringen. Eine relativ große Gruppe an Erkrankten erfährt momentan Unterstützung durch diese neue Therapie. Ich bin auch hoffnungsvoll, dass durch die Aufmerksamkeit, die die Krankheit mittlerweile bekommt, auch die unterschiedlichen Varianten der Phosphat­diabetes erforscht werden.


Mehr Informationen: Martin Klein (Hrsg.): Phospatdiabetes (XLH) und Lebensqualität. Vom Leben mit einer seltenen und rätselvollen Erkrankung. ISBN: 978-3-00060-550-5


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Prof. Dr. Martin Klein lehrt im Fachbereich Sozialwesen der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen (KatHO NRW) und ist zudem Prorektor für Studium und Lehre. Seine Forschungsschwerpunkte sind Theorien und Konzepte sozialer Arbeit, Case und Care Management sowie betriebliche Sozialarbeit. Klein ist Diplom-Kaufmann und Diplom-Sozialarbeiter. Vor seiner Berufung an die KatHO NRW war er Referent für Arbeit und Qualifizierung im Diakonischen Werk Westfalen und pädagogischer Leiter in einer Jugendhilfeeinrichtung.

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