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EMA muss in turbulenter Brexit-Zeit Stabilität vermitteln

© Oreste Schaller

EMA muss in turbulenter Brexit-Zeit Stabilität vermitteln

© Oreste Schaller

2016 wurde DI DR. CHRISTA WIRTHUMER-HOCHE als erste Frau zur Vorsitzenden des EMA Management Boards wieder-gewählt. Im PERISKOP-Interview spricht sie über die neuen Herausforderungen für die EU-Regulierungsbehörde und welche Schwerpunkte sie als wiedergewählte Vorsitzende des EMA Management Boards in den nächsten Jahren setzen will.| Von Mag. Petra Hafner und Dren Elezi, MA

Das EMA Management Board hat eine Aufsichts- und Lenkungsfunktion und ist für die Bereiche Budget und Planung, die Berufung des EMA Executive Directors sowie die EMA-Leistung verant-wortlich.

PERISKOP: Sie sind seit 2016 Vorsitzende des EMA Management Boards und wurden nun für eine zweite Funktionsperiode wiedergewählt. Welche Schwerpunkte möchten Sie in den kommenden drei Jahren setzen?
WIRTHUMER-HOCHE: Das Vertrauen der Mitglieder des Boards ehrt mich und spornt mich an, den Verwaltungsrat die nächsten drei Jahre aktiv zu führen. Einer der Schwerpunkte aufgrund der Brexit-Situation ist, Stabilität in diesen turbulenten Zeiten zu vermitteln, um so die EMA in die Lage zu versetzen, ihre wichtige Rolle im Interesse der öffentlichen Gesundheit vollständig zu erfüllen. Die Arbeit an der Strategie 2025 beginnt. Das Innovationstempo hat sich drastisch beschleunigt, demzufolge muss die EMA als EU-Regulierungsbehörde bereit sein, die Entwicklung immer kom­plexerer Medikamente zu evaluieren, indem sie die besten Expertinnen und Experten Europas, zum Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier, zusammenführt. Wir müssen uns auch die Frage stellen, wie wir mit diesen neuen wissenschaftlichen und technologischen Innovationen umgehen. Ebenso verlangt es einer „Big Data“-Diskussion, denn die Analyse großer Datenmengen bringt wahrscheinlich auch neuartige Designs klinischer Studien mit sich.

Das Vertrauen der Mitglieder des Boards ehrt mich und spornt mich an, den Ver­waltungsrat die nächsten drei Jahre aktiv zu führen.

Durch den Brexit wird eine Neuverteilung der Aufgaben im europäischen Netzwerk nötig werden. Wie werden die Agenden der Briten nun verteilt und welche Maßnahmen wurden gesetzt, damit es in Österreich nach dem Brexit nicht zu Lieferengpässen kommt?
Die Verteilung der zentralen Verfahren ist bereits erfolgt, die Aufgaben werden am Tag des Austritts von Großbritannien aus der EU an die relevanten Länder übergeben. Die österreichische Behörde hat sich gut auf die zusätzliche Arbeitsbelastung vorbereitet und verstärkt Personal in den entsprechenden Disziplinen aufgenommen und eingeschult. Speziell im Hinblick auf Arznei-mittelversorgung hat sich die österreichische Behörde von Beginn an auf ein Worst-Case-Szenario — also einen No-Deal-Brexit — eingestellt. Das bedeutet, dass im Fall von kritischen Arznei-mitteln mit Bezug zu Großbritannien mit jedem einzelnen Zulassungsinhaber Kontakt aufgenommen wurde, um zu gewährleisten, dass auch nach dem Brexit die Versorgung sichergestellt ist. Zu diesen Arzneimitteln gehören speziell Medikamente für die Behandlung sehr ernster oder lebensbedrohlicher Erkrankungen, chronischer Erkrankungen aber auch Produkte, bei denen eine Umstellung mit besonderen Schwierigkeiten verbunden ist, wie z. B. Epilepsie, Parkinson etc.

Im Februar wurde die Arzneimittel-Fälschungsrichtlinie zur Verhinderung des Eindringens gefälschter Arzneimittel in die legale Lieferkette in allen EU-Staaten umgesetzt. Was erwarten Sie sich von diesem System und inwiefern trägt es zu einem Sicherheits- und Schutzniveau bei?
Mit diesem System sind wir im digitalen Zeitalter angekommen und bieten den Patientinnen und Patienten noch mehr Schutz und Sicherheit für ihre notwendigen Arzneimittel in der legalen Vertriebskette. Das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen wird regelmäßig Statusberichte von der AMVO (Austrian Medicines Verification Organisation) erhalten. Das wird zu mehr Transparenz und einer strukturierten Datenübersicht führen, um einen noch besseren Überblick über die Versorgungssituation im Bereich der rezeptpflichtigen Arzneimittel zu haben. Sollte es einen Fälschungsverdacht geben, werden wir wie bisher die Prüfung und Verfolgung des Falles vornehmen.

Im Hinblick auf die Versorgung wird vor allem die Produktion von Wirkstoffen zu einem hohen Prozentsatz nach Indien und China ausgelagert. Welche Maßnahmen sind zu setzen, um die Produktion nach Europa zurückzuholen und damit den Wirtschaftsstandort zu stärken?
Geeignete Maßnahmen zu empfehlen, damit Wirkstoffhersteller und teilweise auch Fertigprodukthersteller wieder in Europa produzieren, ist eine Herausforderung. Mit diesem Thema werden wir uns auch bei den PRAEVENIRE Gesundheitstagen im Stift Seitenstetten befassen und gemeinsam Vorschläge erarbeiten. Die Antwort auf die Frage, was geschehen muss, um die Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Wirtschaftsstandor-tes zu fördern, ist nicht so einfach, sollte aber gefunden werden.

Auf europäischer Ebene wird aktuell an der Festlegung der Strategie für die nächsten fünf Jahre gearbeitet. Welche Reformen und Neuerungen sind in den kommenden Monaten zu erwarten?
Auf EU-Ebene wird ein neues Gesetz für eine engere Zusammenarbeit mit HTAs (Health Technology Assessment) vorbereitet. „Horizon Scanning“ ist ein neues Schlagwort — es ist wichtig zu wissen, welche Produkte auf uns zukommen, um seitens der Behörde hinsichtlich fachlicher Expertise bestens vorbereitet zu sein. Die Art der Medikamente wird sich drastisch in Richtung hochkomplexe Arzneimittel verändern, wobei ich speziell an Kombinationsprodukte denke, also Kombinationen zwischen Arzneimitteln und Medizinprodukten, implementierbaren Chips und spezi-eller Software zur Überwachung der Compliance. Dadurch wird auch eine engere Zusammenarbeit mit Notified Bodies notwendig. Ein wichtiges Thema ist auch die Versorgungssituation in Österreich. Mein Ziel ist mehr Transparenz in der Distributionskette, um so eine lückenlosere Versorgung zu gewährleisten.

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DI Dr. Christa Wirthumer-Hoche promovierte an der Technischen Universität Wien und erhielt auch ein Diplom in Chemie und Biochemie. Seit Oktober 2013 ist sie Leiterin der AGES Medizinmarktaufsicht, die rund 290 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. Die Aufgaben der AGES Medizinmarkaufsicht umfassen u. a. die Bewertung für die Arzneimittelzulassung, klinische Prüfung von Arzneimitteln und Medizinprodukten, Pharmakovigilanz und Vigilanz im Bereich der Medizinprodukte sowie das Inspektionswesen. Seit 2016 ist Wirthumer-Hoche die erste Frau, die zur Vorsitzenden des EMA Management Boards gewählt wurde, im März 2019 erfolgte die Wiederwahl für einen Zeitraum von drei Jahren.


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