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Einsatz von indikationsspezifischen Probiotika im Klinikbereich

PRAEVENIRE Gipfelgespräch-Diskussions- teilnehmende (v. l. n. r.): Fabian Waechter, Johannes Oberndorfer (Modereation), Ludwig Kramer, Angelika Widhalm, Markus Peck-Radosavljevic, Gunda Gittler, Gerd Bodlaj
© GATTINGER

Einsatz von indikationsspezifischen Probiotika im Klinikbereich

PRAEVENIRE Gipfelgespräch-Diskussions- teilnehmende (v. l. n. r.): Fabian Waechter, Johannes Oberndorfer (Modereation), Ludwig Kramer, Angelika Widhalm, Markus Peck-Radosavljevic, Gunda Gittler, Gerd Bodlaj
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In einer Vielzahl klinischer Studien wurde mittlerweile nachgewiesen, dass eine therapeutische Gabe von Probiotika ein effizientes Instrument zur Behandlung von Magen-Darm-Entzündungen darstellt. In einem PRAEVENIRE Gipfelgespräch in Alpbach wurde der Fokus auf den therapeutischen Nutzen in der klinischen Anwendung gelegt und aufgezeigt, wie indikationsspezifische Probiotika bestmöglich in die Therapiekonzepte integriert werden können.

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Carola Bachbauer, BA, MSc

Periskop-Redakteurin

Probiotika finden insbesondere Anwendung bei der Linderung von Magen-Darm-Beschwerden wie Durchfallerkrankungen, einschließlich solcher, die mit Clostridioides difficile in Verbindung stehen. Sie können auch präventiv während einer Antibiotikabehandlung eingenommen werden, um das gesunde Darmmikrobiom zu schützen.

Antibiotika assoziierter Durchfall und Probiotika

Zu Beginn des Gipfelgesprächs hielt Assoz. Prof. Priv.-Doz. Dr. Vanessa Stadlbauer-Köllner, MBA von der Klinischen Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie an der Med Uni Graz ein Impulsreferat zum Thema Antibiotika assoziierter Durchfall und welche Rolle die Probiotika in diesem Bereich spielen können. „Bis zu einem Viertel der Antibiotikatherapien führen vor allem bei Kindern und älteren Menschen zu einer Antibiotika assoziierten Diarrhö. Der Grund dafür ist, dass Antibiotika nicht sehr selektiv vorgehen und auch Bakterien des Darmmikrobioms abtöten. Dadurch wird dessen Diversität drastisch gesenkt“, erklärte Stadlbauer-Köllner. Im Krankenhaussetting gibt es viele Maßnahmen, die getroffen werden können, um einen Antibiotika assoziierten Durchfall zu verhindern. Eine dieser ist zum Beispiel Antibiotic Stewardship. 

Durch das Wissen um die zentrale Rolle des Darmmikrobioms bei Antibiotika assoziierter Diarrhö rückt dieses seit mehreren Jahren ins Interesse der Forschung. Studien mit Probiotika haben gezeigt, dass sie gut geeignet sind, um einem Antibiotika assoziierten Durchfall vorzubeugen. „Eine Meta-Analyse aus dem Jahr 2017 zeigt, dass die Gabe von Probiotika das Durchfallrisiko um 60 Prozent reduzieren kann. Insbesondere bei hospitalisierten Patientinnen und Patienten mit einem hohen Risiko für Clostridioides difficile wird empfohlen, Probiotika einzusetzen“, sagte die Expertin. Eine Meta-Regressionsanalyse aus demselben Jahr zeigt, dass mit der Probiotikatherapie innerhalb der ersten 48 Stunden begonnen werden muss, damit eine 50-prozentige Risikoreduktion erreicht wird. Beginnt man erst später im Verlauf der Antibiotikatherapie, steigt das Risiko wieder um 18 Prozent pro Tag an. Außerdem ging Stadlbauer-Köllner näher darauf ein, wie Probiotika wirken. Dazu präsentierte die Expertin einen systematischen Review,  der sich mit sieben Studien befasste und zeigt, wie Probiotika auf das Darmmikrobiom wirken, wenn man sie zur Prophylaxe der Antibiotika assoziierten Diarrhö verwendet. Daraus ergaben sich gemeinsame Nenner, wie beispielsweise, dass die Alpha-Diversität durch Probiotika stabilisiert beziehungsweise erhöht sowie die mikrobielle Signatur stabilisiert werden konnten. 

Ein weiterer Punkt, mit dem sich Stadlbauer-Köllner in ihrer Keynote beschäftigte, war die Frage, welche Präparate den größten Erfolg zeigen. „Es gibt einerseits einstämmige Präparate und andererseits Multi-Spezies-Präparate. Es wurden bisher noch keine Head-to-Head-Vergleichsstudien zwischen diesen unterschiedlichen Präparaten durchgeführt. In der Theorie und aus experimentellen Ansätzen gibt es jedoch Hinweise, dass Multi-Spezies-Präparate besser in der Lage sind, ökologische Nischen im Mikrobiom zu besiedeln und daher zumindest in der Theorie einen Vorteil haben“, erklärte die Ärztin. Wichtig sei es, auf die Keimzahl zu achten. Eine Keimzahl von mindestens einer Milliarde koloniebildenden Einheiten pro Tagesdosis wird als effektiv angesehen. Dazu führte Stadlbauer-Köllner noch eine randomisierte Placebo kontrollierte Studie zu Multi-Spezies-Präparaten an, die 229 Kinder analysiert hat. Dabei konnte die Durchfallhäufigkeit von 36 auf 20 Prozent reduziert werden. Des Weiteren traten keine schweren Durchfallerkrankungen in der Gruppe auf.

Bezüglich Kostenersparnis gab Stadlbauer-Köllner zum Ende ihrer Präsentation noch einen kurzen Überblick. „Daten aus den USA, welche jedoch schon über zehn Jahre alt sind und somit nicht mehr mit dem heutigen Preisniveau vergleichbar sind, zeigten, dass die Prophylaxe mit Probiotika eine Einsparung von zirka 2.000 US-Dollar pro Patientin, Patient erzielt. In Europa belegen Daten von der Universität Greifswald, dass eine Clostridioides-difficile-Infektion zusätzliche Kosten von 5.000 Euro verursacht“, berichtete die Expertin.

Vorsorgekoloskopie und Darmmikrobiom

„Einer von siebzehn Erwachsenen wird an Dickdarmkrebs erkranken. Mit einer positiven Familienanamnese, also einer zusätzlichen genetischen Belastung, erhöht sich das Risiko entsprechend. Damit ist Darmkrebs das zweithäufigste Karzinom in Deutschland“, mit diesen drastischen Worten eröffnete Prof. Dr. Joachim Labenz, Direktor der Medizinischen Klinik I (Gastroenterologie, Palliativmedizin, Hämatologie/Onkologie), Diakonie Klinikum Jung-Stilling, Siegen, seinen Vortrag. „Mit der Koloskopie gibt es sehr gute Untersuchungsmöglichkeiten. Dank dieser verbesserten Behandlungsmöglichkeiten ist die Darmkrebssterblichkeit in den letzten Jahrzehnten deutlich zurückgegangen. Jedoch gibt es rund um die Vorsorgekoloskopie eine Menge Fragen und Probleme“, erklärte der Experte. Denn die Akzeptanz der Bevölkerung gegenüber der Koloskopie ist noch sehr gering. Zusätzlich ist die Vorbereitung auf eine Darmspiegelung für Patientinnen und Patienten mit einem relativ hohen Aufwand verbunden. Laut Labenz ist der beste Weg, den Darm zu reinigen und somit auf eine Vorsorgekoloskopie vorzubereiten, eine sogenannte Split-Lavage. Jedoch kann es zu Übelkeit, Erbrechen und Bauchkrämpfen während der Vorbereitung kommen. Zusätzlich können nach der Koloskopie Symptome auftreten, die zum Teil länger anhalten. Dies kann negative Effekte auf das Darmmikrobiom im Hinblick auf Reduktion und Dysbiose haben. „Studien mit über sechstausend Patientinnen und Patienten zeigten, dass 30 Tage nach einer Koloskopie 17 Prozent der Patientinnen und Patienten noch Beschwerden hatten, die davor nicht vorhanden waren. Dies entspricht einer Number Needed to Harm (NNH) von sechs“, berichtet Labenz. Zusätzlich kann es bei einer Split-Lavage zu einer anhaltenden Veränderung des Mikrobioms kommen, die mehr als ein Monat andauern kann. 

Aufgrund dieser Fakten stellt sich die Frage, ob nach einer Darmspülung ein Darmaufbau durchgeführt werden sollte. „Genau mit dieser Fragestellung setzt sich die randomisierte, doppelblinde, multizentrische Colonize-Studie auseinander. In der Studie wurde untersucht, inwieweit die Verdauung der Patientinnen und Patienten nach der Darmspiegelung verändert war und welchen Einfluss eine vierwöchige Probiotika- (Multi-Spezies-Präparate) oder Placeboeinnahme darauf hat. Darüber hinaus wurde mit modernsten Methoden analysiert, inwieweit sich das Probiotikum auf die Diversität des Mikrobioms auswirkt“, sagte Labenz. Die Studie stellte fest, dass in der Probiotikagruppe nach nur vier Wochen die Alpha-Diversität deutlich höher als in der Placebogruppe war. Darüber hinaus zeigten die Ergebnisse, dass die Tage mit Verstopfung unter der Einnahme des Probiotikums signifikant verringert waren. Außerdem wurden weniger Tage mit Verdauungsproblemen wie Durchfall oder Blähungen verzeichnet.

Zum Schluss seines Vortrags ging Labenz noch auf die heutige Datenlage im Bereich Probiotika ein. Dabei zählte er zum Beispiel Bereiche wie gastrointestinale Infektionen, Antibiotika assoziiert Diarrhö, Clostride difficile, Reizdarm und Colitis ulcerosa auf, zu denen es bereits überzeugende Evidenz zur Anwendung von Probiotika gibt.

Kostenrückerstattung

Dr. Fabian Waechter, MSc MBA, Allgemeinmediziner in Salzburg, berichtete aus seinem Praxisalltag, dass er durchaus Probiotika verschreibe, wenn es die Patientinnen und Patienten wünschen oder dort, wo die Evidenz bereits durch klinische Studienergebnisse bestätigt wurde. Zusätzlich konnte der Allgemeinmediziner feststellen, dass bei Patientinnen und Patienten die Bereitschaft, für Probiotika zu zahlen, durchaus höher ist als bei anderen Präparaten, die die Gesundheitskasse nicht übernimmt. Prim. Univ.-Prof. Dr. Markus Peck-Radosavljevic erklärte, dass auch im stationären Bereich bei einer Antibiotika assoziierten Diarrhö in vielen Fällen auf Wunsch der Patientin, des Patienten ein Probiotikum verschrieben wird.

Angelika Widhalm, Vorsitzende des Bundesverbands Selbsthilfe Österreich (BVSHÖ), ist das Thema Kostenrückerstattung ein großes Anliegen. Bisher werden die Kosten einer Behandlung nur im Spital übernommen. Patientinnen oder Patienten, die eine Probiotikatherapie zu Hause durchführen, müssen die Kosten selbst übernehmen. „Es darf nicht sein, dass nur gut situierte Patientinnen und Patienten sich die Behandlung leisten können.“ Denn der Leidensdruck bei langanhaltendem Durchfall ist enorm. So kann dieser beispielsweise auf die Psyche schlagen, aber auch die ganze Familie belasten.

Arzneimittel vs. Nahrungsergänzungsmittel

Mag. pharm. Gunda Gittler, MBA, aHPh, Leiterin der Anstaltsapotheke im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Linz, sprach in der Diskussionsrunde die unterschiedlichen Qualitätsanforderungen in der Zulassung zwischen Nahrungsergänzungsmitteln, diätetischen Lebensmitteln und Medikamenten an. „Bei Nahrungsergänzungsmitteln und diätetischen Lebensmitteln ist die Zulassung wesentlich einfacher als bei Medikamenten. Dies führt dazu, dass unzählige Probiotikapräparate mit unterschiedlicher Qualität am Markt sind“, erklärte die Apothekerin. Bis jetzt hatte sich laut Gittler die Forschung wenig mit der Qualität der Produkte, der Zusammensetzung und der Unterschiedlichkeit der Keime in den Gewichtungen beschäftigt. Umso wichtiger sei es, in wissenschaftlichen Studien herauszuarbeiten, welche probiotischen Stämme in welcher Menge und Einheit einen positiven Effekt erzielen. 

In diesem Zusammenhang berichtete Prim. Univ.-Prof. Dr. Ludwig Kramer, Vorstand der 1. Medizinischen Abteilung, Krankenhaus Hietzing Wien, dass die Haftung bei der Verschreibung von Probiotika, die als Nahrungsergänzungsmittel zugelassen sind, bei der verschreibenden Ärztin oder dem verschreibenden Arzt bzw. dem Anwender liegt. Aufgrund dessen sei es besonders wichtig, dass Studien mit hoher Qualität durchgeführt werden, damit die Klinikerinnen und Kliniker sicher sein können, dass die Haftung nicht bei ihnen bleibt. OA Priv.-Doz. Dr. Gerd Bodlaj, Facharzt für Innere Medizin, Gastroenterologie und Hepatologie, Endokrinologie und Stoffwechselerkrankungen, Barmherzige Schwestern Krankenhaus in Wien betonte, dass es bei Head-to-Head-Vergleichsstudien von Probiotika wichtig sei, diese unter vergleichbaren Präparaten durchzuführen.

Wissenschaftliche Evidenz

Bei all den angesprochenen Themen spielt die Forschung eine wichtige Rolle. Aufgrund dessen waren sich die Diskussionsteilnehmenden einig, dass weitere wissenschaftliche Arbeiten notwendig seien, und betonten unisono, dass die Wirksamkeit von Probiotika durch Studien belegt werden muss. Zwar sei man schon auf einem guten Weg, dennoch fehle in vielen Bereichen noch die Evidenz.

Meinungen zu Probiotika

Viele multimorbide ältere Patientinnen und Patienten mit chronischen Darmproblemen könnten massiv profitieren, wenn in den Spitälern und in Pflegeeinrichtungen mehr qualitativ hochwertige Pro- und Prebiotika evidenzbasiert eingesetzt werden würden.

Gunda Gittler, Anstaltsapotheke im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Linz

Als Arzt für Allgemeinmedizin ist es mir ein besonderes Anliegen, dass meine Patien- tinnen und Patienten die von mir verordneten Therapien möglichst ohne Neben- und Wechselwirkungen einnehmen können. Probiotika helfen durch Reduktion der An- tibiotika assoziierten Diarrhoe, eine konstante Einnahme bis zum letzten Therapietag zu ermöglichen.

Christoph Heiserer, Arzt für Allgemeinmedizin, Steyr

Der Darm ist in vieler Hinsicht betroffen, wenn es um unterschiedliche Erkrankungen geht – auch kann das Mikrobiom die Wirkung und Aufnahme von Medikamenten im Darm beeinflussen. Deshalb ist es so wichtig, dass die Darmgesundheit auch im Spital in den Fokus rückt, beispielsweise durch die Gabe von evidenzbasierten Probiotika.

Gernot Idinger, Anstaltsapotheke Pyhrn­Eisenwurzenklinikum, Kirchdorf Steyr

Wir kennen u.a. die Zusammenhänge zwischen dem Mundmikrobiom und Herzerkrankun- gen, was viel zu wenig beachtet wird. Die Medizin wird sich noch mehr als bisher mit dem Mikrobiom befassen und diese Erkenntnisse auch intramural umsetzen müssen.

Petra Riegler, Barmherzige Brüder Apotheke zum Granatapfel Eisenstadt

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