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Wiener Gesundheitssystem: Investitionen sichern Leistungsniveau

Interviewtermin mit Bürgermeister Dr. Michael Ludwig, im STrandgasthaus Birner.

Wiener Gesundheitssystem: Investitionen sichern Leistungsniveau

Interviewtermin mit Bürgermeister Dr. Michael Ludwig, im STrandgasthaus Birner.

Im PERISKOP Interview schildert der Wiener Bürgermeister Dr. Michael Ludwig die zentralen gesundheitspolitischen Herausforderungen und Schwerpunkte für Wien und fordert von der Bundesregierung eine langfristig abgesicherte Pflege­finanzierung. Um die hohe Qualität der Versorgung auch weiterhin sicherzustellen, müsse man heute an die Zukunft denken. | von Mag. Dren Elezi, MA

Bürgermeister Michael Ludwig ist für die Gesundheitsversorgung von knapp zwei Mio. Wienerinnen und Wiener verantwortlich. Für das PERISKOP schildert der Wiener Bürgermeister, welche spezifischen Herausforder­ungen eine Metro­pole im Gesundheits- und Pflegebereich bewältigen muss.

PERISKOP: Herr Bürgermeister, wo sehen Sie die zentralen gesundheits­politischen Herausforderungen für Wien?

LudwigMein oberstes Ziel ist es, ein starkes öffentliches Gesundheitssystem sicherzustellen, das allen Menschen offen steht. Denn gerade in der Corona-Pandemie zeigt sich, was unser Gesundheitswesen in Wien zu leisten im Stande ist. Ich bin sehr stolz auf den Einsatz und das große Engagement aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheits- und Pflegebereich. Sie alle haben mitgeholfen, dass den Wienerinnen und Wienern Zustände wie in anderen Ländern erspart bleiben, wo das Gesundheitssystem privatisiert oder stark zurückgefahren wurde. Ich werde alles dafür tun, damit das auch in Zukunft so bleibt.

Welche Schwerpunkte werden Sie konkret setzen?

Entscheidend sind leistungsfähige Kranken­häuser mit einer ausreichenden Bettenzahl, gut ausgerüstete Intensiveinheiten und 
hochqualifiziertes Personal auf allen Ebenen. Darüber hinaus braucht es im Verantwortungsbereich der Österreichischen Gesundheitskasse und der Ärztekammer eine gut ausgebaute niedergelassene Versorgung mit ausreichend Haus- und Fachärztinnen und -ärzten mit Kassenvertrag. Kurz gesagt: Wir wollen auch in Zukunft das beste Gesundheitssystem für alle Wienerinnen und Wiener, und zwar nicht irgendeines, sondern auf dem höchsten Niveau. Das ist natürlich ein großer Kraftaufwand: 2019 sind alleine 4,32 Mrd. Euro in den Gesundheitsbereich geflossen. In den acht Kliniken und neun Pflegewohnhäusern des Wiener Gesundheitsverbunds arbeiten etwa 30.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter rund um die Uhr an der med­izinischen und pflegerischen Versorgung unserer Bevölkerung. Jetzt geht es darum, die richtigen Weichenstellungen für die Zukunft vorzunehmen.

Auf welchem Weg sehen Sie Wien generell in Sachen Gesundheitspolitik?

Wir haben viel erreicht: Die Klinik Hietzing und die Klinik Donaustadt wurden bereits mit der neuesten Bestrahlungstechnologie ausgerüstet. Durch den Ausbau sind nun deutlich mehr Behandlungen möglich — statt 3.600 sind es nun 6.000 Patientinnen und Patienten pro Jahr im Wiener Gesundheitsverbund, die auf höchstem medizinischen Niveau behandelt werden können. Und die 2019 eröffnete Klinik Floridsdorf setzt überhaupt neue Standards in der medizinischen Versorgung: Mit mehr als 21.000 ambulanten Behandlungen, davon rund 4.700 in der Zentralen Notaufnahme, und mehr als 1.400 Operationen pro Monat. Das zeigt, wie leistungsstark unser Wiener Gesundheitssystem ist.

Worauf kommt es in Zukunft an?

Um dieses hohe Leistungsniveau für die Zukunft abzusichern, braucht es Investitionen und zusätzliches Personal für das Wiener Gesundheitssystem. Ab sofort werden deutlich mehr Pflegerinnen und Pfleger, Hebammen und weitere medizinische Fachkräfte ausgebildet. Die Ausbildungskapazitäten werden bis 2024 schrittweise um 2.750 Plätze erhöht. Statt aktuell 4.900 stehen dann 7.650 Aus­bildungsplätze zur Verfügung. Aktuell arbeiten in Wien bereits über 50.000 Menschen in Ge­sundheits- und Pflegeberufen. Diese Zahl wird in den kommenden Jahren deutlich steigen. Um die hohe Qualität der Versorgung auch weiterhin sicherzustellen, denken wir heute schon an morgen und übermorgen. Neu ist auch, dass die Pflegeausbildung in Wien künftig zentral gesteuert wird. Die drei größten Anbieter Wiener Gesundheitsverbund, Fonds Soziales Wien und FH Campus Wien bilden die Dachorganisation, die gemeinsam plant, steuert und entwickelt. Dadurch können die verschiedenen Angebote besser aufeinander abgestimmt, die Durchlässigkeit der Ausbildungsformen sichergestellt und das Recruiting der künftigen Fachkräfte optimiert werden. All das wird wichtige Impulse in Sachen Gesundheitsökonomie bringen und wir setzen wichtige Akzente auf dem Arbeitsmarkt.

Mein oberstes Ziel ist es, ein starkes öffentliches Gesundheitssystem sicherzustellen, das allen Menschen offen steht.

Mittelfristig setzen Sie auf Investitionen in die Infrastruktur?

Ja, im Einvernehmen mit der Gesundheitskasse entstehen im niedergelassenen Bereich 16 neue Medizin-Zentren in Wien. Diese Zentrums­lösungen etwa für Diabetes- oder Wundpatientinnen und -patienten sollen die Versorgung unserer Bevölkerung weiter verbessern. Wien investiert in die Maßnahme 22 Mio. Euro. Um Spitäler und Ambulanzen zu entlasten, hat sich die Stadt mit der Wiener Ärztekammer und der ÖGK außerdem auf den Ausbau von Primärversorgungseinheiten geeinigt, wo Allgemeinmedizinerinnen und Allgemeinmediziner mit verschiedenen Gesundheits- und Sozialberufen unter einem Dach zusammenarbeiten. 36 dieser PVEs werden in Wien bis 2025 kommen. Drei gibt es bereits und weitere sind auf Schiene.

Eine Ihrer zentralen Ansagen war die Wiener Pflegegarantie.

Ja, pflegebedürftige Wienerinnen und Wiener können sich darauf verlassen, die bestmögliche Versorgung zu bekommen. Dafür sorgen wir mit der Wiener Pflegegarantie. Ob daheim oder in einer bestmöglich dafür ausgestatteten Einrichtung: In Wien werden auch weiterhin alle Menschen in Würde altern können. Gleich­zeitig bauen wir Alltagsbegleitung, für Seniorinnen- und Senioren-Wohngemeinschaften sowie die Leistungen in der mobilen Pflege aus. Und mit der Personaloffensive tragen wir dem Bedarf und dem Wunsch der älteren Generation nach individuell abgestimmten Betreuungsmöglichkeiten Rechnung.

Vom Thema Gesundheit ist es nicht weit zur Coronavirus-Pandemie. Hat das Wiener Gesundheitssystem den Stresstest best­anden?

Die Pandemie ist noch nicht vorbei. Bis es eine Impfung gibt, werden wir mit dem Coronavirus leben müssen. Was man aber auch sagen muss: Unser Krisenmanagement hat bislang ausgezeichnet funktioniert. Wir haben besonders früh auf die sich anbahnende Gesundheitskrise reagiert. Schon Ende Jänner 2020 wurde der medizinische Krisenstab einberufen. Über diesen wurden alle notwendigen medizinischen Maßnahmen koordiniert und die Zusammenarbeit der verschiedenen Gesundheitsdienste auf sichere Beine gestellt. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern haben wir in Wien außerdem sehr bald mit einer offensiven Teststrategie begonnen. Wir haben uns nicht darauf verlassen, einfach nur bei Fällen nachzuhaken, die sich nach Symptomen selbst gemeldet haben.

Welche Schlüsse hat man daraus gezogen?

Von Anfang an war klar: Unsere Spitäler und Pflegeeinrichtungen sind unsere wertvollste Ressource und wir müssen sie schützen. Das wurde durch die Strategie der Heimquaran­täne erreicht. Wir haben alle Coronavirus-­Erkrankten mit leichtem Krankheitsverlauf, wo es möglich war, im eigenen Zuhause versorgt. Auf diese Weise konnten wir das Virus von den am meisten gefährdeten Bevölkerungsgruppen — den Patientinnen und Patienten in unseren Spitälern und den Bewohnerinnen und Bewohner in den Pflegewohnhäusern — fernhalten. Dafür mussten wir auch die eine oder andere schmerzhafte Entscheidung treffen. Dass der Zutritt zu diesen Einrichtungen weiterhin nur unter Einhaltung bestimmter Regeln möglich ist, geschieht ausschließlich zum Schutz dieser besonders gefährdeten Gruppen.

Was hat Wien gut hinbekommen?

Im Unterschied zu anderen Millionenstädten hat es in Wien bisher keine Übersterblichkeit aufgrund von Covid-19 gegeben. Wir sind also bislang im Großen und Ganzen sehr gut durch die Krise gekommen. Diesen erfolgreichen Weg setzen wir weiter fort. Das bedeutet: Ein Höchst­maß an Vorsicht, dort wo es notwendig ist, aber keine unnötigen Einschränkungen. Bestes Bei­spiel waren die Taxigutscheine, die wir allen Wienerinnen und Wienern über 65 Jahre zur Verfügung gestellt haben. Damit haben wir erreicht, dass Seniorinnen und Senioren zu notwendigen Terminen fahren konnten, ohne auf die Öffis angewiesen zu sein. Das hat das Infektionsrisiko minimiert. Selbstverständlich werden wir auch alles dafür tun, dass die Stimmabgabe bei der kommenden Wahl so sicher wie möglich ist: Neben der Briefwahl wird man seine Stimme bereits ab 14. September am Magistratischen Bezirksamt abgeben können, ganz ohne Schlange stehen. Stolz bin ich auf unsere Testbilanz: Bereits Mitte Juli haben wir in Wien die 200.000-Tests-Marke geknackt. Damit fanden bis dahin fast 30 Prozent aller österreichischen Tests in Wien statt. Angenommen, Wien wäre ein eigener Staat, dann lägen wir bei den Tests vor Italien, Deutschland oder Norwegen.

Wir brauchen eine langfristig abgesicherte Pflegefinanzierung. Dafür könnte man einen Pflegegarantiefonds einrichten, der alle finanziellen Mittel bündelt und zu gleichen Teilen von Bund, Ländern und Sozialver¬sicherung getragen wird.

Wie sehen sie generell Millionenmetropolen wie Wien durch das Coronavirus heraus­gefordert?

Die letzten Monate haben eines deutlich gemacht: Eben weil wir in Wien ein dichtes soziales Netz und ein starkes öffentliches Gesundheitssystem haben, ist der Alltag so normal wie möglich weitergegangen. Das ist das Ergebnis unserer bewährten Wiener Sozialpolitik — von der wir jetzt mehr brauchen, um mit den Krisenfolgen fertigzuwerden — am Arbeitsmarkt, in der Sozial- und Wirtschaftspolitik, in der Gesundheitspolitik, in der Bildungspolitik, in der Wohnpolitik und wenn es darum geht, sich all jener anzunehmen, die unter den Folgen der Krise leiden. Städte und ganze Länder lassen sich eben nicht wie Unternehmen führen. Das haben wir in Wien immer schon gewusst und alles dafür getan, dass die Leistungen der Da­seinsvorsorge nicht privatisiert werden.

In der Vergangenheit wurde ja oft die Kritik geübt, es gäbe zu viele Spitalbetten in Wien. Diejenigen, die das gesagt haben, wollen heute nicht mehr daran erinnert werden. Ich halte nichts von der Ansage, dass der Markt alles am besten regelt und sich der Staat auf Kernaufgaben zurückziehen soll. Da wurde gerade in Wien eine jahrelange Kampagne gefahren und Stimmung gemacht, etwa was die Zahl der Spitalsbetten angeht. Jetzt — in der Krise — ist auf einmal alles anders. Was einzelne Gesundheitsökonomen allerdings nicht davon abhält, schon wieder die Zahl der Intensivbetten in Frage zu stellen und Ein­sparungen zu fordern.

Wir haben noch nicht über die Rolle des Bundes gesprochen. Welchen Beitrag muss die Bundesregierung leisten?

Das österreichische Gesundheitssystem steht insgesamt vor großen Herausforderungen. Wien tut viel, aber wir können nicht alle negativen Effekte des Sparkurses auffangen. 2019 haben ja ÖVP und FPÖ die Sozialversicherung zerschlagen, um Privatisierungen den Weg zu bereiten. Diese „Reform“ hat eine schwer verschuldete Gesundheitskasse hinterlassen. Weil die Pandemie diese Situation weiter verschärfen wird, werden wir Länder das in weiterer Folge natürlich auch bei der Finanzierung spüren. Wenn es so weitergeht, werden Kranke und Alte wesentlich höhere Beiträge zahlen müssen als heute. Spitzenmedizin würde dann nur noch dem zahlungskräftigen Publikum offenstehen. Das darf nicht sein. Denn Gesundheit ist das höchste Gut. Ich fordere deshalb eine Garantie, dass für die Milliardenverluste nicht die Patientinnen und Patienten zur Kasse gebeten werden und es zu keinen Leistungs­kürzungen und keinen weiteren Selbstbe­-
halten kommt.

Welche Forderungen erheben Sie sonst an die Bundesregierung?

Wir brauchen eine langfristig abgesicherte Pflegefinanzierung. Dafür könnte man einen Pflegegarantiefonds einrichten, der alle finanziellen Mittel bündelt und zu gleichen Teilen von Bund, Ländern und Sozialver­sicherung getragen wird. Ebenso fordere ich die Einrichtung eines bundesweiten Pflege- und Betreuungsfonds. Das ließe sich unter anderem über eine Erbschafts- und Schenkungssteuer finanzieren. Klar ist: Wir haben schon jetzt einen steigenden Bedarf an Pflege und Betreuung, und das wird sich fortsetzen. Deshalb kommt es schon jetzt auf entschie­denes Handeln an — so wie wir das in Wien handhaben.

BioBox

Bürgermeister Dr. Michael Ludwig absolvierte das Studium der Politikwissenschaft und Geschichte an der Universität Wien. Seine politische Laufbahn begann 1994/1995 als Bezirksrat in Floridsdorf. 1996 bis 1999 war Ludwig als Vertreter Wiens Mitglied des Bundesrats, ab 1999 wechselte er in den Wiener Landtag und Gemeinderat. Nach der Umbildung der Wiener Stadtregierung wurde er am 22. Jänner 2007 Stadtrat für Wohnen, Wohnbau und Stadt­erneuerung. Elf Jahre später, am 27. Jänner 2018, wurde Ludwig zum Nachfolger von Michael Häupl als SPÖ Wien-Vorsitzender gewählt. Und am 24. Mai 2018 übernahm er auch das Amt des Wiener Bürgermeisters.

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