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WHO will durch Medikamente verursachte Schäden signifikant verringern

Jan Hetfleisch

WHO will durch Medikamente verursachte Schäden signifikant verringern

Jan Hetfleisch

Der Patientensicherheitsplan 2021-2030 der Weltgesundheitsorganisation (WHO) postuliert Qualitätskriterien und hat die signifikante Verringerung der medikamentös bedingten Schäden zum Ziel. Welche Schritte dazu in Österreich nötig sind erklärt Mag. pharm. Martina Jeske MSc, aHPh, Präsidentin der Arbeitsgemeinschaft Österreichischer Krankenhausapotheker im Gespräch mit PERISKOP.

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Mag. Renate Haiden, MSc.

Freie Redakteurin

Seit November 2021 ist Martina Jeske Präsidentin der Arbeitsgemeinschaft Österreichischer Krankenhausapotheker. Ihr ist die wirksame, sichere und ökonomisch sinnvolle Arzneimitteltherapie ein besonderes Anliegen.

Wie sieht das Aufgabenspektrum der Apothekerinnen und Apotheker in einem Krankenhaus aus? 

Unsere zentrale Funktion ist die Sicherung des kompletten Arzneimittelprozesses im Spital, von der Beschaffung über die Unterstützung der ärztlichen Verordnung bis hin zur Anwendung am Patienten. Die Spezialisierung zu Krankenhausfachapothekerinnen und -apothekern (approved Hospital Pharmacists, aHPh), ist inzwischen österreichweit in den Krankenhäusern etabliert. Klinisch-pharmazeutische Dienstleistungen, die diese Berufsgruppe erbringt, sind in Form der umfassenden Medikationsanalyse bei Polymedikation in den Leistungskatalog der Krankenhausfinanzierung aufgenommen worden.

Welche Ziele stehen für Sie als Präsidentin der Arbeitsgemeinschaft Österreichischer Krankenhausapotheker aktuell im Mittelpunkt ihrer Arbeit?

Unser aller gemeinsames Ziel ist es, Medikationsfehler zu verhindern, die zu den häufigsten singulären vermeidbaren Ursachen für unerwünschte Ereignisse zählen. Wir wissen auch, dass Maßnahmen zum Schutz vor Patientenschäden, die sich aus Hochrisikosituationen, Polypharmazie und Übergängen in der Versorgung ergeben, frühzeitig und vorausschauend ergriffen werden können und müssen. Denn die Folgen unerwünschter Medikationsereignisse sind menschliches Leid oder sogar Todesfälle. Sie verlängern Genesungsprozesse, führen zu zusätzlichen Krankenhaustagen und damit erhöhten Kosten für das Gesundheitssystem. Arzneimitteltherapiesicherheit darf deshalb kein Zufallsprodukt sein. Es braucht klare Strategien und eine gesetzliche Verankerung der Maßnahmen.

Was fehlt, um eine derartige Strategie auf den Weg zu bringen?

Der Patientensicherheitsplan 2021-2030 der Weltgesundheitsorganisation (WHO) postuliert Qualitätskriterien und hat die signifikante Verringerung der medikamentös bedingten Schäden zum Ziel. Auch Deutschland hat den sogenannten „Aktionsplan zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit“ und die dazu gehörenden Kriterien sind im Qualitätsbericht deutscher Krankenhäuser verankert. In Österreich gibt es derzeit keine gesetzliche
Verankerung entsprechender Qualitätskriterien oder Indikatoren zur Anhebung der Arzneimitteltherapiesicherheit in Krankenhäusern. Daher fordern wir, dass diese Kriterien in den Österreichischen Strukturplan Gesundheit aufgenommen werden müssen. Es braucht dringend einen nationalen Aktionsplan zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit in Österreich, der bestehende Mängel darstellt, zählbar gemacht und konkrete Schritte
zur Verbesserung formuliert. Die Erkenntnisse aus diesem Aktionsplan müssen in Form verbindlicher Regelungen umgesetzt werden.

Wie fördern Sie die interdisziplinäre Zusammenarbeit der verschiedenen Arbeitskreise innerhalb der Arbeitsgemeinschaft Österreichischer Krankenhausapotheker?

Die vier Säulen der Krankenhauspharmazie – strategischer Einkauf, Logistik, Herstellung und klinische Pharmazie – bedingen sich gegenseitig und die damit befassten Arbeitsgruppen arbeiten daher immer schon österreichweit
sehr eng zusammen. Gerade die Erfahrungen während der Pandemie haben gezeigt, dass diese Zusammenarbeit auf kurzem Weg essenziell ist, um aktuelle Herausforderungen wie Lieferengpässe oder auch die Verteilung der
COVID-19-Arzneimittel zu meistern. Dazu wurde in jedem Bundesland eine Spitalsapotheke als zentrale COVID-19-Apotheke, die sogenannte Single-Point-of-Communication oder kurz SPOC-Apotheke, eingerichtet.
Diesen erfolgreichen Weg möchten wir weiter ausbauen, einerseits durch Etablierung weiterer Arbeitskreise wie zum Beispiel für Notfallarzneimittel und Antidota und andererseits durch Einbindung der Universitäten. Dadurch
können spezifische Fragestellungen entsprechend wissenschaftlich aufgearbeitet werden.

Das Thema „Workforce“ steht europaweit verstärkt im Mittelpunkt. Welche Pläne haben Sie für den Ausbau des Angebots der Nachwuchsförderung sowie der beruflichen Fortbildung für Krankenhausapothekerinnen und -apotheker?

Durch die in vielen Ländern bereits vorangetriebene Maßnahmen zur Erhöhung der Arzneimitteltherapiesicherheit, wie etwa der Umsetzung des geschlossenen Medikationskreislaufes oder der vermehrten patientenbezogenen individuellen Zubereitungen, werden wesentlich mehr Kolleginnen und Kollegen in den Krankenhäusern benötigt. Deshalb müssen wir bereits bei den Studierenden das Interesse für diese Tätigkeit wecken. Sie müssen sowohl während des Studiums aber auch postgraduell gezielter vorbereitet und ausgebildet werden. An einigen Universitäten gibt es
bereits eine Professur für klinische Pharmazie, wie beispielsweise in Innsbruck.
Hier ist auch bei der praktischen Ausbildung eine engere Zusammenarbeit mit den Kliniken und Krankenhausträgern analog dem Medizinstudium anzudenken – eine Lösung, die bestimmt für beide Partner interessant ist.
Die Spezialisierung und die ständig steigenden qualitativen Anforderungen machen zudem eine nachweisliche kontinuierliche Fort-und Weiterbildung auch in der Herstellung, Lagerhaltung und im Vertrieb erforderlich. Hier arbeiten wir gemeinsam mit der Apothekerkammer an einem entsprechenden Fortbildungsprogramm.

Was wünschen Sie sich als Präsidentin der Arbeitsgemeinschaft Österreichischer Krankenhausapotheker konkret von der Gesundheitspolitik?

Wir setzen uns für die notwendige gesetzliche Verankerung der Arzneimitteltherapiesicherheit und der klinischen Pharmazie als Qualitätskriterium in Krankenhäusern ein. Unser Ziel ist die wirksame, sichere und ökonomisch
sinnvolle Arzneimitteltherapie aller Patientinnen und Patienten im Krankenhaus. Entscheidend ist, dass die dafür nötigen Informationen und Ergebnisse einzelner Schritte in diesem Prozess für alle Berufsgruppen zu jeder Zeit
verfügbar und nachvollziehbar sein müssen. Das wird durch einen geschlossenen Medikationsprozess am besten sichergestellt. Voraussetzung ist die digitale Abbildung in einem einheitlichen System, das in die elektronische Patientenakte integriert ist. Eine durchgängige Digitalisierung des Verordnungsprozesses unter Verwendung von klinischen Expertensystemen in Verbindung mit dem Einsatz von Krankenhausfachapothekerinnen, -apothekern und klinischen Pharmazeutinnen und Pharmazeuten bildet dafür die Basis. Die entsprechende Abbildung der Tätigkeiten
in den Rechtsvorschriften muss nachgezogen werden, um sicher und innerhalb des gesetzlichen Rahmens arbeiten zu können. Krankenhausapothekerinnen und -apotheker sollen entsprechend ihrer Qualifikation in
vollumfänglichen Leistungsspektrum in den österreichischen Krankenhäusern zum Einsatz kommen und so das medizinische und pflegerische Personal unterstützen und auch entlasten. Im Mittelpunkt muss immer das Wohl der Patientinnen und Patienten stehen und dazu leisten wir einen wichtigen Beitrag.

Welche Chancen birgt die Digitalisierung für Ihre Aufgabenbereiche im Spital?

Entsprechend dem WHO-Plan für Patientensicherheit ist die Entwicklung und Umsetzung digitaler Lösungen zur Verbesserung der Sicherheit der Gesundheitsversorgung ein wichtiges strategisches Ziel. Durch Digitalisierung und
Automatisierung wird der Medikationsprozess von der Verordnung bis zur Verabreichung der Medikamente optimiert. Die vier zentralen Aufgabenbereiche klinische Pharmazie, Produktion, Logistik und strategischer Einkauf sind Teil
eines Gesamtprozesses und können ohnehin nicht getrennt betrachtet werden. Die Digitalisierung bietet die beste Voraussetzung, um die Arzneimitteltherapiesicherheit zu verbessern. Die Zusammenarbeit mit den Ärztinnen
und Ärzten auf den Stationen wird effektiver, gleichzeitig können wir die Pflege durch den Einsatz elektronischer Verordnungssysteme und patientenindividueller Logistik bis hin zur Verabreichungsdokumentation entlasten. Moderne
Prozesse sind auch ein wichtiges Signal nach außen, stehen sie doch als Qualitätsmerkmal für Leistungsträger, Patientinnen und Patienten sowie als attraktives Argument zur Gewinnung
neuer Mitarbeitender.

Worauf ist bei der Implementierung digitaler Systeme zu achten, damit sie auch alle Vorteile ausspielen können?

Entscheidend für die Wahl des Systems ist dabei typischerweise das am Haus verfügbare
Krankenhausinformationssystem. Die Software für die Arzneimittelverordnung muss in die bestehende technische Infrastruktur des Krankenhauses passen. Hier ist es wichtig, gemeinsam mit der IT-Abteilung alle relevanten Schnittstellen zu prüfen. Insbesondere mit Blick auf den geschlossenen Medikationsprozess muss das System eine „Pharmazeutenrolle“ für die Validierung und eine Schnittstelle zu den logistischen Systemen
besitzen. Schließlich sind die Performance, die Anwenderfreundlichkeit und ein Funktionsumfang, der den jeweiligen klinikspezifischen Anforderungen entspricht, entscheidend für eine erfolgreiche Implementierung.

Wie weit ist die Digitalisierung in den Spitälern fortgeschritten?

Leider sind wir bei der Digitalisierung noch nicht so weit, wie wir gerne wären. Hier müssen wir auch im Hinblick auf künftige Ereignisse noch besser aufgestellt sein. Die korrekte und schnelle Erfassung und Darstellung von Daten, wie etwa aktuellen österreichweiten Verbrauchsdaten von Arzneimitteln und Medizinprodukten, hat während der Pandemie viel Zeit gekostet und oft keine befriedigenden Ergebnisse gebracht, obwohl viele Personen laufend damit beschäftigt waren. Komplexe Themen wie die Unterbrechung von Lieferketten und damit die Fragilität der Versorgungssicherheit haben deutlich vor Augen geführt, wie eine sinnvolle Notfallbevorratung aussehen müsste.

Welchen Stellenwert hat die Inhouse-Produktion zur Überbrückung von Lieferengpässen? 

Für Frühgeborene, geriatrische oder Risikopatientinnen und -patienten stellen wir in der Krankenhausapotheke immer schon zeitnah maßgeschneiderte Arzneimittel her, die nicht am Markt verfügbar sind. Bei der Überbrückung von Lieferengpässen haben wir den Fokus auf der zentralen Verteilung von knappen Dosen, um Verwürfe zu verhindern und so viele Patientinnen und Patienten wie möglich versorgen zu können. Funktionierende, entsprechend ausgestattete Produktionsabteilungen sind deshalb essenziell für die Versorgung. 

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