Suche
Close this search box.

Erfolgsgeschichte mit Verbesserungs­potenzial

© Katharina Schiffl
© Katharina Schiffl

Erfolgsgeschichte mit Verbesserungs­potenzial

© Katharina Schiffl
© Katharina Schiffl

Österreichs Impfstrategie steht im Fokus gesellschaftlicher und medialer Aufmerksamkeit. PERISKOP hat bei Andreas Huss, MBA, Obmann der Österreichischen Gesundheitskasse, nachgefragt, wie er Österreichs Masterpläne beurteilt und was er sich für die Zukunft der Bevölkerung wünscht. | von Mag. Ferenc Papp und Mag. Julia Wolkerstorfer

Zwischen Optimierungspotenzialen und wissenschaftlichen Meilensteinen — ein neuer Impfstoff erobert die Welt und bringt zahlreiche Herausforder­ungen mit sich.
PERISKOP: Wie bewerten Sie aktuell Österreichs Infrastruktur in puncto Coronaschutzimpfung?
Huss: Österreichs bestehende Infrastrukturen und Potenziale hätten wesentlich effizienter genutzt werden können, als das bisher der Fall war. Die österreichische Gesundheitskasse verfügt beispielsweise als größter Krankenversicherungsträger über insgesamt 160 Außen­stellen. Wir agieren österreichweit an 270 Standorten, die für Impfstraßen sehr gut genutzt werden könnten. Die Coronaschutzimpfung ist im Grunde ein „Klassiker“ für eine zentrale Aufstellung bzw. Organisation: Zentral geplant und mit Hilfe unserer Außenstellen sowie mit Unterstützung der Bundesländer könnten wir hier effizientere Ergebnisse erzielen. In Österreich ist man leider einen anderen Weg gegangen: Der Impfstoff wurde zwar zentral eingekauft, aber die Abwicklung der Impfung wurde zu 100 Prozent an die Bundesländer übertragen. Damit haben wir insgesamt neun unterschiedliche Impfstrategien. Meiner Meinung nach ist dieser Weg für die Bevölkerung nicht vertrauensfördernd, weil der Prozess bundesländerspezifisch zu große Unterschiede ergibt.

Welche gesellschaftlichen Herausforderungen zeigen sich jetzt durch diese unterschiedlichen Strategien?
Der beschrittene Weg — also der zentrale Einkauf gefolgt von der bundesländerspezifischer Abwicklung — ist grundsätzlich machbar, allerdings nur dann, wenn es die Umstände erlauben. Hier spielen zwei Faktoren eine wesentliche Rolle. Einerseits der zeitliche Faktor: Wir können erst dann wieder zu einer gewissen Normalität zurückkehren, wenn wir möglichst rasch, möglichst viele Menschen impfen. Viele warten zudem verunsichert auf diese Schutz­impfung und sind enttäuscht ob der Verzögerungen. Auf der anderen Seite steht das Thema Gerechtigkeit: Wer bekommt die Impfung zuerst? Natürlich haben hier das Gesundheitspersonal bzw. Personen in der kritischen Infrastruktur und vulnerable Gruppen den Vorzug. Doch wir haben gesehen, dass es Bundesländer gibt, denen in diesem Zusammenhang die Bürgermeister wichtig waren. Solche Diskussionen hätten durch klare, zentrale Botschaften verhindert werden können. Im Bundesland Wien finde ich es beispielsweise positiv, dass auch die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte in Phase 1 geimpft werden sollen. Diesen Ansatz, der nicht in jedem Bundesland so umgesetzt wurde, halte ich für sehr wichtig. Gerade die Coronaimpfung ist ein Thema, das ohne zentrale Aufstellung nicht effizient realisiert werden kann. Eine derartige zentrale Steuerung endet nicht beim Einkauf der Impfstoffe und ihrer Verteilung: Damit wir österreichweit einen guten Schutz aufbauen können, brauchen wir dringend einheitliche Strukturen.

Wie erleben Sie das Thema auf europäischer Ebene?
Die EU hat sich korrekterweise dazu entschieden, die Coronaimpfstoffe gemeinsam für 500 Mio. Menschen, die in der EU leben, einzukaufen. Es wurden Impfstoffe bei unter­schiedlichen Herstellern geordert und das zu einem Zeitpunkt, an dem man noch nicht ge­wusst hat, welche Anbieter letztendlich über die Ziellinie gehen werden. Das war im Sommer 2020 in der Form noch nicht absehbar. Die EU hat daher richtigerweise auf ein Portfolio gesetzt. Israel hatte das Glück, als Erster auf jenen Anbieter gesetzt zu haben, der auch als Erster über die Ziellinie kam. Das war ein Glücksgriff, denn sie hätten genauso auf den falschen Impfstoff setzen können. Die EU hat nicht auf einen Impfstoff gesetzt, sondern ein Portfolio eingekauft, das nun entsprechend abgearbeitet werden muss. Anfangs hat man auf AstraZeneca gesetzt, weil der Impfstoff am günstigsten war. Ich sehe das allerdings als ein falsches Kriterium. Denn ob ein Impfstoff für Österreich 50 oder 100 Mio. Euro mehr oder weniger kostet, spielt überhaupt keine Rolle, wenn man bedenkt, was ein Lockdown kostet. Fakt ist jedoch, dass hier im letzten Sommer eben noch keine klaren Karten am Tisch lagen. Das war unverschuldet.

Damit wir öster­reichweit einen guten Schutz aufbauen können, brauchen wir dringend einheitliche Strukturen.

Dennoch ist die Forderung nach einer schnelleren Abwicklungen aktuell sehr laut …
Natürlich würde ich mir auch wünschen, dass die Impfstoffe schneller kommen — wir müssen die Situation dennoch aus einer realistischen Perspektive betrachten. Was es auf jeden Fall braucht, ist Gerechtigkeit: Jene, die an Corona am ehesten sterben können, müssen priorisiert werden, gefolgt von Personen in der kritischen Infrastruktur und der breiten Bevölkerung. Was auf keinen Fall passieren darf, ist, dass Impfampullen geöffnet werden, aber nicht aufgebraucht werden können und in Folge entsorgt werden müssen. Grundsätzlich dürfen wir eines auch nicht vergessen: Als die Krise begonnen hat, haben wir, was den Impfstoff betrifft, von 2022/2023 gesprochen. Da verzeichnen wir mit dem gehabten Tempo einen sehr großen Erfolg.

Die Pharmawirtschaft ist vielen Menschen nach wie vor ein gewisser Dorn im Auge …
Hier sehe ich das Problem, dass Pharmakonzerne in ihrer Kommunikation sehr unterschiedlich arbeiten. Es braucht transparente Kommunikationsarbeit, die das Vertrauen der Menschen fördert. Wenn Verhandlungen unter Geheimhaltung geführt werden, fördert das nicht das Vertrauen in einzelne Pharmakonzerne, die ohnehin manchmal in Verruf stehen, sich nur auf Kosten der Menschen die Taschen zu füllen. Ich weiß persönlich, dass das nicht der Fall ist. Im Medikamentenbereich finden tolle Entwicklungen statt: Gerade im Bereich der Gen-Therapeutika bekommen wir viele neue Medikamente, die es ermöglichen, genetisch bedingte Krankheiten zu therapieren und auch zu heilen. Da passiert also sehr viel Gutes. Auch die Coronaimpfung ist in Wirklichkeit eine Erfolgsgeschichte der Pharmaindustrie. Das darf durch negativen Kommunikationsstrategien nicht ins Umgekehrte gedreht werden.

Was wünschen Sie sich für die PRAEVENIRE Gesundheitstage 2021?
Für mich ist PRAEVENIRE eine wunderbare Möglichkeit, eine breite Menge an Stakeholdern aus dem Gesundheitsbereich zu vereinen. Ich empfinde diese Plattform als sehr fruchtbar und nehme immer wieder wichtige Ideen aus den Veranstaltungen mit. Was ich mir wünschen würde, ist, dass der Bereich der psychischen Erkrankungen stärker aufgegriffen wird, da wir gerade jetzt sehen, dass die Menschen durch die Coronakrise enorm belastet sind. Durch die Lockdowns und die soziale Isolation haben sich Krankheiten aufgetan, die wir bei PRAEVENIRE Veranstaltungen  berücksichtigen sollten. Heute gilt es, den Menschen Zeit zu geben, sich wieder aufzurichten, ihnen Möglichkeiten zu bieten, miteinander zu reden. Kommunikation kann hier ein wahres Heilmittel sein. 

© Katharina Schiffl

Aktuelle Ausgabe

Nach oben scrollen