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Reformen im Gesundheitssystem durchzubringen, geht nur in kleinen Schritten

Thomas Czypionka ist seit Juli 2020 im Vorstand des PRAEVENIRE Gesundheitsforums. | © Nina Suzuki

Reformen im Gesundheitssystem durchzubringen, geht nur in kleinen Schritten

Thomas Czypionka ist seit Juli 2020 im Vorstand des PRAEVENIRE Gesundheitsforums. | © Nina Suzuki

Dr. Thomas Czypionka, Leiter des Forschungsbereichs Gesundheitsökonomie und Gesundheitspolitik am Institut für Höhere Studien (IHS), wurde in den Vorstand des PRAEVENIRE Gesundheitsforums berufen. Im Interview mit PERISKOP spricht er über seine Ideen zur Verbesserung des österreichischen Gesundheitssystems, die Auswirkungen der Corona-Krise sowie die Möglichkeiten der Digitalisierung. | von Mag. Natalie Eiffe-Kuhn

Das Gesundheitswesen der Zukunft verlangt optimales Datenmanagement, starke Sachorientierung und visionäre Köpfe, die stets den Menschen in den Mittelpunkt stellen.

PERISKOP: Sie sind in den Vorstand des PRAEVENIRE Gesundheitsforums berufen worden. Was motiviert Sie, bei dieser Initiative mitzuarbeiten? Welche Ziele sind Ihnen wichtig?

CZYPIONKAIch halte es für sehr wichtig, dass sich die Stakeholder im Gesundheitsbereich austauschen können, dafür ist PRAEVENIRE eine ganz wichtige Plattform, zu deren weiteren Entwicklung ich gerne beitragen will. Zum einen gefällt mir, wie sachlich PRAEVENIRE Gesundheitsforum an alle Problemstellungen herangeht, zum anderen finde ich es auch sehr gut, dass hier immer der Mensch im Mittelpunkt aller Überlegungen steht. Weiters begrüße ich auch sehr die Initiative des Weißbuchs „Zukunft der Gesundheitsversorgung“, in das ich Erken­ntnisse aus meinem beruflichen Background einfließen lassen will. Ich sehe meine Aufgabe auch darin, aufzuzeigen, welche Schritte Österreich in den nächsten Jahren gehen muss, um das Gesundheitssystem nachhaltig zu verbessern.

Nicht jedes digitale Modell kann auch halten, was es verspricht. Nichtsdestotrotz ist die Telekonsultation beispielsweise bei chronischen Erkrankungen durchaus sinnvoll.

Sie haben in einem Gespräch mit PERISKOP die These aufgestellt, dass viele Reformen daran scheitern, dass man zwar eine Vision hat, aber auf dem Weg dorthin die Untiefen der politischen Umsetzung zu wenig berücksichtigt. Welche Vorgehensweise hat Ihrer Meinung nach Aussicht auf Erfolg?

Gerade die Mischung der Stakeholder, die das PRAEVENIRE Gesundheitsforum aufweist, hilft genau diese Implementierungshindernisse zu überwinden. Es ist nicht nur ein Expertengremium, das die Politik mit einer Forderung konfrontiert, sondern es diskutieren Expertinnen und Experten, Politikerinnen und Politiker sowie andere Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger, Professionals sowie auch Betroffene miteinander. Dabei wird versucht, ein Verständnis für die Problemfelder des jeweils anderen aufzubauen, um gemeinsam konkrete Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Es verhält sich in der Politik wie beim Bohren dicker Bretter — man kommt nur in kleinen Schritten, mit tatsächlich in der Realität wirkenden Lösungen, weiter. Mit fünf bis zehn kleinen Schritten hat man in der Politik schon viel bewegt.

Das Thema Gesundheit ist durch die Corona-Krise stark ins Bewusstsein der Politik und der Bevölkerung gerückt. Wird Gesundheit in Zukunft generell einen höheren Stellenwert erlangen?

Das Gute an der Krise ist, dass plötzlich Dinge, wie das e-Rezept umgesetzt wurden, für die man sonst Jahre gebraucht hätte. Endlich macht man sich in den Praxen auch Gedanken über infektiöse Patientinnen und Patienten — ein Problem, das wir durch die bisher notwendige Anwesenheit der Patientinnen und Patienten bei Ärztinnen und Ärzten, jeden Winter durch Influenza und co. erleben. Hier wurden nun durch bessere telemedizinische Angebote, ebenso wie durch die Teilung von infektiösen und chronisch kranken Patientinnen und Patienten, Verbesserungen für das Gesundheitssystem erzielt.

Generell muss man bei der Telemedizin differenzieren, wo sie sinnvoll einsetzbar ist und wo nicht. Das Gleiche gilt für die Krankschreibung per Telefon. Je nachdem, ob Ärztinnen und Ärzte ihre Patientinnen und Patienten und deren Krankengeschichte gut kennen, oder ob es sich um eine chronische Erkrankung oder eine neue Symptomatik handelt, muss abgeschätzt werden, ob eine Konsultation vor Ort notwendig ist. Nicht jedes digitale Modell kann auch halten, was es verspricht. Nichtsdestotrotz ist die Telekonsultation beispielsweise bei chronischen Erkrankungen durchaus sinnvoll.

Ein Thema, das in den letzten Monaten immer stärker diskutiert wurde, ist die Prä­vention. Welche Auswirkungen hat eine Verlagerung des Schwerpunkts von der Reparaturmedizin auf die Prävention für das Gesundheitswesen?

Hier war es in der Corona-Krise interessant zu beobachten, dass die Regierung zuerst sehr stark über das akutmedizinische System agiert hat. Wohl auch, da wir in der Prävention nicht so stark sind. Es hat sich nun aber überall die Erkenntnis durchgesetzt, dass gerade eine gute Prävention, also die Verhinderung von Infektionen, wesentlich zum Bewältigen der Krise beigetragen hat.

Es war ein wichtiger Impuls zu sehen, dass Prävention und Public-Health-Maßnahmen, die man auf Bevölkerungsebene gesetzt hat, dazu geführt haben, dass unsere Spitalsressourcen — zum Glück — durch die Pandemie bei Weitem nicht ausgelastet waren.

Digitalisierung und Tele­medizin sind keine Allheil­mittel. So kann die Digital­isierung im Pflegebereich zwar ein paar Dinge ver­bessern, nicht aber den Menschen in der Pflege am Menschen ersetzen.

Dem PRAEVENIRE Leitbild folgend sollen im österreichischen Gesundheitssystem die Patientinnen und Patienten in den Mittelpunkt gestellt werden. Wie erleben Sie die aktuelle gesellschaftliche Entwicklung im Hinblick auf die Corona-Auswirkungen?

Wir haben im System sowie in der Gesetzgebung noch eine sehr starke Fokussierung auf Strukturen anstatt auf Menschen. Der Mensch sollte mehr durch das System geleitet werden und nicht alleine herumirren. Die Leitung der Patientin bzw. des Patienten durchs System sollte aus einem funktionalen und prozessualen Blickwinkel organisiert werden, in dem die gesundheitlichen Bedürfnisse entscheidend sind. Für die Patientinnen und Patienten ist es letztendlich irrelevant, ob sie beispielsweise eine Darmspiegelung in einer Praxis oder in einem Zentrum absolvieren. Wichtig sind einzig und allein die Qualitätskriterien.

Das Gesundheitssystem eines Landes geht meist mit dessen Wirtschaftskraft einher. Was braucht Österreich heute und für eine nachhaltige Zukunft? Welche Herausforderungen kommen auf Österreich zu?

Es gibt immer Zielkonflikte, wo das Geld ein­gesetzt werden soll. Die momentan durch Corona bedingte Wirtschaftskrise führt uns wieder vor Augen, dass alles, was wir in unserem sozialen Gesundheitswesen leisten wollen, auch erarbeitet werden muss. Jetzt gibt es plötzlich die Problematik, dass der Sozialversicherung die Mittel fehlen, um die Gesundheitsversorgung auch richtig durchzuführen. Wie geht man mit dieser Situation am besten um? Ich persönlich bin natürlich nicht dafür, sofort Leistungen einzuschränken. Die Corona-Krise ist in der Wirtschaft auch eine einmalige Sache, und hoffentlich kein über Jahre oder Jahrzehnte wirkender Effekt. In meinen Augen wäre es jetzt ein guter Ansatz mit einer Art „deficit spending“ zu arbeiten, was bedeutet, dass die aktuellen Mindereinnahmen über die nächsten zehn Jahre abgebaut werden. Man wird in Zukunft darauf achten müssen, dass die Sozialversicherung einige Einsparungen durchführt — im Zusammenspiel damit, dass dieses einmalige Ereignis durch Zuschüsse aus Steuermitteln finanziert wird.

Welche Wertschöpfungsketten gilt es dabei zu berücksichtigen?

Effizienzsteigerung ist eine der Möglichkeiten, fehlende finanzielle Mittel zu lukrieren. Hier wurde ja schon einiges erreicht, es gibt aber auch noch unausgeschöpftes Potenzial. Vielleicht ist das ein guter Ansporn, die Effizienz in manchen Bereichen weiter zu steigern. Ich denke da zum Beispiel an die Diabetiker-Versorgung, die einfach nicht gut funktioniert, wie ich kürzlich bei einer Welldone Lounge aufgezeigt habe. Da verbrennen wir sehr viel Geld mit dem zusätzlichen Schaden, dass die Diabetikerinnen und Diabetiker nicht gut versorgt sind. Möglichkeiten, um hier gegenzusteuern, wären die frühe Diagnose, die Steigerung der Motivation der Menschen, aktiv mitzuwirken, sie in der Kompetenz zu schulen, mit dieser Krankheit richtig umzugehen. Anhand dieses Beispiels sieht man sehr gut, dass hier Ineffizienzen vorhanden sind, deren Behebung einen positiven Effekt auf die Gesundheit der Menschen und das Budget hätte.

Unser Gesundheitswesen entwickelt sich ständig weiter. Das geschieht durch Innovationen bei den Prozessen und Produkten. Und um sich das als Gesellschaft leisten zu können, muss auf der einen Seite darauf geachtet werden, dass unsere Wirtschaft funktioniert, und auf der anderen Seite muss die Finanzierbarkeit erhalten bleiben, indem man Effizienzsteigerungen vornimmt. Derzeit geschieht das durch die Digitalisierung. Digitalisierung und Tele­medizin sind aber keine Allheil­mittel. So kann die Digital­isierung im Pflegebereich zwar ein paar Dinge verbessern, nicht aber den Menschen in der Pflege am Menschen ersetzen.

Weltweit steigt die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen: In welche Bereiche muss zukünftig am stärksten investiert werden?

In meinen Augen ist Datenanalyse ein ganz zentrales Thema. Sehr bedauert habe ich die avisierte aber nicht durchgeführte Freigabe der ELGA-Daten für die COVID-Forschung. Das Thema war in der Corona-Hochzeit kurz populär, wurde dann aber rasch wieder verworfen. Ich persönlich finde das sehr schade, da man durch die Beforschung der ELGA-Daten viele Verbesserungen für die Menschen erreichen könnte. Beispielsweise die Forschung zur Optimierung von Prävention und Versorgung.

Das Verständnis für den Nutzen von Daten­analysen ist bei der heimischen Politik im Gegensatz zu der in anderen Ländern, nicht ausreichend ausgeprägt. Wichtig ist, die Auswertbarkeit der Datenbanken von Anfang an im Blickfeld zu haben. Da muss schon auf der Gesetzgebungsebene, wo die Struktur der Daten bestimmt wird, mitgedacht werden. Oft stehen wir vor dem Problem, dass selbst wenn der Wille der Politik da ist, Daten für die Forschung freizugeben, diese nicht zu­sammenzuführen sind.

Welche Schritte sind erforderlich, um in puncto Digitalisierung international wett­bewerbsfähig zu bleiben?

Krebstherapien mit Unterstützung der Digitalisierung richtig zu steuern, wäre eine ganz wichtige Maßnahme für die Zukunft. Ein konkretes Beispiel für Verbesserungspotenzial ist das Krebsregister. An sich ist es ein für ganz Österreich einheitliches System, in das jedes Krankenhaus einmelden sollte (was nicht immer geschieht). Leider wurde auch hier die Nutzbarkeit der Daten beim Aufbau nicht mitbedacht. Es ist ein Problem, dass die Struktur des Krebs­registers eher verwaltungsorientiert ist. Das heißt, Auswertungen im Sinne einer Qualitätskontrolle oder einer größeren „Outcome-Forschung“ (Wirksamkeit) sind nur sehr begrenzt möglich. Eine Neuaufsetzung dieses Krebsregisters, in das dann auch mehr Daten eingespeist werden können, ist jedenfalls anzudenken.

Welche Erfahrungen haben Sie aus der Corona-Krise geschöpft? Was sind für Sie die wertvollsten Outcomes, die es in Zukunft zu verstärken gilt?

Corona hat mein Leben insofern geändert, dass wir gesehen haben, wie gut die Kombination von Gesundheitsökonomie, Makroökonomie und Arbeitsmarktökonomie an unserem Institut ist. Diese fruchtbringende Mischung hat es uns ermöglicht, dass wir sehr viele Projekte in diesem Bereich abwickeln konnten.

Wie gestaltet sich das Thema Gesundheit 2030 in Ihren Augen?

Das Wichtigste wäre, dass wir uns in puncto Datenmanagement verbessern. Denn aus diesen Erkenntnissen kann die Qualität in der medizinischen Versorgung stark gesteigert werden. Das zweite wäre eine stärkere Sachorientierung, Verantwortlichkeiten sollten mehr aufeinander abgestimmt werden. Wir leiden da ja an einer sehr starken Fragmentierung, da wir im Gesundheitswesen doch sehr viele Stakeholder- und parteipolitische Interessen verfolgen. Das lenkt uns von den eigentlichen Sachproblemen ab. Einige Länder sind hier insofern weiter, als die Gesundheitsversorgung dort selbst nicht so sehr zum Spielball der Politik gemacht wird. An ihnen sollten wir uns ein Beispiel nehmen.

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Dr. Thomas Czypionka, Jahrgang 1976, studierte Medizin (sap) und Volkswirtschaftslehre. Er ist der­zeit am Institut für Höhere Studien Leiter des For­schungsbereichs Gesund­heitsökonomie und Ge­sundheitspolitik sowie Visiting Senior Research Fellow an der London School of Economics and Political Science. Zudem ist er Vizepräsident der Austrian Health Economics Association. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der angewandten Gesundheitsökonomie, insbesondere zu Fragen der Finanzierung, Effizienz und Reformen von Gesundheitssystemen. Zu diesen Themen ist er sowohl in der Lehre als auch international als Gutachter tätig. Zuletzt hatte er im Rahmen der Corona-Krise zahlreiche Medienauftritte im In- und Ausland und veröffentlichte bereits mehrere wissenschaftliche Artikel zu diesem Thema.

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