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Spital 2030: Schicksalshaft plus fehlgesteuert

Diskussionsteilnehmende vor Ort (v. l. n. r.): Andreas Röhrenbacher, Wilhelm Marhold, Wolfgang Wein, Josef Zellhofer, Bernhard Rupp
© RICHARD TANZER

Spital 2030: Schicksalshaft plus fehlgesteuert

Diskussionsteilnehmende vor Ort (v. l. n. r.): Andreas Röhrenbacher, Wilhelm Marhold, Wolfgang Wein, Josef Zellhofer, Bernhard Rupp
© RICHARD TANZER

Die Probleme im österreichischen Gesundheitswesen, speziell im Spitalswesen, beruhen auf dem komplexen Zusammenspiel vieler Faktoren. Nur zum Teil sind sie unabwendbar, zum Beispiel die demografische Entwicklung, was die Personalressourcen betrifft. Hinzu kommt bisher zu geringes Reagieren der Politik auf die Herausforderungen, hieß es bei den 8. PRAEVENIRE Gesundheitstagen im Stift Seitenstetten.

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Wolfgang Wagner

Gesundheitsjournalist

Spital 2030 und Kostendämpfungspfade nutzen“, lautete der Titel der Diskussionsrunde im Rahmen der PRAEVENIRE Initiative „Spital 2030“. Doch in Österreich besteht das Gesundheitswesen aus einem System kommunizierender Gefäße bzw. bei Weitem nicht immer wirklich koordiniert zusammenarbeitender Teile. So stand zwar zunächst die Zukunft der Krankenhäuser im Mittelpunkt des Gesprächs, doch wurden auch sehr schnell andere Bereiche der Gesundheitsversorgung einbezogen.

„Das Spital hat ein Anrecht darauf, adäquat finanziert zu werden. Wenn man von Qualität in der Medizin spricht, ist Qualität im Wirtschaften kein Widerspruch dazu. Es ist unethisch, schlechte Medizin zu machen. Es ist genauso unethisch, schlecht zu wirtschaften“, sagte Dr. Wilhelm Marhold, ehemaliger Generaldirektor der städtischen Wiener Spitäler, in seinem Eingangsstatement. Die im Krankenhaus Tätigen hätten aber auch ein Anrecht auf eine moderne und adäquate Struktur. „Wir erleben derzeit die Medizin des 21. Jahrhunderts. Wir betreiben die Spitalsmedizin in Strukturen des vergangenen Jahrhunderts.“ Jedenfalls sei es falsch, wenn man behaupte, dass die Menschen in Österreich quasi die Spitäler „stürmen“ würden. So sei die Zahl der stationären Aufnahmen in den Krankenhäusern laut den Daten des Gesundheitsministeriums zwischen 2012 und 2021 (inklusive) um 21 Prozent zurückgegangen. „Die Spitalskosten sind in Österreich in den vergangenen zehn Jahren von rund neun Milliarden Euro auf 11,7 Mrd. Euro gestiegen. Das sind rund 30 Prozent“, zitierte Marhold offizielle Zahlen, die auch der ehemalige Chef des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger, Dr. Alexander Biach, präsentiert hätte.

Ganz anders sehe es bei den Spitalsambulanzen aus. „Die Zahl der Ambulanzpatientinnen und -patienten stagniert seit zehn Jahren. Sie erhöhte sich von 17,1 Millionen im Jahr 2012 auf 17,3 Millionen im Jahr 2021. Die Kosten im ambulanten Spitalsbereich sind aber von 1,7 Mrd. Euro auf 3,5 Mrd. Euro gestiegen.

Das sind plus 105 Prozent“, sagte Marhold. Dahinter stehe eine ‚stille Ambulantisierung‘ der österreichischen Krankenhäuser. „Nur 15 Prozent der Patientinnen und Patienten in den sogenannten ‚kleinen Fächern‘ wie HNO, Urologie, Gynäkologie oder Dermatologie benötigen ein ‚Overnight-Treatment‘“, sagte der Experte. Hier müsse man die Strukturen ändern: in Richtung von mehr „Ambulantisierung“, weniger Patientinnen und Patienten im Spital während der Nacht, weniger Nachtarbeitszeit für Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte, Chancen für flexiblere Arbeitszeiten samt Teilzeitangeboten etc. „Natürlich muss diese Ambulantisierung auch bezahlt werden“, forderte Marhold. Die Spitäler dürften nicht auf den Mehrkosten für die Restrukturierung und für vermehrte High-Tech-Leistungen sitzen bleiben.

Für eine solche Reform benötige man aber noch mehr. „Man braucht Mut, Kreativität und ein hohes Maß an Kommunikation. Man muss die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von der Primarärztin oder vom Primararzt bis zur Portierin bzw. zum Portier mitnehmen und sie für die Idee begeistern.“

Völlig geänderte Arbeitswelt

Josef Zellhofer, Vorsitzender der ÖGB/ARGE-Fachgruppenvereinigung für Gesundheits- und Sozialberufe, sieht die Situation in den österreichischen Krankenhäusern als Folge einer jahrzehntelangen Entwicklung: „Wir hatten immer wieder ‚Kostendämpfung‘. Da gab es die Zusammenlegung von Spitälern. Dort sind Beschäftigte zum Teil sofort in Pension gegangen. Die Nachbesetzungen verliefen schleppend.“

Die Arbeitssituation und Erwartungen der Beschäftigten in der Pflege hätten sich dramatisch gewandelt. „Als ich in der Hämatologie begonnen habe, haben wir gewusst: Neue Leukämiepatientinnen und -patienten kommen im Frühjahr und im Herbst. Wir haben 60 oder gar 70 Stunden ‚geruachelt‘. Aber wir haben auch gewusst, im Sommer gibt’s dafür Urlaub und Erholung. Heute kommen die Diagnosen rund um die Uhr. Die Patientinnen und Patienten bleiben oft nur zwei bis drei Tage. Stationär bleiben die Patientinnen und Patienten, die am pflegeintensivsten sind. Diese Rotation mit immer kürzeren Verweil- dauern ist eine psychische Belastung“, sagte Zellhofer. „Die ‚neue‘ Generation will 40 Stunden in der Woche arbeiten.“

Wenn aber eine weniger versorgungswirksame Wahlärztin oder ein weniger versorgungswirk- samer Wahlarzt mehr verdient als eine hoch versorgungswirksame Kassenärztin, ein hoch versorgungswirksamer Kassenarzt, dann führt das zu einer Fehlallokation.

Angelpunkt: Personal

„Ein Bett ohne Personal ist relativ wenig wert.“ identifizierte Dr. Bernhard Rupp, Leiter der Abteilung Gesundheitspolitik der Arbeiterkammer Niederösterreich, in seinem Statement gleich zu Beginn den Angelpunkt für die meisten Probleme und auch für allfällige Lösungsansätze im Spitalswesen. Bei der Ärzteschaft habe man die Schwierigkeit, dass sie wegen mangelnder Attraktivität der Arbeit im Krankenhaus nach Alternativen suche.

Auch für die Pflege gelte, so Rupp: „Wir haben es mittlerweile mit einer neuen Generation zu tun, die an die Personalisten völlig neue Ansprüche stellt.“ Das habe die Personalabteilungen zum Teil völlig überrascht. „Immer weniger Leute wollen Vollzeit arbeiten. Die Schere zwischen den Ansprüchen und den Personalressourcen geht immer weiter auf.“ Auf dem Ausbildungs- und auf dem Arbeitsmarkt herrsche, so Rupp, eben ein Konkurrenzkampf zwischen den verschiedenen Berufsfeldern: „Wir brauchen eine gute Ausbildung und eine gute Bezahlung. Zukünftige Polizistinnen und Polizisten im ersten Ausbildungsjahr bekommen 2.100 Euro im Monat. Maurerlehrlinge erhalten im ersten Lehrjahr mehr als 1.000 Euro im Monat. Da können wir mit 600 Euro in Niederösterreich (Entschädigung für Pflegepersonal in Ausbildung; Anm.) ‚einpacken‘. Wir müssen von den Arbeitsbedingungen und von der Bezahlung her wettbewerbsfähig sein, damit sich das noch jemand antut.“

Die Schere zwischen den Ansprüchen und den Personalressourcen geht immer weiter auf.

Die Bevölkerung wächst

„Die Baby-Boomer gehen in Pension. Österreich ist von sieben Millionen auf neun Millionen Einwohnerinnen und Einwohner gewachsen“, sagte DDr. Wolfgang Wein, Lead Consultant der W & W Pharmaconsult GmbH. Man müsse die Probleme rational angehen. Sie müssten zunächst in ihren einzelnen Teilen identifiziert und dann gelöst werden. Eine Randbedingung, mit der Österreich jedenfalls zu tun hat, so Wein: „Viele, die neu zu uns gekommen sind, waren gewohnt, in Polikliniken zu gehen und nicht zur niedergelassenen Ärztin bzw. zum niedergelassenen Arzt.“ Jetzt würden diese Menschen mit ihren gesundheitlichen Problemen sehr oft in die Spitalsambulanzen kommen.

„Es wird noch viel teurer als wir uns das vorstellen können“

Univ.-Prof. Dr. Michael Gnant vom Comprehensive Cancer Center (CCC) der MedUni Wien verwies auf ein ganzes Spektrum an derzeit negativ wirkenden Einflüssen. Im Gesundheitswesen sind die Steuerungszyklen lang, weil die Ausbildungszyklen lang sind. Daher ist die Politik leider immer hintennach, wenn sie nur kurzfristig denkt. Hinzu sind Fehlsteuerungen gekommen: „Wir hatten zu viele Spitäler, das wurde zumindest im Ansatz arrondiert – aber gleichzeitig hat man ohne Not ein Ärzte-Arbeitszeitgesetz (als letztes Land in der EU) unnötig scharf durchgesetzt. Das hat tausende Vollzeitäquivalente an ärztlicher Leistung gekostet. Und viel zu viele Leistungen werden stationär erbracht. Das alles hat sich verdichtet, und nun ist scheinbar kein Geld mehr da ist.“ Rein sachlich betrachtet würden die medizinischen Berufe noch nie so gut bezahlt wie jetzt. Trotzdem sei die Zufriedenheit so gering wie nie zuvor. Hier müsse jetzt an vielen Schrauben gleichzeitig gedreht werden. Aber: „Die Kostendämpfung wird realistischerweise nicht gelingen. Es wird noch viel teurer als wir uns das heute vorstellen können, das Lizit um die Gehälter haben Landeshauptleute bereits begonnen. Wir werden mehr ausbilden müssen, in allen Gesundheitsberufen. Und wir werden vor allem in der Pflege programmiert und geregelt qualifizierte Zuwanderung benötigen“, sagte Gnant.

Mangelnde Kooperationsmöglichkeiten

Oft liegt es aber auch an Systemproblemen. „Wir müssen das System insgesamt anschauen. Die Gesundheitsdiensteanbieter (Spitäler, niedergelassene Ärztinnen und Ärzte, Apotheken, Alten- und Pflegeheime etc.) dürfen noch immer nicht so zusammenarbeiten, wie sie es könnten. Wir haben auch keine Anreizsysteme. Wir hätten genug Personal. Aber wo ist der Anreiz, dass jemand von einer Teilzeit von 25 auf 28 Stunden erhöht oder von 32 auf 38 Stunden? Wo ist der Anreiz, dass jemand in Vollzeitbeschäftigung Überstunden macht? Wir haben auch viele Pflegekräfte, die nach dem Antritt der Pension noch zwei oder drei Jahre helfen könnten. Doch die Zuverdienstgrenzen sind einfach zu gering“, erklärte Mag. Karl Lehner, Geschäftsführer der Oberösterreichischen Gesundheitsholding GmbH.

In einer Situation, in der man in den kommenden Jahren in der Pflege einen Personalbedarf von rund 70.000 Beschäftigten haben werde, sei schnelles Handeln erforderlich. „In den vergangenen sechs Jahren sind die ersten Baby-Boomer in Pension gegangen. In den nächsten acht bis zehn Jahren geht der Rest in Pension. Von ‚unten‘ kommen maximal 60 Prozent nach“, sagte der Experte. Das werde man auch mit Personal aus dem Ausland nicht allein schaffen.

Zu geringe Akzeptanz von Selbsthilfe

Für mehr Akzeptanz der Selbsthilfeorganisationen in den Krankenhäusern setzte sich Andreas Röhrenbacher von der Hepatitis Hilfe Österreich – Plattform Gesunde Leber ein. „Wir haben endgültig herausgefunden, dass ein Spitalssystem oder ein Gesundheitssystem entweder effizient ist oder krisensicher. Wir haben das Gesundheitswesen, vor allem die Spitäler, effizienter gemacht, was uns in der COVID-19-Krise Ressourcen gekostet hat“, merkte er zunächst kritisch an.

Im Endeffekt könnten Selbsthilfegruppen im Spital durch eine verbesserte Vorbereitung und „Nachbereitung“ rund um Operationen die Aufenthaltsdauern verkürzen, speziell die Regenerationsphasen der Patientinnen und Patienten. „Man kann auch vor allem die Compliance nach Operationen erhöhen. Dafür muss im Spital aber auch Raum sein. Und ein ‚Raum‘ kann nicht nur ‚hinten im dritten Stock bestehen, wo alle Patientenflyer an einem Ort deponiert werden“, sagte Röhrenbacher.

Gesundheitswesen als Kostenfaktor

„Wer das Gesundheitswesen vor allem als Kostenfaktor sieht, wird gern Kostendämpfungs- pfade gehen. Der Teufel liegt aber im Detail. Die Demografie ist hier nicht eingeflossen, die Überalterung ist nicht eingeflossen. Die Energiekosten sind nicht eingeflossen. Die Valorisierung der Gehälter ist nicht eingeflossen. Wir sind in diesem Jahr bei mehr als sieben Prozent Kostensteigerung, werden im nächsten Jahr bei acht Prozent sein, sodass Kostendämpfungspfade von drei oder vier Prozent illusorisch sind“, sagte Priv.-Doz. Dr. Paul Sungler, Geschäftsführer der Gemeinnützigen Salzburger Landeskliniken Betriebsgesellschaft GmbH.

„Was sehr bedenklich stimmt, ist die Zunahme der Medikamentenkosten. Wir haben trotz hoher Budgetansätze schon im ersten Quartal dieses Jahres sieben Millionen Euro mehr Kosten in der Onkologie. Das kommt vor allem von der onkologischen Diagnostik“, erklärte Sungler. Hinzu kämen die Aufwendungen für Gentherapien, zum Beispiel für Babys mit Spinaler Muskelatrophie (SMA), in Zukunft auch für Menschen mit schwerer Hämophilie. „Die Sozialversicherungen geben sich da bedeckt und sagen: Das ist universitäre Medizin. Alles, was teuer ist, bleibt im Spital.“ Zusätzlich fehle es an einer Steuerung der Patientenströme. Jeder könne mit dem geringsten „Wehwehchen“ weiterhin sofort und ohne Zuweisung eine Spitalsambulanz aufsuchen. Sollte man nicht akzeptieren, „dass Gesundheit etwas kostet“, werde sich das System ad absurdum führen.

Es ist unethisch, schlechte Medizin zu machen. Es ist genauso unethisch, schlecht zu wirtschaften.

Krise im Bereich der zwischenmenschlichen Dienstleistungen

Hinter den derzeitigen Problemen liegen laut dem ÖVP-Gesundheitssprecher und ehemaligen Rektor der MedUni Graz, Univ.-Prof. Dr. Josef Smolle, aber ganz sicher auch tiefere Probleme. „Die Statistik Austria hat Zahlen veröffentlicht, dass heute um 13 Prozent mehr Personal in den Spitälern beschäftigt ist als vor zehn Jahren. Auch in der Pflege sind es um zehn Prozent mehr als vor zehn Jahren. Vor zehn Jahren hat das funktioniert, heute nicht mehr.“

Mit etwas mehr Geld, weniger Arbeitszeit etc. würden sich Unzufriedenheit und Frustrationen nicht so leicht beheben lassen. Laut Smolle würden die beteiligten Berufsgruppen durch immer mehr zu übernehmende Aufgaben überfordert. Das wachsende Anspruchsdenken bis zur zeitweiligen Unverschämtheit verstärke das. „Auch rechtlich werden die Berufsgruppen überfordert, indem wir sagen: ‚Wenn wir euch nicht lückenlos kontrollieren – und das geht nur, wenn ihr lückenlos dokumentiert – werdet ihr wahrscheinlich etwas Schlechtes tun‘.“ Das ergebe einen „toxischen Cocktail“, aus dem man erst herausfinden müsse.

Der auf vielen Ebenen bemerkbar gewordene Versorgungsengpass sei, so der ÖVP-Gesundheitssprecher, auch systembedingt: Wir haben 48.700 aktive Ärztinnen und Ärzte. Das ist ein europäischer Spitzenwert. Wenn aber eine weniger versorgungswirksame Wahlärztin oder ein weniger versorgungswirksamer Wahlarzt mehr verdient als eine hoch versorgungswirksame Kassenärztin, ein hoch versorgungswirksamer Kassenarzt, dann führt das zu einer Fehlallokation.“

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