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Datencockpit für Intensivmediziner

Datencockpit für Intensivmediziner

Wie digitale Systeme Ärztinnen und Ärzten bei der Entscheidungsfindung helfen den Outcome im Operationssaal und auf der Intensivstation zu erhöhen, präsentierte Univ.-Prof Dr. Klaus Markstaller in seiner Keynote bei den 6. PRAEVENIRE Gesundheitstagen im Stift Seitenstetten. | von Rainald Edel, MBA

Anästhesie und Intensivmedizin, sei es im Operationssaal oder auf der Intensivstation, erfolgt in einem komplexen Arbeitsumfeld und muss rasch auf sich wandelnde Situationen reagieren. Eine Fülle von Informationen ist in einem dynamischen Prozess zeitgleich relevant. „Ärztinnen und Ärzte sowie Fachkräfte müssen darauf oftmals schnell reagieren — teils ohne die Patientin oder den Patienten vorher zu kennen, beispielsweise wenn es sich um einen Notfall handelt“, erklärte Univ.-Prof. Dr. Klaus Markstaller, Leiter der Universitätsklinik für Anästhesie, Allgemein Intensivmedizin und Schmerztherapie an der MedUni Wien. In komplexen Systemen geschehen Fehler, teils banaler Natur — aber mit großen Auswirkungen. „Studien, zeigen, dass medizinische Fehler die dritthäufigste Todesursache in westlichen Ländern darstellen“, schilderte Markstaller. Fehler ziehen sich durch den gesamten Behandlungspfad und werden durch Schnittstellen begünstigt — vom Hausarzt in die Klinik, vom Notarztteam in den Schockraum, vom Operationssaal in die Intensivstation oder bei der Überstellung auf die Normalbettenstation.

Digitales Management

„Die Conclusio aus alldem: Für den Patienten-Outcome ist es entscheidend, sich diese Schnittstellen genauer anzusehen, um Fehler so gut wie möglich zu vermeiden und Prozesse im Sinne des Patienten zu optimieren“, sagte Markstaller. Zwar gäbe es in den meisten Krankenhäuser keine händischen Aufzeichnungen mehr, dennoch seien nicht alle Dokumentationen digitalisiert — eine weitere potentielle Fehlerquelle. Eine Möglichkeit dagegen bieten sogenannte Patienten-Dokumentations-Management-Systeme, kurz PDMS. „Diese Systeme erfassen sämtliche Vitaldaten der Patientin, des Patienten im Sekundentakt und zeigen in Kombination mit den eingegebenen Arzneimitteldaten unmittelbar auf, wie die Reaktionen in Abhängigkeit von der Medikamentenabgabe ausfallen“, so Markstaller. PDMS sammeln aber nicht nur Informationen während der Behandlung, sie sind auch mit dem klinischen Informationssystem vernetzt — womit der Behandlerin, dem Behandler sämtliche relevanten Informationen über die Patientin, den Patienten wie Labordaten, Infos über Vorerkrankungen, etc., zur Verfügung stehen. Wenn eine Person wiederaufgenommen wird, liegen auch sämtliche Daten aus früheren Aufenthalten vor. Ein weiterer Vorteil: PDMS dokumentieren wer, wann, was an Information eingegeben hat. Diese Nachvollziehbarkeit der Datenentstehung ist auch ein Fortschritt in forensischer Hinsicht. „Die Vorteile sind umfassender Natur. Sie reichen von der besseren Datenlesbarkeit und der Entlastung der Dokumentationsarbeit für Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte über die Übersichtlichkeit der Darstellung, die zur raschen Informationsfindung beiträgt, bis hin zur hohen, strukturierten Dokumentationsqualität. Dazu kommt noch die orts- und zeitunabhängige Verfügbarkeit der Daten und die einfache Auswertbarkeit“, fasst Markstaller zusammen. Dadurch werde nicht nur das Qualitätsmanagement unterstützt, sondern auch die Sicherheit der Patientin, des Patienten enorm erhöht. Die Nachteile, die dem gegenüberstehen, sind vergleichsweise klein. Am ehesten fallen noch Probleme des Datenschutzes ins Gewicht. Gerade wenn in einem Krankenhaus mehrere Hersteller verwendet werden, kann zudem die Integration und Vernetzung der Patientendaten noch eine technische Herausforderung bedeuten.

Studien haben gezeigt, dass die Empfehlungen solcher CDS-Systeme den Empfehlungen jener Ärztinnen und Ärzte entsprechen, die die besten Ergebnisse erzielen.

„Entscheidende“ Hilfe

„Die Präzisionsmedizin, zu der wir im Gesundheitswesen alle hin wollen, ist in meinem Fachbereich, in der Anästhesie und Intensivmedizin, letztlich nur durch Big Data erreichbar. Wir haben von jeder Patientin, jedem Patienten jeden Herzschlag, jeden Blutdruck, jede Medikamentengabe und die Reaktion auf so eine Intervention. Ziel ist es, die Unmenge an Daten nicht nur quasi in Echtzeit zu verarbeiten, sondern daraus auch individuelle Vorhersagen abzuleiten. Das würde die Anästhesie und die Intensivmedizin auf ein höheres Niveau heben“, erklärt Markstaller. „Prinzipiell interessieren uns Clinical Decision Support Systems (CDSS), die sich passiv — sprich auf Anforderung des Users —, aber auch aktiv selbst melden. Das kann entweder posthoc nach einer Behandlung beziehungsweise an einer Schnittstelle erfolgen oder in Echtzeit, etwa während einer OP, bei der sie der behandelnden Person sagen, was der nächstrichtige Schritt wäre.“ Das „Wissen“ des Systems, welche Schritte zu setzen wären, kann entweder durch vorhergehende Eingabe aufgebaut oder selbstlernend durch Künstlicher Intelligenz generiert werden.

Durch Machine- und Deep-Learning, in Kombination mit Echtzeitanalysen und selbstständiges Lernen, sind diese Systeme in der Lage, eine Prognose abzugeben und zu sagen, welcher Schritt als nächstes für das Überleben der Patientin, des Patienten richtige wäre. „Studien haben gezeigt, dass die Empfehlungen solcher Systeme den Empfehlungen jener Ärztinnen und Ärzte entsprechen, die die besten Ergebnisse erzielen. Die Systeme funktionieren also bereits und sie stellen für das Fach der Anästhesie und der Intensivmedizin die Präzisionsmedizin in Aussicht.“ Am AKH Wien wird gerade das THALEA II Projekt (Telemonitoring and Telemedicine for Hospitals Assisted by ICT for Life saving co-morbid patients in Europe As part of a Patient personalised care program of the EU) implementiert. Dieses bereitet die Daten für Intensivpatientinnen und -patienten, wie in einem Cockpit auf. Damit kann der Arzt die Patientin, den Patienten auf Video sehen und erhält auch sämtliche fallbezogene Informationen. Zudem ist das CDS eingeblendet, das Hinweise gibt, wie, individuell auf den jeweiligen Patienten abgestimmt, die Behandlung zu gestalten wäre. „Wir hoffen, über diesen Weg der precision oder personalised medicine das Patienten-Outcome signifikant zu erhöhen. Entsprechende Studien dazu werden vorbereitet“, so Markstaller abschließend.

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