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Coronamanagemet— bewegte Zeiten für die Arbeitswelt

Coronamanagemet— bewegte Zeiten für die Arbeitswelt

Die krisenbedingten Veränderungen haben in den vergangenen Monaten nicht nur eine rasche Implementierung neuer gesundheitspolitischer sowie logistischer Vorgehensweisen, sondern auch ein hohes Maß an Flexibilität innerhalb österreichischer Betriebe gefordert. Markus Wieser, Präsident der Arbeiterkammer Niederösterreich (AK Niederösterreich) und Vorsitzender des Österreichischen Gewerkschafsbundes Niederösterreich (ÖGB NÖ), sprach mit PERISKOP über Herausforderungen, Schwerpunkte und Lösungsvorschläge im Pandemie-Management mit besonderem Fokus auf die Situation der Pflege. | von Lisa Türk, BA

Die Expertinnen und Experten der AK Niederösterreich agieren seit Beginn der Coronapandemie im Spannungsfeldes zwischen dem Schutz der Gesundheit österreichischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie den sich ständig verändernden Regeln und Verordnungen, welche auch die Arbeitswelt massiv betreffen. Da Letztere im Vollziehungsprozess aufgrund der gegebenen Strukturen mit der Betriebswelt teils nicht optimal kompatibel sind, ergibt sich ein Balanceakt, der besondere Situationselastizität erfordert.

PERISKOP: Nach wie vor sind es bewegte Zeiten für Österreich. Welche Gegebenheiten und Herausforderungen haben Sie als Präsident der AK Niederösterreich in den vergangenen Monaten ganz besonders geprägt? Wie haben Sie das bisherige Coronamanagement erlebt?

Wieser: Allem voran hat die 3G-Regelung am Arbeitsplatz die Betriebe vor große logistische und organisatorische Herausforderungen gestellt. Einerseits waren die entsprechenden Testmaterialien nicht vorhanden, andererseits zog die Überlastung der Labors lange Warte­zeiten und verspätete Testergebnisse nach sich. In Niederösterreich als Flächenbundesland mit insgesamt 573 Gemeinden hat sich der Mangel an entsprechenden Kapazitäten und Strukturen im Hinblick auf verpflichtende PCR-, respektive Antigen-Tests am Arbeitsplatz sehr rasch gezeigt. Man darf zudem nicht vergessen, dass die österreichische Betriebslandschaft vor allem aus Klein- und Mittelbetrieben (KMU) besteht, die meist nicht die Option auf zertifizierte betriebliche Teststraßen hatten. Als Reaktion auf diese Gegebenheiten hat sich die AK Niederösterreich aktiv und erfolgreich für die Zertifizierung betrieblicher Teststraßen und Anerkennung auch nichtmedizinisch qualifizierten Personals für die Durchführung der Tests eingesetzt, um letztlich allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Niederösterreich flächendeckende Testoptionen und eine verordnungsgemäße Teilhabe am Arbeitsleben zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang ist allerdings kritisch anzumerken, dass nicht alle Berufsgruppen in die Krisenstäbe eingebunden wurden. Das betrifft etwa den Bereich der mobilen Pflege, der gerade jetzt in Krisenzeiten besonders relevant ist, und dies auch weiterhin sein wird.

Welche konkreten Angebote und Leistungen hat die AK Niederösterreich nun für ihre Mitglieder gesetzt?

Die AK Niederösterreich befindet sich stets mitten im Geschehen und am Puls derjeweils aktuellen Entwicklungen — sei es bei 3G am Arbeitsplatz, Lockdown, Kurzarbeit, Diskussionen über Risikogruppen oder Überlegungen zu Impfpflicht und Schaffung eines entsprechenden Gesetzes bis 1. Februar 2022. Jede Aussage, jede Ankündigung im Zusammenhang mit Corona war demnach eins zu eins auch Thema bei der AK Niederösterreich. Ausgehend davon haben wir — neben der flächendecken Ausweitung zertifizierter Teststraßen und Autorisierung nichtmedizinisch qualifizierten Personals zur Durchführung von Tests — insbesondere die Coronaberatungsleistungen vervielfacht. Als Interessensvertretung ist es einerseits unsere Kernaufgabe, die Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu schützen. Andererseits haben wir den Auftrag, jegliche Konsequenzen, die im Rahmen von Verordnungen und Bestimmungen zwar angedacht sind, deren Umsetzung jedoch aufgrund der gegebenen Strukturen an Grenzen stößt, abzufedern und bestenfalls zu optimieren.

Markus Wieser im Gespräch über krisenbedingte Herausforderungen für die Arbeitswelt

Insbesondere im Bereich der Pflege haben sich zusätzlich zu den präpandemischen Gegebenheiten neue Herausforderungen ergeben. Denken Sie, dass die Krise einen einschneidenden und nachhaltigen Einfluss auf das Berufsbild der Pflege haben wird?

Österreich GmbH (GÖG) werden hierzulande bis zum Jahr 2030 etwa 75.000 zusätzliche Arbeitskräfte im Bereich der Gesundheit und Pflege gebraucht — Zahlen, die bereits vor Corona bekannt waren. Das nun Erlebte, die Situation in den Krankenhäusern, die medial sehr präsente Auslastung von Personen, die im Pflegebereich tätig sind, all diese Gegebenheiten tragen mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht gerade zu einer Aufwertung dieses Berufsbildes bei. Die AK Niederösterreich hat mit dem Institut für Jugendkulturforschung in Niederösterreich bereits Anfang 2021 eine Studie beauftragt, im Zuge derer Jugendliche zu ihrer Wahrnehmung gegenüber dem Pflegeberuf befragt wurden. Der Grundgedanke: Um zielgerichtete und treffsichere Maßnahmen und Strategien in punkto Attraktivierung der Gesundheit und Pflege zu setzen, ist es entscheidend, die Erwartungen und Einstellungen der Jugendlichen zum Pflegeberuf in direktem Dialog zu eruieren. Unser Fokus lag immer auf der Zielgruppe, für uns war es maßgeblich, mit der Jugend und nicht über die Jugend zu sprechen. Nun hat die Studie ergeben, dass es zwar für über 50 Prozent der Befragten bereits innerhalb der Familie Berührungspunkte mit dem Thema Pflege gab, sich allerdings nur 17 Prozent der befragten Jugendlichen vorstellen können, sofort einen Pflegeberuf zu ergreifen. Insgesamt 43 Prozent sind einem Job im Bereich Gesundheit und Pflege gegenüber grundsätzlich aufgeschlossen — allerdings nur unter entsprechend attraktiven Arbeitsbedingungen. In Anbetracht der aktuell stressigen und sehr belastenden Bedingungen ist es eher unwahrscheinlich, dass wir diese 43 Prozent auch tatsächlich für Gesundheits — und Pflegeberufe gewinnen können. Hier gilt es demnach zu eruieren, welche zusätzlichen Ansätze notwendig sind.

COVID-19 hat eine Lupe auf das österreichische Gesundheitssystem gehalten, Optimierungsbedarf aufgezeigt und Entwicklungen beschleunigt.

Wie fielen die bisherigen Reaktionen auf die Studie aus? Welche konkreten Kernforderungen und Lösungsansätze leiten Sie daraus ab?

Die AK Niederösterreich setzt einen speziellen Fokus auf den Ausbildungsverlauf. Wir haben kürzlich einen Antrag verabschiedet mit Hinweis auf die Relevanz des Erhalts der Diplomausbildung im Gesundheits- und Pflege-bereich. Denn Erfahrungen haben gezeigt, dass die vielseitig diskutierte Akademisierung des Pflegeberufs alleine nicht zielführend ist. Obgleich die Politik weiter an Ausbildungsmodellen festhält, welche den Jugendlichen nicht zusagen, haben unsere Studienergebnisse in anderen Bundesländern Anklang und rasche Verbreitung in Fachkreisen erfahren. Fakt ist, dass es geordnete Strukturen im Sinne einer angemessenen finanziellen und sozialversicherungsrechtlichen Absicherung für Menschen braucht, die in diesen wichtigen Bereich einsteigen wollen — ganz gleich, ob es sich dabei um Erst-, Quer- oder Wiedereinstieg handelt. Zugleich neues Konzept und wesentlicher Eckpfeiler in diesem Zusammenhang ist die Ausbildungs-GesmbH. Ziel ist es, hierdurch ein juristisches Vehikel zu schaffen, das eine bestmögliche Ausbildung, angemessene finanzielle Abgeltung und einen umfassenden Sozialversicherungs- sowie Arbeitnehmerschutz sicherstellt. Angelehnt an das Ausbildungskonzept der Polizei, sollen auch Studierende der Pflege mit einem Entgelt von etwa 1.700 Euro entlohnt werden. Gerade im Erwachsenenbereich, etwa im Zuge eines Quereinstiegs, sollen im Rahmen dieser Gesundheitsagentur faire Bezahlung, finanzielle Abgeltung und somit auch Leistbarkeit einer beruflichen Umorientierung sichergestellt sein, ohne Interessentinnen und Interessenten dabei mit zusätzlichen Kosten zu belasten.

Es braucht geordnete Strukturen im Sinne einer angemessenen finanziellen und sozialversicherungsrechtlichen Absicherung für Menschen, die im Gesundheits- und Pflegebereich arbeiten.

Denken Sie auch über Möglichkeiten einer Verbesserung der Situation pflegender Angehöriger nach?

Die Pflege von Familienmitgliedern ist generell ein Thema, das in der Gesellschaft zunehmend an Bedeutung gewinnt. Menschen, die ihre Lieben zu Hause selbst pflegen, sind oft dazu gezwungen, ihren regulären Beruf aufzugeben  — verbunden mit finanziellen Einbußen und sozialversicherungsrechtlichen Konsequenzen. Die Ausbildungs-GesmbH kann auch in diesem Bereich eine Möglichkeit darstellen, pflegende Angehörige zu beschäftigen. Ein Konzept, bei dem die AK Niederösterreich in diesem Zusammenhang mitgewirkt hat, wurde bereits vor einem halben Jahr im Niederösterreichischen Landtag diskutiert, jedoch leider abgelehnt.

Die Optimierung der Sicherstellung der solidarischen Gesundheitsversorgung ist allgemein ein omnipräsentes Thema in der Gesundheitspolitik. Welche Schwerpunkte wird die AK Niederösterreich 2022 in diesem Zusammenhang setzen? Welche Learnings sind aus der Krise abzuleiten? 

Wir haben in der AK Niederösterreich das Memorandum der 3V für Österreichs Zukunft präsentiert. Der zentrale Fokus liegt dabei auf konkreten Lösungsvorschlägen zu den Themen Veränderungen der Arbeitswelt, Verteilungsgerechtigkeit und Versorgungssicherheit. Um Letztere zu gewährleisten, setzen wir uns besonders im Bereich der Kinder- und Jugendlichenrehabilitation für den Schutz und die Absicherung berufstätiger Eltern chronisch kranker Kinder, die eine stationäre Rehabilitation benötigen, ein. Wir wollen sicherstellen, dass die betroffenen Kinder von ihren Eltern bei der Rehabilitation ohne arbeits- und sozialrechtliche Konsequenzen begleitet werden können. Die Versorgung unserer Kleinsten und Schutzbedürftigsten darf auf keinen Fall von finanziellen, arbeitsrechtlichen oder bürokratischen Belangen abhängen. Ein weiterer Schwerpunkt liegt im Bereich der flächendeckenden, chancengleichen patienten- und versicherungsorientierten Leistungsharmonisierung in Österreich — frei nach dem Motto: „Gesundheit und Genesung dürfen nicht von der Postleitzahl abhängig sein.“ Es darf nicht das nächstgelegene Spital ausschlaggebend für die Versorgung sein, vielmehr gilt es, Strukturen zu schaffen, die es den Menschen ermöglichen, die bestmögliche Versorgung zu erhalten, die entsprechenden Gesundheitseinrichtungen zu erreichen und einen einheitlichen Zugang zu Medikamenten und medizinischen Dienstleistungen zu bekommen. In punkto Versorgungssicherheit kommt auch die Thematik des medizinischen Personalmangels zu tragen. Vor diesem Hintergrund ist eine Weiterentwicklung und Emanzipation der nicht-ärztlichen Gesundheitsberufe anzudenken, da beispielsweise Community Nurses bei einzelnen Patientengruppen und Indikationen das Potenzial hätten, einen Teil des regionalen Ärztemangels zu kompensieren und insgesamt als Unterstützung für das Gesundheitssystem zu fungieren. Letztlich hat uns die Pandemie Verbesserungsbedarf im Hinblick auf die Krisenresilienz unserer Systeme aufgezeigt. Als Vertreter der österreichischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer würde ich mir insbesondere eine Ausschöpfung des diesbezüglichen Potenzials der Betriebe wünschen. Denn eine Ansiedelung der Betriebe im Bereich der medizinischen Versorgung schafft nicht nur Sicherheit, sondern auch Arbeitsplätze und allgemein gute Voraussetzungen für Österreich als möglichst autonomen Wirtschafts- und Produktionsstandort.

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Im Bild: Markus Wieser im Gespräch über krisenbedingte Herausforderungen für die Arbeitswelt.

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