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Kann das Darm-Mikrobiom unsere Leber krank machen?

Univ.-Prof. Dr. Vanessa Stadlbauer-Köllner
© CHRISTIAN JUNGWIRTH

Kann das Darm-Mikrobiom unsere Leber krank machen?

Univ.-Prof. Dr. Vanessa Stadlbauer-Köllner
© CHRISTIAN JUNGWIRTH

Lebererkrankungen werden häufiger und gehen mit einer Verminderung der Diversität des Darm-Mikrobioms einher. PERISKOP sprach mit Univ.-Prof. Dr. Vanessa Stadlbauer-Köllner, Fachärztin für Innere Medizin, Gastroenterologie und Hepatologie, über den Zusammenhang zwischen Darmbakterien, Leber und Immunfunktion sowie über ihre Aufgaben und Ziele als Leiterin der Arbeitsgruppe Infektiologie und Mikrobiom der Österreichischen Gesellschaft für Gastroenterologie und Hepatologie (ÖGGH).

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Carola Bachbauer, BA, MSc

Periskop-Redakteurin

Die Expertin gab Einblicke in die probiotische Forschung, die Erkenntnisse über das wichtige Zusammenspiel von Leber und Darm bei der Bekämpfung und Behandlung von Leberkrankheiten gewinnen konnte.

PERISKOP: Sie sind Leiterin der Arbeitsgruppe Infektiologie und Mikrobiom der ÖGGH. Mit welchen Aufgabengebieten befasst sich die Arbeitsgruppe? Wer ist Teil Ihres Teams?

STADLBAUERKÖLLNER: Die ÖGGH als Fachgesellschaft ist so strukturiert, dass die Arbeitsgruppenleiterinnen und -leiter gemeinsam mit dem Präsidenten die Interessen der Fachgesellschaft nach außen hin vertreten. Das sind vor allem die Bereiche Aus- und Weiterbildung, Wissenschaft und Praxis. Die Arbeitsgruppe für Infektiologie und Mikrobiom beschäftigt sich mit der Prophylaxe, Diagnose und Therapie von Infektionen im Bereich der Gastroenterologie und Hepatologie, dem Einsatz von Probiotika und dem Stellenwert der normalen intestinalen Mikroflora in der Pathogenese von Erkrankungen. Bezüglich des Teams habe ich kein strukturiertes unter mir. Für jedes Projekt suche ich mir Kolleginnen und Kollegen aus der Fachgesellschaft, aber auch interdisziplinär aus anderen Health Care Professionals zum Beispiel im Bereich der Pflege oder der Diätologie.

Die Arbeitsgruppe Infektiologie und Mikrobiom beschäftigt sich mit der Prophylaxe, Diagnose und Therapie von Infektionen im Bereich der Gastroenterologie und Hepatologie, dem Einsatz von Probiotika und dem Stellenwert der normalen intestinalen Mikroflora in der Pathogenese von Erkrankungen.

Welche konkreten Ziele haben Sie sich als Leiterin der Arbeitsgruppe gesetzt?

Meine Funktionsperiode ist auf zwei Jahre mit der Möglichkeit der einmaligen Wiederwahl befristet. Für die ersten zwei Jahre habe ich mir vorgenommen im Bereich Aus-, Weiterbildung und Kommunikation nach außen aktiv zu werden. Hier möchte ich meinen Fokus auf Themen wie die Antibiotika assoziierte Diarrhö, die Clostridioides difficile Infektion, die Helicobacter pylori Infektion oder auch das Mikrobiom bei Muskelschwund und bei Lebererkrankung legen. Dazu gibt es mehrere Wege. Eine Möglichkeit ist schriftliche Informationsmaterialien zu erstellen und diese auf unserer Homepage in der Rubrik „Wissenswertes in Kürze“ zu veröffentlichen. Eine andere ist, dass ich in die Organisation von Fortbildungsveranstaltungen eingebunden bin. Zum Beispiel werde ich beim Theodor Escherich Symposium – einem Mikrobiomsymposium in Graz – eine klinische Session als ÖGGH-Vertreterin durchführen oder im Rahmen der Tagung „Frühling der Hepatologie“ ein Pre-Symposion zum Thema Sarkopenie bei Lebererkrankungen organisieren. Bei diesen Tätigkeiten geht es mir darum, das Thema Mikrobiom stärker publik zu machen. Dies umfasst auch die wissenschaftliche Standortbestimmung: Wo stehen wir? Was wissen wir? Was können wir bereits in der klinischen Praxis verwenden?

In welchen Bereichen der Mikrobiom­forschung wäre Ihrer Meinung nach eine Schwerpunktsetzung und Awarenessbildung notwendig, um den aktuellen epidemiologi­schen Trends entgegenzuwirken?

Das Wichtigste in der Mikrobiomforschung ist den Schritt in die klinische Praxis zu wagen. Denn aus der Forschung wissen wir schon viel darüber, wie Mikrobiomveränderungen mit Erkrankungen zusammenhängen und wie man eventuell das Mikrobiom beeinflussen. Das Problem ist jedoch, dass noch keine gute Möglichkeit der Mikrobiomdiagnostik angeboten werden kann, da bisher keine Normwerte für eine Mikrobiomzusammensetzung definiert wurden. Bei einem Blutbild zum Beispiel ist bekannt, wann ein Wert im Normalbereich ist und wann nicht. Beim Mikrobiom ist eine Diagnostik dadurch erschwert, da Bakteriengruppen überlappende Funktionen haben und sich gegenseitig ersetzen können. Dazu ist es auch notwendig, das aus der Forschung vorhandene Wissen zu kommunizieren – sowohl in Fachkreisen als auch in die Gesellschaft zu bringen und so die Gesundheitskompetenz zu steigern. Es ist zwar noch nicht in allen Bereichen der höchste Grad an klinischer Evidenz vorhanden – also mehrere multizentrische placebokontrollierte Studien, aber wir haben in einigen Bereichen schon sehr gute Daten, die wir nutzen können. Beispielsweise wissen wir bei der Antibiotika assoziierte Diarrhö, dass wir über eine Mikrobiom-Modulation sowohl in der Prophylaxe mit Probiotika als auch in der Therapie neben den Antibiotika mit der Stuhltransplantation arbeiten können.

Die heutige Ernährung und der Lebensstil führt vor allem bei jungen Menschen zu einem stetigen Anstieg der Prävalenz von Lebererkrankungen wie die metabolisch assoziierte Fettlebererkrankung (MASLD) – Welche Maßnahmen gibt es derzeit zur frühen Diagnose dieser Krankheiten?

Die Fettlebererkrankung ist ein großes klinisches Problem, mehr als 1/3 der Bevölkerung ist betroffen. Ein generelles Bevölkerungsscreening, wie bei Brust- oder Darmkrebs ist allerdings nicht empfohlen bzw. sinnvoll, da wir außer der Empfehlung für einen gesunden Lebensstil noch wenig therapeutische Möglichkeiten haben. Jedoch besteht im Rahmen der Gesundenuntersuchung die Möglichkeit die Gamma-Glutamyltransferase (Gamma GT) zu bestimmen. Zusätzlich werden dabei die Größe und das Gewicht erhoben. Wenn eine Adipositas vorliegt oder erhöhte Gamma GT, müssen weitere Untersuchungen durchgeführt werden, um eine andere Lebererkrankung zu erkennen bzw. auszuschließen und den Schweregrad der Lebererkrankung zu bestimmen.

Überlegenswert wäre, dass die Blutuntersuchung in der Gesundenuntersuchung angepasst wird, denn die Gamma GT ist kein besonders guter Parameter. Hier wäre zwei andere Leberwerte – Aspartat-Aminotransferase (AST) und die Alanin-Aminotransferase (ALT) – gut geeignet. Anhand diesen kann eine Formel mit Alter und den Thrombozyten aus dem Blutbild berechnet werden, welche angibt, ob ein Fibroserisiko besteht (FIB-4 score).

Wir konnten sowohl bei der Zirrhose als auch bei der Einnahme von Protonenpumpenhemmern zeigen, dass die Zufuhr von speziellen Bakterien positive Effekte auf die Darmbarriere haben und eine bakterielle Translokation verhindern kann.

Welche Möglichkeiten gibt es zur Prävention und zur Behandlung? Gibt es eine abgestufte Vorgehensweise?

Zurzeit sieht der Patientenpfad folgendermaßen aus: Im Bereich der Allgemeinmedizin wird der Verdacht auf eine Lebererkrankung gestellt.

Dann erfolgen weitere Abklärungen, gegebenfalls unter Zuhilfenahme der niedergelassenen internistischen Kolleginnen und Kollegen, um die Ursache zu erkennen. Sollte ein Risiko für eine Fibrose bestehen, zum Beispiel anhand des FIB-4 scores, erfolgt die Zuweisung entweder an eine Krankenhausambulanz mit hepatologischen Schwerpunkt oder an niedergelassene Internistinnen und Internisten mit hepatologischen Schwerpunkt. Dort wird mit Hilfe einer ultraschallbasierten Methode (Ultraschallelastographie) festgestellt, ob eine Leberfibrose vorliegt. Je nach Befund gibt es ein abgestuftes Vorgehen entweder zurück zur Allgemeinmedizin, wo der Fokus auf Lebensstil- und Präventionsmaßnahmen liegt, oder wenn zum Beispiel eine Leberzirrhose vorliegt, erfolgen weitere Untersuchungen und eine Therapie der Zirrhose.

Welche Unterstützung gibt es für eine lebensstilbezogene Veränderung? Welche Alternativen außer die Lebensstiländerung stehen zur Verfügung?

Eine Lebensstilveränderung fällt Betroffenen häufig schwierig, da sie eine Diät und Sport umfasst. Bisher gibt es in Österreich diesbezüglich wenig finanzielle Unterstützung. Meistens müssen diätologische Ernährungsberatungen von den Patientinnen und Patienten selbst bezahlt werden. Bei einem Aufenthalt im Krankenhaus stehen zwar Diätologinnen und Diätologen zur Verfügung, mit einer einmaligen Beratung ist es jedoch meist nicht getan. Genauso ist es bei der Bewegung. Es gibt zwar die stoffwechselbezogene ambulante Reha. Meiner Erfahrung nach werden Patientinnen und Patienten mit Fettlebererkrankung dort nur selten zugewiesen.

Bei der Prävention muss meiner Ansicht nach viel früher angesetzt werden. Bereits in den Schulen sollte Gesundheitskompetenz vermittelt werden. Dies ist in den Lehrplänen noch nicht ausreichend verankert. Zusätzlich wäre es wünschenswert, wenn diätologische Beratungen von der Krankenkasse erstattet werden. Und natürlich, um wieder aufs Mikrobiom zurückzukommen, ist das Mikrobiom ein interessanter Ansatzpunkt für die Prävention. Denn Mikrobiom-Modulation kann dabei helfen, dass das Abnehmen leichter fällt. Studien zeigen zum Beispiel, dass Probiotika den Leptinspiegel – Leptin ist das Hormon, das an der Steuerung von Hunger- und Sättigungsgefühl beteiligt ist – sowie bestimmte Bereiche des Fettstoff-, des Zuckerstoffwechsels und sogar das Gewicht positiv beeinflussen können. Eine unserer Studien kam zu dem Ergebnis, dass adipöse Menschen mit Typ-2-Diabetes im Durchschnitt 2,5 cm Hüftumfang abgenommen haben, ohne, dass sie zusätzlich eine Diät oder Sport gemacht haben, wenn sie ein Probiotikum eingenommen haben, im Vergleich zur Placebo-Gruppe.

2018 wurde Ihr Artikel zum Thema „Probioti­ka bei Lebererkrankungen“ in der Zeitschrift „Wiener klinisches Magazin“ veröffentlicht. Welche Erkenntnisse konnten Sie über den Zusammenhang zwischen Lebererkrankungen und Veränderungen des Mikrobioms gewinnen? Welche Rolle spielen Probiotika bei der positiven Beeinflussung der Darm­-Leber-­Achse?

Der Übersichtsartikel zeigt, dass bei einer Leberzirrhose das Mikrobiom stark verändert ist und somit die Diversität abnimmt. Dadurch wird das Mikrobiom anfälliger auf Schäden von außen. Keime können in den Körper gelangen und eine Barrierestörung, eine Entzündungsreaktion verursachen, die Leberfunktion verschlechtern oder zu Komplikationen wie Infektionen führen. In dem Artikel haben wir einerseits diese Veränderungen beschrieben. Andererseits haben wir aufgezeigt, dass Magenschutzmedikamente bei Leberzirrhose das Mikrobiom negativ beeinflussen. In weiteren Studien ist es uns gelungen diese Veränderungen durch die Gabe von Probiotika wieder rückgängig zu machen. Wir konnten sowohl bei der Zirrhose als auch bei der Einnahme von Protonenpumpenhemmern zeigen, dass die Zufuhr von speziellen Bakterien positive Effekte auf die Darmbarriere haben und eine bakterielle Translokation verhindern kann. Andere Forschungsgruppen haben zum Beispiel auch gezeigt, dass Probiotika Infektionen nach einer Lebertransplantation oder die Entstehung eines Leberkomas verhindern können.

Das Mikrobiom ist ein interessanter Ansatzpunkt für die Prävention. Denn Mikrobiom-Modulation kann dabei helfen, dass das Abnehmen leichter fällt.

Gibt es bereits Erfahrungen bei der Gabe von indikationsspezifischen Probiotika bei bestimmten Symptomen?

Mittlerweile gibt es nicht nur Erfahrungen, sondern auch in Guidelines festgehaltenen Empfehlungen und Daten aus Metanalysen. Da wäre die Vorbeugung der Antibiotika assoziierten Diarrhö zu nennen, bei der Studien gezeigt haben, dass die Gabe von Probiotika das Durchfallrisiko um 60 Prozent reduzieren kann. Die Metaanalyse ist diesbezüglich noch vorsichtig und empfiehlt Probiotika, wenn das Risiko einer Antibiotika assoziierten Diarrhö hoch ist – also vor allem bei älteren Menschen. Ich persönlich meine, dass die prophylaktische Verwendung von Probiotika bei jeder Antibiotikagabe indiziert ist. Denn es ist eine sichere, sehr gut verträgliche Intervention mit einer niedrigen „number needed to treat“. Das heißt, es müssen wenige Menschen behandelt werden, um einen positiven Effekt zu erzielen. Eine weitere Indikation, welche bereits in den Guidelines verankert ist, ist das irritable Darmsyndrom, auch als Reizdarmsyndrom bekannt. In den aktuellen deutschen Guidelines ist zusammengefasst, welche Probiotika dabei Wirkungen zeigen. Bei den Lebererkrankungen insbesondere zur Vorbeugung des Leberkomas und bei den Stoffwechselerkrankungen gibt es Daten. Es gibt noch viele andere Indikationen, zum Beispiel Durchfallerkrankungen in der Pädiatrie. Metaanalysen legen dar, dass die Durchfalldauer mit Probiotika um einen Tag verkürzt werden kann. Auch bei dem zu Beginn erwähnten Helicobacter pylori sagen die europäischen Guidelines klar, dass Probiotika aktuell einen Helicobacter pylori nicht alleine heilen können, die zusätzliche Gabe jedoch den Erfolg der Helicobacter Eradikation fördert, da die Beschwerden durch die Therapie geringer sind und die Behandlung besser durchgehalten wird.

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