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Mission Completed

© Peter Provaznik

Mission Completed

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Das Vertrauen in die Sozialver­sicherung zu erhalten, aber gleichzeitig das System zu reformieren, war eine große Herausforderung. Im PERISKOP-Interview zieht der scheidende Verbandsvorsitzende im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger, Dr. Alexander Biach, Bilanz über seine fast dreijährige Amtszeit im höchsten Gremium des österreichischen Sozialversicherungs­systems.

Rainald Edel, MBA

Rainald Edel, MBA

Periskop-Redakteur

An die Wahl des promovierten Betriebswirtes, Dr. Alexander Biach, zum Vorsitzenden im Verbandsvorstand des Hauptverbands der österreichischen Sozialversicherungs­träger im Mai 2017 war die Erwartung geknüpft, eine grundlegende Reform des österreichischen Sozialversicherungswesens voranzubringen. Für ihn sprach nicht zu­letzt, dass der bekennende Sozialpartner das Sozialversicherungswesen durch seine langjährige Funktion als Obmann der Wiener SVA und als Obfrau-Stellvertreter der WGKK die Akteurinnen und Akteure sowie Problemfelder sehr genau kannte. Als sein Ziel erklärte Biach das Vertrauen der Menschen in „ihre Sozialversicherung“ zu erhalten und zu festigen und gleichzeitig den Erhalt und den Ausbau eines langfristig leistungsfähigen, finanzierbaren und solidarischen öffentlichen Gesundheitssystems sicherzustellen.

PERISKOP: Sie sind nach dem Rücktritt Ihrer Vorgängerin recht kurzfristig zum Vor­sitzenden gewählt worden und wollten auf Geschlossenheit und Einbindung aller Partner setzen. Mission geglückt?

Biach: Zum damaligen Zeitpunkt den Vorsitz des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger zu übernehmen, war eine Herausforderung. Meine Amtszeit war geprägt durch die Vorgabe, eine Reform des Sozialversicherungssystems vorzunehmen. Um diese aber voranzubringen und die Sozialversicherungen weiterzuentwickeln, bedurfte es einer Geschlossenheit und der Einbindung aller Partner. Daher musste zu meinem Antritt erst wieder Ruhe und eine gewisse „Familienstimmung“ innerhalb der Sozialversicherungen geschaffen und mit Ärztekammer, Apothekerkammer sowie der Pharmawirtschaft wieder ein konsensfähiger Dialogpfad aufgebaut werden. Wichtig war mir eine Dialogkultur auf Augenhöhe zu schaffen — und das ist geglückt.

Die Reformvorschläge der London School of Economics haben sicher den Reformwillen aller Akteure im österreichischen Gesundheitssystem beflügelt. Wir haben daher die Gunst der Stunde genutzt und viele Projekte gestartet.

Sie nannten als zentralen Aufgabenbereich die Reform des Sozialversicherungssystems. Was galt es zu verändern?

Das österreichische Sozialversicherungssystem genießt mit rund 80 Prozent Zustimmung und Vertrauen ein sehr hohes Ansehen in der Bevölkerung. Um das auch in Zukunft zu behalten und gleichzeitig fit für die Zukunft zu sein, waren Veränderungen unumgänglich. Basis für den Reformansatz waren einerseits die Ziele der Bundeszielsteuerungskommission 2013 und andererseits die Ergebnisse der vom damaligen Sozialminister Alois Stöger in Auftrag gegebenen Studie der London School of Economics (LSE) unter der Leitung von Prof. Dr. Elias Mossialos. Diese zu Beginn meiner Amtszeit veröffentlichte Studie zeigte klar die Effizienzpotenziale im österreichischen Sozialversicherungs- und Gesundheitssystem auf.

© Peter Provaznik
© Peter Provaznik

Eines der größten Projekte war die Leistungs­harmonisierung unter den Sozialversicherungsträgern. Bekommen die Österreicher­innen und Österreicher nun für gleiches Geld auch überall die gleiche Leistung?

Die Leistungsharmonisierung war sicher ein Kernstück meiner Tätigkeit. In insgesamt 23 Kategorien konnten Unterschiede in der Gewährung von Kassenleistungen, Zuschüssen und Selbstbehalten für Versicherte, die zwischen Bundesländern und Berufsgruppen bestanden haben, ausgeglichen werden. Vereinheitlicht wurde jeweils auf dem höchsten Niveau. Das eröffnet für die Versicherten eine Reihe besserer Leistungen und Abgeltungen, etwa bei Ultraschalluntersuchungen, Zahnspangen, Hilfsmitteln wie Rollstühlen, Gratis-Mundhygiene für Kinder oder Psycho-, Physio- und Ergotherapie.

Eine Harmonisierung bei den Ärztinnen und Ärzten ist aber noch offen?

Auch in diesem Bereich haben wir erste Schritte gesetzt, beispielsweise in einer Reihe neuer Kassenärzteverträge. Zur Finanzierung dieser notwendigen Honorarvolumens­ausweitungen von jährlich 100 Mio. Euro wurden Verwaltungskosten gedämpft und die Versorgungsaktivitäten zwischen extra- und intramuralem Bereich besser koordiniert — beispielsweise durch den Großgeräteplan oder bei den Facharztstellen. Vor allem der Wiener Vertrag 2018 brachte nach vielen Jahren eine wesentliche Verbesserung in der Zusammenarbeit zwischen Wiener Gebietskrankenkasse und Wiener Ärztekammer. Aber eine generelle Harmonisierung ist offen, weil auch im Gesetz nicht vorgesehen. Persönlich erachte ich das auch nicht als notwendig, denn die jetzige Regelung ermöglicht es, auch regionale Anreize zu setzen.

Zu Ihrem Antritt im Mai 2017 haben Sie sich 23 konkrete Maßnahmen vorgenommen. Konnten Sie diese umsetzen?

Die Reformvorschläge der London School of Economics haben sicher den Reformwillen aller Akteurinnen und Akteure im österreichischen Gesundheitssystem beflügelt. Wir haben daher die Gunst der Stunde genutzt und viele Projekte gestartet. Schon innerhalb der ersten 14 Wochen konnten wir 14 Projekte auf Schiene bringen (siehe PERISKOP 76, Seite 26). Von der Leistungsharmonisierung über die Ausrollung der ersten ELGA-Anwendungen, wie der e-Medikation oder die e-Card mit Foto reichten die damals in Angriff genommenen Projekte. Aber auch im Versorgungsbereich habe ich versucht, mit Tabus zu brechen. So war es durch eine gute Dialogbasis möglich, die Finanzierung der Lehrarztpraxen durchzusetzen.

Mit der Verbesserung der Gesundheitssituation von Kindern haben wir sicher einen Meilenstein gesetzt.

Auf welche Projekte sind Sie besonders stolz?

Mit der Verbesserung der Gesundheits­situation von Kindern haben wir sicher einen Meilenstein gesetzt. Rund 5.000 Kinder in
Österreich sind so schwer krank oder behindert, dass sie eine Rehabilitation brauchen. In Österreich gab es aber bis dato keine
speziellen Kinder-Rehazentren. Mittler­weile konnten Vertragsabschlüsse zur Er­richtung von sechs Kinder-Rehazentren
quer durch Österreich erreicht werden. Da­bei haben wir ein Modell aufgesetzt, das Vorbildwirkung in der Finanzierung künf­­tiger Infrastrukturen hat. Denn es ist das erste wirkliche Public-Privat-Partner­ship-Modell (PPP-Modell) in Österreich. Wir schreiben dabei die Projekte aus, fachlich qualifizierte Unternehmen bewerben sich darauf und errichten sowohl die Infrastruktur als auch den laufenden Betrieb der Zentren. Dafür wird ihnen eine Leistungssumme pro Kind und Tag garantiert. Weitere Projekte zur Verbesserung der Gesundheitssituation für Kinder waren die „Frühen Hilfen“ als Unterstützungsprogramm für junge Familien, die Influencer-Kampagne „Fit & Strong“ für das Gesundheitsbewusstsein von Kindern und Jugendlichen oder die Protonentherapie zur Krebsbehandlung bei Med­Asutron als Kassenleistung.

Gibt es noch andere Projekte, die Sie realisieren konnten?

Alle 23 aufzuzählen würde den Rahmen sprengen. Sehr ernst genommen habe ich die Warnungen eines drohenden Mangels bei
Kassenärztinnen und -ärzten. Zur Stärkung des Hausarzt-Bereiches und als Antwort auf die Ver­besserungswünsche bezüglich der Work-Life-Balance von jungen Ärztinnen und Ärzten konnte ich folgende drei wichtige Verbes­serungen ins Leben rufen.

  • Wie schon erwähnt, gelang 2018 der Abschluss einer Finanzierungsvereinbarung zur Lehrarztpraxis für junge Allgemeinmedizinerinnen und -mediziner zwischen Sozialversicherung, Bund, Land und Ärzteschaft. Damit ist die praxisnahe Ausbildung angehender Allgemeinmedizinerinnen und -mediziner deutlich verbessert worden.

  • 2017 wurde ein Primärversorgungsgesetz beschlossen. Damit ist es rechtlich möglich, dass mehrere Allgemeinmedizinerinnen und -mediziner mit anderen Gesundheitsberufen im Team arbeiten.

  • Zudem gelang 2019 der Abschluss des ersten österreichweiten Gesamtvertrages zwischen Sozialversicherung und Österreichischer Ärztekammer mit Neuerungen wie einem österreichweit einheitlichen Versorgungskatalog, neuen Servicekomponenten, attraktiven Honorierungsmodellen oder sinnvollen Codierungsregelungen. Ende November wurden die ersten PVE-Honorarmodelle für Salzburg und Wien präsentiert. Hier wurden erstmalig Pauschalhonorare vereinbart, damit die Ärztinnen und Ärzte auch mehr Zeit für die Patientinnen und Patienten haben.

Welche Projekte sind offen geblieben?

Mit der Einführung der e-Medikation wurde ein wichtiger Baustein von ELGA gestartet. Diese sowohl von Ärztinnen und Ärzten als auch Apotheken genützte Anwendung schützt Patientinnen und Patienten vor Wechselwirkungen. Darauf aufbauend konnten auch die Arbeiten für die Entwicklung des e-Rezepts und damit der papierlosen Verordnung ge­startet werden. Entsprechende Pilotprojekte sind für 2020 vorgesehen.

In Ihre Amtszeit sind auch die Reform der Sozialversicherungen und die Zusammenlegung zur ÖGK gefallen. Eine Mission Impossible?

Die Zeit war geprägt durch die Diskussion Staatsverwaltung oder Selbstverwaltung. Um zu verdeutlichen, was ein größerer Einfluss des Staates in der Praxis bedeutet, haben wir für das Symposium „Sozialstaatsenquete“ Modelle aus anderen Staaten aufgezeigt. Beispielsweise wird in England von einer Behörde entschieden, ob man einen Heilbehelf bekommt oder nicht. Das griechische Modell kann man als Barmherzigkeitsmedizin bezeichnen. Schweden, das das Gesundheitssystem verstaatlicht hat, kämpft gegen lange Wartezeiten bei wichtigen Untersuchungen. Und das französische Modell häuft riesige Schuldenberge an. Wenn man sich diese Systeme im Vergleich ansieht, kommt man rasch zum Schluss, dass im Endeffekt das österreichische Modell mit der Selbstverwaltung das beste und auch gerechteste ist. Die Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger auf fünf Organisationen war sicher ein vernünftiger Schritt und fußte auf den Empfehlungen der London School of Economics. Mir ist es gelungen, diese Übergangszeit dennoch inhaltlich zu nützen, um wichtige Reformen im System noch abzuschließen. In diesem Sinn bleibt mir nur zu sagen: Mission completed. 


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