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Demenzbehandlung in der Primärversorgung

Stefanie Auer
© KRISZTIAN JUHASZ

Demenzbehandlung in der Primärversorgung

Stefanie Auer
© KRISZTIAN JUHASZ

Demenzerkrankungen nehmen weltweit zu. Betroffen sind nicht nur die Patientinnen und Patienten selbst, sondern auch deren Angehörige und Familien. Hauptproblem ist allerdings, dass diese Erkrankung noch von dem großen Stigma behaftet ist, sodass Betroffene erst spät ärztlichen Rat suchen. In einem Vortrag bei den 8. PRAEVENIRE Gesundheitstagen im Stift Seitenstetten erklärte Univ.-Prof. Dr. Stefanie Auer, Leiterin des Zentrums für Demenzstudien an der Donau Universität Krems, warum es Programme und Strukturen braucht, die die Hirngesundheit mitten in die Gesellschaft tragen. 

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Rainald Edel, MBA

Periskop-Redakteur

Derzeit leben 57 Millionen Menschen weltweit mit einer Demenzerkrankung – Tendenz steigend. Diese neurodegenerative Erkrankung dauert circa 20 Jahre und verläuft in Stadien. Die meisten Menschen entwickeln Symptome nach ihrem 65. Lebensjahr. „Wobei ungefähr acht Prozent der Betroffenen deutlich jünger sind“, schilderte Auer. Erschütternd sei, dass 75 Prozent aller Betroffenen weltweit keine medizinische Diagnose und damit auch keine Therapie und Begleitung bekommen. Das betreffe Personen aller Stadien der Erkrankung bis hin zu den schwersten Formen.

„Auch in Österreich bekommen nur circa 30 Prozent der Erkrankten tatsächlich eine medizinische Diagnose, womit wir im Mittelfeld liegen“, so Auer. Selbst in Pflegeheimen ist die Situation nicht viel besser. „Wir haben vor nicht allzu langer Zeit eine epidemiologische Studie in diesen Einrichtungen gemacht. Auch wenn das die prädestinierte Umgebung wäre, ist auch dort die Diagnoserate tatsächlich sehr niedrig. Wenn man bedenkt, dass über 85 Prozent der Menschen, die heute in Pflegeheimen leben, eine Demenz oder eine Form eines kognitiven Defizits haben, erhalten sie keine medizinische Diagnose. Das ist ein medizinischer Notstand“, schilderte Auer.

Ein Schlüssel zur Lösung des Problems wäre die frühe Diagnose. Allerdings ist das Hauptproblem, warum die Diagnoserate so schlecht sei, dass Demenzerkrankungen noch immer mit einem großen Stigma behaftet sind. „Im Gegensatz zu anderen Beschwerden, haben Betroffene, wenn sie Symptome bemerken, nicht die Tendenz sofort eine Ärztin, einen Arzt aufzusuchen. Stattdessen verstecken sie die Problematik oft jahrelang und leiden lieber, als sich dem Problem zu stellen. Eine Katastrophe, wenn man bedenkt, welche Hilfestellung man Betroffenen geben könnte“, argumentierte Auer.

Erkrankung, die das Umfeld mitbetrifft

Betroffen von einer Demenzerkrankung sei aber nicht nur die Person selbst, sondern auch immer ihr Umfeld, ihre Familie. „Das deutet auch schon die Multidisziplinarität dieses Gebietes an. Wir müssen lernen multidisziplinär zusammenzuarbeiten, wenn wir dieses Problem tatsächlich lösen wollen“, so Auer. Aber nicht nur im privaten Umfeld gelte es, Bewusstsein für Demenzerkrankungen zu schaffen, auch das Lebensumfeld, die Wohngemeinde müsse für das Thema sensibilisiert werden. Deshalb habe man zum Beispiel ein Lernprogramm für Gemeindebedienstete entwickelt, das von den Gemeinden sehr gut angenommen werde, berichtete Auer. So habe sich beispielsweise die Nachbargemeinde von Seitenstetten, St. Peter in der Au bereits erfolgreich zertifiziert und ist damit demenzkompetent.

In der internationalen Literatur zeigt sich in den letzten Jahren ein Trend ab, dass es immer wichtiger wird, das Thema Demenz auch in die Primärversorgung zu bringen, schilderte Auer. Demenz werde wissenschaftlich nicht mehr als eine Erkrankung des Alters gesehen. Zwar zeigen sich die Symptome erst spät, jedoch entwickelt sich die Erkrankung über die Lebensspanne. Prävention und Risikominimierung vor allem im mittleren Lebensalter ist die Aufgabe, die die Gesellschaft jetzt leisten müsse, um eine Flut an Erkrankten zu vermeiden. „Deshalb ist eine zeitgerechte Diagnose so wichtig“, betonte Auer. Das Gute sei, dass das Gehirn auf den Lebenswandel direkt anspreche. „Man kann das Risiko, an einer Demenz zu erkranken, tatsächlich verringern“, so Auer. Im wissenschaftlichen Zusammenhang spräche man nicht von Prävention sondern von Risikominimierung. Wie eine wissenschaftliche Studie deutlich gemacht hat, sind die Elemente, die dazu beitragen, das Risiko zu senken: Bewegung, Ernährung und geistige Stimulation. Die WHO hat wenige Wochen vor den PRAEVENIRE Gesundheitstagen die aktualisierten „Brain Health Tips“ herausgegeben. Neu in der Liste der Empfehlungen ist der Schutz vor Hirnverletzungen, zum Beispiel durch Helmtragen bei div. Sportarten. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass man Bildung nicht nur als Selbstzweck, sondern auch als Gesundheitsförderung sehen sollte. Hörverlust, hoher Blutdruck und Übergewicht im mittleren Lebensalter müsse als Signal gesehen werden, spätestens dann mit der Demenzprävention anzusetzen, so Auer. Es sei ein Paradigmenwechsel im Gange und das Schlagwort muss lauten „Think Brain Health“. Es gäbe weltweit einige Initiativen, die dieses Thema auf die Agenda setzen.

Pilotprojekt zur Verbesserung der Betreuungssituation

Die Herausforderungen für Österreich bestehen in zwei Punkten. Nämlich erstens die Minimierung des Risikos, an einer Demenz zu erkranken und wie kann man dies strukturell umsetzen. Und der Zweite Punkt: erste Symptome rechtzeitig zu erkennen. So müsse man für jene Menschen, die sich Sorge um ihr Gedächtnis machen, Milieus schaffen, die entstigmatisierend wirken. So sollte beispielsweise mit der Diagnose Demenz auch ein „Lebensprogramm“ mitgeliefert werden. Um zu zeigen, wie sich Prävention und Behandlung besser und wohnortnäher umsetzen ließe, hat Auer ein Pilotprojekt ins Leben gerufen. Flächendeckend gäbe es, so Auer, in Österreich für viele Familien noch keine Hilfsstruktur, an die sie sich wenden können und eine gute Unterstützung und Anleitung bekommen. Wodurch Betroffene viel zu früh ins Krankenhaus bzw. in die Pflege kommen. Als ideale, niederschwellige Versorgungsstruktur böten sich stattdessen die Primärversorgungseinheiten (PVE) an, die noch dazu multidisziplinär aufgebaut sind. Viele Elemente des bereits in Oberösterreich bestehenden Elementes der Demenzservicestelle könnten übernommen werden. Denn Untersuchungen zeigen, dass ein hoher Prozentsatz in frühen Stadien bereit sei, wenn die Umgebung entstigmatisiert ist, sehr früh Hilfe anzunehmen. Hauptziele des Pilotprojektes sind die Bewusstseinsbildung in der Gemeinde voranzutreiben, die zeitgerechte Diagnose mit Hilfe der PVE einzuleiten. Darunter verstehe man jenen Zeitpunkt, in der Betroffene bereit seien, eine Diagnose anzunehmen. Dies sei von der frühen Diagnose klar zu unterscheiden. Unterstützung in der Prädiagnostik sei deshalb so wichtig, da es ein harter Weg sei bis zur Diagnose, bei dem man Unterstützung brauche aber auch die Gewissheit, dass nachfolgend geholfen werde. Der dritte große Punkt des Pilotprojektes ist Unterstützung und Behandlung nach der Diagnose. Denn wer eine Diagnose erhalte, müsse sich ein neues Lebenskonzept erarbeiten und brauche deshalb große Unterstützung. „Es sind die Ressourcen da, die für viele Jahre ein gutes Leben garantieren“, betonte Auer.

Als sekundäre Ziele setzte man sich für das Pilotprojekt, primäre Präventionskonzepte zu entwickeln. Hierbei steht vor allem die Frage im Zentrum, wie man Menschen motivieren kann, den Lebensstil zu ändern und diesen beizubehalten. Hinzukommt noch die Vernetzung mit bereits bestehenden Angeboten. Erreichen wolle man die Ziele durch Schulung der Teams in den PVE, Implementierung eines Screeningverfahrens für die Primärebene sowie die Erarbeitung eines Behandlungspfades. Das Pilotprojekt soll vorerst in zwei PVE zur Anwendung kommen, nämlich jenem in Haslach an der Mühl sowie in Böheimkirchen.

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