Bei den 10. PRAEVENIRE Gesundheitsgesprächen 2023 in Alpbach fand ein Gipfelgespräch zum hochaktuellen Thema Diabetes statt. Erneut wurde die Alte Schafalm zur beeindruckenden Kulisse für eine wegweisende Diskussion unter Top-Expertinnen und -Experten des Gesundheitswesens.
Mag. Dora Skamperls
PERISKOP-Redakteurin
Laut Österreichischer Diabetes Gesellschaft (ÖDG) leiden bereits etwa 800.000 Menschen in Österreich an Diabetes mellitus. Wird die Vorstufe, der Prädiabetes, hinzugerechnet, leiden insgesamt bereits mehr als 1,1 Millionen Menschen an einer Zuckerstoffwechselstörung. Ca. 0,62 Prozent des BIP in Österreich (2,4 Milliarden Euro) werden für die Behandlung von Diabetes ausgegeben. Folgeschäden, berufliche Ausfälle und Frühpensionierungen treiben die Kosten weiter nach oben, wie PRAEVENIRE Experte Dr. Alexander Biach in seiner Keynote warnte.
Am 08. Juli 2023 trafen sich Expertinnen und Experten zum 212. PRAEVENIRE Gipfelgespräch auf der „Alten Schafalm“ in Alpbach, um zum Thema „Diabetes in der Zielsteuerung-Gesundheit – Normalisierung des Zuckerspiegels als Ziel?“ zu diskutieren.
Müssen auf Prävention setzen
„Etwa ein Drittel aller Diabetikerinnen und Diabetiker haben eine zu geringe körperliche Aktivität“, strich Dr. Alexander Biach, Standortanwalt und Direktor Stellvertreter der Wirtschaftskammer Wien einen der Hauptfaktoren für diese Erkrankung heraus. „Der Zugang der Gesamtbevölkerung zu HbA1c-Tests liegt in England bei 97,5 Prozent gegenüber Österreich mit 78,8 Prozent. Das muss besser werden. Früherkennung ist ein wesentlicher Punkt“, kritisierte Biach. Bund, Länder und Sozialversicherung einigten sich im Zielsteuerungsvertrag mit „Therapie Aktiv“ auf klare Ziele für die integrierte Versorgung bei Diabetes.
Der Zugang der Gesamtbevölkerung zu HbA1c-Tests liegt in England bei 97,5 Prozent gegenüber Österreich mit 78,8 Prozent. Das muss besser werden. Früherkennung ist ein wesentlicher Punkt.
Alexander Biach
Die Tiroler Gesundheitslandesrätin MMag. Dr. Cornelia Hagele betonte, wie wichtig es sei, das Bewusstsein für die Gesundheitsvorsorge und entsprechende Angebote in der Bevölkerung zu stärken. Im Vergleich zu anderen Bundesländern könne Tirol auf sein Diabetesnetzwerk stolz sein, doch lohne sich der Blick auf andere – wie zum Beispiel Wien mit seinem Diabeteszentrum oder den Angeboten von Diabetes-Apps. „Wir müssen im österreichischen Gesundheitssystem viel mehr auf die Prävention setzen“, so Hagele, denn: „Wir haben im Verhältnis zur hohen Lebenserwartung durchschnittlich nur 57 gesunde Jahre.“
Gleicher Zugang zu Therapien für alle
Priv.-Doz. Dr. Johanna Brix, Präsidentin der Österreichischen Adipositas Gesellschaft, berichtete aus der Praxis des Diabeteszentrums Wienerberg, ein Umsetzungsprojekt aus der Zielsteuerung. „Diabetes hat sehr viel mit Gespräch zu tun, und unser Gesundheitssystem bildet das nicht als Leistung ab, die abgegolten wird“, bemängelte Brix. Im Diabeteszentrum gebe es dafür Raum und sowohl Medizinerinnen und Mediziner als auch Pflegepersonal hätten mehr Zeit für die betreuten Menschen. „Besonders stolz sind wir, dass wir neben der Ernährungsberatung mit der Diätologie auch noch eine Stelle für die psychologische Beratung dazubekommen haben“, freute sich Brix.
Der Erstattungskodex ist so ausgelegt, dass er die Menschen entgegen jeder Evidenz bewusst diskriminiert. Wir brauchen einen gleichen Zugang zu Therapien für alle.
Bernhard Ludvik
„Ein Diabeteszentrum darf aber nicht zum verwässerten Geschäftsmodell für große internistische Praxen werden, es braucht strenge Qualitätskritierien“, erklärte Prim. Univ.-Prof. Dr. Bernhard Ludvik, Vorstand der 1. Medizinischen Abteilung für Diabetologie, Endokrinologie und Nephrologie der Klinik Landstraße in Wien. „In Zukunft werden Diabeteszentren schon aufgrund der ungeheuren Datenmenge aus den hochspezialisierten Technologien notwendig sein, um den niedergelassenen Bereich zu entlasten.“ Weiter erklärte er: „Der Erstattungskodex ist so ausgelegt, dass er die Menschen entgegen jeder Evidenz bewusst diskriminiert. Wir brauchen einen gleichen Zugang zu Therapien für alle.“
Wir müssen im österreichischen Gesundheitssystem viel mehr auf die Prävention setzen. Wir haben im Verhältnis zur hohen Lebenserwartung durchschnittlich nur 57 gesunde Jahre.
Cornelia Hagele
Bereits in der Kindheit ansetzen
Univ.-Prof. Doz. DI Dr. Bernhard Pfeifer, Direktor des Landesinstituts für integrierte Versorgung Tirol, zeigte sich in seinem Diskussionsbeitrag überzeugt, dass Prävention im Rahmen spezieller Programme bereits bei der Prädiabetes ansetzen muss. Dem hielt Bernhard Ludvik entgegen, dass Prävention bereits bei der Geburt ansetzen müsse, denn: „Wenn ein Kind mit zwei Jahren zu dick wird, bekommen wir das bis zum Alter von vier Jahren nicht mehr weg und es wird wahrscheinlich sein Leben lang ein Gewichtsproblem haben.“
LAbg. Gabriele Graf betonte, wie wichtig es sei, Präventionsprojekte an Schulen und am Arbeitsplatz zu fördern, um dort die Menschen auf Diabetes und deren Vorsorge hin anzusprechen. In Tirol wurden auch gute Erfahrungen mit einer Fitness-App gemacht, die niederschwellig die tägliche Bewegung fördert.
Erstattung für neue Medikamente
Prim. Univ.-Prof. Dr. Peter Fasching, Vorstand der 5. Medizinischen Abteilung der Klinik Ottakring in Wien und stellvertretender Vorsitzender der Österreichischen Diabetes Gesellschaft, kritisierte, dass Health in all Policies schon vor Jahrzehnten ausgerufen wurde, doch viel zu wenig umgesetzt worden sei. Seine Forderungen an die Politik, die kurzfristig umzusetzen seien: „Es ist völlig unverständlich, dass die diätologische Betreuung noch immer keine Kassenleistung ist. Außerdem müssen die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte Diagnosen einheitlich kodieren. Drittens muss es ein Monitoring bei bereits bestehender Diagnose geben. Wir fordern seit Jahren ein österreichweites Diabetesregister.“ Es sei auch ungemein wichtig, die Eigenverantwortung bei den Patientinnen und Patienten zu stärken, denn rund ein Drittel bricht die Therapie wieder ab.
Assoz. Prof. Priv.-Doz. Dr. Florian Kiefer, PhD von der Österreichischen Adipositas Gesellschaft wies darauf hin, dass Diabetes und Adipositas nicht voneinander getrennt betrachtet werden dürfen.
Die Medikamente, die wir bisher hatten, konnten keine längerfristige Normalisierung des Blutzuckerspiegels bieten, was mit einer neuen Generation von Medikamenten anders ist. Diese ermöglichen nicht nur eine Gewichtsabnahme, sondern eine Normalisierung des Blutzuckerspiegels zu einem Zeitpunkt, wo die Gesundheit noch erhalten werden kann.
Martin Clodi
Die Expertinnen und Experten des Gipfelgesprächs waren einer Meinung, dass die Blutzuckernormalisierung in der Bundeszielsteuerung verankert werden sollte, um eine einheitliche Zielsetzung für die vielfältigen Herausforderungen zu haben.
Prim. Univ.-Prof. Dr. Martin Clodi, Präsident der Österreichischen Diabetes Gesellschaft, analysierte, dass es bei der Entscheidungsfindung für die Zielsteuerung zwei Grundlagen gebe: „Wann diagnostiziere ich Diabetes und wann beginne ich mit einer frühzeitigen Therapie? Wir wissen, dass bereits im Stadium des Prädiabetes viele körperliche Schäden auftreten, wie Herzinsuffizienz, Hypertonie, Augenerkrankungen etc. Die Medikamente, die wir bisher hatten, konnten keine längerfristige Normalisierung des Blutzuckerspiegels bieten, was mit einer neuen Generation von Medikamenten anders ist. Diese ermöglichen nicht nur eine Gewichtsabnahme, sondern eine Normalisierung des Blutzuckerspiegels zu einem Zeitpunkt, wo die Gesundheit noch erhalten werden kann.“
Zielsteuerung Diabetes – Ziele und Fazit
Die Zielsteuerung muss konkretisiert werden. Es braucht österreichweite Maßnahmen:
- Die bereits lange vorhandenen Diabetes-Leitlinien müssen für die Praxis umsetzbar gemacht werden. Es braucht klare Leitlinien und Finanzierung für Maßnahmen in der Zielsteuerung.
- Zunächst ist die Normalisierung des Zuckerspiegels als Ziel zu formulieren, um Maßnahmen danach ausrichten zu können. Die Expertinnen und Experten empfehlen einen HbA1c-Wert von unter 6,5 Prozent als Maß.
- Die Blutzuckernormalisierung über neue Medikamente muss für jede Person zugänglich gemacht werden. Dies setzt eine Aktualisierung des Erstattungskodex voraus, denn aktuell ist dieser nicht „State of the Art” und „benachteiligend”
- Neue innovative Medikamente ermöglichen die Normalisierung des Blutzuckerspiegels, eine frühzeitige Diagnose und Behandlung sind hierfür Um die Therapietreue zu verbesern, müssen dazu Zugang und längere Verschreibbarkeit ermöglicht werden.
- Die Etablierung von Diätologinnen und Diätologen als Kassenleistung ist zur Stärkung des niedergelassenen Bereichs unerlässlich. Es benötigt breite Awareness-Kampagnen über gesunde Ernährung und ausreichend Bewegung.
- Eine umfassende digitale Datendokumentation über „Therapie Aktiv“ braucht einen greifbaren Vorteil für Anwenderinnen und Anwender sowie Ärztinnen und Ärzte. Zusätzlich muss “Therapie Aktiv” bei Patientinnen und Patienten hinsichtlich Akzeptanz gestärkt werden.
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